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Der Lexikalische Massenvergleich oder englisch Mass Lexical Comparison bzw Multilateral Comparison ist eine vom amerikanischen Linguisten Joseph Greenberg entwickelte Methode Verwandtschaftsbeziehungen unter einer grossen Gruppe von Sprachen nachzuweisen man spricht auch kurz von Greenbergs Methode Die Leistungsfahigkeit dieser Methode ist in der Vergleichenden Sprachwissenschaft umstritten obwohl sie bei der Klassifikation der afrikanischen Sprachen vgl Niger Kongo Afroasiatisch und Nilosaharanisch sehr erfolgreich gewesen ist Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Greenbergs Methode des lexikalischen Massenvergleichs 3 Ein Beispiel zur Methode 4 Praktische Anwendung Erfolg und Misserfolg 5 Probleme der Methode und Kritik 6 Literatur 6 1 Werke von Joseph Greenberg zur genetischen Linguistik 6 2 Uber Greenbergs MethodeHintergrund BearbeitenDie Sprachwissenschaft war seit ihren Anfangen als moderne Wissenschaft daran interessiert Verwandtschaftsbeziehungen von Sprachen festzustellen Dieser Ansatz ist der Antike und dem Mittelalter weitgehend fremd da in dieser Zeit Sprachen als unveranderliche Grossen betrachtet wurden Erst die Idee dass Sprachen sich weiterentwickeln und verandern konnen entdeckt etwa durch die Beobachtung der Entwicklung der romanischen Sprachen aus dem Lateinischen schafft Raum fur das Konzept der Verwandtschaft von Sprachen die sich aus einer gemeinsamen Vorgangersprache entwickelt haben Insofern war William Jones Rede von 1786 in Kalkutta in der Tat ein Durchbruch als er durch Sprachvergleich erkannte dass eine Gruppe von Sprachen die spater indogermanisch genannt wurden wahrscheinlich von einer nicht mehr existenten gemeinsamen Vorgangersprache abstammten sprung from some common source Die spater im Verlauf des 19 Jahrhunderts entwickelte historisch vergleichende Methode versuchte dann auf Basis der durch Wort und Morphologievergleichen erkannten Verwandtschaftsverhaltnisse die Lautgesetze einer Sprachfamilie aufzustellen und schliesslich ihre Protosprache teilweise zu rekonstruieren Die historisch vergleichende Methode war allerdings lediglich dazu in der Lage einen Sprachzustand zu rekonstruieren der zeitlich maximal einige Jahrtausende in die Vergangenheit zuruckreicht je nach Autor zwischen 5000 und 10000 Jahren Daruber hinaus sind nach der Vorstellung vieler Forscher keine Rekonstruktionen moglich Mass Lexical Comparison ist nun der Versuch durch simultanen Vergleich vieler Sprachen eines grosseren Areals z B Afrika Amerika Australien Neuguinea und Nachbarinseln Nordeurasien in der Frage der Verwandtschaftsverhaltnisse in grossere Zeittiefen vordringen zu konnen Dagegen werden bei der Anwendung dieser Methode keine Rekonstruktionen von Protosprachen durchgefuhrt oder auch nur angestrebt Greenbergs Methode des lexikalischen Massenvergleichs BearbeitenBei Greenbergs Methode des lexikalischen Massenvergleichs ergibt sich die Klassifikation aus dem Vergleich von Wortern und Morphemen aus einer sehr grossen Gruppe von Sprachen im Fall des Amerindischen nahezu aller indigenen Sprachen Amerikas bei den afrikanischen Sprachen nahezu aller dokumentierten Sprachen des Kontinents Dabei werden Wortgleichungen aufgestellt und aus diesen die Klassifikation d h Gruppen verwandter Sprachen abgeleitet Es ist letztlich auch die Methode mit der die Forscher des fruhen 19 Jahrhunderts die genetische Einheit und die im Wesentlichen korrekte Gliederung des Indogermanischen oder Finno Ugrischen erkannten lange bevor Lautgesetze etabliert oder Protosprachen rekonstruiert wurden Die Etablierung von Lautgesetzen und die Rekonstruktion von Protosprachen ist ein zweiter Schritt der die Ergebnisse der vorhergehenden Klassifikationshypothese bestatigen verfeinern oder auch widerlegen kann Diesen zweiten Schritt uberliess Greenberg in der Regel anderen Greenbergs Methode ist induktiv heuristisch wahrend die Methodik der klassischen Vergleichenden Sprachwissenschaft scheinbar streng deduktiv ist Seit David Hume und erst recht seit Karl Popper weiss man dass ausser der axiomatischen Mathematik jede Wissenschaft die die reale Welt beschreiben will gleich ob Natur oder Geisteswissenschaft nur induktiv ist und nicht zu wahren Aussagen sondern nur begrundeten Hypothesen fuhren kann Als Kennzeichen der Wissenschaftlichkeit solcher Hypothesen stellte Popper ihre Widerlegbarkeit heraus In diesem Sinne ist die Verwandtschaft von Sprachen immer eine Hypothese und nie deduktiv beweisbar auch nicht durch den stringenten Einsatz historisch vergleichender Methoden etwa durch die Etablierung regelmassiger Lautentsprechungen Bei der Konstruktion mancher Makrofamilie wurde allerdings das Poppersche Kriterium der Widerlegbarkeit nicht erfullt was diese dann auch eher zu unwissenschaftlichen Hypothesen werden liess Zur Beweisbarkeit genetischer Zusammenhange siehe Greenbergs Artikel The Concept of Proof in Genetic Linguistics von 2000 abgedruckt in Greenberg 2005 Ein Beispiel zur Methode BearbeitenIn der folgenden Tabelle werden 12 Begriffe aus 12 afrikanischen Sprachen zusammengestellt um die Methode des Massenvergleichs an einem einfachen Beispiel zu verdeutlichen vgl Ruhlen 1994 Afrikanische Wortgleichungen Nr Sprache ich mich du dein vier Zunge pressen sprechen trinken blasen Jahr Auge Sonne FleischA ǃKung mi i ǃnani theri tsam ok xui ka cu kuri ǀga ǀam ǃhaB Duala am aŋo nei yeme kambe ambo nyo pep mbu iso oba nyamaC Dinka gen yin nguan liep nyac jam dek koth ruon nyin akol ringoD Zulu ami akhu ne limi kham amb phuza phepheth nyaka so langa inyamaE Hausa ni kai fudu harse matsa fada sa busa sekara ido rana namaF ǁGana ke tsa dam kxao kxoi kxxa gom kuri ǃkai ǀam ǀkaG Mbundu ame ku kwala limi kam tana nyw pepe lima iso kumbi situH Nandi ane inye angwan ngelyep iny mwa ie kut keny kong asis penyI Nama ti tsa haka nami tsam kxu i kx a ǃgom kuri mus ǀam kx oJ Swahili mimi ako nne limi kamu amb nyw pepe aka co jua nyamaK Bole fhwadi lisi matsu o i puwo i sawo i pintu soni idi futi loL Masai nanu inyi onguan ngejep iro mat kut arin ongu olong kiringoAuch ohne vorherige Kenntnis der Verwandtschaft dieser Sprachen und ohne Blick auf die Sprachnamen lassen sich in den 12 Sprachen des Beispiels Gruppen verwandter Sprachen auch fur Nichtfachleute relativ leicht erkennen Zunachst stimmen die Sprachen B D G und J in fast allen Begriffen uberein Es handelt sich um Bantusprachen E und K weisen auch einige Ubereinstimmungen auf sie gehoren zum Tschadischen einer Untereinheit des Afroasiatischen ebenso C H und L sie werden als nilosaharanisch klassifiziert Eine etwas genauere Betrachtung der restlichen drei Sprachen A F und I zeigt auch hier etliche Ubereinstimmungen auf z B fur sprechen trinken Jahr und Sonne sie gehoren zu den Khoisan Sprachen die ungewohnlichen Zeichen ǃ ǀ und ǁ stellen Schnalzlaute dar Damit kann man also bereits aus einem kleinen Sample von 12 Sprachen und 12 Begriffen problemlos die Spracheinheiten Bantu Tschadisch Nilosaharanisch und Khoisan herausfiltern Dies ist ein in vielfacher Hinsicht vereinfachtes Beispiel Anzahl der Sprachen Anzahl und Auswahl der Begriffe vereinfachte phonetische Darstellung das aber das Prinzip der Methode aufzeigt Besonders deutlich werden die Ubereinstimmungen wenn man die verwandten Sprachen zusammengruppiert Hierbei zeigt sich aber auch dass keine durchgehenden Ahnlichkeiten in allen Wortern des Samples zu erwarten sind erst die Gesamtheit der Ubereinstimmungen in einer Gruppe lassen die Klassifizierung klar erkennen Ein binarer Vergleich von Sprach Paaren wurde nicht zum gewunschten Klassifikationsergebnis fuhren da dann vor allem die Unterschiede ins Auge fallen Dies ist der Grund dafur dass Greenberg binare Vergleiche grundsatzlich abgelehnt hat Afrikanische Wortgleichungen genetisch gruppiert Einheit Nr Sprache ich mich du dein vier Zunge pressen sprechen trinken blasen Jahr Auge Sonne FleischBantu B Duala am aŋo nei yeme kambe ambo nyo pep mbu iso oba nyama D Zulu ami akhu ne limi kham amb phuza phepheth nyaka so langa inyama G Mbundu ame ku kwala limi kam tana nyw pepe lima iso kumbi situ J Swahili mimi ako nne limi kamu amb nyw pepe aka co jua nyamaTschad E Hausa ni kai fudu harse matsa fada sa busa sekara ido rana nama K Bole fhwadi lisi matsu o i puwo i sawo i pintu soni idi futi loNilosah C Dinka gen yin nguan liep nyac jam dek koth ruon nyin akol ringo H Nandi ane inye angwan ngelyep iny mwa ie kut keny kong asis peny L Masai nanu inyi onguan ngejep iro mat kut arin ongu olong kiringoKhoisan A ǃKung mi i ǃnani theri tsam ok xui k a cu kuri ǀga ǀam ǃha F ǁGana ke tsa dam kxao kxoi kxxa gom kuri ǃkai ǀam ǀka I Nama ti tsa haka nami tsam kxu i kx a ǃgom kuri mus ǀam kx oLeicht erkennbare Ubereinstimmungen sind halbfett markiert Praktische Anwendung Erfolg und Misserfolg BearbeitenDie Methode des Massenvergleichs hat Greenberg bei seiner inzwischen weitgehend akzeptierten Klassifikation der afrikanischen Sprachen erfolgreich angewendet seine Klassifikationsergebnisse bei den amerikanischen und indopazifischen Sprachen werden allerdings von den meisten Forschern abgelehnt fur das Eurasiatische ist es noch zu fruh Erfolg oder Misserfolg zu konstatieren Die Methode wurde von Greenbergs Schuler Merritt Ruhlen dazu verwendet sogenannte globale Etymologien zu etablieren das sind Wortgleichungen von Wortern aus global verteilten Sprachen unterschiedlicher Sprachfamilien und daraus den Schluss der Monogenese aller Sprachen der Erde zu ziehen Siehe auch Proto World Sprache Probleme der Methode und Kritik BearbeitenEs gibt viele Einwande gegen die Methode des lexikalischen Massenvergleichs Ein wichtiger Vorwurf ist dass Greenbergs Ansatz Lehnworter nicht immer erkennen wurde und solche ungerechtfertigterweise als Beweis fur die genetische Verwandtschaft von Sprachen heranzoge ahnliche Probleme verursachen lautmalerische Begriffe die unabhangig von genetischen Relationen quer durch alle Sprachen der Welt verteilt sind Gegen diese Vorwurfe hat Greenberg sich mehrfach explizit verteidigt und klargemacht dass er die Problematik der Lehnworter und lautmalerischen Wortbildungen durchaus gesehen hat und auch konkret behandelt Besonders wichtig waren fur ihn Wortgleichungen fur stabile Begriffe die ublicherweise nicht von einer Sprache in eine andere entlehnt werden sondern zum gemeinsamen Urbestand einer Sprachfamilie gehoren Nach Aharon Dolgopolsky sind die in diesem Sinne stabilsten 23 Begriffe ich mich zwei paar du dich wer was Zunge Sprache Name Auge Herz Zahn nein nicht Finger Fussnagel Laus Trane Wasser tot Hand Nacht Blut Horn voll Sonne Ohr SalzDiese Liste geordnet nach Stabilitat basiert auf der Untersuchung von 140 Sprachen aus verschiedenen Sprachfamilien in Europa und Asien Sie wird auch haufig bei der Untersuchung von entfernten genetischen Verwandtschaften herangezogen Ein anderes Problem ist die Tatsache dass der lexikalische Massenvergleich belegte altere Sprachstufen ignoriert in denen unter Umstanden die phonologische Form eines Wortes von der synchron beobachtbaren abweicht und so ihre Aussagekraft entwertet wird Die von Campbell diesbezuglich angefuhrten Beispiele werden allerdings bei Greenberg nicht herangezogen Der Amerikanist Lyle Campbell hat mit Mass Lexical Comparison nachgewiesen dass das Finnische mit dem Amerindischen verwandt sei und wollte damit deutlich machen dass die Methode nicht funktioniert Darauf antwortet ihm Greenberg 1989 dass er niemals seine Methode auf Sprachen vollig heterogener Areale anwenden wurde ausserdem niemals eine Einzelsprache Finnisch mit einer anderen Sprache oder Gruppe von Sprachen vergleichen wurde Sieht man das Finnische im Rahmen seiner eurasischen Nachbarn werden die Verwandtschaftsverhaltnisse und die Zugehorigkeit des Finnischen zu den finno ugrischen Sprachen sofort deutlich in der Tat wurde die finno ugrische Einheit noch fruher als die indogermanische erkannt siehe den Artikel Uralische Sprachen Greenberg zeigt im Gegenzug dass die Anwendung rigider Forderungen der sprachvergleichenden Amerikanisten auf die indogermanischen Sprachen die Nicht Verwandtschaft des Hethitischen aufzeigen wurden Greenberg 1989 Literatur BearbeitenWerke von Joseph Greenberg zur genetischen Linguistik Bearbeiten 1949 50 Studies in African Linguistic Classification 7 Parts Southwestern Journal of Anthropology University of New Mexico Press Albuquerque 1957 Essays in Linguistics The University of Chicago Press 1963 The Languages of Africa Bloomington Indiana University Press 1971 The Indo Pacific Hypothesis Current Trends in Linguistics 8 Wieder abgedruckt in Greenberg 2005 1987 Language in the Americas Stanford University Press 1989 Classification of American Indian Languages a Reply to Campbell Language 65 Wieder abgedruckt in Greenberg 2005 2000 Indo European and Its Closest Relatives The Eurasiatic Language Family Volume I Grammar Stanford University Press 2002 Indo European and Its Closest Relatives The Eurasiatic Language Family Volume II Lexicon Stanford University Press 2005 Genetic Linguistics Essays on Theory and Method Edited by William Croft Oxford University Press Uber Greenbergs Methode Bearbeiten Lyle Campbell Historical Linguistics An Introduction MIT Press Cambridge Ma 2004 Lyle Campbell American Indian Languages Oxford University Press 1997 Merritt Ruhlen A Guide to the World s Languages Arnold London 1987 Merritt Ruhlen On the Origin of Languages Studies in Linguistic Taxonomy Stanford University Press 1994 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lexikalischer Massenvergleich amp oldid 193059043