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Die im Mai 1912 durchgefuhrte Mischehendebatte im Deutschen Reichstag diente der Vorbereitung einer gesetzlichen Regelung der gemischtrassigen Ehen und des Status der Nachkommen aus derartigen Sexualbeziehungen Die Debatte belegt die rassenpolitischen Vorstellungen der damaligen deutschen Parteien im Hinblick auf die deutsche Kolonialpolitik und die Vorstufen des sich in der Zwischenkriegszeit verscharfenden Rassismus in der deutschen Gesellschaft Die Debatte kann als Ausdruck einer damals international feststellbaren Tendenz zur Verscharfung der Schranken zwischen Kolonialherren und Kolonisierten gelten zeigt aber auch eine gewisse deutsche Vorreiterrolle im Rahmen dieser Entwicklung 1 Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Ablauf 3 Ergebnis 4 Quelle 5 Literatur 6 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenSchon zu Beginn des 20 Jahrhunderts hatten die deutschen Kolonialverwaltungen Mischehen zwischen Deutschen und Angehorigen einheimischer Volker in den Kolonien verboten In Deutsch Sudwestafrika war schon 1905 ein Verbot der standesamtlichen Eheschliessung zwischen Weissen und Eingeborenen erfolgt 1906 hatte sich der Gouverneur Deutsch Ostafrikas bei solchen Ansuchen die personliche Entscheidung vorbehalten 1907 wurden in Deutsch Sudwestafrika auch die bereits vor dem Verbot geschlossenen Ehen fur nichtig erklart Der Reichstag wurde mit solchen auf dem Verordnungsweg erlassenen Regelungen nicht konfrontiert Am 17 Januar 1912 setzte das Reichskolonialamt unter dem Staatssekretar Wilhelm Solf fur Deutsch Samoa neben dem Eheverbot auch noch eine Unterscheidung der Kinder in legitime und illegitime Mischlinge durch Nur die bisher geborenen Kinder die in Mischlingslisten eingetragen worden waren hatten Anspruch auf Burgerrechte und Unterhalt Alle spater geborenen Kinder die ohnehin nicht ehelich sein konnten galten als illegitim ohne Anspruche an ihre Vater oder deren Heimatland Im Marz 1912 brachte die SPD in der Kommission fur den Reichshaushaltsetat der Schutzgebiete den Antrag auf eine Legalisierung von Mischehen und fur die Alimentationspflicht der aus Deutschland stammenden Vater auch fur unehelich geborene Kinder in den Kolonien ein Gleichzeitig wurde in einer Resolution der Bundesrat ersucht einen Gesetzesentwurf zu erstellen durch welchen das Verordnungsrecht im aus dem Jahr 1900 stammenden Schutzgebietsgesetz eingeengt und das Mitwirkungsrecht des Reichstags erweitert wurde Ablauf BearbeitenIn der 53 Sitzung der 13 Legislaturperiode des Reichstags am 2 Mai 1912 eroffnete der Staatssekretar des Reichs Kolonialamts Wilhelm Solf eine Grundsatzdebatte indem er die Mischlingsfrage und das Problem der Mischehen in den deutschen Kolonien in dramatisierender Art im Reichstag zur Verhandlung stellte 2 Die ublen Folgen der Mischehen so Solf seien von allen Nationen erkannt worden die ihr kolonisatorischer Beruf in Beruhrung mit farbigen Volkern niederer Kultur und minderer Zivilisation gebracht habe Als besonderes Beispiel nannte Solf die Vereinigten Staaten Missverstandene Humanitat racht sich ebenso wie das wurdelose Herabsteigen zur niederen Rasse Er sei selbstverstandlich gegen die Sklaverei aber der Neger habe sich in den alten patriarchalischen Verhaltnissen in den Sudstaaten besser gefuhlt als er sich jetzt innerlich als Mensch fuhlen muss Heute konne der Neger sogar Prasident werden wenn er nicht vorher gelyncht werde Solf meinte dass die Lynchjustiz in den USA so lange bestehen bleiben werde bis Staatsgesetz und Volksempfinden im Einklang steht Anschliessend appellierte Solf an die ausschliesslich mannlichen Abgeordneten sich zu uberlegen ob sie sich schwarze Schwiegertochter und wollhaarige Enkel wunschten Die Deutsche Kolonialgesellschaft gebe jahrlich 50 000 Mark dafur aus dass weisse Madchen nach Sudwestafrika geschickt werden Solf argumentierte Wollen Sie dass diese weissen Madchen mit Hereros mit Hottentotten und Bastarden zuruckkehren als Gatten Solf resumierte seinen Standpunkt mit den Worten Wir sind Deutsche wir sind Weisse und wollen Deutsche bleiben Gegenuber den Farbigen sei auch der Proletarier Herr Solf wandte sich deshalb ausdrucklich an die seit 1912 starkste Reichstagsfraktion die Sozialdemokraten mit der Bitte um Unterstutzung und zwar mit dem Argument nicht der Wohlhabende komme draussen in die Versuchung eine eingeborene Frau zu heiraten sondern der arme Mann der kleine Mann Wilhelm Solf der als Gouverneur von Deutsch Samoa 1900 1911 als eher liberal und verstandnisvoll galt fand aber nicht die gewunschte breite Zustimmung Georg Ledebour von der SPD konterte dass es Solf nicht hauptsachlich um die Institution der Ehe gehe sondern um die Legitimitat der Mischlinge Er meinte in seiner Antwortrede 3 sobald diese jungen Leute im kraftigsten Lebensalter in Beruhrung mit den unterworfenen Volkern kommen wo sie keine oder nur so wenig weisse Frauen haben dass sie uberhaupt nicht in die Ehe eintreten konnen entstunden als unvermeidliches Ergebnis in allen Kolonien nicht nur in denen Deutschlands Mischlinge Um die Rassenmischung zu vermeiden musse man die Kolonien aufgeben wahrend Solf nur den Geschlechtsverkehr ausrotten wolle Ledebour kritisierte das Mischeheverbot spezifisch mit Bezug auf Samoa wo es etwa 80 Mischehen gebe Gerade weil die Samoaner kulturell den Weissen naher stunden als die Hottentotten oder Herero habe sich bei ihnen auch der Geschlechtsverkehr auf eine hohere Stufe erhoben Ledebour unterstellte Solf dieser befurchte dass durch das Einstromen des weissen Blutes in Samoa eine Bevolkerung heranwachse teils weissen teils samoanischen Blutes die genau wie die Bastards in Sudwestafrika die aus der Vermischung von Hollandern und Hottentotten hervorgegangen sind die Widerstandskraft der Eingeborenen verstarke Damit nahm Ledebour ein Argument von Friedrich von Lindequist auf dem Gouverneur von Deutsch Sudwestafrika der 1906 in einer Denkschrift zur Siedlungspolitik vor der Anzahl von Mischverbindungen und den ublen Folgen der Rassenvermischung gewarnt hatte weil in Sudafrika die weisse Minderheit sich durch die Reinhaltung ihrer Rasse in ihrer Herrschaft uber die Farbigen behaupten musse Ledebour positionierte sich zwar als Kritiker der kapitalistischen Kolonialpolitik und ihres Bedurfnisses die Weissen als ein Herrenvolk gesondert von den Eingeborenen zu erhalten und uber sie dominieren zu lassen sah es aber auch nicht als einen wunschenswerten Zustand wenn Ehen zwischen Eingeborenen und Weissen geschlossen werden oder wenn da ein ausserehelicher Geschlechtsverkehr aus dem Mischlinge hervorgehen stattfinde Er entrustete sich sogar daruber dass weisse Frauen hier in Deutschland mit Negern angebandelt hatten Und er wies auf die unerfreuliche Tatsache hin dass gewisse Frauen fur exotische Volkerschaften eine perverse Neigung bekundeten was Ledebour als Phanomen burgerlicher Dekadenz wertete Der Abgeordnete Carl Braband 4 Freisinnige Volkspartei FVP kritisierte im weiteren Verlauf der Debatte dass in den Grossstadten bei Vorfuhrungen exotischer Trupps von Nubiern Negern Singhalesen weisse Frauen sich den fremden Gasten geradezu an den Hals geworfen hatten Braband lehnte Mischehen und die aus ihnen erwachsenden Mischlinge als gleichsam pathologisches Phanomen ab und befurwortete im gleichen Atemzug auch die Verhinderung von Ehen zwischen Personen die schwere ansteckende und vererbliche Krankheiten haben Angesichts des weissen Manneruberschusses in den Kolonien konzedierte Braband zwar die Unvermeidbarkeit geschlechtlicher Vermischung zwischen Kolonisten und farbigen Frauen Auch er sah das Anwachsen der Mischlingsrasse aber als Gefahr der die deutschen Kulturmenschen nur durch sorgfaltige Uberwachung der Erziehung der Mischlinge begegnen konnten Der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Karl von Richthofen Damsdorf 5 sah Geschlechtsverbindungen zwischen Weissen und Farbigen sogar als sexuelle Immoralitat die nicht mit einem Siegel auch noch staatlich sanktioniert werden durfe Der freikonservative evangelische Pastor Johannes Zurn 6 Deutsche Reichspartei formulierte die These dass Kinder die aus Mischehen hervorgehen sich nach der schlechten Seite hin entwickelten Er berief sich auf das gesunde nationale Rassenbewusstsein und wandte sich ebenfalls gegen jede Erleichterung der Rassenmischung in unseren Kolonien Ahnlich der konservative Abgeordnete Karl von Bohlendorff Kolpin der eine scharfe Trennung der Rassen und eine Erziehung unserer Kolonialburger gegen Mischehen und Konkubinatsleben verlangte Selbst der Chef der katholischen Mission in Sudwestafrika hatte im Vergleich mit diesen unsittlichen Praktiken Bordelle als das kleinere Ubel bezeichnet Der christlich soziale Parlamentarier Reinhard Mumm 7 von der Wirtschaftlichen Vereinigung kritisierte dass ein gewisser weiblicher Aushub in den Grossstadten sich mit Schwarzen abgibt und forderte als scharfste Reaktion die Verankerung der Ablehnung derartiger Rassenschande im Volksbewusstein Die Christlichsozialen sahen allerdings ein Mischehenverbot als ineffektiv an da die anderen Kolonialmachte ein solches Verbot nicht aufzuweisen hatten und somit eine Heirat in den angrenzenden Kolonien Frankreichs oder Englands leicht moglich ware Mumm vertrat daher die Position die Ehe zwischen Weissen in den Kolonien zu fordern und nur verheiratete Beamte in die Kolonien zu entsenden Eduard David ein Anhanger des Revisionismus in der Sozialdemokratie vertrat nahezu als einziger eine entspanntere und weniger rassistische Position Er verwies darauf dass speziell die Samoaner ein ganz hervorragend schones und gesundes Volk seien Man konne hier Erscheinungen finden die als typische Schonheiten des menschlichen Geschlechts gelten mussten Das Rassegefuhl versage hier beziehungsweise es verkehre sich in das Gefuhl dass mancher Weisse seine Nachkommenschaft in einer solchen Beziehung nicht degradieren sondern aufbessern konne David meinte allerdings Auch wir wunschen nicht dass planlos Mischbevolkerung erzeugt wird Auch der Zentrumsabgeordnete Adolf Grober huldigte in der Debatte der Schonheit Er zeigte im Reichstag Bilder eines Bastardmadchens und von Samoanerinnen und kommentierte recht hubsch hubscher sind sie bei uns auch nicht Das Zentrum trat fur die Zulassigkeit der Rassenmischehen ein nicht zuletzt wegen ihrer geringen zahlenmassigen Bedeutung Laut neuesten Berichten aus den Jahren 1907 und 1908 gabe es in den Kolonien Neuguinea 34 in Mischehe lebende Personen und 170 Mischlinge in Samoa 90 Mischehen und 938 Mischlinge in Sudwestafrika 42 Mischehen und 3595 Mischlinge wobei die so genannten Rehobother bei der Niederschlagung des Aufruhrs der Herero und Nama Aufstand der Herero und Nama mit Treue und Tuchtigkeit mitgewirkt hatten Matthias Erzberger der fuhrende Reprasentant des katholischen Zentrums trat in der Debatte des Jahres 1912 ebenfalls eindeutig gegen die Vermehrung der Mischlinge auf 99 Prozent aller Mischlinge in den Kolonien stammten allerdings aus dem ausserehelichen Geschlechtsverkehr Also sei es unlogisch die Mischehe zu verbieten Wer das Mischlingswesen bekampfen wolle musse in erster Linie gegen die Konkubinatsverhaltnisse vorgehen Wer aber die Ehe verbiete fordere das Konkubinat Ergebnis BearbeitenZum Abschluss der Debatte verabschiedete der Reichstag am 8 Mai 1912 eine Resolution die von der Regierung die Einbringung eines Gesetzentwurfes forderte um die Gultigkeit der Ehen zwischen Weissen und Eingeborenen in allen deutschen Schutzgebieten sicher zu stellen und die Rechte der unehelichen Kinder zu bestimmen Dafur stimmten Sozialdemokraten Zentrum und Teile der Freisinnigen Volkspartei insgesamt ergab die Abstimmung 203 Stimmen gegen 133 bei einer Enthaltung Das eingeforderte Gesetz sollte jedoch nie zustande kommen Zwei Jahre spater brach der Erste Weltkrieg aus an dessen Ende Deutschland seine Kolonien einbusste Quelle BearbeitenVerhandlungen des Reichstags 53 bis 56 Sitzung vom 2 3 7 und 8 Mai 1912 S 1648 1747 digitalisiert vorhanden Literatur BearbeitenBirthe Kundrus Moderne Imperialisten Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien Koln u a 2003 ISBN 3 412 18702 X speziell S 219ff Alexandra Przyrembel Rassenschande Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus Gottingen 2003 ISBN 3 525 35188 7 Thomas Schwarz Die Mischehendebatte im Reichstag 1912 Hybriditat in den Verhandlungen zwischen deutscher Biopolitik Anthropologie und Literatur In Dokilomunhak Deutsche Sprach und Literaturwissenschaft 19 2002 S 323 350 Webunterlage Frank Oliver Sobich Schwarze Bestien rote Gefahr Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich Campus Wissenschaft Frankfurt am Main 2006 Alexandra Przyrembel Rassenschande Dissertation Technische Universitat Berlin 2001 Vandenhoeck amp Ruprecht 2003 ISBN 3 525 35188 7 S 43 f in Google Books Birthe Kundrus Moderne Imperialisten Das Kaiserreich im Spiegel seiner Kolonien Habilitationsschrift Oldenburg 2003 ISBN 3 412 18702 X S 219 f in Google BooksEinzelnachweise Bearbeiten Birthe Kundrus Moderne Imperialisten S 219f Die britische Regierung verbot ihren Kolonialbeamten seit 1909 sexuelle Beziehungen zu einheimischen Frauen In Franzosisch Westafrika waren Verbindungen zwischen Franzosen und einheimischen Frauen zunachst gefordert worden verfielen aber nach und nach immer starkerer sozialer Achtung In Sudrhodesien stellte 1903 ein Gesetz sexuelle Beziehungen zwischen weissen Frauen und schwarzen Mannern unter Strafe Initiativen betreffend den umgekehrten Fall scheiterten aber Reichstagsprotokolle 19112 14 3 S 1648A ff Reichstagsprotokolle 19112 14 3 S 1649 B ff Reichstagsprotokolle 19112 14 3 S 1730 B ff Reichstagsprotokolle 19112 14 3 S 1728 A ff Reichstagsprotokolle 19112 14 3 S 1732 C ff Reichstagsprotokolle 19112 14 3 S 1735 A ff Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mischehendebatte im deutschen Reichstag amp oldid 238353450