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Die Universalgrammatik UG ist eine in manchen Theorien der Linguistik zugrundegelegte Annahme wonach alle menschlichen Sprachen gemeinsamen grammatischen Prinzipien folgen und diese Prinzipien allen Menschen angeboren seien Noam Chomsky ist einer der Begrunder und beruhmtesten Vertreter dieser Version einer Universalgrammatik Die Bezeichnung Universalgrammatik ist daher ein feststehender Begriff in der Schule der generativen Grammatik und wird in anderen Traditionslinien die sich mit Sprachuniversalien beschaftigen etwa der Sprachtypologie eher nicht verwendet Im Rahmen der generativen Grammatik ging man lange Zeit davon aus dass die Universalgrammatik lediglich aus einer Reihe von Regeln bestehe die es Kindern ermoglichten wahrend des Spracherwerbs anhand des ihnen zur Verfugung stehenden sprachlichen Inputs Hypothesen uber mogliche zugrunde liegende Grammatiken zu entwerfen und diese zu evaluieren siehe auch Language Acquisition Device Diese Sichtweise wurde aber im Zuge der Entwicklung der sogenannten Prinzipien und Parameter Theorie 1 aufgegeben deren Grundannahme ist im Wesentlichen dass allen naturlichen Sprachen dasselbe grammatische System zugrunde liege Im Spracherwerb mussen so nicht mehr die in einer Sprache enthaltenen grammatischen Prinzipien selbst erlernt werden denn die sind immer gleich und das Wissen daruber ist angeboren sondern es muss nur noch die Auspragung bestimmter sprachlicher Parameter z B Head first versus Head last erkannt werden Daruber hinaus wurde vorgeschlagen dass sprachliche Variation komplett auf das Lexikon beschrankt sei grammatische Parameter betreffen also nur die Eigenschaften funktionaler lexikalischer Elemente und Spracherwerb insgesamt kann auf Lexikonerwerb reduziert werden 2 Chomsky spricht nun auch davon dass der Kern der menschlichen Sprachfahigkeit nur die Rekursivitat enthalte da dies die einzige mit Sprache verbundene Fahigkeit sei die nur der Mensch besitze Sprachfahigkeit im engeren Sinne Die Sprachfahigkeit im weiteren Sinne umfasst dann z B das sensorisch motorische System das unter anderem den Sprechapparat umfasst 3 Von grundlegender Bedeutung ist die Universalgrammatik in der Optimalitatstheorie Alle dort postulierten Beschrankungen sind als Teil der Universalgrammatik zu betrachten Sprachliche Unterschiede ergeben sich per Annahme aus der Gewichtung der einzelnen Beschrankungen Die Neuropsychologin Angela Friederici hat 2018 erste empirische Hinweise fur das Vorhandensein eines Organs vorgelegt das fur die Universalgrammatik zustandig ist Dabei handle es sich um ein Faserbundel im Gehirn zwischen dem Broca Areal und dem Wernicke Areal 4 Kritik BearbeitenKritik am Konzept der Universalgrammatik kommt u a von behavioristischer Seite Strittig ist dabei nicht ob sprachliches Verhalten sowohl ontogenetische als auch phylogenetische Voraussetzungen hat sondern ob es einen angeborenen Mechanismus geben muss der die Anordnung elementaren sprachlichen Verhaltens beschrankt Alle Argumente die fur eine angeborene Grammatik ins Feld gefuhrt wurden bestatigten lediglich dass die Fahigkeit zu sprechen fur das Individuum nutzlich das heisst ein Uberlebensvorteil ist Sie rechtfertigten nicht eine Universalgrammatik und sie erklarten nicht warum ein Organismus ohne diese einen Nachteil im Kampf ums Uberleben hatte 5 6 Zudem scheinen auch Tiere Stare uber Fahigkeiten zu verfugen die bislang als universelles Merkmal nur menschlichen Sprachvermogens galten 7 Stephen C Levinson und Nicholas Evans kritisieren dass in der Generativen Linguistik sehr viele unterschiedliche Modelle der Universalgrammatik benutzt wurden und ihre Verteidiger sich aus diesen verschiedenen Modellen und Ansatzen jeweils die fur ihren Standpunkt benotigten Teile herauspickten Somit sei es nicht moglich eine koharente Gegenhypothese zu formulieren und zu testen 8 Michael Tomasello vertritt die Ansicht dass die Annahme einer Universalgrammatik unnotig sei da sich der Spracherwerb durch allgemeinere Lernprozesse und die Entwicklung sozial kognitiver Fahigkeiten wie zum Beispiel das Etablieren gemeinsamer Aufmerksamkeit um auf ein Objekt zu referieren oder die Fahigkeiten Intentionen der anderen Akteure zu erfassen erklaren lasse 9 10 Er kritisiert auch dass es keine Einigkeit daruber gebe was die Universalgrammatik enthalten soll 11 Mit seiner Behauptung dass die Sprache Piraha ein Gegenbeispiel zur chomskyschen Universalgrammatik darstelle da es in ihr keine Rekursion und somit auch keine eingebetteten Satze gebe hat der Linguist Daniel Everett einige Aufmerksamkeit erregt Er begrundet dies vor allem mit der Beschaffenheit der Kultur der Piraha die ausschliesslich auf die Gegenwart fixiert ist Die Piraha haben keine Schopfungsmythen erzahlen sich keine Geschichten und erinnern sich meist nicht an Verstorbene 12 Seine Aussagen wurden jedoch stark kritisiert und ihm wurde eine Fehlanalyse der Sprachdaten vorgeworfen 13 Somit ist dies zwar ein beruhmtes aber auch sehr umstrittenes Gegenbeispiel Christiansen und Chater 2008 haben argumentiert dass eine biologisch das heisst genetisch determinierte Universalgrammatik evolutionar unplausibel sei da Sprachwandel wesentlich schneller voranschreite als genetischer Wandel Sprache stellt also ein bewegtes Ziel dar und bietet keine stabile Entwicklungsumgebung fur potentielle Sprachgene Die Ursprache muss zu Beginn ein kulturelles Produkt mit hoher Variabilitat gewesen sein und es ist durch evolutionare Mechanismen nicht erklarbar wie dies genetisch fixiert worden sein soll Das menschliche Gehirn ist also nicht an Sprache angepasst wie es in der chomskyschen Tradition angenommen wird Die UG Prinzipien sind arbitrar d h sie stehen in keiner Verbindung zu kognitiven Prinzipien oder Lernmechanismen sondern Sprache ist an das Gehirn angepasst sie wird durch generelle Lernmechanismen und Verarbeitungspraferenzen geformt die adaptive Zwange auf Sprache ausuben Sprache wird als Organismus angesehen der sich im Laufe der Evolution immer besser an seine Umwelt hier das menschliche Gehirn anpasst Mit dieser Sichtweise ist es leichter zu erklaren warum sprachliche Strukturen so komplex und trotzdem erlernbar sind Sprache folgt allgemeinen kognitiven Prinzipien und ist so geformt dass sie moglichst leicht verarbeitbar ist Christiansen und Chater schliessen nicht aus dass Sprache einen Einfluss auf die Evolution der Hominiden hatte gute Sprachfahigkeiten konnten den Reproduktions erfolg gesteigert haben betonen aber dass der Zwang fur Sprache sich ans menschliche Gehirn anzupassen ungleich grosser sei als die Zwange auf Menschen Sprache zu benutzen Sprachverwendung ist nur einer von vielen adaptiven Zwangen die auf Menschen einwirken wahrend fur Sprache der einzige adaptive Zwang die moglichst leichte Lern und Verarbeitbarkeit durch das menschliche Gehirn ist 14 Siehe auch BearbeitenForkhead Box Protein P2 FOXP2 Kreolsprachen Pivot Grammatik Poverty of the Stimulus ArgumentLiteratur BearbeitenLiteratur pro Universalgrammatik Bearbeiten Noam Chomsky Rules and Representations Woodbridge Lectures delivered at Columbia University 11 Columbia University Press New York NY 1980 ISBN 0 231 04826 2 Noam Chomsky Lectures on Government and Binding Studies in Generative Grammar 9 Foris Dordrecht u a 1981 ISBN 90 70176 28 9 Noam Chomsky The Minimalist Program Current Studies in Linguistics Series 28 MIT Press Cambridge MA u a 1995 Literatur contra Universalgrammatik Bearbeiten Morten H Christiansen Nick Chater Language as shaped by the brain In Behavioral and Brain Sciences Band 31 Nr 5 2008 S 489 558 Digitalisat PDF Datei 928 kB Memento vom 24 Juni 2010 im Internet Archive Nicholas Evans Stephen C Levinson The myth of language universals Language diversity and its importance for cognitive science In Behavioral and Brain Sciences Band 32 Nr 5 2009 S 429 492 Digitalisat PDF Datei 717 kB Memento vom 10 August 2010 im Internet Archive Vyvyan Evans The Language Myth Why Language Is Not an Instinct Cambridge University Press Cambridge 2014 ISBN 978 1 107 61975 3 Michael Tomasello Language is not an instinct In Cognitive Development Band 10 1995 ISSN 0885 2014 S 131 156 Digitalisat Memento vom 28 Februar 2013 im Internet Archive Michael Tomasello Constructing a Language A Usage Based Theory of Language Acquistion Harvard University Press Cambridge MA u a 2003 ISBN 0 674 01030 2 Einzelnachweise Bearbeiten Noam Chomsky Lectures on Government and Binding Foris Dordrecht u a 1981 Noam Chomsky The Minimalist Program MIT Press Cambridge MA u a 1995 Marc D Hauser Noam Chomsky W Tecumseh Fitch The Faculty of Language What Is It Who Has It and How Did It Evolve In Science Band 298 Nr 5598 2002 S 1569 1579 Digitalisat PDF Datei 706 kB Memento vom 2 Januar 2016 im Internet Archive Stefanie Kara Universalgrammatik Ich denke dass er denkt dass In Zeit online 25 April 2018 zeit de abgerufen am 2 Mai 2018 David C Palmer Chomsky s nativism A critical review In The Analysis of Verbal Behavior Band 17 2000 ISSN 0889 9401 S 39 50 doi 10 1007 BF03392954 David C Palmer Chomsky s nativism reconsidered In The Analysis of Verbal Behavior Band 17 2000 S 51 56 doi 10 1007 BF03392955 Gary F Marcus Startling starlings In Nature Band 440 Nr 7088 2006 S 1117 1118 Digitalisat PDF Datei 288 kB Memento vom 13 Juni 2010 im Internet Archive Stephen C Levinson Nicholas Evans Time for a sea change in linguistics Response to comments on The Myth of Language Universals PDF Datei 389 kB In Lingua Band 120 Nr 12 2010 ISSN 0024 3841 S 2733 2758 Michael Tomasello Constructing a Language A Usage Based Theory of Language Acquistion Harvard University Press Cambridge MA u a 2003 Michael Tomasello The item based nature of children s early syntactic development In Trends in Cognitive Sciences Band 4 Nr 4 2000 ISSN 1364 6613 S 156 163 Digitalisat PDF Datei 217 kB Memento vom 25 Juli 2010 im Internet Archive Michael Tomasello Beyond formalities The case of language acquisition In The Linguistic Review Band 22 Nr 2 4 2005 ISSN 0167 6318 S 183 197 Digitalisat PDF Datei 104 kB Memento vom 8 Marz 2010 im Internet Archive Daniel L Everett Cultural constraints on grammar and cognition in Piraha another look at the design features of human language In Current Anthropology Band 46 2005 S 621 634 Digitalisat PDF Datei 228 kB Memento vom 8 Marz 2010 im Internet Archive Andrew Nevins David Pesetsky Cilene Rodrigues Piraha exceptionality A reassessment In Language Band 85 Nr 2 2009 ISSN 0097 8507 S 355 404 Morten H Christiansen Nick Chater Language as shaped by the brain In Behavioral and Brain Sciences Band 31 Nr 5 2008 S 489 558 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Universalgrammatik amp oldid 233170729