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Multistabile Wahrnehmung Gestaltwechsel oder Wahrnehmungswechsel charakterisiert ein im Alltag seltenes Phanomen spontan wechselnder Interpretationen eines Perzeptes Systematisch produzierte Gestaltwechsel induzierende Stimuli nennt man Kippfiguren Einige bekannte Kippfiguren Inhaltsverzeichnis 1 Definition 2 Einfluss auf Kunst und Kultur 3 Wissenschaftlicher Hintergrund 4 Neurobiologische Erklarungsansatze 5 Siehe auch 6 Literatur 7 EinzelnachweiseDefinition BearbeitenUnvorhersagbare und willentlich nicht vermeidbare Wechsel der Wahrnehmung treten vor allem beim Betrachten visueller Illusionen auf die mehr als eine Art von Reizinterpretation zulassen sogenannte Kippfiguren engl Fachbegriff ambiguous patterns Bekannte Beispiele sind u a der Necker Wurfel und einige Bilder von M C Escher und Salvador Dali Entweder andert sich beim Auffassungswechsel die Bedeutung eines Bildes indem man etwa abwechselnd ein Gesicht oder aber nur einen Haufen Steine vor sich sieht oder der Tiefeneindruck wie im Falle des Necker Wurfels oder andere Aspekte wie die Bewegungsrichtung mancher dynamischer Reizmuster das Figur Hintergrund Verhaltnis einer zweidimensionalen Abbildung oder die Koharenz eines visuellen Objekts bis hin zum Wechsel von Wahrnehmung und Nicht Wahrnehmung des Reizes selbst Interessanterweise treten diese Effekte auch in sehr einfachen Mustern auf Ein einfaches Kreuz mit gleich langen geraden Balken die rechtwinklig aufeinander stehen kann dazu fuhren dass man mal den horizontalen Balken vor dem vertikalen und mal diesen vor dem horizontalen wahrnimmt Das Faszinierende an multistabilen Wahrnehmungen ist ihr absolut endogener Charakter sowie die Dissoziation der Wahrnehmung von der eigentlichen Stimulation Fur das Eintreten von Wahrnehmungswechseln bedarf es weder Anderungen der Reize selbst noch aktiver Veranderungen auf Seiten des Beobachters wie etwa Augenbewegungen oder willentliche Aufmerksamkeitszuwendung auf das Reizmuster Kippfiguren sind verwandt mit Vexierbildern bei denen die Aufgabe ist ein bestimmtes Objekt in einem Bild zu suchen Einfluss auf Kunst und Kultur BearbeitenMehrdeutige Abbildungen die multistabil wahrgenommen werden finden sich bereits in Mosaiken der Antike In der abbildenden Kunst haben sich vor allem M C Escher und Salvador Dali und seltener auch Paul Klee mit multistabilen Wahrnehmungen beschaftigt Einige Werke der Op Art losen ahnliche spontane Reorganisationen der Wahrnehmung aus Innerhalb der Philosophie sind vor allem Ludwig Wittgensteins Meditationen uber einen multistabilen Stimulus Joseph Jastrows Strichzeichnung eines Hasen die sich auch als ein Entenkopf interpretieren lasst sowie die metaphorische Verwendung durch Thomas S Kuhn im Zusammenhang seiner Theorie der Paradigmenwechsel zu nennen Inspiriert durch die neurophysiologischen Erkenntnisse der letzten Jahre haben multistabile Wahrnehmungsphanomene das Interesse der Philosophie des Geistes erneut geweckt Wissenschaftlicher Hintergrund BearbeitenDie fruhere Psychophysik war anfangs nicht an der Vielfalt von Wahrnehmungsphanomenen interessiert Mit Einzug der vor allem Berliner Gestaltpsychologie im Anfang des 20 Jahrhunderts anderte sich dies drastisch und auch multistabile Wahrnehmungsphanomene wurden ein beliebtes Forschungsobjekt Mit dem Niedergang dieser Schule liess das Interesse an multistabilen Phanomenen erneut nach Seit den 1980er Jahren jedoch stehen multistabile Phanomene wieder im zentralen Interesse der Wahrnehmungspsychologie Zentrale Annahme ist dass das Sehen ein aktiver Sinnesvorgang ist wahrend dessen das Gehirn versucht die Aktivierung der Rezeptoren sinnvoll zu interpretieren Die hierbei aktiven Prozesse der Wahrnehmungsorganisation siehe auch Gestaltgesetze scheinen wenn gegeneinander in Konflikt gesetzt eine eindeutige Losung zu verhindern Das visuelle System scheint in dieser Situation dazu gezwungen umzuorganisieren also von einer wahrscheinlichen Interpretationsmoglichkeit zu einem oder mehreren anderen in etwa gleich wahrscheinlichen Losungsansatzen hin und herzuwechseln Eine gewisse Kontrolle uber den Prozess der Wahrnehmungswechsel ist lernbar Manche Augenbewegungen wie Blinzeln und Sakkaden konnen zu einem gewissen Grad derartige Wechsel herbeirufen Auch lassen manche Stimulusmanipulationen das externe Steuern der wechselnden Wahrnehmungszustande zu Alle diese Einflusse haben sich jedoch als zum Verhindern oder Erzeugen der unterschiedlichen Auffassungsweisen unzureichend erwiesen und scheinen nur modulatorische Wirkung auf die eigentlich steuernden Prozesse zu haben Die Rate Geschwindigkeit der Wahrnehmungswechsel schwankt stark von Person zu Person sowie zwischen den verschiedenen Auffassungen Mehrfach wurden Korrelationen mit dem Intelligenzquotienten mit Personlichkeitsvariablen dem Genuss von Stimulantien oder aber gewissen Hirnschadigungen berichtet Spatere Studien konnten jedoch einige dieser Ergebnisse nicht bestatigen Konsistent scheint jedoch ein Abfall der Wechselgeschwindigkeit mit zunehmendem Alter zu sein Die Rolle visueller Aufmerksamkeit als Ausloser der spontanen Wahrnehmungswechsel ist umstritten Trotz wechselseitiger Einflusse scheint jedoch eine klare Dissoziation zwischen den Prozessen multistabiler Wahrnehmung und Aufmerksamkeitseffekten zu existieren es handelt sich somit um aufeinander bezogene aber voneinander unabhangige Mechanismen 1 Neurobiologische Erklarungsansatze BearbeitenDie meisten Theorien zu multistabilen Wahrnehmungsphanomenen basieren auf reziproken Beziehungen zwischen den alternativen Wahrnehmungsformen Perzepten bzw der ihnen zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen All diese klassischen Modelle gehen davon aus dass die Dominanz eines Wahrnehmungszustandes die Inhibition Hemmung der jeweils alternativen Anschauungsformen bedingt Die Dominanz eines Perzepts wird dadurch beendet dass eine Sattigung oder Ermudung zu einem Abflachen der Inhibition des rivalisierenden Zustandes fuhrt Dieser gewinnt dadurch zunehmend an Oberhand bis er stark genug uberschwellig wird um nun den vormals dominanten Zustand zu inhibieren Nach einer gewissen Zeit wird auch dieser neue Zustand ermuden und es wird wieder der erste Systemzustand eingenommen Dieser Prozess lasst sich ad infinitum wiederholen In der Elektrotechnik lassen sich derartige Schaltkreise leicht als Flipflop Multivibratoren implementieren In einer mehr biologisch orientierten Abwandlung dieses Prinzips kann die gegenseitige Inhibition zweier Neurone bzw einer Gruppe von Nervenzellen zu einem ahnlichen Verhalten fuhren Mehrere Argumente sprechen jedoch gegen die Annahme eines derartig simplen Mechanismus Vor allem die stochastische Natur des Wechselprozesses stellt eine grosse Herausforderung fur alle klassischen Modelle reziproker Wechselbeziehungen der rivalisierenden Perzepte dar Die Wahrnehmung oszilliert nicht wie bei einem hin und her schaukelnden System erwartet sondern springt in unvorhersagbaren Abstanden von einem Zustand in den nachsten Weiter scheint es schwierig die grossen interindividuellen Unterschiede in der Wechselrate mit diesem Modell zu erklaren Funktionelle Kernspintomographie fMRI wahrend spontaner Wahrnehmungssprunge ergab daruber hinaus dass hierdurch vor allem hohere Gehirnareale aktiviert sind i e im Parietal und Frontallappen deren Funktion zumeist mit Handlungsplanung und anderen kognitiven Phanomenen in Verbindung gebracht werden Siehe auch Bearbeitenbinokulare Rivalitat Ambiguitat Sehereignis Visueller Cortex Gestaltwahrnehmung ReizfilterungLiteratur BearbeitenDavid Alais amp Randolph Blake eds Binocular Rivalry MIT Press 2005 ISBN 0 262 01212 X David Hubel Auge und Gehirn Neurobiologie des Sehens Heidelberg Spektrum der Wissenschaft 1995 Einzelnachweise Bearbeiten siehe auch Multistable phenomena changing views in perception Memento vom 27 September 2008 im Internet Archive Leopold D A Logothetis N K Trends in Cognitive Sciences 1999 3 7 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Multistabile Wahrnehmung amp oldid 237984474