Hans Reissinger (eigentlich: Johannes Reissinger; geboren am 10. April 1890 in Bayreuth; gestorben am 23. November 1972 ebenda) war ein deutscher Architekt, der in Bayreuth, Düsseldorf und München tätig war.
Leben und Wirken Bearbeiten
Der Journalist und Stadthistoriker Bernd Mayer bezeichnete Reissinger als den wandelbarsten und vielseitigsten Bayreuther Architekten des 20. Jahrhunderts. In besonderer Weise seien dessen Werke Spiegelbilder der Geschichte.
Reissingers Eltern waren der evangelische Pfarrer Michael Reissinger und dessen Ehefrau Julie. Michael Reissinger predigte in der Bayreuther Stadtkirche. Das Paar hatte zehn Kinder; der älteste Sohn Carl war mit Richard Wagners Sohn Siegfried befreundet, Gertrud Reissinger, eine Tochter des Sohns Adolf, wurde 1941 die Ehefrau Wieland Wagners. Von da an war Hans Reissinger mit der Familie Wagner verschwägert.
Von 1908 bis 1912 absolvierte Reissinger ein Architekturstudium an der Technischen Hochschule München bei Friedrich von Thiersch, Theodor Fischer und Karl Hocheder. Von 1912 bis 1914 wirkte er als Assistent bei German Bestelmeyer in Dresden. Nach seinem Staatsexamen 1918 ließ er sich in Bayreuth nieder. Sein Erstlingswerk war 1919 die für den örtlichen Bauverein gebaute Kriegsbeschädigtensiedlung Herzoghöhe. 1922 schuf er den Westbau (Erweiterung) der evangelisch-lutherischen Filialkirche St. Bartholomäus in Glashütten. 1923 wurde das von ihm entworfene Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Bischofsgrün errichtet, ein Jahr später die Kriegsgefallenen-Gedächtnisstätte in Helmbrechts.
1922/1923 wurde der Asenturm auf dem Ochsenkopf im Fichtelgebirge von Reissinger geplant. Als 1926 unter seiner Leitung die Kirche in Lindenhardt restauriert wurde, identifizierte Karl Sitzmann die Bilder auf den Flügeln des Altars als Werke von Matthias Grünewald. Von 1927 bis 1929 war Reissinger als Stadtbaurat in Düsseldorf tätig.
Karriere im „Dritten Reich“ Bearbeiten
In der Zeit des Nationalsozialismus, des sogenannten Dritten Reichs, wurde Reissinger 1934 Mitglied der NSDAP.
Nach seiner Rückkehr nach Bayreuth wurde er im April 1934 vom nationalsozialistischen Oberbürgermeister Karl Schlumprecht mit dem Generalbebauungsplan der Stadt beauftragt und rückte in der Folge zu einer zentralen Figur der Gauhauptstadt auf. In jenem Jahr entwarf er ein Denkmal für die nationalsozialistische Bewegung in Form eines liegenden Hakenkreuzes aus Granit, aus dessen Schnittpunkt eine geballte, Schlangen zerquetschende Faust hervorragte. Zu dem 10.000 Reichsmark teueren Bauwerk äußerte Reissinger seinerzeit: „Ich gebar gerade ein Denkmal der Bewegung“. Das auf dem Bayreuther Luitpoldplatz aufgestellte, 123 cm hohe Hakenkreuz wurde von der örtlichen Bevölkerung jedoch als Pissoir zweckentfremdet und schließlich wieder entfernt.
Reissinger unterhielt ausnehmend gute Beziehungen mit Schlumprecht und dem in Bayreuth beliebten Gauleiter Hans Schemm. Daher war es ihm möglich, den von Robert Ley angeregten Bau einer NS-Schulungsburg auf dem nahen Sophienberg zu verhindern. Darüber hinaus fügte er sich aber bruchlos in die Bauästhetik der Nationalsozialisten ein. Im März 1935 inszenierte er die pompöse Trauerfeier für den tödlich verunglückten Schemm, bei der Adolf Hitler und fast die gesamte NS-Hierarchie anwesend waren. Mit Schemms Nachfolger in der Gauleitung, dem in der Stadt weniger geschätzten Fritz Wächtler, war Reissingers Verhältnis gelegentlich angespannt.
In der nationalsozialistischen Zeit gestaltete er verschiedene Bauprojekte in Bayreuth:
- 1935: Umbau des markgräflichen Reithauses zur Ludwig-Siebert-Festhalle
- 1936: Haus der Deutschen Erziehung am Luitpoldplatz
- 1937: Autobahn-Rasthaus mit 200 Betten an der Oberen Röth (Pläne genehmigt, Projekt nicht verwirklicht)
- 1938: Planung eines „Gauforums“ für Bayreuth mit einer Prachtstraße und einem Aufmarschplatz für 65 000 Menschen, umgeben von monumentalen Gebäuden, u. a. einer mehr als 10 000 Personen fassenden „Gauhalle“. Diese Planung verfolgte Hitler mit großer Anteilnahme; wiederholt, so am 21. März 1938 und am 1. August 1939, trafen sich Hitler und Reissinger diesbezüglich persönlich.
- 1944: Planung für den „Wiederaufbau“ der Stadt Kassel, u. a. mit Gauforum für 100.000 und Gauhalle für 10.000 Menschen.
Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Bearbeiten
In seiner Verteidigungsschrift für das Spruchkammerverfahren sprach sein Anwalt im Dezember 1947 von einer „praktisch unausweichlichen Zwangslage“, die Reissinger „zu einer rein nominellen Parteizugehörigkeit“ bewogen habe. Er sei „der Partei völlig fernstehend“ gewesen, „selbstverständlich sei er seiner inneren Haltung und Überzeugung immer treu geblieben“. Am 25. Februar 1948 erging gegen Reissinger seitens der Spruchkammer, die seine vorgebliche Distanz zur NSDAP für glaubwürdig hielt, ein Sühnebescheid als Mitläufer, der mit einer Geldbuße in Höhe von 1000 Reichsmark verbunden war.
Bei der Wiederaufnahme der Richard-Wagner-Festspiele im Jahr 1951 zeichnete Reissinger „fürs Dekor der Meistersinger verantwortlich und tat sich auch als Verfasser von zwei Erbauungsartikeln im Festspielbuch hervor“.
Zu seinen letzten Tätigkeiten nach dem Krieg zählen:
Bauwerke
- 1949–1962: Wiederaufbau der Villa Wahnfried
- 1954–1955: Evangelisch-lutherische Auferstehungskirche in Kulmbach
- 1960: Bau der Kreuzkirche im Stadtteil Kreuz
- 1961–1965: Umbau des ehemaligen markgräflichen Reithauses zur Stadthalle
- 1962: Bau der Auferstehungskirche im Stadtteil Saas
- 1965–1966: Evangelisch-lutherische Friedenskirche in Hemau
Literatur
- Folckert Lüken-Isberner, Große Pläne für Kassel 1919–1949, Projekte zu Stadtentwicklung und Städtebau. Schüren Verlag. Marburg 2017. ISBN 978-3-89472-297-5
Das Grab Hans Reissingers befindet sich auf dem Bayreuther Stadtfriedhof.
Einzelnachweise Bearbeiten
- ↑ Miteinander verwandt in: Bayreuther Sonntagszeitung vom 20. November 2016, S. 1f, abgerufen am 3. Dezember 2022
- ↑ Bernd Mayer: Bayreuth – Die letzten 50 Jahre. Ellwanger, Bayreuth 1983, S. 49 ff.
- Bernd Mayer: Bayreuth im zwanzigsten Jahrhundert, S. 30.
- Inschrift im Chor der Kirche in Lindenhardt
- Ein Treppenwitz der Geschichte. Wie die Bayreuther ein Nazi-Denkmal „weggepinkelt“ haben in: Nordbayerischer Kurier vom 28./29. Dezember 2019, S. 12.
- ↑ Bernd Mayer, Helmut Paulus: Eine Stadt wird entnazifiziert. Die Gauhauptstadt Bayreuth vor der Spruchkammer. Ellwanger, Bayreuth 2008, ISBN 978-3-925361-67-8, S. 158 f.
- Bernd Mayer: Bayreuth. Die letzten 50 Jahre. 2. Auflage. Ellwanger/Gondrom, Bayreuth 1988, S. 56 ff.
- Jonathan Carr: Der Wagner-Clan S. 331.
- Kurt Herterich: Im historischen Bayreuth. Ellwanger, Bayreuth 1998, ISBN 978-3-925361-35-7, S. 122.
- Unsere Kirchen. Abgerufen am 20. April 2021.