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Das Sonderlager Ostaschkow russisch Ostashkovskij speclager Ostaschkowski spezlager war ein Internierungslager fur polnische Kriegsgefangene das die sowjetische Geheimpolizei NKWD in der Anfangszeit des Zweiten Weltkrieges von Ende September 1939 bis Juli 1940 im ehemaligen Nilow Kloster auf einer Insel im Seligersee unweit der Kleinstadt Ostaschkow in Nordwestrussland betrieben hat Rund 6 300 Haftlinge aus Ostaschkow uberwiegend Polizeibeamte wurden zeitgleich zu den Massakern von Katyn und Charkow im April und Mai 1940 in Kalinin erschossen und anschliessend in einem Wald in der Nahe des Dorfes Mednoje verscharrt Wahrend das Massaker von Katyn bereits 1943 nach Entdeckung der Massengraber weltweit bekannt wurde erfuhr die Offentlichkeit vom Schicksal der Gefangenen von Ostaschkow erst 1990 wahrend der Perestroika in der Sowjetunion Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Kriegsgefangenenlager 3 Exekution der Polen 4 Weitere Nutzung 5 Aufklarung 6 Einzelnachweise 7 Literatur 8 WeblinksVorgeschichte BearbeitenDas im 16 Jahrhundert erbaute Nilow Kloster wurde nach der Machtergreifung der Bolschewiki in der Oktoberrevolution enteignet 1927 wurde es zu einem Arbeitslager fur minderjahrige Kriminelle umfunktioniert 1928 mussten die letzten Monche den Gebaudekomplex verlassen 1 Kriegsgefangenenlager BearbeitenAm 19 September 1939 befahl der Volkskommissar fur Innere Angelegenheiten Lawrenti Beria dem Leiter der neueingerichteten Verwaltung fur Kriegsgefangene und Internierte des NKWD UPWI Piotr Soprunenko insgesamt acht Lager fur polnische Kriegsgefangene einzurichten die sich seit dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen am 17 September infolge des Ribbentrop Molotow Paktes in sowjetischer Hand befanden 2 Drei Lager wurden zu Sonderlagern erklart in denen insgesamt rund 15 000 Offiziere und Fahnriche der polnischen Streitkrafte Justiz und Polizeibeamte sowie Grundbesitzer aus Ostpolen als politisch gefahrliche Personen einer genauen Uberprufung unterzogen werden sollten Koselsk Starobelsk und Ostaschkow Die sowjetischen Behorden unterrichteten das Internationale Rote Kreuz von der Einrichtung der Lager doch liess der NKWD keine Inspektionen zu 3 Die ersten Gefangenen trafen in den drei Sonderlagern Ende September 1939 ein Da nicht ausreichend Schlafgelegenheiten vorhanden waren musste ein Teil von ihnen auf dem Boden nachtigen In mehreren Hausern wurde schichtweise geschlafen Bader und Waschereien waren nicht betriebsbereit In den Kuchen mangelte es an Geschirr und Besteck auch funktionierte die Wasserversorgung schlecht Beim Essen wurden die vorgeschriebenen Mengen pro Kopf nie erreicht In einem Bericht an Beria uber eine interne Inspektion in Ostaschkow wurden Chaos Korruption Kriminalitat sowie schwere Versorgungsmangel gerugt Die Gefangenen mussten an den Stellen an denen das Gelande des ehemaligen Klosters nicht von einer Mauer umgeben war einen zweieinhalb Meter hohen Zaun ziehen der durch Stacheldraht verstarkt wurde Auch mussten sie mit Sandsacken den Damm verstarken uber den die Strasse vom Lager zum Festland fuhrte 4 Das Sonderlager durchliefen bis zum Fruhjahr 1940 insgesamt fast 16 000 polnische Kriegsgefangene 5 Die Sterblichkeitsrate war im Vergleich zu anderen sowjetischen Lagern gering Bis Ende Mai 1940 starben im Lagerbezirk 41 kriegsgefangene Polen Einmal im Monat durften die Gefangenen Briefe schreiben als Adresse mussten sie Gorki Erholungsheim Postfach 37 angeben 6 In allen drei Lagern organisierten die Gefangenen Sprachkurse besonders gefragt war Russisch sowie Abendvortrage bei denen die Wissenschaftler unter ihnen aus ihren Fachgebieten berichteten 7 Grossen Raum nahmen die Unterhaltungs und Schulungsprogramme der Politruks des NKWD ein bei denen auch sowjetische Spiel und Dokumentarfilme gezeigt wurden Der NKWD versuchte bei den Befragungen der Gefangenen Informanten zu gewinnen Soprunenko meldete an Beria dass sich in Ostaschkow 103 der Polen bereit erklart hatten uber ihre Kameraden zu berichten 8 Im Rahmen ihrer Ausbildung nahmen Kursanten der NKWD Akademie an den Befragungen teil 9 Exekution der Polen BearbeitenAm 5 Marz 1940 akzeptierte das Politburo unter Stalin eine Vorlage von Beria in der dieser die Erschiessung der polnischen Konterrevolutionare empfahl Davon betroffen waren rund 6 300 der Lagerinsassen von Ostaschkow 10 112 Personen waren zur weiteren Befragung in das Lager Juchnow rund 150 Kilometer sudwestlich von Moskau gebracht und entgingen auf diese Weise der Exekution 11 Ein NKWD Dossier vom 1 April 1940 fuhrte samtliche Gefangenen nach Beruf und Dienstgrad auf u a 48 Offiziere und 72 Unteroffiziere sowie Mannschaftssoldaten der polnischen Streitkrafte 240 Offiziere 775 Unteroffiziere und 4924 einfache Beamte der Polizei und Gendarmerie 189 Gefangniswarter 9 Spaher und Provokateure sic 5 Geistliche 12 Die grosse Mehrheit fur die die Exekution vorgesehen war wurde in insgesamt 23 Transporten vom 5 April bis 14 Mai in Gruppen von meist 200 bis 300 Personen mit einem Gefangniszug nach Kalinin gebracht und dort im Keller des NKWD Sitzes erschossen 13 Fur die Organisation des Transportes und die Beseitigung der Leichen war der ortliche NKWD Kommandant Major Dmitri Tokarjew verantwortlich Die Exekutionen fuhrte ein eigens aus Moskau angereistes Kommando unter dem Befehl des NKWD Majors Wassili Blochin durch 14 Die Leichen wurden in einem Wald unweit der 30 Kilometer nordwestlich gelegenen Ortschaft Mednoje in Massengrabern verscharrt Blochin hatte zu diesem Zweck bei ortlichen Betrieben Bulldozer und Planierraupen vorubergehend beschlagnahmen lassen deren Fahrer waren mit ihm aus Moskau gekommen 15 35 der NKWD Offiziere und Soldaten die an der Vorbereitung und Durchfuhrung der Exekution der Polen aus Ostaschkow in Kalinin beteiligt waren erhielten wegen der Erfullung ausserordentlicher Aufgaben Geldpramien und Orden 16 Weitere Nutzung BearbeitenAm 9 Juni 1940 teilte die Lagerverwaltung der NKWD Zentrale in Moskau mit dass bis zu 8 000 neue Gefangene aufgenommen werden konnten 17 Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22 Juni 1941 Unternehmen Barbarossa beherbergte der Gebaudekomplex ein Lazarett der Roten Armee Auch wurden hier zwischenzeitlich deutsche Kriegsgefangene interniert 18 19 Im Herbst 1944 bekam das Lager die Nummer 45 es war nun internierten Offizieren der antisowjetischen polnischen Untergrundarmee AK vorbehalten Insgesamt wurden dort bis nach Kriegsende rund 3300 Polen darunter etwa 300 Frauen gefangen gehalten 20 Von 1945 bis 1960 befanden sich in dem ehemaligen Kloster wieder ein Lager fur kriminelle Minderjahrige sowie ein Waisenhaus Von 1960 bis 1971 war es ein Altenheim 1971 erhielt eine staatliche Tourismusagentur die Verfugungsgewalt uber die Gebaude und richtete dort eine Touristenbasis ein 1990 wurden sie der Russisch Orthodoxen Kirche zuruckubertragen 21 Aufklarung BearbeitenDie Suche nach den in den Sonderlagern Koselsk Ostaschkow und Starobelsk internierten polnischen Offiziere und Fahnriche Polizisten und Beamten und Offizieren beschaftigte die polnische Exilregierung in London seitdem ihr aus dem besetzten Polen gemeldet worden war dass die Korrespondenz zwischen den Gefangenen und ihren Angehorigen im Fruhjahr 1940 abgebrochen sei Wahrend mit der Bekanntgabe der Entdeckung der Massengraber von Katyn seit April 1943 durch die Deutschen Klarheit uber den Verbleib der Gefangenen von Koselsk herrschte blieb das Schicksal der Lagerinsassen von Ostaschkow und Starobelsk ungeklart 22 Die sowjetische Propaganda versuchte durch falsche Zahlenangaben den Eindruck zu erwecken diese seien ebenfalls im Wald von Katyn erschossen worden und zwar im Spatsommer 1941 durch die Deutschen 23 Am 20 Juli 1957 behauptete ein Sensationsbericht der deutschen Illustrierten 7 Tage die Lage der Graber der vermissten Polen sei ermittelt worden Aus der Dokumentation eines NKWD Offiziers namens Tartakow die die Deutschen im Krieg erbeutet hatten und die danach in die Hande der US Amerikaner geraten sei gehe hervor dass die Opfer aus dem Lager Starobelsk in Dergatschi bei Charkow siehe Pjatychatky und die aus Ostaschkow bei Bologoje 180 Kilometer nordwestlich von Kalinin verscharrt worden seien Der Tartakow Bericht der auch in die Katyn Literatur als echtes Dokument einging 24 wurde indes von Experten der polnischen Emigration darunter der Schriftsteller Jozef Mackiewicz als Falschung bezeichnet 25 Die Zensurbehorde der Volksrepublik Polen verfugte dass die Gefangenen der drei Lager als Internierte bezeichnet werden die 1941 von den Hitleristen im Wald von Katyn erschossen worden seien 26 Dass die Massengraber der Gefangenen des Sonderlagers Ostaschkow sich bei Mednoje befinden wurde erst durch Recherchen der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial bekannt 1989 hatten Mitarbeiter von Memorial nach Hinweisen aus der Bevolkerung heimlich Probegrabungen in dem Waldstuck durchgefuhrt das zu einem abgesperrten Gelande des KGB gehorte und 1990 daruber Berichte publiziert 27 Die Opfer werden auf der offiziellen polnischen Liste von Katyn Lista Katynska gefuhrt die ebenfalls die bei Charkow erschossenen polnischen Offiziere aus dem Sonderlager Starobelsk einschliesst 28 Am 13 April 1990 veroffentlichte die sowjetische Nachrichtenagentur TASS ein Kommunique nach dem Beria und sein Stellvertreter Merkulow fur die an den Insassen der Sonderlager Koselsk Ostaschkow und Starobelsk verubten Untaten zlodeyaniya die Verantwortung trugen Der Inhalt des Kommunique war zuvor von KP Generalsekretar Michail Gorbatschow genehmigt worden 29 Erst am 14 Oktober 1992 uberreichte ein Emissar des russischen Prasident Boris Jelzin vor dessen Staatsbesuch in Warschau seinem Gastgeber Lech Walesa Faksimile von Dokumenten uber das Schicksal der polnischen Gefangenen aus den drei Sonderlagern darunter die Vorlage Berias vom 5 Marz 1940 mit den Unterschriften Stalins und anderer Mitglieder des Politburos 30 Vom 14 bis 20 Marz 1991 befragte die sowjetische Hauptmilitarstaatsanwaltschaft Dmitri Tokarjew den fruheren NKWD Kommandanten von Kalinin zu Transport und Exekution der Gefangenen aus Ostaschkow Tokarjew der nur als Zeuge befragt wurde erklarte er sei an den Exekutionen nicht beteiligt gewesen Das Protokoll der Befragungen erschien 1994 in polnischer Ubersetzung 31 2019 liessen die Behorden am Gebaude der Medizinischen Universitat dem ehemaligen NKWD Sitz von Kalinin die Gedenktafeln fur die erschossenen polnischen Kriegsgefangenen sowie fur russische Opfer des Stalinschen Terrors entfernen begrundet wurde die Massnahme mit angeblichen Zweifeln an den Informationen dass in dem Gebaude Erschiessungen stattgefunden hatten 32 Einzelnachweise Bearbeiten Blagovest nad Seligerom gudok ru 3 Dezember 2012 Wortlaut des Befehls Prikas No 308 19 September 1939 alexanderyakovlev org Webseite der Alexander Jakowlew Stiftung Claudia Weber Krieg der Tater Die Massenerschiessungen von Katyn Hamburg 2015 S 34 38 Katyn Dokumenty zbrodni T 1 Wyd A Giesztor R Pichoja Warschau 1995 S 435 437 Claudia Weber Krieg der Tater Die Massenerschiessungen von Katyn Hamburg 2015 S 34 Natal ja Lebedeva Katyn Prestuplenie protiv celovecestva Moskva 1994 S 84 Pamietniki znalezione w Katyniu Red A Stepek Warschau 1990 S 118 Katyn Plenniki neob javlennoj vojny Pod red R Pichoi Moskau 1999 S 31 Jan Kazimierz Zawodny Katyn Lublin Paris 1989 S 110 111 Die Zahlenangaben fur die Opfer von Ostaschkow die in Kalinin erschossen worden sind bewegen sich in den NKWD Materialien sowie den polnischen und russischen wissenschaftlichen Analysen dazu zwischen 6 287 und 6 311 vgl Katyn Dokumenty zbrodni T 2 Zaglada Ed A Giesztor R Pichoja Warschau 1998 S 344 Nikita Pietrow Poczet katow katynskich Warschau 2015 S 35 Katyn Dokumenty zbrodni T 2 Zaglada Ed A Giesztor R Pichoja Warschau 1998 S 344 Andrzej Przewoznik Julia Adamska Katyn Zbrodnia prawda pamiec Warschau 2010 S 131 132 Andrzej Przewoznik Julia Adamska Katyn Zbrodnia prawda pamiec Warschau 2010 S 142 Nikita Pietrow Poczet katow katynskich Warschau 2015 S 46 53 Katyn Dokumenty zbrodni T 2 Wyd A Giesztor R Pichoja Warschau 1998 S 444 456 Nikita Pietrow Poczet katow katynskich Warschau 2015 S 159 Katyn Dokumenty zbrodni T 2 Zaglada Ed A Giesztor R Pichoja Warschau 1998 S 366 Anna M Cienciala Natalia Lebedewa Wojciech Materski Katyn A crime without punishmen New Haven 2007 S 81 Claudia Weber Krieg der Tater Die Massenerschiessungen von Katyn Hamburg 2015 S 34 Tadeusz Zenczykowski Polska lubelska 1944 Warschau 1990 S 90 Monastyr v XX veke Webseite des Nilow Klosters Jozef Czapski Na nieludzkiej ziemi Warschau 1990 S 150 166 Jacek Trznadel Katyn a zrodla sowieckie in Zeszyty Katynskie 1 1990 S 117 z B Louis FitzGibbon Unpited and Unknown Katyn Bologoye Dergachi London 1975 Wojciech Materski Mord Katynski Siedemdziesiat lat drogi do prawdy Warschau 2010 S 50 51 Czarna ksiega cenzury PRL T 1 London 1977 S 63 Andrzej Przewoznik Julia Adamska Katyn Zbrodnia prawda pamiec Warschau 2010 S 456 458 Lista Katynska Memento des Originals vom 5 August 2016 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www katedrapolowa pl Claudia Weber Krieg der Tater Die Massenerschiessungen von Katyn Hamburg 2015 S 431 Gerd Kaiser Katyn Das Staatsverbrechen das Staatsgeheimnis Berlin 2002 S 377 378 Zeznania Tokariewa Red Mark Tarczynski Warschau 1994 Zeszyty Katynskie 3 1994 Andrej Kolesnikov Erinnerung als Waffe Die Geschichtspolitik des Putin Regimes in Osteuropa 6 2020 S 21 Literatur BearbeitenKatyn Starobielsk Ostaszkow Kozielsk Red Janusz Bielecki et al Komitet Katynski w Warszawie Ed Dembinski w Paryzu Warschau Paris 1990 Miednoje Ksiega Cmentarna Polskiego Cmentarza Wojennego Praca zbiorowa Oficyna Wydawnicza Rytm Warschau 1990 Jedrzej Tucholski Kozielsk Ostaszkow Starobielsk Lista ofiar Pax Warschau 1991 Natal ja Lebedeva Prestuplenie protiv celovecestva Progress Moskau 1994 S 125 150 Anatolij Golovkin Doroga v Mednoe Alfa Pljus Twer 2001 Charkow Katyn Twer Bykownia W 70 rocznice zbrodni katynskiej Zbior studiow Red A Kola i J Sziling Torun 2011 Thomas Urban Katyn 1940 Geschichte eines Verbrechens Beck Munchen 2015 ISBN 978 3 406 67366 5 S 27 38 Weblinks BearbeitenGesamtansicht Quelle IPN Warschau 57 234722 33 063611111111 Koordinaten 57 14 5 N 33 3 49 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sonderlager Ostaschkow amp oldid 225974764