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Als Kleisthenische Reformen werden die 508 507 v Chr von Kleisthenes von Athen im politischen System der attischen Polis durchgesetzten grundlegenden Reformen bezeichnet die in der historischen Forschung als wichtige Voraussetzung fur die sich nachfolgend entwickelnde attische Demokratie angesehen werden Nach der Peisistratiden Tyrannis an deren Sturz er als Exilierter mitgewirkt hatte knupfte Kleisthenes an das Solonische Reformwerk an indem er durch eine fundamentale Neuordnung des Burgerverbands in Attika die Mitwirkung aller Vollburger im Geiste der Isonomie an politischen Entscheidungsprozessen anregte und forderte Die ihm von Herodot deshalb attestierte Funktion des Demokratie Begrunders geht der neueren historischen Forschung allerdings zu weit Die Grundlagen fur die attische Demokratie wurden erst im 5 Jahrhundert v Chr gelegt als Folge der Selbstbehauptung Athens in den Perserkriegen und des danach entstandenen attischen Seebunds der auch den Theten als Ruderern eine militarisch politische Bedeutung verschaffte und ihre gleichberechtigte politische Teilhabe zur Folge hatte Die Kleisthenische Isonomie hob die vom Vorrang adliger Geschlechter gepragte Sozialstruktur nicht auf sorgte aber mit einer neuen Phylenordnung fur die politische Durchmischung der unterschiedlichen Herkunfte in der Polisgemeinschaft Vormachtstreben und Rangordnungskampfe der diversen Adelsgeschlechter sollten so kunftig ebenso vermieden werden wie die Wiederkehr einer Tyrannis der man auch mit der Einfuhrung des Scherbengerichts vorzubeugen suchte Inhaltsverzeichnis 1 Entstehungsbedingungen und Motive 2 Demen und Phylenreform 2 1 Hauptmerkmale 2 2 Aufteilung der kleisthenischen Phylen 2 3 Rat der 500 3 Folgeregelungen in politischer und militarischer Hinsicht 4 Historische Einordnung 4 1 Bedeutender Staatsmann in sparlichem Quellenlicht 4 2 Leitprinzip Eunomie 4 3 Tor zur Demokratie 5 Literatur 6 AnmerkungenEntstehungsbedingungen und Motive BearbeitenSowohl im Zeitverlauf als auch den inhaltlichen Schwerpunkten nach standen die Kleisthenischen Reformen im Zeichen der Aufarbeitung und Folgenbewaltigung der durch den Sturz der Peisistratiden Tyrannis entstandenen Situation im attischen Polisverband Zu den neuordnungsbedurftigen Folgeproblemen gehorten nicht allein die reaktivierten Machtrivalitaten grosser attischer Geschlechterverbande bzw Adelshauser sondern auch die Reorganisation des Militars und eine Neuregelung der Zugehorigkeiten zur Polis als Vollburger In letzterer Hinsicht hatten die Peisistratiden im eigenen Herrschaftsinteresse Ausschlusse und Eingliederungen vorgenommen die nun einer Revision unterzogen wurden Zudem wurde in Bezug auf attische Burger ein ausdruckliches Verbot der Folter beschlossen Ein Grund fur die Verfeindung der Reformanhanger um Kleisthenes einerseits und der Unterstutzer des 509 508 v Chr amtierenden Archons Isagoras andererseits konnte in den Auseinandersetzungen um Fragen des Burgerrechts liegen 1 Bereits vor der Eskalation dieses Konflikts der mit Hilfe Spartas zwischenzeitlich zu einer erneuten Vertreibung des Kleisthenes und seiner Anhanger aus Athen fuhrte konnten dessen Reformplane vorgelegen haben und diskutiert worden sein Vor allem die Wehrordnung bedurfte dringend der Neuordnung da die Tyrannen fur eine weitgehende Entwaffnung der Burgerschaft gesorgt hatten Demnach galt es nun die Voraussetzungen fur die Aufstellung einer schlagkraftigen Hoplitenphalanx zu schaffen deren Bewaffnung wie ublich im Wege der Selbstausrustung zu leisten war Von heute auf morgen liess sich das jedoch nicht bewerkstelligen 2 Insbesondere kam es bei einer Neuordnung des Gemeinwesens nach dem Ende der Tyrannis aber auch auf die Erlangung innerer Stabilitat fur die athenische Burgerschaft an die ansonsten weiterhin von den Machtambitionen der bedeutenden Adelsfamilien bedroht blieb Die Solonischen Gesetze und Institutionen waren wahrend der Tyrannis Ara zwar erhalten geblieben und galten weiterhin daneben bestanden aber ebenso die gesellschaftlichen Organisationsformen fort die bestimmten Adelshauptern als Grundlage besonderer Machtentfaltung dienten 3 Nur die adligen Geschlechter besassen eigene Kulte und ubten damit Einfluss uber das Volk aus das so hier oder dort zur religiosen Klientel zahlte Die Sozialverbande der Phratrien und Phylen bildeten aber nicht nur Kultgemeinschaften sondern stellten auch gemeinsame Heeresaufgebote 4 Kleisthenes war mit seinem Reformansatz bestrebt diese Abhangigkeitsverhaltnisse und Machtballungsverbande zugunsten eines Machtausgleichs innerhalb eines neuen Institutionengefuges zu schwachen bzw zu ersetzen Dazu konnten ihn auch die eigenen Erfahrungen im politischen Betrieb Athens bewogen haben Denn trotz seiner Verdienste um die Beseitigung der Tyrannis war er Isagoras und dessen Unterstutzern zunachst unterlegen und neuerlich im Exil gelandet fur einen Alkmeoniden kein ungewohnliches Schicksal 5 Demen und Phylenreform BearbeitenKernstuck des Kleisthenischen Reformwerks war die Demen und Phylenreform die einerseits kleinteilig und komplex aber zugleich ganzheitlich schlussig angelegt war Die Gliederung des Polisverbands in 139 Demen 6 zu 30 Trittyen und 10 Phylen ergab eine fundamental veranderte neue Partizipationsstruktur in Attika mit Auswirkungen auf politischer militarischer und sozialer Ebene Hauptmerkmale Bearbeiten Als strukturelle und ideelle Basis der Kleisthenischen Reformen ist die Reorganisation der Demen als politische Einheiten auf ortlich dezentraler Ebene anzusehen Ohne einen solchen Bezug zu den lokalen Basiskonstellationen ware das Engagement des Volkes fur den Reformentwurf des Kleisthenes wie es sich 508 v Chr im Widerstand gegen Isagoras und sein spartanisches Hilfskorps zeigte kaum erklarbar 7 Folglich durfte zunachst die Konstituierung der Demen mit Einschreibung der Burger in die Demenregister stattgefunden haben was ohne territoriale Abgrenzungen und Vermessungen geschehen konnte weil es sich dabei nicht um gebietsformig definierte Verwaltungseinheiten handelte sondern um je ortliche Personenverbande 8 In den Demen wurden alle uber 18 jahrigen Burger fortan registriert und bildeten mittels der dort gefuhrten Burgerliste den jeweils kleinsten attischen Burgerverband Wahrscheinlich war mit dieser Formalisierung des Erfassungsverfahrens auch eine Starkung des Burgerbewusstseins verbunden und eine starkere Abgrenzung nach aussen Die bis dahin relativ leichte Integration von Zuzuglern konnte erschwert und fur fest ansassige Nichtburger Metoken ein eigener Rechtsstatus eingefuhrt worden sein Die von Adligen dominierten Phratrien ubten nun nicht mehr die Kontrolle uber den Burgerstatus aus 9 Durch die Konstituierung der Demen als Selbstverwaltungseinheiten werden die alten gentilizisch lokalen Abhangigkeitsverhaltnisse zerstort 10 Der ganzheitliche Ansatz des Kleisthenischen Reformkonzepts erschliesst sich mit Blick auf die Phylenreform der eine Aufteilung Attikas in drei Grossregionen zugrunde lag Asty der Stadtkern Athens samt einem Umkreis von etwa zehn Kilometern inklusive Kustenanteil Mesogeia das Binnenland mit nordlicher Grenze zu Bootien Paralia die kustennahen Regionen ohne das zu Asty gehorige Gebiet Diese Grossregionen wurden wiederum in jeweils zehn Teile oder Einheiten untergliedert aus denen sich insgesamt 30 Trittyes ergaben Indem Kleisthenes anstelle der bis dahin bestehenden vier nun zehn Phylen einrichtete kamen auf jede der neuen Phylen je drei Trittyes Wichtigstes Strukturmerkmal der neuen Ordnung aber war dass jeder Phyle aus jeder der drei Grossregionen je eine Trittys zugeordnet wurde 11 Die Aufteilung der Demen auf die Trittyes und Phylen durfte wiederum mit Rucksicht darauf erfolgt sein dass sich die Anzahl der wehrfahigen Hopliten annahernd gleichmassig verteilte 12 Die regionale Mischung der attischen Burger in den neuen Phylenverbanden durchkreuzte die alten Abhangigkeitsverhaltnisse Den Adligen blieb zwar ihr Sozialprestige ihre wirtschaftliche Macht ihr Vorsprung in der politischen und militarischen Ausbildung und in der Bildung uberhaupt ihre Tradition sie blieben deshalb auch weiterhin selbstverstandlich die Herrschenden in dem Sinn dass bei ihnen allein alle Voraussetzungen politischen Handelns lagen dass sie allein alle militarischen und politischen Fuhrungsamter bekleideten Die Adligen verloren aber ihre festen Gefolgschaften d h jeder Adlige musste sich in Zukunft die Unterstutzung fur seine politischen Ziele je und je erwerben 13 Aufteilung der kleisthenischen Phylen Bearbeiten nbsp Tafel in der Ausgrabungsstatte der Athener Agora Sie zeigt die Rekonstruktion des Monuments der Eponymen Heroen Das Monument stellt die zehn namensgebenden Helden der Phylen dar Die exakte Anzahl an Demen ist nicht bekannt Ebenso kennt man nicht alle Namen der Trittyes vermutete Namen sind mit einem vermutete Zuordnungen mit gekennzeichnet 14 Phyle Name Trittys Demen AnzahlVolksvertreter1 Phyle Erechtheis Euonymeis Stadt Ober Agryle 3Unter Agryle 2Euonymon 10Kephisia Binnenland Kephisia 6Ober Pergase 2Unter Pergase 2Phegous 1Themakos 1Lamptrai Kuste Anagyrus 6Ober Lamptrai 5Unter Lamptrai 9Pambotadai 1 2Sybridai 1 2unbekannte Zuordnung Kedoi 22 Phyle Aigeis Kollytos Stadt Ober Ankyle 1Unter Ankyle 1Bate 1 2 Erikeia 1Hestiaia 1Kollytos 3Kolonos 2Myrrhinutta 1Otryne 1Plotheia 1Epakria Binnenland Gargettos 4Erchia 7 6 Ikarion 5Ionidai 2Kydantidai 1 2 Philaidai 3Araphen Kuste Halai Araphenides 5Araphen 2Diomeia 1Phegaia 3 4 Teithras 43 Phyle Pandionis Kydathenaion Stadt Kydathenaion 11 12 Paiania Binnenland Konthyle 1Oa 4Ober Paiania 1Unter Paiania 11Myrrhinus Kuste Angele 2 3 Kytheros 2Myrrhinus 6 8 Prasiai 3Probalinthos 5Steiria 34 Phyle Leontis Skambonidai Stadt Cholleidai 2Halimus 3Leukonoe Ober Potamos 2Unter Potamos 1Skambonidai 3 4 Hekale Binnenland Aithalidai 2Eupyridai 2Hekale 1Hybadai 2 1 Kolonai 2Kropidai 1Oion Kerameikon 1Paionidai 3Pelekes 2Phrearrhioi Kuste Deiradiotai 1Potamos Deiradiotai 2Phrearrhioi 9 10 Sounion 4 6 unbekannte Zuordnung Kettos 5 Phyle Akamantis Cholargos Stadt Cholargos 4 6 Eiresidai 1 2 Eitea 2Hermos 2Iphistiadai 1Kerameis 6Sphettos Binnenland Hagnus 5Kikynna 2 3 Prospalta 5Sphettos 5 7 Thorikos Kuste Kephale 9 12 Poros Thorikos 5 6 6 Phyle Oineis Lakiadai Stadt Boutadai 1Epikephisia 1 2 Hippotomadai 1Lakiadai 2 3 Lousia 1Perithoidai 3Ptelea 1Pedieis Binnenland Acharnai 22Tyrmeidai 1 2 Thria Kuste Kothokidai 2Oe 6 7 Phyle 2Thria 7 8 7 Phyle Kekropis Melite Stadt Daidalidai 1Melite 7Xypete 7Athmonon Binnenland Athmonon 5 6 Phlya 5 6 Pithos 3 4 bzw 5 Sypalettos 2Trinemeia 2Aixone Kuste Aixone 8Halai Aixonides 6 10 unbekannte Zuordnung Epieikidai 8 Phyle Hippoth e ontis Peiraeus Stadt Eroiadai 1Keiriadai 2Koile 3Korydallos 1Peiraieus 8Thymaitadai 2Dekeleia Binnenland Dekeleia 4Oion Dekeleikon 3Eleusis Kuste Acherdous 1Auridai 1Azenia 2Elaious 2Eleusis 11 Hamaxanteia 1Kopros 2Oinoe im Westen 4unbekannte Zuordnung Anakaia 39 Phyle Aiantis Phaleron Stadt Phaleron 9 13 Aphidna Binnenland Aphidna 16Tetrapolis Kuste Marathon 10 Oinoe im Osten 4Rhamnous 8 12 Trikory n thos 3 6 10 Phyle Antiochis Alopeke Stadt Alopeke 10 12 Eitea 2Eroiadai 1 2 Kolonai 2Krioa 1 2 Semachidai 1Pallene Binnenland Pallene 6Anaphlystos Kuste Aigilia 6Amphitrope 2Anaphlystos 10Atene 3Besa 2Thorai 4Rat der 500 Bearbeiten Das institutionelle Zentrum des Kleisthenischen Reformwerks war der neugeschaffene Rat der 500 dessen Zusammensetzung und Funktion in engem Zusammenhang stand mit der fundamental geanderten Phylenordnung Die neuere Forschung steht mehrheitlich dafur dass es sich bei diesem Rat der 500 um eine der neuen politischen Grundordnung angepasste Weiterentwicklung des Solonischen Rates der 400 handelte Jede der nunmehr 10 Phylen delegierte 50 Mitglieder in den Rat der 500 15 Theoretisch war der Zugang unabhangig von der Einkommensklasse also auch die Theten durften in den Rat einziehen Da es jedoch in den Demen eine Vorauswahl der Kandidaten durch den Demarchen eine Art Burgermeister gab unter denen dann das Los entschied waren die Theten im Nachteil denn dieser orientierte sich doch an der Schichtzugehorigkeit 16 Damit war nun eine moglichst gleichmassige Reprasentation der einzelnen Regionen Attikas verbunden und die Starkung der Einheit von stadtischer und landlicher Bevolkerung systematisch vorangetrieben Denn die regelmassige Benennung und Entsendung von Ratsmitgliedern banden die verschiedenen Regionen Attikas starker an das politische Geschehen in Athens Mitte So wurde letztlich auch den Burgern fernab vom Zentrum deutlich dass die Einheit und Gemeinschaft des Gesamtverbandes der Polis eine hohere Ebene und Gemeinschaft darstellte als die lokalen oder regionalen Bereiche und dass jeder Burger Teil einer Gesamtheit war die in der Ekklesia letzte Entscheidungen zu treffen hatte 17 Die Vertretungsdichte der Vollburger im Rat der 500 war vergleichsweise hoch Auf 60 Politen kam ein Ratsherr Dies bewirkte eine intensive Ruckkopplung zwischen den Randgebieten Attikas und dem Athener politischen Zentrum Auch die Anliegen der Abwesenden kamen auf diese Weise zur Sprache 18 Folgeregelungen in politischer und militarischer Hinsicht BearbeitenDie Kleisthenische Phylenreform brachte neben den unmittelbaren Auswirkungen auf die politischen Strukturen in Attika auch Anschlussfolgen mit sich die ihre Bedeutung unterstrichen und sie zu festigen geeignet waren Im Zeitraum 503 501 v Chr ist die Einfuhrung des Buleuteneids anzusetzen der von Mitgliedern des Rates der 500 im Hinblick auf die Ausubung ihrer Funktion zu leisten war Sie durften sich damit verpflichtet haben ihre Tatigkeit rechtmassig und in Ubereinstimmung mit der Polisordnung zum Wohle der Athener auszuuben 19 Ebenfalls in diese Zeit fallt als wichtige Neuerung in der Organisation des attischen Militars die Schaffung des Strategenamts Der Zusammenhang mit der Kleisthenischen Phylenordnung ist dabei sehr deutlich denn diese militarische Fuhrungsfunktion wurde an zehn gewahlte Amtsinhaber zugleich vergeben an je einen Vertreter aus den 10 neu gebildeten Phylen Durch die Wahl in der Volksversammlung sollte aber garantiert werden dass jeder Stratege auch das Vertrauen des gesamten Demos besass Deshalb konnte jeder Strategos gegebenenfalls nicht nur das Regiment Taxis seiner Phyle sondern auch eine aus den Aufgeboten mehrerer Phylen bestehende Streitmacht befehligen 20 Auch das Scherbengericht Ostrakismos das erst in den 80er Jahren des 5 Jahrhunderts v Chr durch archaologische Funde bezeugt ist spiegelte den Geist der Kleisthenischen Reformen Vorbeugung einer Tyrannis und adliger Machtrivalitaten in Form der Stasis Denn die Ostrakisierung eines potentiellen Machtusurpators durch die Mehrheit der abstimmenden Vollburger wirkte individuellen Herrschaftsambitionen entgegen ohne doch die gegebenenfalls Betroffenen dauerhaft zu entrechten oder zu enteignen nichts also was soziale Rangordnung oder Eigentumsverhaltnisse beruhrte 21 Unabhangig davon ob die Einfuhrung des Ostrakismos tatsachlich auf Kleisthenes zuruckgeht wird in der Anwendung des Scherbengerichts zweierlei deutlich Die Adligen hatten und nahmen anscheinend weiterhin grossen Einfluss auf das politische Geschehen in Athen Ihre Auseinandersetzungen kamen im Falle der Eskalation nun aber vor die Volksversammlung 22 Historische Einordnung BearbeitenDas Reformwerk des Kleisthenes lasst sich anhand der Uberlieferung relativ deutlich konturieren uber den Urheber selbst ist aber nicht viel bekannt Einig scheint die neuere Forschung darin dass der Kleisthenische Reformansatz auf der gegen die Tyrannenherrschaft gerichteten Leitforderung nach Isonomie beruhte und chancengleiche politische Mitwirkungsrechte unter den die Sozialstruktur Athens nach wie vor pragenden Adelshausern gewahrleisten sollte Betont wird auch dass dies noch keinen Ubergang zur Demokratie bedeutete den Weg dahin aber ermoglichte Bedeutender Staatsmann in sparlichem Quellenlicht Bearbeiten Was Herodot im 5 und die Athenaion Politeia im 4 Jahrhundert v Chr zu den Kleisthenischen Reformen ausfuhrten lasst eine Rekonstruktion der Grundzuge zu Angaben zur Person und Lebensgeschichte von Kleisthenes selbst sind anders als bei Solon zum Beispiel hochst sparlich und enthalten kaum mehr als die Erwahnung seines Archontats 525 524 v Chr seiner Exilaktivitaten zum Sturz der Peisistratiden Tyrannis und seiner Auseinandersetzung mit Isagoras um die politische Fuhrung in Athen Gleichwohl stand er diesen Quellenzeugnissen gemass als wegweisender politischer Reformer in hohem Ansehen bei Herodot sogar als derjenige der in Athen die Demokratie eingerichtet hatte 23 Die neuere Forschung betont gleichfalls die bedeutende Rolle die Kleisthenes in der politischen Entwicklung Athens gespielt hat Konrad Kinzl urteilt Kleisthenes reprasentiert nicht den turmhoch uber allen stehenden staatsmannischen Giganten der von der Vision eines demokratisch regierten Athen besessen diese unerschrocken in die Tat umsetzt ohne Rucksicht auf die politischen Gegebenheiten Vielmehr ist er symbolisch fur den praktischen Alltagspolitiker dem es daher gelang vor dem Hintergrund der Erfahrungen und Fehler der Vergangenheit sowie den vordringlichen Erfordernissen der Gegenwart einfach Konsens in der Politik zu suchen und zu finden doch vollig Aristokrat in aristokratischer Landschaft 24 Kurt Raaflaub dehnt seine Einschatzung des Ostrakismos den er als geniale Idee ansieht auf das gesamte Reformprogramm des Kleisthenes aus Es war komplex und rational ohne doch die gewachsenen Einheiten zu verletzen in die sich Burgerschaft und Territorium der Polis naturlich gliederten Es berucksichtigte die Bedurfnisse des Adels und des Volkes der Dorfer Regionen und Gesamtpolis Als politischer Theoretiker und zugleich Pragmatiker von hochstem Kaliber stellt sich Kleisthenes wurdig neben Solon und Perikles 25 Leitprinzip Eunomie Bearbeiten Erfinder einer nahezu perfekten Form der Isonomie ist Kleisthenes fur Raaflaub 26 Um die Mitte des 6 Jahrhunderts v Chr sei der Begriff in Athen aufgekommen in anderen Poleis womoglich noch fruher und zwar im Zusammenhang mit der adligen Opposition gegen die Tyrannis die ihrerseits bereits die sozialen und wirtschaftlichen Voraussetzungen fur die Gleichberechtigung breiterer Schichten und fur die Integration der Polis verbessert habe Die intellektuellen Voraussetzungen fur die Verwirklichung isonomer Polisordnungen schliesslich wurden in einem langen Prozess geschaffen der auf vielen den Griechen weitgehend gemeinsamen Faktoren beruhte und von zahlreichen Personlichkeiten in verschiedenen Teilen Griechenlands getragen wurde 27 Ebenso wenig war eine neue Einteilung und Organisation der Burgerschaft aufgrund einer territorialen Neugliederung nur in Attika anzutreffen Auch andere Poleis wurden einer derartigen Reorganisation unterzogen nicht zuletzt zwecks Rekrutierung einer zahlenmassig starken Hoplitenstreitmacht 28 Fur Athen selbst bildeten die aufgrund der Kleisthenischen Reformen zustande gekommenen Neuerungen in der militarischen Organisation so Karl Wilhelm Welwei eine wichtige Voraussetzung fur den Erfolg des athenischen Hoplitenaufgebots bei Marathon 29 Die mit der Phylenreform verbundene Durchmischung der Burgerschaft wurde bereits in der Antike als Reformziel des Kleisthenes erkannt Speziell der neu geschaffene Rat der 500 ist fur Raaflaub der Ort des Interessenausgleichs in der topographisch stark gegliederten und wirtschaftlich differenzierten attischen Polis Indem in jede Phyle Burger aus verschiedenen Teilen Attikas eingeteilt wurden lernten diese einander und ihre verschiedenen Situationen und Bedurfnisse kennen Es entstanden Vertrautheit und Solidaritat Von den Phylenanlassen Rat und Heer aus ubertrugen diese sich auch auf andere Organe der Gesamtpolis die Versammlung und die Heliaia Volksgericht Die Burgerschaft Attikas wuchs so zusammen Es entstand trotz ihres grossen Territoriums eine integrierte Polis 30 Kinzl sieht durch die Kleisthenischen Reformen auch das Prinzip der Rechtssicherheit und des gleichen Rechts fur alle gestarkt Das Werk des Kleisthenes und seiner Mitstreiter Mitlaufer und Nachfolger erwies sich als ein voller Erfolg sofern Erfolg in der Politik uberhaupt moglich ist Stasis als legitimes Mittel die politische Macht zu erringen war ebenso erfolgreich ausgeschaltet worden wie Tyrannis als eine Regierungsform 31 Tor zur Demokratie Bearbeiten Die neuere althistorische Forschung lehnt es laut Raaflaub weit uberwiegend ab die Kleisthenische Neuordnung als Demokratie anzusehen Konzept und Begriff der Demokratie hatten seinerzeit noch jenseits des Vorstellbaren gelegen Erst etwa im letzten Drittel des 5 Jahrhunderts v Chr ist der Begriff demokratia uberhaupt bezeugt 32 Wohl aber stelle die Kleisthenische Ordnung eine entscheidende Vorstufe und Grundlage dar auf der sich schliesslich die Demokratie herauszubilden vermochte 33 Dazu bedurfte es aber der ausserordentlichen Bedingungen nach den Perserkriegen und der Vormachtstellung Athens im attischen Seebund Den vorbereitenden Beitrag des Kleisthenes zur spateren attischen Demokratie umreisst Raaflaub so Er hat ein System eingefuhrt das die Integration aller Burger und Interessen moglich machte und damit die Polis nach einer Zeit der Krise der Konflikte und der Tyrannis stabilisierte Seine Ordnung schuf die Voraussetzungen dafur dass die Burger in ihre politische Verantwortung hineinwuchsen dass ein neuer und hochwertiger Burgerbegriff entstand und dass die Athener in gegenseitiger Vertrautheit und Solidaritat auch nach aussen geschlossen auftreten und damit zur politisch und kulturell fuhrenden Macht Griechenlands werden konnten 34 Literatur BearbeitenKonrad H Kinzl Hrsg Demokratia Der Weg zur Demokratie bei den Griechen Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1995 Karl Wilhelm Welwei Athen Von den Anfangen bis zum Hellenismus Einbandige Sonderausgabe zweite bibliographisch aktualisierte und mit einem neuen Vorwort versehene Auflage der Bande 1 Athen Vom neolithischen Siedlungsplatz zur archaischen Grosspolis 1992 und 2 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 Primus Darmstadt 2011 ISBN 978 3 89678 731 6 Anmerkungen Bearbeiten Konrad H Kinzl Zwischen Tyrannis und Demokratie 1977 in ders Hrsg 1995 S 214 217 Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 7 Bei Jochen Martin heisst es Die politischen Kampfe fanden neben den politischen Institutionen statt anders ausgedruckt Die Staatlichkeit Athens blieb trotz der solonischen Reformen prekar Von Kleisthenes zu Ephialtes Zur Entstehung der athenischen Demokratie 1974 in Kinzl Hrsg 1995 S 170 Jochen Martin Von Kleisthenes zu Ephialtes Zur Entstehung der athenischen Demokratie 1974 in Kinzl Hrsg 1995 S 164 f Das Geschlecht der Alkmeoniden hatte sich obwohl es eines der hervorragendsten Geschlechter Athens war in allen Auseinandersetzungen des 6 Jh nie allein mit seinem Anhang durchsetzen konnen Megakles unterlag gegen Peisistratos die Niederlage des Kleisthenes fugt sich ganz in diese Linie ein Jochen Martin Von Kleisthenes zu Ephialtes Zur Entstehung der athenischen Demokratie 1974 in Kinzl Hrsg 1995 S 170 f Die Anzahl entspricht einem spateren Erfassungszeitpunkt sie durfte anlasslich der kleisthenischen Reformen etwas kleiner gewesen sein Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 11 f Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 21 f Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 9 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 22 f Jochen Martin Von Kleisthenes zu Ephialtes Zur Entstehung der athenischen Demokratie 1974 in Kinzl Hrsg 1995 S 178 In der Athenaion politeia heisst es zwar die Trittyen seien durch Los den einzelnen Phylen zugeteilt worden Die neuere Forschung bezweifelt diese Aussage aber ebenso wie die Annahme Kleisthenes habe die Trittyen nach Massgabe eigener familiarer Interessen konzipiert da dies dem Gesamtkonzept der Kleisthenischen Phylenreform zuwiderliefe Vgl Robin Osborne Greece in the making 1200 479 BC 2nd Edition London New York 2009 S 284 f Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 11 Jochen Martin Von Kleisthenes zu Ephialtes Zur Entstehung der athenischen Demokratie 1974 in Kinzl Hrsg 1995 S 178 Namen und Zuordnungen nach John S Traill Demos and Trittys Epigraphical and Topographical Studies in the Organization of Attica Athenians Toronto 1986 abgeglichen mit den Beitragen in Der Neue Pauly Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 19 Elsa Stocker Die attische Demokratie Die erste Demokratie der Welt In geschichte lernen net 27 November 2015 abgerufen am 20 November 2022 deutsch Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 19 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 24 Raaflaub weist darauf hin dass die kleisthenische Zeit betreffend hinsichtlich des Rates der 500 fur die althistorischen Forschung vieles noch ungeklart ist so beispielsweise ob der spater berichtete Bestallungsmodus der Bouleuten ihre Kompetenzen und die Begrenzung ihrer Amtszeit bereits in diesen Anfangen galten ebenda S 19 f Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 21 f Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 22 Konrad H Kinzl Zwischen Tyrannis und Demokratie 1977 in ders Hrsg 1995 S 227 f Jochen Martin Von Kleisthenes zu Ephialtes Zur Entstehung der athenischen Demokratie 1974 in Kinzl Hrsg 1995 S 190 Bei Welwei heisst es in diesem Zusammenhang Da er Kleisthenes zweifellos zu verhindern suchte dass einflussreiche Reprasentanten der Oberschicht Vorbereitungen zur Errichtung einer personlichen Machtstellung treffen konnten konnte er aber selbst den Ostrakismos initiiert haben Letzte Sicherheit ist hier allerdings nicht zu gewinnen Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 21 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 2 Konrad H Kinzl Zwischen Tyrannis und Demokratie 1977 in ders Hrsg 1995 S 218 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 29 f Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 52 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 32 f Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 31 Karl Wilhelm Welwei 2011 Das klassische Athen Demokratie und Machtpolitik im 5 und 4 Jahrhundert 1999 S 15 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 25 27 Konrad H Kinzl Zwischen Tyrannis und Demokratie 1977 in ders Hrsg 1995 S 234 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 30 f und 46 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 31 Kurt Raaflaub Einleitung und Bilanz Kleisthenes Ephialtes und die Begrundung der Demokratie 1992 in Kinzl Hrsg 1995 S 52 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kleisthenische Reformen amp oldid 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