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Eine Gesetzeslucke oder Rechtslucke im Strafrecht auch Strafbarkeitslucke im Steuerrecht Steuerschlupfloch ist ein Begriff aus der rechtspolitischen Diskussion ein politisches Schlagwort und ein Begriff der juristischen Methodenlehre der eine Konstellation beschreibt in welcher der Gesetzgeber einen Fall nicht geregelt hat den er erkennbar geregelt hatte wenn er die Regelungsbedurftigkeit erkannt hatte Nach Canaris ist die Lucke eine planwidrige Unvollstandigkeit innerhalb des positiven Rechts gemessen am Massstab der gesamten geltenden Rechtsordnung 1 Kein Gesetzgeber kann alle kunftigen Konfliktfalle vorhersehen Jedes Gesetz ist mit seiner abstrakten Sprache und wegen der Vielgestaltigkeit der Lebensverhaltnisse und ihres bestandigen Wandels notwendig luckenhaft Inhaltsverzeichnis 1 Begriff der Lucke 2 Arten der Lucken 3 Schliessen der Lucken 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseBegriff der Lucke BearbeitenDurch Auslegung im engeren Sinne trifft man eine Auswahl aus den verschiedenen Bedeutungen die mit dem moglichen Wortsinn vereinbar sind Die Ausfullung einer Gesetzeslucke ist hingegen eine vom Wortlaut des Gesetzes abweichende Rechtsfortbildung die von zusatzlichen Voraussetzungen abhangt Eine Gesetzeslucke zeigt sich wenn man den Regelungsbedarf dem bestehenden Gesetzesrecht gegenuberstellt 2 Eine ausfullungsbedurftige Gesetzeslucke besteht also dann wenn ein Rechtsproblem im Gesetz nicht oder nicht so geregelt ist wie man es bei richtiger Anwendung der Auslegungsgrundsatze der Methodenlehre erwarten wurde Arten der Lucken BearbeitenEs konnen folgende Arten von Lucken unterschieden werden 3 a Nach dem Massstab der grammatischen subjektiven oder objektiven Auslegung Normlucke Unvollstandigkeit oder Unklarheit einer Einzelnorm z B 463 Satz 2 BGB Regelungslucke Eine Regelung im Ganzen d h ein innerlich zusammengehorender Komplex von Einzelnormen ist unvollstandig z B Culpa in contrahendo Verschulden bei Vertragsabschluss Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Rechts oder Gebietslucke Es fehlt eine Regelung fur einen ganzen Lebensbereich der nach den Grundsatzen der subjektiven oder objektiven Auslegung zu erwarten ware Beispiel Nach Art 117 GG trat am 31 Marz 1953 das Ehe und Familienrecht das dem Art 3 Abs 2 GG widersprach ausser Kraft obwohl eine neue gesetzliche Regelung noch nicht vorhanden war Diese Lucke wurde durch richterliche Rechtsneubildung ausgefullt bis 1957 das Gleichberechtigungsgesetz erging b Nach dem Massstab der subjektiv teleologischen Auslegung Gesetzesubersteigende Rechtsfortbildung Dies ist eine Rechtsfortbildung die den Zwecken des Gesetzgebers zuwiderlauft Das Rechtsinstitut vom Wegfall der Geschaftsgrundlage wurde mangels gesetzlicher Regelung bereits durch das Reichsgericht und dann auch durch den Bundesgerichtshof entwickelt Seit dem 1 Januar 2002 besteht eine gesetzliche Regelung in 313 BGB Das Bundesverfassungsgericht hat die Kompetenz der Richter zur schopferischen Rechtsfindung bejaht selbst zu einer Rechtsfortbildung entgegen dem ausdrucklichen Gesetzeswillen contra legem siehe unten Das gilt besonders wenn sich zwischen Entstehung und Anwendung eines Gesetzes die Lebensverhaltnisse und Rechtsanschauungen so tiefgreifend geandert haben wie in diesem Jahrhundert Einem hiernach moglichen Konflikt der Norm mit den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen einer gewandelten Gesellschaft kann sich der Richter nicht mit dem Hinweis auf den unverandert gebliebenen Gesetzeswortlaut entziehen er ist zu freierer Handhabung der Rechtsnormen gezwungen wenn er nicht seine Aufgabe Recht zu sprechen verfehlen will 4 c Innerhalb der Gesetzeslucken kann unterschieden werden Offene und verdeckte Gesetzeslucken Eine Gesetzeslucke ist offen wenn das Gesetz fur eine Fallgruppe keine Regel enthalt obwohl es nach den Massstaben der subjektiven oder objektiven Auslegung eine Regel enthalten sollte z B 463 Satz 2 BGB Eine Gesetzeslucke ist verdeckt wenn die Lucke in dem Fehlen einer Ausnahme von einer Regel besteht z B 400 BGB Bewusste und unbewusste Gesetzeslucken je nachdem ob der Gesetzgeber eine Rechtsfrage bewusst offengelassen hat um sie der Rechtsprechung zur Klarung zu uberlassen oder ob der Gesetzgeber die Rechtsfrage ubersehen hat z B Verschulden bei Vertragsabschluss Schliessen der Lucken BearbeitenDie Kompetenz zur Schliessung von Gesetzeslucken liegt in erster Linie bei der Legislative selbst Vielfach fallen Gesetzeslucken jedoch erst den Gerichten auf Auch diese konnen Gesetzeslucken schliessen 5 wenn Erwagungen der Gerechtigkeit das erfordern und schwerer wiegen als Grunde der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung die dafur sprechen das formliche Gesetz zu respektieren 6 Auch die Rechtsprechung hat aber bei der Ausfullung von Gesetzeslucken dem Willen des Gesetzgebers entgegenzukommen und deshalb so zu entscheiden wie es dem mutmasslichen Willen des Gesetzgebers entspricht 7 Die richterliche Luckenausfullung hat in der Regel durch vergleichendes Denken zu geschehen das heisst so dass wesentlich Gleiches gleich wesentlich Ungleiches ungleich behandelt wird Erfasst also der Gesetzeswortlaut Falle nicht die den gesetzlich geregelten Fallen gleich zu behandeln waren so erfordert das eine erweiternde Anwendung der gesetzlichen Regelung durch Analogie also durch eine Gleichbehandlung Erfasst das Gesetz auch ungleiche Falle die es nach dem Gesetzeszweck gerechterweise nicht erfassen durfte fehlt also eine Ausnahmeregelung so ist auch diese Lucke zu schliessen 8 Das kann auch dadurch geschehen dass das Gesetz mit einer Einschrankung angewendet wird teleologische Reduktion 9 Mitunter kann durch die Rechtsprechung eine Gesetzeslucke sogar gegen den eigentlichen Gesetzeswillen contra legem geschlossen werden Zum Beispiel war entgegen dem Wortlaut des 400 BGB daher contra legem diese Moglichkeit unter Beachtung aller Vorsicht die eine solche abandernde aber zweckgetreue Einschrankung einer Verbotsnorm erfordert zu bejahen weil sonst der vom Gesetz verfolgte Zweck den Rentenberechtigten zu schutzen in sein Gegenteil verkehrt wurde 10 In Fallen in denen die Rechtssicherheit vorgeht gilt dies jedoch nicht So ist es verfassungsrechtlich unzulassig den Anwendungsbereich einer Strafnorm uber ihren eigentlichen Wortsinn zu Lasten des Taters auszudehnen Verbot strafbegrundender und strafscharfender Analogie ungenau Analogieverbot Art 103 Abs 2 GG verbietet Straftatbestande durch Analogie zu begrunden oder zu verscharfen 11 Insoweit ist jede tatbestandserweiternde Interpretation die uber den moglichen Wortsinn hinausgeht unzulassig 12 Das Bestimmtheitsgebot verpflichtet auch schon den Gesetzgeber selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestande fur den Normadressaten schon aus dem Gesetz selbst zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln und konkretisieren lassen 13 Das an den Gesetzgeber gerichtete Bestimmtheitsgebot korrespondiert nicht nur mit dem an die Rechtsprechung gerichteten Analogieverbot sondern auch mit einem Ruckwirkungsverbot Ist eine Tat zum Tatzeitpunkt nicht ausdrucklich strafbar gewesen so kann sie nicht bestraft werden Gleiches gilt wenn der Gesetzgeber durch eine enumerative Aufzahlung zu erkennen gegeben hat dass er eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf ahnliche nicht genannte Falle nicht zulasst enumeratio ergo limitatio Siehe auch BearbeitenNon liquetLiteratur BearbeitenKarl Engisch Einfuhrung in das juristische Denken 11 Auflage 2010 Kap VII Karl Larenz Claus Wilhelm Canaris Methodenlehre der Rechtswissenschaft 3 Auflage 1995 Kap 5 Reinhold Zippelius Juristische Methodenlehre 11 Auflage 2012 11 Eberhard Dorndorf Grundriss der Methodenlehre 2001 Jorg Lucke Vorlaufige Staatsakte Auslegung Rechtsfortbildung und Verfassung am Beispiel vorlaufiger Gesetze Urteile Beschlusse und Verwaltungsakte 1991 ab S 78Weblinks Bearbeiten Wiktionary Gesetzeslucke Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenEinzelnachweise Bearbeiten Claus Wilhelm Canaris Die Feststellung von Lucken im Gesetz 1983 S 198 Vgl Hans Joachim Koch Helmut Russmann Juristische Begrundungslehre 1982 S 254 Vgl Bernd Ruthers Rechtstheorie 2005 Rn 832 ff BVerfGE 34 269 288 f BVerfGE 37 67 81 Reinhold Zippelius Juristische Methodenlehre 11 Aufl 11 I c Annette Guckelberger Die Verjahrung im offentlichen Recht 2004 S 311 ISBN 3 16 148374 X Reinhold Zippelius Das Wesen des Rechts 6 Aufl 2012 Kap 8 b Karl Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 1992 S 350 379 BGHZ 4 153 und 59 115 BVerfGE 92 1 13 ff BVerfG Beschluss vom 21 November 2002 2 BvR 2202 01 BVerfGE 71 108 114 f Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 4212696 4 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gesetzeslucke amp oldid 201193980