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Unter mathematischer Strenge in etwas anderem Zusammenhang oft auch mathematischer Prazision wird eine klare logische Vorgehensweise innerhalb der Mathematik und anderer auf ihr basierender Wissenschaften verstanden Sie umfasst zum einen die axiomatische Vorgehensweise anhand scharfer Definitionen und zum anderen zwingende Beweise Weiter wird die Methode der systematischen Deduktion angestrebt Als Konsequenz sind mathematische Satze prinzipiell endgultige und allgemeingultige Wahrheiten so dass die Mathematik als die exakte Wissenschaft betrachtet werden kann Mathematische Strenge ist kein Selbstzweck sondern notwendiges Mittel um bleibenden Fortschritt in der Mathematik zu ermoglichen Auch ist sie im griechischen Sinne eine gute Schule des Denkens In der Nachwirkung ergibt sich durch die mathematische Strenge auch eine Vereinfachung mathematischer Betrachtungen Aristoteles Begrunder der Logik Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Zitate 3 Redundanzfreiheit 4 Die Bourbakisten 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseGeschichte Bearbeiten nbsp Darstellung des Euklid Oxford University Museum nbsp Augustin Louis Cauchy nbsp Carl Friedrich Gauss nbsp Karl Weierstrass nbsp David Hilbert 1912 Bereits in der griechischen Mathematik finden sich insbesondere bei Euklid in seinen Elementen Ende 4 Jh v Chr erste Versuche mathematischer Strenge durch Axiomatisierung und systematische mathematische Deduktion Es wurde in der Antike jedoch oft eine weniger strenge Behandlung der Mathematik als die euklidische vorgezogen Auch war klar dass sich das Prinzip der mathematischen Strenge nicht auf alle Wissenschaften ubertragen lasst So schreibt Aristoteles Mathematische Strenge ist nicht in allen Dingen zu fordern wohl aber in den unmateriellen 1 Nach einer langeren Periode der Stagnation begann erst im 17 Jahrhundert ein Aufschwung der mathematischen Wissenschaften mit der analytischen Geometrie und Infinitesimalrechnung Das griechische Ideal der Axiomatik und systematischen Deduktion war jedoch den produktiven Mathematikern dieser Zeit hinderlich Die Ergebnisse spielten eine grossere Rolle als der Weg dorthin Ein starkes intuitives Gefuhl und eine fast blinde Uberzeugung von der Kraft der neu erfundenen Methoden rechtfertigte zunachst dieses Vorgehen Das Zeitalter der beginnenden Industrialisierung unterstutzte diese Form noch weiter Mit dieser Selbstsicherheit sagte noch 1810 Sylvestre Lacroix Solche Spitzfindigkeiten mit denen sich die Griechen abqualten brauchen wir heute nicht mehr 2 Erst zu Beginn des 19 Jahrhunderts wurde die stark zunehmende Fortschrittsglaubigkeit durch eine neu erwachende Selbstkritik abgelost Es kam das Bedurfnis nach Sicherung der Ergebnisse und Klarheit Unterstutzt wurde dieser Prozess nach der franzosischen Revolution durch eine starke Popularisierung der Wissenschaften Die Disquisitiones Arithmeticae von Carl Friedrich Gauss gelten als eines der ersten mustergultigen Werke mathematischer Strenge Es ist ganz im Stil von Satz Beweis Korollar geschrieben enthalt keine Motivation der eingeschlagenen Beweisrichtungen und verbirgt sorgfaltig die Art und Weise wie Gauss zu seinen Entdeckungen kam Der letzte Aspekt beruht jedoch teilweise auf dem Erfordernis mathematischer Strenge und nicht auf einer besonderen Eigenart von Gauss Er hangt mit der weiter unten diskutierten Forderung nach absoluter Redundanzfreiheit zusammen Durch die Arbeiten von Augustin Louis Cauchy und Karl Weierstrass wurde insbesondere die Infinitesimalrechnung auf eine sichere und strenge Grundlage gestellt Das 19 Jahrhundert war somit gekennzeichnet durch eine erfolgreiche Besinnung auf das klassische Ideal der Prazision und der Strenge der Beweisfuhrung wobei das Vorbild der griechischen Wissenschaft noch ubertroffen wurde Bereits vor Cauchy hat Bernard Bolzano 1817 mit der Arbeit Rein analytischer Beweis des Lehrsatzes dass zwischen zwey Werthen die ein entgegengesetztes Resultat gewahren wenigstens eine reelle Wurzel der Gleichung liege einen wichtigen Beitrag zur strengen Behandlung der Analysis geliefert Zitate BearbeitenEiner der Hauptverfechter mathematischer Strenge verbunden mit enormer Vielseitigkeit war David Hilbert Er formulierte auf dem Internationalen Mathematiker Kongress 1900 in Paris 3 Wir erortern noch kurz welche berechtigten allgemeinen Forderungen an die Losung eines mathematischen Problems zu stellen sind ich meine vor allem die dass es gelingt die Richtigkeit der Antwort durch eine endliche Anzahl von Schlussen darzutun und zwar auf Grund einer endlichen Anzahl von Voraussetzungen welche in der Problemstellung liegen und die jedesmal genau zu formulieren sind Diese Forderung der logischen Deduktion mittels einer endlichen Anzahl von Schlussen ist nichts anderes als die Forderung der Strenge in der Beweisfuhrung In der Tat die Forderung der Strenge die in der Mathematik bekanntlich von sprichwortlicher Bedeutung geworden ist entspricht einem allgemeinen philosophischen Bedurfnis unseres Verstandes und andererseits kommt durch ihre Erfullung allein erst der gedankliche Inhalt und die Fruchtbarkeit des Problems zur vollen Geltung Ein neues Problem zumal wenn es aus der ausseren Erscheinungswelt stammt ist wie ein junges Reis welches nur gedeiht und Fruchte tragt wenn es auf den alten Stamm den sicheren Besitzstand unseres mathematischen Wissens sorgfaltig und nach den strengen Kunstregeln des Gartners aufgepfropft wird Zudem ist es ein Irrtum zu glauben dass die Strenge in der Beweisfuhrung die Feindin der Einfachheit ware An zahlreichen Beispielen finden wir im Gegenteil bestatigt dass die strenge Methode auch zugleich die einfachere und leichter fassliche ist Das Streben nach Strenge zwingt uns eben zur Auffindung einfacherer Schlussweisen auch bahnt es uns haufig den Weg zu Methoden die entwicklungsfahiger sind als die alten Methoden von geringerer Strenge Alexander Danilowitsch Alexandrow sagte Moralisch lehrt uns die Mathematik sich streng gegenuber dem zu verhalten was als Wahrheit behauptet wird was als Argument hervorgebracht wird oder was als Beweis angefuhrt wird Die Mathematik fordert Klarheit der Begriffe und Behauptungen und duldet keinen Nebel und keine unbeweisbaren Erklarungen Redundanzfreiheit BearbeitenDie oben angedeuteten personlichen Eigenschaften von Carl Friedrich Gauss wurden von den Mathematikern quasi internalisiert und zwar durch das implizit oder explizit geforderte Prinzip der Redundanzfreiheit Alle uberflussigen Aussagen sollen eliminiert werden und das Verstandnis des Gesagten wird dem Leser uberlassen sachliche Richtigkeit und Wichtigkeit vorausgesetzt In einer typischen mathematischen Arbeit sind daher ausser Satzaussagen Voraussetzungen sowie der Durchfuhrung von Beweisschritten bestenfalls noch begrundende Aussagen der folgenden Art erwunscht Dieses Resultat ist deshalb wichtig weil sodass die einzelnen Aussagen zumindest in die richtigen Zusammenhange gebracht werden Dieses Prinzip der Redundanzfreiheit ist fur die Realisierung mathematischer Strenge nutzlich bzw notwendig und verbietet personlich gefarbte Zusatze als uberflussig und u U sogar schadlich fur die Sache ist aber gleichzeitig eines der grossten Hindernisse fur die Verstandlichkeit vieler mathematischer Aussagen bzw allgemein ein Hauptgrund fur die oft beklagte Unverstandlichkeit des mathematischen Stils mit seinen Lemmata Theoremen und Korollaren samt der Undurchschaubarkeit vieler dazugehoriger Beweise Die Bourbakisten BearbeitenBesonders ausgepragt und zunehmend abstrakter wurde der mathematische Stil in den unter dem Pseudonym Nicolas Bourbaki veroffentlichten Arbeiten umfangreichen Handbuchern einer Gruppe hervorragender franzosischer Mathematiker die von 1934 ab eine Gesamtdarstellung der Mathematik anstrebten Nach jahrzehntelang dominierendem Einfluss dieses Autorenkollektivs ist aber gegenwartig die Tendenz zunehmender Strenge und Abstraktion anscheinend eher leicht rucklaufig Siehe auch BearbeitenIntuitionismus Logik und Mathematik Formalismus Mathematik Literatur BearbeitenGunther Eisenreich Ralf Sube Langenscheidts Fachworterbuch Mathematik englisch deutsch franzosisch russisch 4 Auflage Langenscheidt Berlin 1996 ISBN 3 86117 074 4 Auf S 499 M 171 GN general ist ausgewiesen mathematical rigor mathematische Strenge riguer mathematique S 726 R 1305 GN general rigorous proof strenger Beweis demonstration rigoureuse Richard Courant Herbert Robbins Was ist Mathematik Springer Verlag Berlin Heidelberg 2000 ISBN 3 540 63777 X Hans Niels Jahnke Hrsg Geschichte der Analysis Spektrum Akademischer Verlag Berlin 1999 Oskar Becker Grosse und Grenze der Mathematischen Denkweise Verlag Karl Alber Freiburg Munchen 1959 Kritische Begrundung der Analysis S 108 111 Studium Universale Harro Heuser Lehrbuch der Analysis 11 Auflage Teil 2 Teubner Stuttgart 2000 ISBN 3 519 42234 4 Kapitel 29 Ein historischer tour d horizon Abschnitt Die neue Strenge S 689 700 Philip Davis Reuben Hersh Erfahrung Mathematik Mit einer Einleitung von Hans Freudenthal Aus dem Amerikanischen von Jeannette Zehnder 2 Auflage Birkhauser Basel 1996 Tom Archibald The Development of Mathematical Rigor in Analysis In Timothy Gowers June Barrow Green Imre Leader Hrsg The Princeton Companion to Mathematics Princeton University Press 2008 ISBN 978 0 691 11880 2 S 117 129 eingeschrankte Online Version in der Google Buchsuche USA Israel Kleiner Rigor and Proof in Mathematics A Historical Perspective PDF 410 kB In Mathematics Magazine Vol 64 No 5 Dec 1991 S 291 314 Haskell Brooks Curry Some aspects of the problem of mathematical rigor PDF 2 3 MB In Bulletin of the American Mathematical Society 1941 James Pierpont Mathematical rigor past and present In Bulletin of the American Mathematical Society 1928Weblinks BearbeitenEric W Weisstein Rigorous In MathWorld englisch Einzelnachweise Bearbeiten Aristoteles Bibl Didotiana vol 10 Aristotelis Opera II de Gruyter Berlin 1970 S 488 Harro Heuser Lehrbuch der Analysis Teil 2 13 Auflage 2013 ISBN 978 3 663 10637 1 S 689 David Hilbert Mathematische Probleme Memento vom 19 Januar 2012 im Internet Archive Vortrag publiziert als Mathematische Probleme Vortrag gehalten auf dem internationalen Mathematiker Kongress zu Paris 1900 Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Gottingen Mathematisch Physikalische Klasse Nr 3 S 253 297 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Mathematische Strenge amp oldid 229581845