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Hylemorphismus ist eine moderne Bezeichnung fur eine zentrale Lehre in der Philosophie des Aristoteles nach der die endlichen Substanzen aus zwei verschiedenen Prinzipien bestehen namlich dem Stoff oder der Materie griechisch ὕlh hyle und der Form griechisch morfh morphḗ Inhaltsverzeichnis 1 Begriffsgeschichte 2 Aristoteles 3 Neuplatonismus 4 Mittelalter 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 AnmerkungenBegriffsgeschichte BearbeitenDer Begriff Hylemorphismus stammt aus der modernen Neuscholastik Er ist anscheinend gegen Ende des 19 Jahrhunderts gebildet worden und hat sich im Lauf des 20 Jahrhunderts in der philosophiehistorischen Literatur durchgesetzt Daneben kommt im Deutschen nur vereinzelt auch die Schreibweise Hylomorphismus vor die wohl sprachlich an den schon im 17 Jahrhundert entstandenen Begriff Hylozoismus angelehnt ist Im Englischen ist die analoge Wortform hylomorphism verbreitet 1 Aristoteles BearbeitenAristoteles geht von der Frage aus wie Werden moglich ist Unter Werden ist in diesem Sinne sowohl Entstehung als auch Veranderung zu verstehen Die Eleaten hatten argumentiert dass ein Werden weder aus einem absoluten Sein noch aus einem absoluten Nichtsein heraus stattfinden konne Daher nimmt Aristoteles ein Mittleres zwischen Sein und Nichtsein an als Voraussetzung dafur dass sich in der Gegensatzlichkeit von Seiendem und Nichtseiendem ein Werden vollziehen kann Dieses Mittlere von dem das Werden ausgeht also das woraus etwas wird muss fur Aristoteles etwas sein was nur der Moglichkeit nach ist Dieses das Werden Ermoglichende und ihm damit Zugrundeliegende nennt er Materie Demnach muss alles was entsteht oder sich andert sei es von Natur aus oder durch menschliche Kunst Materie in sich haben Wenn zu der Materie eine bestimmte Form hinzutritt und sich mit ihr verbindet entsteht ein Ding Die Materie als dasjenige woraus etwas wird bietet dem Werdenden die Moglichkeit zu sein oder nicht zu sein So ist Erz ein Stoff aus dem eine Statue entstehen kann oder auch nicht entstehen kann Als abstrakte Prinzipien sind Form und Materie unentstanden und unverganglich real und konkret existieren sie auf der Erde nicht eigenstandig sondern nur gemeinsam in ihren unterschiedlichen entstehenden und vergehenden Zusammensetzungen welche die Dinge konstituieren Diese Zusammensetzungen sind unablassigem Wandel unterworfen Zusammengesetztheit aus Materie und Form ist fur Aristoteles gleichbedeutend mit Veranderlichkeit Den vier Arten von Veranderung die Aristoteles unterscheidet entsprechen vier Arten von Materie Die substantiale Veranderung ist das Werden und Vergehen Dabei handelt es sich nicht darum dass eine bereits bestehende Substanz neue akzidentelle Bestimmungen annimmt sondern dass eine Substanz selbst neu entsteht Dieser Veranderung entspricht eine Materie des Werdens und Vergehens ὕlh gennhtὴ kaὶ f8arth hyle gennetḗ kai phthartḗ Ebenso entspricht der quantitativen Veranderung Wachstum und Abnahme der qualitativen Veranderung und der Ortsveranderung jeweils eine zugehorige Materie Fur die Himmelskorper denen Aristoteles substantiale Unveranderlichkeit zuschreibt nimmt er zwar eine Materie der Ortsveranderung ὕlh topikh hyle topikḗ oder ὕlh katὰ topon kinhth hyle kata topon kinetḗ an um ihre lokale Bewegung zu erklaren nicht aber eine Materie des Werdens und Vergehens Mit dem substantialen Werden und Vergehen sind notwendigerweise auch die ubrigen Arten der Veranderung verbunden nicht aber umgekehrt Daher schliesst das Vorhandensein der Materie des substantialen Werdens das Vorhandensein der ubrigen Materiearten mit ein Wo alle Materiearten vorhanden sind da bestehen sie nicht der Realitat nach nebeneinander sondern sind nur dem Begriff nach voneinander geschieden Fur den Hylemorphismus ist nur die substantiale Materie die Materie im eigentlichen Sinne von Bedeutung Die Seele ist fur Aristoteles das Prinzip der Bewegung Daher sind seelische Bewegungen wie Emotionen Wahrnehmungen und Verstandestatigkeit nicht Bewegungen der Seele die als Prinzip unveranderlich ist sondern Bewegungen des beseelten Menschen Die Seele selbst ist unbewegt sie entsteht nicht und vergeht nicht Daher kommt ihr an und fur sich unabhangig vom Korper keine Materie zu sie ist reine Form und die ihr zugeordnete Materie ist diejenige des physischen Korpers Der Hylemorphismus erstreckt sich somit in der Philosophie des Aristoteles zwar auf den Menschen nicht aber auf die Seele als solche Neuplatonismus BearbeitenDer Neuplatonismus verbindet platonische Philosophie mit einer teilweise aristotelisch beeinflussten Denkweise und Terminologie Fur die antiken Neuplatoniker existiert die geistige intelligible Welt real ihr gehoren der Nous und die Weltseele an Auch die unsterblichen Seelen der Menschen und bei Plotin auch der Tiere sind hinsichtlich ihrer korperfreien Existenz ein Teil der geistigen Welt Die geistige Welt ist das Urbild der sinnlich wahrnehmbaren Ihre Existenz ist nach neuplatonischer Vorstellung von derjenigen der physischen sinnlich wahrnehmbaren Materie von Natur aus vollig unabhangig Daher wird im Neuplatonismus das Konzept einer geistigen intelligiblen Materie eingefuhrt mit dem sowohl die ontologische Eigenstandigkeit der geistigen Welt gegenuber der physischen als auch der Abbildcharakter der physischen Welt gewahrt wird In diesem System sind auch rein geistige Substanzen mit Ausnahme des absolut einfachen und einheitlichen Einen aus Materie und Form zusammengesetzt Damit ubertragen die Neuplatoniker den Hylemorphismus den Aristoteles nur fur die physische Welt angenommen hatte auf die geistige Welt und machen ihn so zu einem universellen Prinzip Daher spricht man von universellem Hylemorphismus Die geistige und die physische Materie sind im Neuplatonismus vollig wesensverschieden Sie haben nur den Namen Materie gemeinsam der auf den Umstand Bezug nimmt dass bei beiden das materielle Prinzip namlich das Unbestimmte und Masslose apeiron sich mit Formen verbindet die es begrenzen und zu etwas Bestimmtem machen Die geistige Materie ist nicht wie die physische etwas nur der Moglichkeit nach Bestehendes sondern eine an sich unbegrenzte Kraft indem zu ihr eine Begrenzung hinzutritt wird ein intelligibles Seiendes konstituiert Manche Neuplatoniker Porphyrios Iamblichos Proklos nehmen eine besondere geistige Materie der Mathematik an Der neuplatonische Materiebegriff hat das Denken des Kirchenvaters Augustinus beeinflusst der im Mittelalter eine der wichtigsten Autoritaten in Philosophie und Theologie war Dies war eine wesentliche Voraussetzung fur den mittelalterlichen Hylemorphismus Mittelalter BearbeitenIn der islamischen Welt nimmt der Philosoph Avicenna eine gemeinsame Materie aller Korper an weist also nicht wie Aristoteles den Himmelskorpern eine andersartige Materie als den irdischen Substanzen zu Averroes hingegen verteidigt die Position des Aristoteles Eine wesentliche Neuerung fuhren im Hochmittelalter die im muslimischen Spanien lebenden judischen Philosophen Isaak Israeli und Solomon ibn Gabirol Avicebron ein Sie nehmen eine universelle Materie an die sowohl in der geistigen Welt mit Ausnahme von Gott selbst als auch in der physischen vorhanden ist Diese universelle Materie manifestiert sich fur ibn Gabirol auf dreifache Weise Im rein geistigen Bereich verbindet sie sich nur mit der substantialen Form ohne Quantitat In den Himmelskorpern wird sie sowohl von der substantialen Form als auch von der Quantitat bestimmt In den irdischen Korpern kommt noch das Prinzip der Gegensatzlichkeit hinzu Form und Materie konnen nach ibn Gabirols Meinung nie getrennt voneinander existieren sondern werden nur zum Zweck der Analyse gedanklich getrennt Mit diesem Modell wurde ibn Gabirol dessen arabisch geschriebenes philosophisches Hauptwerk Lebensquelle im 12 Jahrhundert ins Lateinische ubersetzt worden war zum wichtigsten Impulsgeber fur den universellen Hylemorphismus bei lateinischsprachigen christlichen Gelehrten Scholastikern des Spatmittelalters Dieser Richtung gehorten vor allem Gelehrte aus der Franziskanerschule an Prominente Vertreter des universellen Hylemorphismus waren die Franziskaner Alexander von Hales Bonaventura und Roger Bacon sowie der Dominikaner Robert Kilwardby Gegner dieser Lehre waren sowohl die Thomisten die Anhanger des Thomas von Aquin als auch die Averroisten diese beiden Richtungen die einander ansonsten bekampften hielten in der Frage der geistigen Materie an der traditionellen Position des Aristotelismus fest Diese Gegner bekampften aber nicht den Hylemorphismus als solchen den sie vielmehr als Aristoteliker selbst vertraten sie wandten sich nur gegen dessen universelle Variante die der Seele und den Intelligenzen Engeln eine eigene geistige Materie zuspricht Zu den namhaften Gegnern des universellen Hylemorphismus gehorten u a Wilhelm von Auvergne Johannes von Rupella 1245 Albert der Grosse und Heinrich von Gent 2 Siehe auch BearbeitenHypokeimenonLiteratur BearbeitenHeinz Happ Hyle Studien zum aristotelischen Materiebegriff Walter de Gruyter Berlin New York 1971 Habil Schr Univ Tubingen Marcus Knaup Jenseits von Physikalismus und Dualismus Der Hylemorphismus als wirkliche Alternative in einem aktuellen Streit In Marcus Knaup Tobias Muller Patrick Spat Hg Post Physikalismus Freiburg Munchen 2011 S 189 215 1 Frank A Lewis Form and Matter in A Companion to Aristotle hrsg Georgios Anagnostopoulos Wiley Blackwell Oxford 2009 S 162 185 Ulrike Morschel und Rolf P Schmitz Artikel Form Materie in Lexikon des Mittelalters Band 4 Munchen und Zurich 1989 Sp 636 645 Josef Quitterer Was leistet der Seelenbegriff zur Uberwindung physikalistischer Deutungen personaler Identitat In Marcus Knaup Tobias Muller Patrick Spat Hg Post Physikalismus Freiburg Munchen 2011 S 216 233 2 Charlotte Witt Hylomorphism in Aristotle in Journal of Philosophy 84 1987 S 673 679 Jiyuan Yu Two Conceptions of Hylomorphism in Metaphysics ZH8 in Oxford Studies in Ancient Philosophy Bd 15 1997 S 119 145Weblinks Bearbeiten nbsp Wiktionary Hylemorphismus Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme UbersetzungenAnmerkungen Bearbeiten Zur Begriffsgeschichte siehe Ludger Oeing Hanhoff Hylemorphismus in Historisches Worterbuch der Philosophie Band 3 Darmstadt 1974 Sp 1236f Zu den Stellungnahmen der einzelnen Scholastiker siehe Erich Kleineidam Das Problem der hylomorphen Zusammensetzung der geistigen Substanzen im 13 Jahrhundert behandelt bis Thomas von Aquin Diss Breslau 1930 behandelt auch knapp die Entwicklung nach der Zeit des Thomas Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Hylemorphismus amp oldid 210100985