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Als Zitiergebot bezeichnet man die in Art 19 Abs 1 Satz 2 des deutschen Grundgesetzes festgelegte Pflicht des Gesetzgebers bei einer Einschrankung von Grundrechten durch ein Gesetz oder auf Grundlage eines Gesetzes das betroffene Grundrecht unter Angabe des Grundgesetzartikels zu nennen Bei einem Verstoss gegen das Zitiergebot ist das Gesetz formell verfassungswidrig Ein Zitiergebot im weiteren Sinne kennt das Grundgesetz noch in Art 80 Abs 1 Satz 3 GG wonach Rechtsverordnungen die von der Bundesregierung einem Bundesminister oder einer Landesregierung erlassen werden ihre gesetzliche Rechtsgrundlage angeben mussen Es gibt daruber hinaus auch viele einfachrechtliche Zitiergebote Inhaltsverzeichnis 1 Grundgedanke von Zitiergeboten 2 Geschichte des verfassungsrechtlichen Zitiergebots 3 Restriktive Auslegung des Zitiergebots 4 Nicht zitierpflichtige Einschrankungen 5 Kritik 6 Zitiergebot bei Rechtsverordnungen 7 Literatur 8 EinzelnachweiseGrundgedanke von Zitiergeboten BearbeitenDen Anforderungen eines Zitiergebots liegt der Gedanke einer Rechtshierarchie zugrunde wonach hoherrangiges Recht jeweils nachrangigem Recht vorgeht also etwa in absteigender Linie Europa und Verfassungsrecht parlamentarisches Gesetzesrecht Verordnungsrecht Satzungsrecht und Vertragsrecht und oder Rechtsakte wie z B Verwaltungsakte die als offentlich rechtliche Rechtsakte aber dem Vertragsrecht vorgehen Durch die Pflicht das jeweils hoherrangige Recht bei seinem Vollzug durch niedere Rechtsformen zu zitieren soll regelmassig aus Grunden der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die Anwendung und Auslegung der hoherrangigen Norm transparent gemacht und abgesichert werden So finden sich Zitiergebote auf den verschiedensten Ebenen der Normen und in den unterschiedlichsten Rechtsbereichen Art 19 Abs 1 Satz 2 und Art 80 Abs 1 Satz 3 GG sind die bekanntesten Zitiergebote im Verhaltnis von Verfassungsrecht zu einfachem Gesetzesrecht beziehungsweise von diesem zum Verordnungsrecht Aber auch unterhalb dieser Normen werden Zitiergebote angewandt So muss nach dem Strafprozessrecht bei bestimmten Vollzugsmassnahmen wie bei einer Durchsuchungsanordnung oder einem Haftbefehl die zur Last gelegte Straftat gekennzeichnet werden im Mietrecht muss bei bestimmten Rechtsakten wie der Kundigung von Wohnraum in einem Zweifamilienhaus dem Mieter die genaue Gesetzesstelle auf welche die Kundigung gestutzt wird mitgeteilt werden 573a BGB aus Tarifvertragen ist die Regelung bekannt dass bestimmte Gestaltungen von Arbeitsvertragen wie z B Teilzeitbeschaftigung nach 14 Abs 2 Teilzeit und Befristungsgesetz die Rechtsgrundlage durch Zitat des Gesetzes benennen mussen 1 Die Verletzung solcher Zitiergebote machen die jeweiligen Rechtsakte fehlerhaft und damit unwirksam Geschichte des verfassungsrechtlichen Zitiergebots BearbeitenDie Weimarer Verfassung kannte kein vergleichbares Gebot zum Schutz der Grundrechte Dies fuhrte mehrfach zu einer unbewussten Einschrankung der Grundrechte durch den Reichsgesetzgeber Dies galt umso mehr als durch jedes Reichsgesetz also auch ausserhalb der Reichsverfassung die Verfassung geandert werden konnte solange es mit der hierfur erforderlichen Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitglieder verabschiedet worden war Bei den Beratungen des Parlamentarischen Rats zum GG wurde von Hermann von Mangoldt beantragt das aus der Erfahrung mit der Weimarer Verfassung im Entwurf des GGs enthaltene Zitiergebot als unnotige Fesselung des Gesetzgebers wieder zu streichen Dem wurde von Thomas Dehler mit dem Einwand widersprochen Wir wollen diese Fesseln des Gesetzgebers und bitten daher den Satz 2 aufrechtzuerhalten so dass Art 19 Abs 1 in das GG aufgenommen wurde 2 In der fruhen Kommentarliteratur zum Zitiergebot fand diese Diskussion ihren Niederschlag und die Argumentation von v Mangoldt uber eine Behinderung des Gesetzgebers wurde uberwiegend abgelehnt So heisst es in einem der ersten Kommentare zum GG aus dem Jahre 1949 Unter der Herrschaft des BGG Bonner Grundgesetz sollen Eingriffe in GR Grundrechte etwas so Aussergewohnliches sein dass sich der Gesetzgeber dazu nur nach reiflichster Uberlegung und in einer fur jedermann von vornherein erkennbaren Weise entschliessen darf 3 Die nachfolgende Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht folgte jedoch dieser strengen Beurteilung nur eingeschrankt Restriktive Auslegung des Zitiergebots BearbeitenSinn und Zweck des Zitiergebots ist eine Warn und Besinnungsfunktion fur die Gesetzgebung und eine Klarstellungsfunktion fur die Gesetzesanwendung und auslegung So wie die Gesetzgebung die Auswirkungen eines Gesetzes auf die Grundrechte bedenken soll so soll die Interpretation von Gesetzen kraft Anwendung und Auslegung in dem Geiste erfolgen in welche Grundrechte das Gesetz allein einzugreifen ermachtigt ist Der Befurchtung dass das Zitiergebot uberbeansprucht wird begegnete das Bundesverfassungsgericht mit einer restriktiven Anwendung des Art 19 Abs 1 Satz 2 GG Nach Beurteilung des Bundesverfassungsgerichts besteht die Hauptaufgabe des Zitiergebots darin den Gesetzgeber vor einer leichtfertigen oder unbeabsichtigten Einschrankung der Grundrechte zu warnen und es folgert hieraus weiter Dabei handelt es sich aber um eine Formvorschrift die enger Auslegung bedarf damit sie nicht zu einer leeren Formlichkeit erstarrt und den die verfassungsmassige Ordnung konkretisierenden Gesetzgeber in seiner Arbeit unnotig behindert Das Zitiergebot soll lediglich ausschliessen dass neue dem bisherigen Recht fremde Moglichkeiten des Eingriffs in Grundrechte geschaffen werden ohne dass der Gesetzgeber sich daruber Rechenschaft legt und dies ausdrucklich zu erkennen gibt 4 Hiernach hat sich eine restriktive Auslegung von Art 19 Abs 1 S 1 GG entwickelt und die Geltung des Zitiergebots wird auf Gesetze bezogen die darauf abzielen ein Grundrecht uber die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus zu beschranken 5 wobei der Gesetzgeber zu dieser Beschrankung im GG ermachtigt sein muss 6 Das Grundrecht und seine Einschrankung mussen ausdrucklich in dem Gesetzestext erwahnt werden nicht aber ist es erforderlich dass dies im unmittelbaren textlichen Zusammenhang mit der das Grundrecht beschrankenden Regelung geschieht 7 Nicht zitierpflichtige Einschrankungen BearbeitenDie Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fuhrt die Einschrankungen des Zitiergebotes nach Art 19 Abs 1 Satz 2 GG in einer Mehrzahl von Fallen aus wobei fur die Anwendung des Zitiergebots die folgenden Grundsatze gelten Da fur den an die Verfassung gebundenen Gesetzgeber keine Warnfunktion davon ausgeht unterliegen vorkonstitutionelle Gesetze schon naturgemass nicht dem Zitiergebot Gleiches gilt fur nachkonstitutionelle Gesetze die lediglich bereits bestehende Grundrechtseinschrankungen ganzlich unverandert weiterfuhren Nicht zitierpflichtig sind weiterhin allgemeine Gesetze im Sinne des Art 5 Abs 2 GG die in die Meinungs und Informationsfreiheit einschliesslich der Pressefreiheit und der Rundfunkfreiheit Art 5 Abs 1 GG eingreifen weil sonst nahezu jedes Gesetz Art 5 Abs 1 GG als eingeschrankt zitieren musste und darin reine Formelei erblickt wird 8 Die gleiche Ansicht zur Vermeidung von Formelei wird bei der allgemeinen Handlungsfreiheit Art 2 Abs 1 GG vertreten die durch jedes gesetzliche Ver oder Gebot tangiert wird Schliesslich hat das Bundesverfassungsgericht in der im vorigen Abschnitt zitierten Entscheidung vom 30 Mai 1973 einen Hinweis auf die Grundrechtsbeschrankung auch fur entbehrlich gehalten weil der Grundrechtseingriff offenkundig gewesen sei Das Zitiergebot soll nicht gelten wenn es um Grundrechte geht die sogenannte immanente Grundrechtsschranken erkennbar machen Grundrechte die also vorbehaltlos gewahrt werden Der Grund dafur dass das Grundrecht nicht genannt werden muss besteht bei diesem Typ darin dass keine Einschrankung im engeren Sinne vorliegt Selbiger Ansatz gilt wenn es an einem in Art 19 Abs 1 Satz 1 GG vorausgesetzten Eingriff fehlt weil das Grundrecht im Rahmen des jeweiligen gesetzlichen Vorbehalts selber auf eine es konkretisierende gesetzliche Regelung oder seine Ausgestaltung durch ein Gesetz verweist wie Art 3 Art 6 Art 9 Art 12 Abs 1 Satz 2 Art 14 Abs 3 GG Soweit in der Rechtsliteratur gefolgert wird dass das Zitiergebot nur gelte wenn ein Grundrecht unter Gesetzesvorbehalt stehe ist dies dahin zu erganzen dass es sich um sogenannte Einschrankungsvorbehalte handeln muss da Gesetzesvorbehalte auch ausgestaltender Natur sein konnen und insoweit nicht dem Zitiergebot unterliegen 9 Ebenfalls nicht dem Zitiergebot nach Art 19 GG unterliegen Gesetze die eine Zahlungspflicht begrunden etwa in Form von Steuern oder Bussgeldern und damit in das Grundrecht auf Eigentum nach Art 14 GG eingreifen 10 Im Ergebnis gilt das Zitiergebot nur fur Befugnisnormen fur Eingriffe in das Recht auf Leben und korperliche Unversehrtheit sowie in die Freiheit der Person nach Art 2 Abs 2 GG in die Versammlungsfreiheit nach Art 8 GG in das Briefgeheimnis sowie das Post und Fernmeldegeheimnis nach Art 10 GG in die Freizugigkeit nach Art 11 GG und in die Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art 13 GG Kritik BearbeitenDie stark einschrankende Auslegung des Zitiergebots bei Grundrechtseingriffen gemass Art 19 Abs 1 Satz 2 GG durch das BVerfG ist in der Rechtswissenschaft nicht ohne Widerspruch geblieben wobei vor allem der Befreiungsgrund einer offenkundigen Einschrankung in Frage gestellt wird 11 Auch wird die Reduzierung der Bedeutung des Zitiergebots auf eine blosse Warnfunktion als zu einseitig empfunden weil damit die Signalfunktion die der Vorschrift ebenfalls zukomme vernachlassigt werde 12 Zitiergebot bei Rechtsverordnungen BearbeitenNach Art 80 Abs 1 Satz 1 GG konnen die Bundesregierung ein Bundesminister oder die Landesregierungen durch Gesetz ermachtigt werden Rechtsverordnungen zu erlassen Neben Inhalt Zweck und Ausmass der erteilten Ermachtigung muss nach Satz 3 auch die Rechtsgrundlage in der erlassenen Verordnung angegeben werden Dieses Zitiergebot dient der Rechtsklarheit 13 und erfordert die genaue Wiedergabe der die Ermachtigung enthaltenden Gesetzesstelle 14 Eine Rechtsverordnung die gegen das Zitiergebot verstosst ist nichtig 15 Literatur BearbeitenThomas Schwarz Die Zitiergebote im Grundgesetz zugleich Dissertation an der Universitat Bonn 2001 Nomos Verlagsgesellschaft Baden Baden 2002 ISBN 3 7890 7844 1 Einzelnachweise Bearbeiten BAG Urteil vom 17 Juni 2009 Az 7 AZR 193 08 Memento vom 14 September 2009 im Internet Archive Protokoll der Parlamentarische Rat 48 49 S 620 Sitzung vom 8 Februar 1949 Bonner Kommentar Anm zu Art 19 Abs 1 GG 1949 BVerfGE 35 185 188 f Entscheidung vom 30 Mai 1973 BVerfG Urteil vom 30 Mai 2009 Az 2 BvL 4 73 Memento vom 26 April 2007 im Internet Archive vgl auch BVerfGE 28 36 46 BVerfGE 5 13 16 1 2 Vorlage Toter Link www servat unibe ch BVerfGE 15 288 Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im Marz 2019 Suche in Webarchiven 293 BVerfGE 28 55 62 Entscheidung vom 18 Februar 1970 BVerfGE 83 130 154 BVerfGE 113 348 366 Hans D Jarass und Bodo Pieroth Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland Kommentar 10 Aufl 2009 Beck Munchen ISBN 978 3 406 58375 9 Art 19 Rn 7 Homig Hrsg Grundgesetz 8 Auflage 2007 Art 19 Rn 4 Nomos Verlag ISBN 978 3 8329 2442 3 Hans D Jarass und Bodo Pieroth Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland Kommentar 10 Aufl 2009 Beck Munchen ISBN 978 3 406 58375 9 Art 19 Rn 4 und 5 Volker Epping Grundrechte 3 Aufl 2007 Springer ISBN 978 3 540 73807 7 S 293 f Martin Gellermann Grundrechte im einfachgesetzlichen Gewand Mohr Siebeck 2000 ISBN 978 3 16 147441 5 S 303 f vgl FG Munchen Urteil v 14 04 2015 2 K 3118 14 Niedersachsisches FG Urteil vom 19 12 2007 5 K 377 07 Hans D Jarass und Bodo Pieroth Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland Kommentar 10 Aufl 2009 Beck Munchen ISBN 978 3 406 58375 9 Art 19 Rn 6 Jurgen Brohmer Transparenz als Verfassungsprinzip Mohr Siebeck 2004 ISBN 978 3 16 148420 9 S 173 f Denninger in AK Grundgesetz Art 19 Abs 1 Rn 18 BVerfGE 101 1 41 f Jarass Pieroth Grundgesetz Kommentar 10 Aufl Munchen 2009 ISBN 978 3 406 58375 9 Art 80 Rn 16 BVerfGE 101 1 43 BVerwG NJW 1971 1626 Jarass Pieroth Grundgesetz Kommentar 10 Aufl Munchen 2009 ISBN 978 3 406 58375 9 Art 80 Rn 20 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Zitiergebot amp oldid 234379280