Als Katzenmusik wird ungewöhnliche Musik oder Lärmmusik verstanden, die meist aus einem Durcheinanderklingen verschiedener Töne und Geräusche besteht. Das Wort leitet sich von dem lauten, eindringlichen und unmelodischen Geschrei rolliger Katzen her. Lautmalerisch wird solche Musik mit Charivari (oder: Chalivali, Schaalwari, Scharewari) benannt.
Zu den bevorzugten Lärminstrumenten einer Katzenmusik im Brauchtum oder bei politischen Kundgebungen zählen Trommeln, Pfeifen, Tierhörner, Glocken, Schellen, Ratschen, Peitschen, Dreschflegel, Blecheimer oder Topfdeckel. Damit lassen sich im Protest ohrenbetäubender Lärm und Störungen erzeugen.
Der Begriff wird allgemeiner pejorativ verwendet, um ein Missfallen des Rezipienten an einem Musikstück oder einer Musikstilrichtung auszudrücken.
Geschichte und Herkunft Bearbeiten
Im Brauchtum der Naturvölker genau wie in dem der älteren und jüngeren Hochkulturen kommt der Musik in der Gesellschaft eine regelnde Kraft zu. Während bestimmte Formen des Gesanges und der Instrumentalmusik sowie bestimmte Musikinstrumente und Zusammenklänge („Tonarten“) aufbauende Wirkungen auf die Entwicklung des Zusammenlebens einer Gesellschaft haben können (siehe: Konfuzius, Platon, al-Farabi, Boëthius), dient Katzenmusik dazu, innerhalb einer Gemeinschaft als Missstände und Normbrüche empfundene Zustände oder Handlungen öffentlich zu machen und anzuprangern. Eine der wichtigsten Aufgaben bestand in einer rügegerichtlichen Funktion, die – ohne rechtliche Grundlage – das Recht ergänzte. Der Vollzug war, soweit er im Zusammenhang mit Fastnacht und Karneval stand, oft mit Komik verbunden. Er hatte für die Gerügten aber zuweilen nachhaltige Folgen. Ausgeführt wurde eine solche Katzenmusik durch öffentliches Belärmen der zu maßregelnden Person in Form von Lärmaufzügen und Spottgesängen. Zusätzlich konnte es noch zur Belagerung des Hauses, körperlicher Züchtigung, Beschmutzen der Tür, Einschlagen von Fenstern, Zerstörung von Ofen oder Dach bis zur Vertreibung und Ächtung der Betroffenen kommen. Die Redewendung „einem aufs Dach steigen“ entstammt diesem mittelalterlichen Rügebrauch.
Johannes Praetorius (alias Steffen Läusepeltzen) erzählte im Jahr 1665 in seinem Werk Ein gründlicher Bericht Vom Schnackischen Katzen-Veite von der Katzenmusicke, welche einem Saukoche zu Ehren gebracht wurde.
Brauchtum Bearbeiten
Angewandt wurden solche Maßnahmen etwa bei des Ehebruchs beschuldigten Personen, Witwen, die sich vor Ablauf des Trauerjahres wieder verheirateten, sonstigen missliebigen Personen und Personenvereinigungen (Ordensgemeinschaften) oder in späterer Zeit bei verhassten Politikern oder Organisationen.
Das aus dem Mittelalter in Frankreich stammende Charivari, das einer sich wieder verheiratenden Witwe dargebracht wurde, bestand in einem wüsten Lärmen unter Absingen obszöner Lieder. Das Ehepaar musste sich davon gewöhnlich durch die Zahlung eines Lösegelds befreien. Da dies oft bis zur Erpressung führte, verbot das Konzil von Tours (1163) unter Androhung der Exkommunikation die Aufführung von Katzenmusiken. Trotzdem hat sich dieser Brauch besonders in ländlichen Gegenden bis ins 19. Jahrhundert erhalten.
Auch in anderen Ländern war dieser Brauch bekannt, so in Spanien unter dem Namen Concerrada. In England wurde besonders die Schließung einer unpassenden Ehe, vor allem bei großer Ungleichheit des Alters, mit einer Rough music angeprangert. In Italien brachte man zänkischen Ehepaaren die Scamplana dar.
Zu den verschiedenen Erscheinungsformen im deutschsprachigen Gebiet, die im studentischen Brauchtum ebenso wie in Abwandlungen teilweise noch im (alpenländischen) Brauchtum zu finden sind, gehören Rappeln, Haberfeldtreiben, Krampusumzüge sowie manches Lärmvergnügen während des Faschings, Karnevals oder der Fastnacht. Im schweizerisch-alemannischen Raum sowie in Vorarlberg kommt der Guggenmusik eine ähnliche Rolle zu. In Villingen tragen Mitglieder des Fasnetvereins Katzenmusik inzwischen Katzenschemen wie den Katzenrolli, die an Walt Disney Charaktere erinnern. In Konstanz findet alljährlich zur Fastnachtszeit ein Umzug der Hemdglonker statt, bei dem die Schüler unter Absingen von Gassenhauern ihren Lehrern eine gemütliche Katzenmusik darbringen. Auch beim Polterabend finden sich zuweilen katzenmusikalische Anklänge.
Im Judentum gibt es zum Purimfest eine Art Katzenmusik. Während der Vorlesung des Buches Ester wird von Kindern bei der Erwähnung des Namens Haman mit einer Schnarre (jiddisch Gragger) sowie Geschrei, Getrommel und Klopfen entsprechender Radau gemacht.
Mittel für politische Kundgebungen Bearbeiten
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Katzenmusik zum Schlagwort für politische Demonstrationen. So schrieb etwa Karl August Varnhagen von Ense über den König Ernst August I. von Hannover: „Man spricht allgemein mit erbitterter Verachtung von ihm und an öffentlichen Orten hat man ohne Scheu harte Verwünschungen gegen ihn ausgestoßen: ‚Die Fenster sollte man ihm einwerfen, ein Pereat mit Katzenmusik bringen!’“
In Schwaben nutzten insbesondere rechtlose Frauen aus der Unterschicht Katzenmusik dazu, um auf Missstände und Verzweiflung aufmerksam zu machen. So protestierten sie beispielsweise am 1. Mai 1847 vor den Bäckereien in Ulm mit Katzenmusik gegen die ständige Verteuerung von Mehl und Brot. Einen Tag darauf erklang auch in Stuttgart Katzenmusik; beim sogenannten Stuttgarter Brotkrawall äußerten die Stuttgarter Wengertfrauen aus dem Bohnenviertel lautstark ihren Protest.
Besonders verbreitet waren Katzenmusiken als Teil der Kundgebungen im Revolutionsjahr 1848 in den großen Städten. In Berlin forderten „Katzen-Musikanten“: „Von den großen Errungenschaften der Revolution hat man uns Bummlern nur die kostspielige Rauchfreiheit als Brosamen zugeworfen, während die Bürger das schöne, erhabene Recht: Lärm zu machen für sich alleine in Anspruch nehmen […].“ Mit Flugblättern wurde generell oder mit Maueranschlägen speziell zur Einstellung von Katzenmusiken während der Zeit der Beratungen des Parlaments aufgefordert. Am 27. Mai 1848 wurde die Veranstaltung nächtlicher Katzenmusiken unter Androhung sechswöchiger Gefängnishaft verboten.
Zu zahlreichen Katzenmusiken kam es auch in Wien: „[…] die Wiener […] aber wollen keine italienische Oper dieses Jahr hören, […] wollen keine andere Musik als – Katzenmusiken. Sie glauben gar nicht, was wir jetzt an Katzenmusiken consummieren.“
Bezeichnung in der klassischen Musik Bearbeiten
Seit der Barockzeit ist Charivari für die Komponisten des Abendlandes ein Stilmittel zur Beschreibung von Unordnung und Schrecklichem, das meist durch auffällige Dissonanzen oder Melodieschritte gekennzeichnet ist.
Als Katzenmusik oder Charivari wurden auch Werke von Avantgarde-Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts, so auch die Jazz-Musik beschimpft.
Beispiele aus Literatur und Musik Bearbeiten
Brauchtum
Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien. Kapitel 48: Aus der Campagna von Rom (1858).
Georg Queri: Zur Geschichte des Haberfeldtreibens. In: Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern (1911).
Politik
Marie von Ebner-Eschenbach: Bozena (1875).
Joseph von Hammer-Purgstall: Erinnerungen aus meinem Leben. Das Jahr 1848 (1940).
Adolf Glaßbrenner: Komischer Volkskalender für 1849.
Johann Nestroy: Freiheit in Krähwinkel (1848).
Wilhelm Langewiesche: Wolfs Geschichten um ein Bürgerhaus. Zweites Buch: Vor Bismarcks Aufgang (1919).
August Bebel: Aus meinem Leben (Zweiter Teil; 1911).
Paul Schreckenbach: Die von Wintzingerode (1905).
Karl Kraus: Die Fackel. 1. Jg., H. 3, S. 12 (1899).
Ludwig Thoma: Andreas Vöst (1906).
Georg Weerth: Skizzen aus dem sozialen und politischen Leben der Briten (1849).
Musik
Karl Kraus: Die Fackel. 5. Jg., H. 157, S. 21 (1904).
Felix Mendelssohn Bartholdy: Reisebriefe. Rom, den 17. Januar 1831.
Johann Strauss (Sohn): Liguorianer-Seufzer, Scherzpolka op. 57.
Ludwig Tieck: Musikalische Leiden und Freuden (1823).
Jakob Wassermann: Das Gänsemännchen (1915).
Siehe auch Bearbeiten
- Katzenklavier: Das Resultat des „Spielens“ dieses Instrumentes wurde auch „Katzenmusik“ genannt.
Literatur Bearbeiten
- Henry Kahane, Renée Kahane: Charivari. In: The Jewish Quarterly Review. NS Bd. 52, No. 4, 1962, ISSN 0021-6682, S. 289–296.
- Martin Vogel: Onos Lyras. Der Esel mit der Leier (= Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik. Bd. 13–14, ZDB-ID 509106-8). 2 Bände. Verlag der Gesellschaft zur Förderung der Systematischen Musikwissenschaft, Düsseldorf 1973.
- Friedrich Geiger: „Katzenmusik“. Zur ästhetischen Erfahrung kompositorischer Innovation. In: Gert Mattenklott (Hrsg.): Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste. Epistemische, ästhetische und religiöse Formen von Erfahrung im Vergleich (= Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft. Sonderheft 4). Meiner, Hamburg 2004, ISBN 3-7873-1698-1, S. 155–175.
- Regina Hackl: Freiheit - Ausgangs- oder Ankunftspunkt : die Katzenmusik als politische und soziale Protest- und Demonstrationsform in der Wiener Revolution von 1848. Wien, Univ., Dipl.-Arb. 1987 Link bei ÖNB
- Carl Dahlhaus Hans Heinrich Eggebrecht (Hrsg.): Brockhaus Riemann Musiklexikon. Band 1: A – D (= Piper 8396 Serie Musik, Piper, Schott). 2. Auflage. Schott, Mainz 1995, ISBN 3-254-08396-2, S. 234f.
- Wolfgang Suppan: Katzenmusik. In: Oesterreichisches Musiklexikon. Online-Ausgabe, Wien 2002 ff., ISBN 3-7001-3077-5; Druckausgabe: Band 2, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2003, ISBN 3-7001-3044-9. Band 2. Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2003, ISBN 3-7001-3044-9, S. 976.
Weblinks Bearbeiten
- Katzenmusik. In: Heinrich August Pierer, Julius Löbe (Hrsg.): Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit. 4. Auflage. Band 9. Altenburg 1860, S. 389 (zeno.org).
- „Katzenmusik“ In: Karl Friedrich Wilhelm Wander (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Band 2. Leipzig 1870, Sp. 1212–1213.
- „Charivari“ In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Band 3. Leipzig 1905, S. 886.
- „Katzenmusik“ In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Band 10. Leipzig 1907, S. 761f.
- „Katzenmusik“ In: Otto Ladendorf: Historisches Schlagwörterbuch. Trübner, Strassburg/Berlin 1906.
- Mit Katzenmusik zur Revolution. Die Welt online, 23. Februar 1998, abgerufen am 24. Mai 2009 (Gesellschaft der Musikfreunde zeigt Memorabilia zu März und Vormärz).
Einzelnachweise Bearbeiten
- Wolfgang Suppan: Der musizierende Mensch. Eine Anthropologie der Musik. Schott, Mainz 1984, ISBN 3-7957-1709-4.
- Werner Röcke: Das Leben als Inszenierung. „Kulturen des Performativen“ und moderne Mediävistik.
- Johannes Praetoris (Steffen Läusepeltzen): Ein gründlicher Bericht Vom Schnackischen Katzen-Veite. Abgerufen am 1. November 2017.
- Johannes Praetorius (eigentlich: Hans Schulz auch: Petrus Hilarius, Steffen Läusepeltz, ...). Abgerufen am 7. Mai 2020.
- Tagesneuigkeiten. (…) Eine Katzenmusik. In: Deutsche Zeitung, Abendblatt, Nr. 93/1872, 5. April 1872, S. 2, unten links. (online bei ANNO).
- Walt Disney und die Villinger "Katzenmusik". In: Stadt Hoch 2. 10. Dezember 2021, abgerufen am 12. November 2022 (deutsch).
- Scholem Alejchem: Eine Hochzeit ohne Musikanten. (Erklärungen jiddischer Wörter).
- Karl August Varnhagen von Ense: Tagebücher. 1, 92; Eintrag zum 13. Mai 1838.
- ↑ Jürgen Kaiser: Warum Schwaben alles können – wenn sie wollen. Historische Streifzüge in Schwaben. Evangelische Gemeindepresse, 2005, ISBN 978-3-920207-12-4, Seite 13 bis 14.
- Petition der Berliner Katzen-Musikanten, 1848
- „Ein Hundsfott, wer von heute ab die Ruhe wieder stört!“
- An die Bürger und Einwohner Berlin’s
- Bekanntmachung des General-Majors von Aschoff und des Polizei-Präsidenten von Minutoli
- Aus Wien. […] Katzenmusiken und Ministerreden. In: Die Grenzboten. Zeitschrift für Politik, Literatur und Kunst. Jahrgang 1848 (VII. Jahrgang), I. Semester, II. Band 2. Deutscher Verlag, Berlin 1848, S. 77. – Online.
- Ferdinand Gregorovius: Wanderjahre in Italien im Projekt Gutenberg-DE
- Georg Queri: Bauernerotik und Bauernfehme in Oberbayern im Projekt Gutenberg-DE
- Marie von Ebner-Eschenbach: Bozena im Projekt Gutenberg-DE
- Fundstelle bei zeno.org (Abgerufen am 9. November 2012)
- Adolf Glaßbrenner: Komischer Volkskalender für 1849 im Projekt Gutenberg-DE
- Fundstelle für I/10 und Fundstelle für III/1, jeweils bei zeno.org (Abgerufen am 9. November 2012)
- Wilhelm Langewiesche: Wolfs Geschichten um ein Bürgerhaus. Zweites Buch: Vor Bismarcks Aufgang im Projekt Gutenberg-DE
- August Bebel: Aus meinem Leben (Zweiter Teil) im Projekt Gutenberg-DE
- Paul Schreckenbach: Die von Wintzingerode im Projekt Gutenberg-DE
- Fundstelle bei zeno.org (Abgerufen am 9. November 2012)
- Georg Weerth: Skizzen aus dem sozialen und politischen Leben der Briten im Projekt Gutenberg-DE
- Die Musik in Geschichte und Gegenwart
- Felix Mendelssohn Bartholdy: Reisebriefe im Projekt Gutenberg-DE
- Ludwig Tieck: Musikalische Leiden und Freuden im Projekt Gutenberg-DE
- Fundstelle bei zeno.org (Abgerufen am 9. November 2012)