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Die Interessenjurisprudenz ist eine juristische Methodenlehre der Rechtswissenschaft Sie wurde in den 1900er Jahren aus dem Ansatz heraus entwickelt dass Ziel des Rechts sein muss Interessenkonflikte friedlich zu losen Im Fortschrittlichkeitssinne versucht die Interessenjurisprudenz sicherzustellen dass rechtliche Modernisierungen einen Ausgleich der Interessenslagen erzielen Dazu werden die Interessenbewertungen des Gesetzgebers zur Rechtsfortbildung herangezogen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Inhaltliche Bedeutung 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenDie Interessenjurisprudenz wurde massgeblich von Philipp Heck und Rudolf Muller Erzbach entwickelt Sie fusst auf der Ethik Jeremy Benthams und Rudolf von Jherings 1 Im Anschluss an Jhering versteht die Interessenjurisprudenz jede gesetzliche Norm als Entscheidung des Gesetzgebers bestimmte gesellschaftliche Interessenkonflikte zu befrieden Der Richter der ein Gesetz auslegt muss sich diese Konflikte vor Augen fuhren gleichsam rekonstruieren um die Entscheidung des Gesetzgebers bei Erlass der Norm zutreffend zu erfassen Der Rechtsanwender soll nach Heck erkennen mit welcher Intention der Gesetzgeber bestimmte Interessen vorzugsweise behandelte beziehungsweise warum er fur legislatorischen Ausgleich sorgte wenn die Interessenskollisionen bestehen bleiben mussten 2 3 Der Richter muss also ermitteln welche Interessen sich in dem zu beurteilenden Fall gegenuberstehen und prufen ob und gegebenenfalls wie das Gesetz diesen Interessenkonflikt entschieden hat Da sich die Methode der Interessensjurisprudenz nach Hecks Auffassung der Lebensforschung und der Lebenswertung verschrieben hat 4 vermag der Richter auf Basis seiner erlangten Erkenntnisse Recht zutreffend zu interpretieren und gegebenenfalls rechtsschopfend tatig zu werden Die Interessensjurisprudenz wurde von Max Weber in seiner Rechtssoziologie aufgegriffen 5 6 Die Interessenjurisprudenz kann als Weiterentwicklung der jheringschen Begriffsjurisprudenz begriffen werden Nach dessen ursprunglichen Bestrebungen ein methodisch von subjektiven Einflussen befreites Recht zu etablieren das sich zudem an Savignys rechtsgeschichtlichem Bewusstsein orientierte ruckte er schliesslich davon ab Recht uber blosse Abstraktion der Begrifflichkeit zu definieren Dies mit dem Erfolg dass er in seinem unvollendet gebliebenen Werk Der Zweck im Recht 1877 83 erste rechtssoziologische Komponenten des Rechts insoweit vorwegnahm 7 Die fundamentalen Uberlegungen Hecks und die noch zaghaften Ansatze Jherings ubertrug Franz von Liszt dann auf das Strafrecht Der Zweckgedanke im Strafrecht 1882 In der Zeit ab 1900 wurde der Ansatz in der deutschen Privatrechtsdogmatik vorherrschend und auch die Rechtsprechung ubernahm die Methode 8 Inhaltliche Bedeutung BearbeitenDie Interessenjurisprudenz geht von zwei zentralen Pramissen aus erstens von der Bindung des Richters an das Gesetz zweitens von der Unzulanglichkeit und Luckenhaftigkeit gesetzlicher Normen sogenannte Luckentheorie Zur Ausfullung der erkannten Lucken des Gesetzes sind die im Gesetz niedergelegten Entscheidungen von Interessenkonflikten heranzuziehen 9 Fehlt eine einschlagige Norm die den zu beurteilenden Interessenkonflikt entscheidet ist der Richter aufgefordert rechtsschopferisch tatig zu werden Er muss seine Entscheidung danach ausrichten wie das Gesetz die gegenuberstehenden Interessen in ahnlichen Fallen gegeneinander abgewogen hat Vom Richter ist also nicht buchstabengenauer Gehorsam gegenuber dem Gesetz sondern interessengemasser Gehorsam gefordert Dieses Verfahren war als Gesetzes Rechtsanalogie zwar langst bekannt erfuhr aber uber die Ruckfuhrung auf die Interessen der Parteien eine neue methodische Begrundung Im Falle beabsichtigter Lucken im Gesetz namentlich durch richterliches Ermessen auf Rechtsfolgenseite oder unbestimmte Rechtsbegriffe auf Tatbestandsseite sollte der Richter so entscheiden wie er es in der Rolle des Gesetzgebers tun wurde Diese Aufforderung ist beispielsweise im Art 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches normiert worden 10 Im Dritten Reich wurde die Interessenjurisprudenz als zu individualistisch abgelehnt Die nationalsozialistische Rechtsphilosophie kritisierte dass die Interessenjurisprudenz die nationalen und gemeinschaftlichen Interessen mit materiellen Einzelinteressen auf eine Stufe stelle und die Einheit von Gemeinschafts und Sonderinteressen vernachlassige 11 Auf die Interessenjurisprudenz baut die sogenannte Wertungsjurisprudenz auf Dem Gesetz liegt eine Bewertung seitens des Gesetzgebers zugrunde Diese bewerteten Interessen werden Inhalt von Rechtsnormen 12 Literatur BearbeitenPhilipp Heck Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz in AcP 112 1914 S 1 ff Rudolf Wietholter Begriffs oder Interessenjurisprudenz Festschrift Gerhard Kegel 1977 S 213 263 VolltextWeblinks BearbeitenRechtshistorischer Podcast Folge 7Einzelnachweise Bearbeiten Helmut Coing Rechtsphilosophie S 136 48 f Johann Edelmann Die Entwicklung der Interessensjurisprudenz Bad Homburg 1967 Vergleiche auch Philipp Heck Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz AcP 112 1914 1 ff Vergleiche auch Philipp Heck Begriffsbildung und Interessensjurisprudenz 1932 S 17 Primat der Lebensforschung und Lebenswertung Jens Petersen Max Webers Rechtssoziologie und die juristische Methodenlehre 3 Auflage Mohr Siebeck 2020 ISBN 978 3 16 159120 4 S 4 f Heinrich Schoppmeyer Juristische Methode als Lebensaufgabe Leben Werk und Wirkungsgeschichte Philipp Hecks Dissertation 2001 S 162 Uwe Wesel Geschichte des Rechts Von den Fruhformen bis zur Gegenwart 3 uberarbeitete und erweiterte Auflage Beck Munchen 2006 ISBN 3 406 47543 4 Rn 293 Helmut Coing Europaisches Privatrecht 1800 1914 Munchen 1989 7 V S 51 53 Hans Peter Haferkamp Lebensbezuge in der Zivilrechtsdogmatik des 19 und 20 Jahrhunderts in Spomenica Valtazara Bogisica Gedachtnisschrift fur Valtazar Bogisica Band 1 Belgrad 2011 S 301 313 302 Art 1 ZGB abgerufen am 17 Juli 2018 Karl Larenz Rechts und Staatsphilosophie S 23 Helmut Coing Allgemeine Rechtsgrundsatze in der Rechtsprechung des Reichsgerichts zum Begriff der guten Sitten In NJW I 1947 48 S 213 217 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Interessenjurisprudenz amp oldid 224180567