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Die Nota censoria bezeichnete in der Romischen Republik eine sittenrichterliche Sanktion die allein von den Censoren beim zyklisch wiederkehrenden Zensus census populi auf dem Marsfeld gegen den romischen Burger verhangt werden konnte Fur die Ritter equites wurde ein gesonderter Zensus recensio equitum auf dem Forum durchgefuhrt Die Strafmassnahme war keine Rechtsfolge aus einer vorangegangenen offentlichen Strafverfolgung des Betroffenen sondern ein autonomer verwaltungsmassiger Akt mit einer disziplinierenden Zurechtweisung Die Zielrichtung des Sittengerichts bestand darin solche Personen aus Amtern Gremien Standen zu entfernen und von Privilegien auszuschliessen die sich aufgrund ihrer Straftaten oder ihres zwar straffreien aber sittlich verwerflichen Benehmens als unwurdig erwiesen hatten Die Adressaten einer nota censoria konnten aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Rechtsstellung immer nur freie mannliche Burger und keine Frauen sein Marcus Porcius Cato der Altere notierte in seiner Laufbahn als Censor mehrere Ritter und Senatoren aufgrund von Verfehlungen gegen die Sitte Inhaltsverzeichnis 1 Rechtscharakter 2 Verfahren 3 Tatbestande 4 Rechtsfolgen 5 Romische Kaiserzeit 6 Literatur 7 AnmerkungenRechtscharakter BearbeitenDie nota censoria war vom rechtlichen Charakter ein verwaltungsmassiger aber kein justiziabler Hoheitsakt Bei der Ermachtigungsgrundlage handelte es sich um die aus dem Jahr 318 v Chr datierte lex Ovinia die den Censoren als Tragern der Hoheitsgewalt das Recht gab die Mitglieder des Senats zu bestimmen lectio senatus Diese administrative Handlung wurde nachfolgend beim Ritterstand und bei der ubrigen Burgerschicht angewendet Es war unerheblich ob ein Kriminal oder Privatverfahren anhangig oder bereits abgeschlossen war denn die nota censoria kollidierte nicht mit straf oder zivilgerichtlichen Schuld oder Freispruchen Die Censoren waren in ihrer Ausubung der Sittenaufsicht regimen morum grundsatzlich von den Entscheidungen der ordentlichen Gerichtsbarkeit unabhangig Sie konnten bei einer vorangegangenen strafrechtlichen Verurteilung aus freiem Ermessen von einer zusatzlichen Massregelung absehen In umgekehrter Konstellation war es den Censoren moglich ungeachtet eines gerichtlichen Freispruchs die nota censoria anzuwenden Von dieser freien Rechtsauslegung ausgenommen waren kapitale Aburteilungen da der Verurteilte entweder hingerichtet oder zuvor ins Exil ausgewichen und damit fur den Zensus nicht mehr existent war Die Schranken der belastenden Amtshandlung bestanden zum einen darin dass die nota censoria von beiden Censoren ubereinstimmend getragen werden musste und zum anderen in dem nicht zwingend unbegrenzten Andauern des Rechtseingriffs Daher war es generell moglich dass der ehrmindernde Listeneintrag im folgenden Zensus von den neuen Censoren gestrichen und der Betroffene wieder zuruck in seinen Status quo ante gesetzt werden konnte So bestand ein gewisser Ausgleich hinsichtlich der konkreten Gefahr dass die nota censoria von den hohen Magistraten sachfremd bewusst wie auch unbewusst aus selbstsuchtigen Motiven oder fur parteiische Zwecke missbraucht werden konnte Verfahren BearbeitenDie beim Zensus vor der versammelten Burgerschaft deklamierte Anklage erlauterte das vorgeworfene moralische Fehlverhalten contra bonos mores oder die kriminelle Handlung der namentlich appellierten Person Wenn der zugrundeliegende Sachverhalt offenkundig und vom Beschuldigten nicht zu rechtfertigen war konnte die Strafe ohne ein vorgeschaltetes Untersuchungsverfahren Sittenkognition verhangt werden Der Tatbestand der den Censoren durch einen Dritten zur Anzeige gebracht und angenommen wurde loste ein kontradiktorisches Anhorungsverfahren aus In dieser gestrafften und beweiserhebungsbegrenzten Verhandlung summarische Kognition fand der Verklagte vor den Censoren rechtliches Gehor Einen Anspruch auf einen Rechtsbeistand wie in einem Strafprozess ublich hatte der Angeklagte grundsatzlich nicht Die Verteidigungsmoglichkeiten waren zudem durch die geringe Zulassung von etwaigen Entlastungszeugen eingeschrankt Konnte der Angeklagte vor dem Sittengericht iudicium de moribus den ehrenruhrigen Tatvorwurf probrum nicht plausibel widerlegen tertium non datur wurde nach Ubereinkommen der Censoren beim folgenden Zensus die entsprechende Massregelung ausgesprochen in die Zensusliste notiert nota und damit rechtskraftig Tatbestande BearbeitenTatbestande der nota censoria waren Handlungen und Unterlassungen die eine Person in ihrer Eigenschaft als Amtstrager oder Privatmann verubte Die Grenzen zwischen offentlichem und privatem Fehlverhalten waren fliessend sodass Verfehlungen haufig beide Zweige tangierten Ob Gemeinwohlinteressen tangiert oder verletzt waren hing letztlich von Einzelfallentscheidungen der Censoren ab Handlungen probris die nach Interpretation der Censoren die Sitte der Vorfahren verletzen und damit Ausloser von Repressalien sein konnten werden nachfolgend beispielhaft angefuhrt 1 Unehrenhaftes Verhalten und Illoyalitat des Soldaten Nach der Schlacht von Cannae hatten 400 Ritter die Flucht aus Italien in Erwagung gezogen aber letztlich nicht ausgefuhrt 2 Wehrdienstverweigerung durch Nichtmeldung bei der Aushebung Es hatten sich 2000 Burger ohne genugende Rechtfertigung dem Kriegsdienst entzogen 3 Amtsmissbrauch so die private Exekution eines wegen Kapitalverbrechens Verurteilten ausserhalb der Gerichtsbarkeit ebenso Totung eines Zuflucht suchenden Fremden peregrinus zum reinen Amusement Diese Tat fand keine juristische Ahndung da sie nicht zur Anzeige gebracht wurde 4 Gebrauch der Amtsgewalt zur Beschneidung von Kompetenzen wie die Amtsdauerverkurzung der Censoren 5 oder Aufhebung eines angesehenen Gesetzes Lex Licinia sumptuaria 6 Absichtliche Falschauslegung falsum der Himmelszeichen Durch einen Volkstribun wurden die Auspizien bewusst negativ beurteilt um ein militarisches Vorhaben zu vereiteln 7 Eidbruchigkeit oder fadenscheinige Umgehung abgegebener Versprechen Es wurden die Soldaten notiert welche gegenuber dem Feind die eidlich gelobte Zusicherung der Ruckkehr in die Gefangenschaft nicht eingehalten hatten 8 Missbrauch des Scheidungsrechts Ein Senator wurde notiert da er willkurlich seine Frau verstossen hatte 9 Ubermassiger Besitz von Luxusgutern und aufwandiger Lebensstil 10 Respektlosigkeit gegenuber Amtspersonen Ein Ritter dem der erbarmliche Zustand des ihm anvertrauten Staatspferds vorgeworfen wurde rechtfertigte sich mit einer unsachlichen Antwort 11 Mussiggang und damit einhergehend die vorwerfbare Vernachlassigung der landwirtschaftlichen Guter 12 Rechtsfolgen BearbeitenBei bemakelten Rittern kamen als schwerste Folgen die Entziehung des staatlichen Reitpferds adimere equum die Entfernung aus seiner Tribus und damit Ausstoss aus der Reiterzenturie sowie eine Umsetzung in die ungunstige Steuerklasse der Aerarier in Betracht Die Strafen konnten im ungunstigsten Fall verknupft ansonsten einzeln verhangt werden Leichtere Vergehen konnten mit einer Geldbusse multa die Mult oder mit der Einstellung staatlicher Zuwendungen wie das jahrliche Futtergeld fur das Staatspferd aes hordearium geahndet werden Die gleichen Folgen konnten den Senator treffen wobei er noch zusatzlich von der Senatsliste gestrichen werden konnte Der einfache Burger wenn er nicht im Heer eingesetzt war und somit keiner Aufsicht unterstand entruckte im Fortschreiten und der territorialen Ausbreitung der Republik immer mehr aus dem Fokus der Zensur und damit der sittenrichterlichen Kontrolle Die Censoren wurden vermutlich in der Regel nur dann tatig wenn es sich um gravierende Falle wie die in Krisenzeiten vorgekommene Wehrdienstentziehung handelte oder ihnen ein bedeutender Einzelfall durch Anzeige zur Kenntnis gebracht wurde Die censorischen Sanktionen beschrankten sich hier auf Geldbussen Umsetzungen in die ungunstigste Steuerklasse und die Verschlechterung des Stimmrechts durch die Versetzung von einer landlichen in eine stadtische Tribus Der totale Verlust des Stimmrechts durch die Herabstufung zu einem Halbburger der mit einem Eintrag in die Liste der nicht stimmberechtigten Burger tabulae Caeritium dokumentiert wurde war zeitweise moglich gewesen Mit der Abschaffung des tributum im Jahr 169 v Chr entfiel die Rechtsfolge der erhohten Besteuerung ganzlich fur jedermann Romische Kaiserzeit Bearbeiten nbsp Reiter im Gewand eines romischen EquesIn der Endphase der Republik wurden die Vollmachten der Censoren im Jahr 59 v Chr durch ein Plebiszit empfindlich geschmalert Die Beamten konnten im Zensus 55 v Chr nicht mehr aus eigenem Entschluss gegen den entehrenden Burger vorgehen womit die Anzahl der Notierungen abnahm Funf Jahre spater im letzten abgehaltenen Zensus der Republik war die Einschrankung durch ein konsularisches Gesetz aufgehoben worden 13 Hier setzte der damalige Censor Appius Claudius Pulcher seine Vollmacht aus politischen Grunden ein indem er zahlreiche Senatoren und Ritter mit der nota censoria belegte 14 Mit Augustus der 22 v Chr vergeblich versucht hatte das Amt der Censoren und damit den Zensus zu restaurieren wurde erganzend die uber Jahrzehnte ausgebliebene Rittermusterung recognitio equitum erneuert Diese scheint mit der alljahrlich am 15 Juli abgehaltenen Reiterparade der transvectio equitum zusammengelegt worden zu sein 15 In diesem Umzug ritten die Teilnehmer auf ihren Pferden am Kaiser vorbei Derjenige der nach Auffassung des Kaisers oder eines eigens hierfur Bevollmachtigten einer Belehrung bedurfte wurde aufgerufen und am Anlass ausgerichtet entsprechend gerugt Hierbei soll Augustus sich meistens auf eine folgenlose Ermahnung admonitio beschrankt haben Dieser Tadel wurde nicht offentlich ausgesprochen sondern dem Gerugten vertraulich und in schriftlicher Form auf einem Tafelchen ubermittelt 16 Wahrend die Reiterparade transvectio equitum bis ins ausgehende 4 Jahrhundert abgehalten wurde 17 ist letztmals unter Vespasian eine Rittermusterung im eigentlichen Sinne nachweisbar 18 Literatur BearbeitenErnst Baltrusch Regimen morum Die Reglementierung des Privatlebens der Senatoren und Ritter in der romischen Republik und fruhen Kaiserzeit Vestigia Band 41 Beck Munchen 1989 ISBN 3 406 33384 2 S 5 29 Wolfgang Kunkel Staatsordnung und Staatspraxis der romischen Republik Zweiter Abschnitt Die Magistratur Handbuch der Altertumswissenschaft Band 10 3 2 2 C H Beck Munchen 1995 ISBN 3 406 33827 5 II Die Zensur 3 Das Sittengericht der Zensoren S 271 272 405 419 Dieter Medicus Nota censoria In Der Kleine Pauly KlP Band 4 Stuttgart 1972 Sp 164 f Anmerkungen Bearbeiten Theodor Mommsen Romisches Staatsrecht 1877 S Hirzel Handbuch der romischen Alterthumer Band 2 1 Abteilung 1877 S 377 ff online Valerius Maximus Facta et dicta memorabilia 2 9 7 8 online Livius Ab Urbe Condita 24 18 7 ff online Cicero Cato maior de senectute 12 42 online Livius Ab Urbe Condita 39 42 5 ff online Livius Ab Urbe Condita 4 24 7 online Valerius Maximus Facta et dicta memorabilia 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