Satelliten sind subvirale Partikel, die aus einem Nukleinsäuremolekül und einigen Proteinen bestehen. Sie können als unselbständige Viren aufgefasst werden, die allein nicht in der Lage sind, sich in einer Wirtszelle zu vermehren. Sie benötigen für ihre Replikation zusätzlich ein oder sogar mehrere Helferviren, mit denen die Wirtszelle gleichzeitig infiziert sein muss (Koinfektion). Das Helfervirus stellt die für die Vermehrung des Satelliten benötigten Funktionen zur Verfügung. Die Wirtszelle produziert dann anstelle des Virus hauptsächlich den Satelliten.
Codiert das Genom des Satelliten für ein Nukleokapsid, wird er als Satellitenvirus bezeichnet. Satellitenviren können sich in der Regel nicht selbständig replizieren. Virusoide hingegen können sich unabhängig vom Helfervirus replizieren, codieren jedoch nicht für ein Capsid.
Krankheiten durch Satelliten sind fast ausschließlich bei Pflanzen bekannt (Tabak, Tomaten, Getreide, Stachelbeeren usw.). Einige wurden bei Pilzen (Ustilago maydis und Saccharomyces cerevisiae) und Protisten (Trichomonas vaginalis) gefunden. Bei Bienen wird die Chronische Bienenparalyse durch Satelliten verursacht.
Beeinträchtigt oder stört der Satellit die Vermehrung des Helfervirus (parasitiert er dieses also), so nennt man ihn gelegentlich auch einen „Virophagen“.
Ein verwandter Begriff ist auch der des DIV („Defektives interferierendes Virus“, englisch defective interfering virus, auch defective interfering particle, DIP). Dies ist eine natürlich entstandene oder künstlich erzeugte defektive Abart eines Virus-Wildtyps, die den Wildtyp als Helfervirus braucht und dessen Replikation m. o. w. stören kann.
Taxonomie Bearbeiten
Satelliten wurden mit dem ICTV Update im November 2018 taxonomisch erfasst. Im Prinzip wird dasselbe Schema verwendet wie für Viren, allerdings mit Namensendungen, die nicht „vir“, sondern „satellit“ als Bestandteil haben. Im tatsächlichen Gebrauch sind bei diesem Stand folgende Gruppen:
Beispiele zu einer solchen Satelliten-Taxonomie:
- Familie: Alphasatellitidae
- Familie: Tolecusatellitidae (ohne Unterfamilien)
In der Praxis findet jedoch für viele Satellitenviren die gewöhnliche Namenskonvention für Viren Anwendung, z. B. für die Gattung Mavirus oder die Art Mimivirus-dependent virus Sputnik (beide vom ICTV bestätigt).
Weitere Vorschläge von Mart Krupovic et al. (2016) wurden vom ICTV bis März 2020 übernommen:
- Realm Riboviria: Gattungen Albetovirus, Aumaivirus, Papanivirus, Virtovirus (ohne Zuordnung zu höheren Taxa der Riboviria) für (+)RNA-Satellitenviren die Pflanzen infizieren
- Realm Riboviria: Familie Sarthroviridae – nur Gattung Macronovirus (ebenfalls ohne Zuordnung zu höheren Taxa der Riboviria) für (+)RNA-Satellitenviren, die Bakterien infizieren, und
Virophagen Bearbeiten
Virophagen sind Viren der Preplasmiviricota (Polinton-artige Viren, PLVs), die als Helfervirus (hier auch „Mamavirus“ genannt) der Riesenviren aus der Klasse Nucleocytoviricota (NCLDVs) benötigen, d. h. parasitieren. Die bisher offiziell bestätigten Virophagen gehören alle zur Familie Lavidaviridae, obwohl es auch Vorschläge für Vertreter außerhalb dieser Familie gibt (z. B. Gezel-14T).
- Realm Varidnaviria: Klasse Preplasmiviricota mit Familie Lavidaviridae für dsDNA-Virophagen mit den bestätigten Gattungen Sputnikvirus und Mavirus.
Virusoide Bearbeiten
Die als Virusoide bezeichneten als „subviralen Partikel“ aus der Verwandtschaft des Hepatitis-D-Virus (Gattung Deltavirus) benötigen ebenfalls Helferviren (im genannten Fall das Hepatitis-B-Virus) und sind daher (im weiteren Sinn) ebenfalls Satelliten, gelten aber . Sie bilden zusammen die Familie Kolmioviridae.
- Realm Ribozyviria: Familie Kolmioviridae mit zirkulärer ssRNA negativer Polarität.
Satellitenphagen Bearbeiten
Satellitenviren, deren Helferviren Bakterien parasitieren (Bakteriophagen) nennt man Satellitenphagen, gelegentlich auch Phagelets. Beispiele (die Helferviren sind in den bekannten Beispielen alle vom Morphotyp der Siphoviren, Klasse Caudoviricetes):
- Escherichia-Phage P2 und andere der Vertreter der Gattung Peduovirus (früher P2likevirus) der Familie Peduoviridae.
- Escherichia-Phage HK106, Spezies Wanchaivirus HK106 der Unterfamilie Hendrixvirinae
- „Streptomyces-Phage MulchMansion“, Gattung Samistivirus, Unterfamilie Boydwoodruffvirinae der Familie Stanwilliamsviridae
- „Streptomyces-Phage MindFlayer“, Gattung Karimacvirus, Unterfamilie Boydwoodruffvirinae der Familie Stanwilliamsviridae
Auch diese Satelliten gehören augenscheinlich zur Klasse Caudoviricetes im Realm Duplodnaviria, obwohl dafür noch keine offizielle Bestätigung vorliegt. Im Jahr 2023 konnte gezeigt werden, wie beispielsweise sich der „Streptomyces-Satellitenphage MiniFlayer“ am „Hals“ (dem kurzen Verbindungsteil zwischen dem „Kopf“ (Kapsid) und „Schwanz“ des Helfervirus-Partikel) anheftet, wo sich offenbar entsprechende Adhäsionsrezeptoren befinden.
Klassifizierung Bearbeiten
Zuvor hatte man die Satellitenviren vorläufig in verschiedene Gruppen und Untergruppen klassifiziert:
Klassifikation: Satelliten
- Gruppe: Satelliten-Nukleinsäuren
- Untergruppe: Kleine Lineare Satelliten-RNAs
- Untergruppe: Große Satelliten-RNAs
- Typ: Zweisträngige Satelliten-RNAs
- Typ: Einzelstängige Satelliten-DNAs
- Gruppe: Satelliten-Viren
- Untergruppe: Tabak Necrosis Virus-Satelliten (Pflanzen-Satelliten-Viren)
- Gattung Virtovirus
- Gattung Albetovirus
- Gattung Aumaivirus
Siehe auch Bearbeiten
Anmerkungen Bearbeiten
- Oben: Bekannte Escherichia-Satellitenphagen haben einen kleinen „Kopf“ und einen dem Helfervirus ähnlichen „Schwanz“. Die Kapsid-Gene von Satellitenviren sind in der Regel Helfer-kodiert, aber Kapsid-bildende Satellitenphagen (Phagelets) verwenden ihre eigenen Gene für die Verkapselung.
Unten: Bei den Mulch- und Flayer-Systemen (mit Bakterienwirt aus der Gattung Streptomyces) kodieren Helfer- und Satellitenvirus für die Kapside. Die Satelliten weisen die bekannte typische Morphologie auf, wenn sie temperent sind, aber eine neuartige Morphologie für die simultane Co-Infektion, wenn sie virulent sind.
Quellen Bearbeiten
- Principles of Virology: Molecular Biology, Pathogenesis and Control of Animal Viruses / S.J. Flint [et al.] 2nd ed. ISBN 1-55581-259-7
- Gerhard Drews, Günter Adam, Cornelia Heinze: Molekulare Pflanzenvirologie, Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2004, ISBN 3-540-00661-3, Seiten 92f und 230ff.
Einzelnachweise Bearbeiten
- Fighting COVID With COVID: Driving the Disease to Extinction With a Defective Version of the SARS-CoV-2 Virus, auf: SciTechDaily vom 20. August 2021
- Abkürzungen können ggf. mit „S“ beginnen und mit „V“ enden (ggf. gefolgt von einer Nummer – nicht römisch, sondern arabisch).
- International Committee on Taxonomy of Viruses, Virus Taxonomy: 2018 Release
- Mart Krupovic, Jens H. Kuhn, Matthias G. Fischer: A classification system for virophages and satellite viruses. In: Archives of Virology. Januar 2016, Band 161, Nr. 1, S. 233–247, doi:10.1007/s00705-015-2622-9.
- NCBI: Aumaivirus (genus)
- ↑ Tagide N. deCarvalho, Elia Mascolo, Steven M. Caruso, Júlia López-Pérez, Kathleen Weston-Hafer, Christopher Shaffer, Ivan Erill: Simultaneous entry as an adaptation to virulence in a novel satellite-helper system infecting Streptomyces species. In: Nature: The ISME Journal, 31. Oktober 2023; doi:10.1038/s41396-023-01548-0 (englisch). Dazu:
- Claudia Krapp: Erstmals Verbindung zweier Viren beobachtet: Neuer Kooperationsmechanismus zwischen unterschiedlichen Viren entdeckt. Auf: scinexx.de vom 8. November 2023.
- Ivan Erill: Vampire viruses prey on other viruses to replicate themselves − and may hold the key to new antiviral therapies. Auf: The Conversation vom 3. November 2023.
- Scientists Shocked by First-Ever Observation of a Virus Latching Onto Another – “I Can’t Believe This”. Auf: SciTechDaily vom 13. November 2023.
- Viral Vampires: How Predatory Viruses Unlock Secrets to New Antiviral Treatments. Auf: SciTechDaily vom 23. November 2023.
- Mike McRae: Bizarre First: Viruses Seen 'Biting' Onto Other Viruses Like Tiny Vampires. Auf: sciencealert vom 7. November 2023.
- ↑ PhagesDB: Streptomyces phage MiniFlayer.
- Renata Filipa Cruz de Matos: Enterococcus faecalis V583 prophages: Dynamic interactions and contribution to bacterial pathogenic traits (PDF; 10 MB) Dissertation, Universidade Nova de Lisboa (UNL), Juli 2013 (englisch).
- ↑ Nasser Alqurainy, Laura Miguel-Romero, Jorge Moura de Sousa, John Chen, Eduardo P. C. Rocha, Alfred Fillol-Salom, José R. Penadés: A widespread family of phage-inducible chromosomal islands only steals bacteriophage tails to spread in nature. In: Cell Host & Microbe, Band 31, Nr. 1, S. 69-82.e5, 11. Januar 2023; doi:10.1016/j.chom.2022.12.001, ResearchGate, Epub: 2. Januar 2023 (englisch).
- NCBI Taxonomy Browser: Phage P4 satellite (no rank).
- PhagesDB: Streptomyces phage MulchMansion, Cluster BE, Subcluster BE1.
- NCBI: Streptomyces phage Mulchroom (species).
- PhagesDB: Streptomyces phage Mulchroom.
- PhagesDB: Streptomyces phage MindFlayer, Cluster BE, Subcluster BE1.
- NCBI: Satellite phage MiniFlayer (species).
- NCBI: Nilaparvata lugens commensal X virus (species, RNA satellites)
- ↑ Mart Krupovic: Plant Satellite Viruses (Albetovirus, Aumaivirus, Papanivirus, Virtovirus), in: Reference Module in Life Sciences, Januar 2020, doi:10.1016/B978-0-12-809633-8.21289-2, ResearchGate
- SIB: Papanivirus, auf: Expasy ViralZone
- NCBI: Virtovirus (genus)
- NCBI: Tobacco necrosis satellite virus (no rank).
- NCBI: Grapevine satellite virus (species)
- SIB: Albetovirus, auf: Expasy ViralZone
- NCBI: Albetovirus (genus)
- ICTV: ICTV Taxonomy history: Tobacco albetovirus 1
- ICTV: ICTV Taxonomy history: Tobacco albetovirus 2
- ICTV: ICTV Taxonomy history: Tobacco albetovirus 3
- SIB: Aumaivirus, auf: Expasy ViralZone