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Die Guidonische Hand war vom Mittelalter bis in die Fruhe Neuzeit ein Hilfsmittel zur Orientierung im Tonsystem sie diente als Anschauungsobjekt und als Gedachtnisstutze Jedem der vierzehn Fingerglieder zuzuglich der funf Fingerspitzen ist dabei eine bestimmte Tonstufe des Hexachordsystems zugeordnet vgl Nummerierungen 1 19 zuzuglich E la in der Abbildung So ergeben sich in der Innenseite der Hand insgesamt zwanzig diatonische Tonorte ein Tonvorrat der dem Umfang der in den Vokalkompositionen zum Einsatz kommenden Stimmen im Regelfall entsprach Ein solches Hilfsmittel mag bereits von Guido von Arezzo etwa 992 1050 benutzt worden sein der Anleitungen zum Erlernen von Choralen und zum Notenlesen schrieb Die Hand als Anschauungsobjekt taucht schon vor Guidos Zeit in einigen Schriften auf die endgultige Form findet man jedoch erst ab dem 12 Jahrhundert etwa bei Sigebert von Gembloux 1030 1112 Das System gilt als eine der ersten Methoden der spater so genannten Gehorbildung geht allerdings hinsichtlich der Unterrichtsinhalte weit uber die Zielsetzungen dieses jungeren Faches hinaus Ein Beispiel der guidonischen Hand aus einem Manuskript aus Mantua spates 15 Jh Inhaltsverzeichnis 1 Funktionsweise 2 Das Hexachord 3 Kontext 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseFunktionsweise BearbeitenGuido von Arezzo legte eine sechsstufige Tonleiter mit den Silben ut re mi fa sol la fest Hexachordsilben Dabei handelte es sich um die Anfangssilben der jeweils um einen Ton hoher beginnenden Verse der ersten Strophe des Johannes Hymnus Die mittelalterliche Musiktheorie kannte drei Hexachorde durum naturale molle die uber drei Oktaven verteilt ineinandergriffen Der Wechsel von einem Hexachord zum nachsten wurde Mutation genannt Entscheidend dafur war die Lage des Halbtons der immer auf die Silben mi und fa fallen musste Auch Schulern die noch keine musikalische Vorbildung besassen konnte mit diesen Hexachorden der gregorianische Gesang leicht beigebracht werden Die Guidonische Hand ist stark mit der neuen Musiklehre und den neuen Musiklehrmethoden Guidos mit Hexachorden und Solmisation verbunden Die Idee ist dass jeder spezifische Teil der Hand eine spezifische Note innerhalb des Hexachordsystems reprasentiert welches sich nahezu uber drei Oktaven erstreckt von G ut sprich Gamma ut also Gamut was wiederum auf den gesamten Tonumfang hinweisen kann bis ee la In der modernen westlichen Musik entsprache das einem Umfang von G am unteren Ende bis zum hohen e Wahrend des Unterrichts konnte der Lehrer oder Chorleiter durch Anzeigen der Position auf der linken Hand exakt die Tonfolge vorgeben Das entsprach ungefahr der Methode mit Handzeichen zu solmisieren Es gab eine Reihe von Variationen in der Position von bestimmten Noten auf der Hand und keine der Varianten ist als vorrangig zu betrachten im angefugten Beispiel wurden die Noten des Gamut gedanklich auf den Gliedern und Fingerspitzen der linken Hand platziert G ut zwei G unterhalb des mittleren c entspricht der Daumenspitze der linken Hand A re ist am mittleren Daumenglied lokalisiert B mi an der Innenseite des Daumenballens C fa ut am ersten Glied Mittelhandknochen des Zeigefingers und so weiter gegen den Uhrzeigersinn in einer Spirallinie bis zum mittleren c sol fa ut weiter uber das dd la sol bis man das ee la erreicht welches neun Tone uber den mittleren c liegt Dieses ee la ist die einzige Note auf der Ruckseite der Hand Zur Anzeige der verschiedenen Kirchen Tonarten entstand hierdurch auch eine mit der heutigen Benennung der Tone verbundene auf der Guidonischen Hand und daraus erstellten Tabellen beruhende vom Mittelalter und in italienischen Musikschulen bis in die Neuzeit als Eselsbrucke benutzte Nomenklatur die bezogen auf die mit Do beginnende diatonische Skala mit Befami fur B Fa Mi den auf der siebten Stufe beginnenden Modus mit Cesolfaut C Sol Fa Ut den auf der ersten Stufe beginnenden mit Delasolre D La Sol Re den auf der zweiten Stufe mit Elami E La Mi den auf der dritten mit Fefaut F Fa Ut den auf der vierten mit Gesolreut G Sol Re Ut den auf der funften und mit Alamire A La Mi Re den auf er sechsten Stufe beginnenden Modus bezeichnet 1 2 Die guidonische Hand erlaubt es Tonstufen zu visualisieren und dabei auch zugleich zu erkennen wo die halben Stufen der Tonfolgen liegen Ausserdem konnte man erkennen wo die Verbindungsstellen der Hexachorde liegen Das System wurde im Laufe des Mittelalters in vielfaltiger Form reproduziert Reizverknupfung ist auch heute lernpsychologisch ein wichtiges Mittel unbewussten Lernens Konditionierung Das Singen Sehen und Greifen der Tone fuhrt im Sinne des Wortes zum Begreifen Heutige Methoden der haptischen Erfassung sind die stumme Tastatur und flexible Konzepte wie die Tontreppe oder die Tonsaule Das mittelalterliche Hexachordsystem c mittleres c Mutation1 2 3 4 5 6 7 Tonbezeich Heute Guido Solmisatione ee lad dd la solc cc sol fah mib fa a aa la mi reg g sol re utf f fa ute e la mid d la sol rec c sol fa uth mib fa a a la mi reg G sol re utf F fa ute E la mid D sol rec C fa utH B miA A reG G ut nbsp Das Hexachord BearbeitenHauptbeitrag HexachordDas Hexachord ist eine Erweiterung des griechischen Tetrachords das im 9 Jahrhundert etwa bei Hucbald einen Ton abwarts auf die Endtone der vier Modi Kirchentonarten im gregorianischen Gesang d e f und g verschoben wurde Oben und unten wurde an den Tetrachord d e f g ein Ganztonschritt hinzugefugt c und a Mit einem zweiten nach demselben Muster aufgebauten Hexachord konnte nun durch Uberlappen der beiden Hexachorde eine Oktave abgedeckt werden In jedem Hexachord sind die beiden mittleren Tone mi fa einen Halbtonschritt alle anderen einen Ganztonschritt voneinander entfernt So war mit dem Hexachord der grosstmogliche Ausschnitt des Tonvorrats G e erreicht der mindestens eine Oktave mit zwei gleichartig strukturierten uberlappenden Skalenausschnitten abbilden konnte Die Hexachorde wurden auf G C oder F aufgebaut dementsprechend ergaben sich drei Arten von Hexachorden das hexachordum durum hartes Hexachord G A H c d e das hexachordum naturale naturliches Hexachord c d e f g a und das hexachordum molle weiches Hexachord f g a b c d Durch insgesamt sieben Hexachorde auf G c f g c f und g wurde der Tonumfang der mittelalterlichen Musik von knapp drei Oktaven G e abgedeckt und gegliedert Guido von Arezzo unterlegte die Tone des Hexachords mit den Solmisationssilben ut re mi fa sol la die er dem Johannes Hymnus Ut queant laxis entnahm In der Schrift Micrologus fuhrte er sehr ausfuhrlich aus wie man mehrstimmig singt und komponiert Aus den Namen hexachordum durum und hexachordum molle leiten sich die Bezeichnungen unserer heutigen Tongeschlechter Dur und Moll ab Kontext BearbeitenHauptbeitrag Gregorianischer GesangDer gregorianische Gesang oder die westliche mittelalterliche Musik im Allgemeinen war durch die judische Musik und die ostlichen Kirchentraditionen beeinflusst Auch Musiktraditionen die heute in der turkischen und arabischen Musik zu finden sind fanden ihren Niederschlag Das fuhrte dazu dass es schwierig war ein einheitliches theoretisches System zu entwickeln Die Weitergabe uber mundliche Uberlieferung und Nutzung von Handzeichen hatte Tradition Ausschlaggebend fur die Aufzeichnung war auch eine politische Aufforderung von Karl dem Grossen in seiner Admonitio generalis vom 23 Marz 789 Et ut scolae legentium puerorum fiant Psalmos notas cantus compotum grammaticam per singula monasteria vel episcopia et libros catholicos bene emendate et si opus est evangelium psalterium et missale scribere perfectae aetatis homines scribant cum omni diligentia 3 Karl der Grosse forderte in dieser Schrift dazu auf fur die Ubermittlung des kulturellen Erbes eine schriftliche Grundlage zu schaffen Die besten Schreiber des Zeitalters sollen mit aller Sorgfalt damit befasst werden Nachdem die Kirche als Verwaltungsorgan gebraucht wurde sollte nach dem romischen Modell alles vereinheitlicht werden 4 5 Dazu gehorte auch die Liturgie mit ihrem gregorianischen Gesang Dies fuhrte dazu dass die bisher in notationslosen Sammlungen uberlieferten Gesangstexte ab dem 9 Jahrhundert mit Zeichen versehen wurden 6 Diese teilweise aus der Rhetorik ubertragenen teilweise mit den Dirigierbewegungen das Cantors verbundenen Neumen Winke ermoglichten es einem kundigen Sanger eine in ihrer melodischen Gestalt bereits durch Vor und Nachsingen erlernte Melodie mit allen Nuancen ins Gedachtnis zuruckzurufen und vorzutragen 7 Verwendet wurde eine Vielzahl unterschiedlich gestalteter Einzeltonneumen und Gruppenneumen 8 9 Diskutiert wird auch ob den Schreibern ein schriftlicher inzwischen verschollener Archetypus vorgelegen habe 10 Im Laufe von wenigen Jahrhunderten erfuhr diese Akzentnotation einen grundsatzlichen Wandel hin zu diastematischen Notationen Guido von Arezzo erfand ausgehend von der Dasia Notation 1025 das Vierliniensystem im Terzabstand und zwei Notenschlussel den F und den C Schlussel 11 Davon ausgehend entwickelte sich die Notenschrift zur Quadratnotation Literatur BearbeitenGeschichte der Musik Die ersten Zeiten der neuen christlichen Welt und Kunst Die Entwickelung des mehrstimmigen Gesanges 1864 Band 3 Im Zeitalter der Renaissance bis zu Palestrina 1868 Geschichte der Musik Band 2 Wilhelm Baumker 1864 S 175 google at Christian Berger Cithara cribrum und caprea Wege zum Hexachord In Martin Kintzinger Sonke Lorenz Michael Walter Hrsg Schule und Schuler im Mittelalter Beitrage zur europaischen Bildungsgeschichte des 9 bis 15 Jahrhunderts Bohlau Koln u a 1996 ISBN 3 412 08296 1 Beihefte zum Archiv fur Kulturgeschichte 42 S 89 109 uni freiburg de Christian Berger Hexachord I V In Ludwig Finscher Hrsg Musik in Geschichte und Gegenwart Allgemeine Enzyklopadie der Musik Sachteil Band 4 Hamm Kar 2 neubearbeitete Auflage Barenreiter u a Kassel u a 1996 ISBN 3 7618 1105 5 Sp 279 286 Christian Berger Hexachord und Modus Drei Rondeaux von Gilles Binchois In Basler Jahrbuch fur historische Musikpraxis 16 1992 ZDB ID 550278 0 S 71 87 uni freiburg de Christian Berger La quarte et la structure hexacordale In L enseignement de la musique au Moyen Age et a la Renaissance Rencontres de Royaumont les 5 et 6 juillet 1985 Ed Royaumont Royaumont 1987 S 17 28 uni freiburg de Jacques Chailley Ut queant laxis et les origines de la gamme In Acta Musicologica 56 1984 ISSN 0001 6241 S 48 69 Klaus Jurgen Sachs Musikalische Elementarlehre im Mittelalter In Frieder Zaminer Hrsg Geschichte der Musiktheorie Band 3 Michael Bernhard u a Rezeption des antiken Fachs im Mittelalter Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1990 ISBN 3 534 01203 8 S 105 162 Marcus Aydintan Laura Kramer Tanja Spatz Hg Solmisation Improvisation Generalbass Historische Lehrmethoden fur das heutige Musiklernen Hildesheim Zurich New York 2021 Beitrage im Kontext der Gehorbildung von J Brandes L Kramer T Spatz F Stahmer M Streib O Tchipanina R D Thone u a Weblinks BearbeitenHand of Guido englisch Hexachords solmization and musica ficta Ausfuhrliche Darstellung englisch Solmization and the Guidonian hand in the 16th century auf YouTube abgerufen am 13 April 2018 sprache en Andrew Hughes Solmization In Grove Music Online englisch Abonnement erforderlich Claude V Palisca Guido of Arezzo In Grove Music Online englisch Abonnement erforderlich Einzelnachweise Bearbeiten Jerry Willard Hrsg The complete works of Gaspar Sanz 2 Bande Amsco Publications New York 2006 Ubersetzung der Originalhandschrift durch Marko Miletich ISBN 978 0 8256 1695 2 S 13 und 80 f R G Kiesewetter Guido von Arezzo Sein Leben und Wirken Breitkopf und Hartel Leipzig 1840 S 35 MGH Cap Bd 1 S 60 online Klerus und Krieg im fruheren Mittelalter Untersuchungen zur Rolle der Kirche beim Aufbau der Konigsherrschaft Stuttgart Hiersemann 1971 Monographien zur Geschichte des Mittelalters 2 ISBN 3 7772 7116 0 Monographien zur Geschichte des Mittelalters Stuttgart 1971 Seite 101 und 91 Das Frankenreich 3 Auflage Munchen 1995 ISBN 3 486 49693 X Seite 35 Hartmut Moller Rudolph Stephan Hrsg Die Musik des Mittelalters Laaber 1991 S 54ff Eugene Cardine Gregorianische Semiologie Solesmes 2003 Kapitel XX sowie Zusammenfassung im Anhang Eugene Cardine Gregorianische Semiologie Solesmes 2003 Kapitel I XIX sowie die Neumentafel S 6 Luigi Agustoni Gregorianischer Choral Elemente und Vortragslehre mit besonderer Berucksichtigung der Neumenkunde Freiburg im Breisgau 1963Johannes Berchmanns Goschl Von der Notwendigkeit einer kontextgemassen Auslegung der Neumen In Beitrage zur Gregorianik 13 14 Cantando praedicare Godehard Joppich zum 60 Geburtstag S 53 64 Kenneth Levy Charlemagne s Archetype of Gregorian Chant In Journal of the American Musicological society Band 40 1987 S 1 30 Hartmut Moller Rudolph Stephan Hrsg Die Musik des Mittelalters Laaber 1991 S 153 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Guidonische Hand amp oldid 232879030