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Frattesina ist ein archaologischer Fundort im gleichnamigen Gebiet der norditalienischen Gemeinde Fratta Polesine Die spatbronzezeitliche Grosssiedlung war ein wichtiges Handwerks und Handelszentrum und das erste Zentrum europaischer Glaserzeugung westlich der Agais Inhaltsverzeichnis 1 Forschungsgeschichte 2 Beschreibung 2 1 Siedlung 2 2 Nekropole Narde 2 3 Nekropole Fondo Zanotto 3 Geschichte und wirtschaftliche Bedeutung 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseForschungsgeschichte BearbeitenDie Siedlung von Frattesina wurde vom Centro Polesano di Studi Storici Archeologici ed Etnografici di Rovigo CPSSAE 1967 entdeckt und seit 1968 beforscht Der Fund hochwertiger Produkte wie Elfenbeinkamme Glasperlen Gewandfibeln und Scheibchen aus Strausseneischale liessen die Bedeutung der Statte erahnen CPSSAE organisierte Konferenzen und berichtete in seiner Zeitschrift uber die Funde Elf umfangreiche Grabungen fanden zwischen 1974 und 1989 unter der Leitung von Anna Maria Bietti Sestieri statt Die Nekropole Fondo Zanotto wurde 1977 beim Tiefpflugen entdeckt und ab 1979 fanden hier regelmassige archaologische Grabungen statt Das erste Graberfeld der Nekropole Narde Narde I wurde 1985 bei der Verlegung von Wasserrohren gefunden Ab 1987 wurde hier regelmassig archaologisch gegraben Im Herbst 2004 wurde beim Anlegen eines Entwasserungskanals das zur selben Nekropole gehorende Graberfeld Narde II gefunden Daraufhin wurde eine Grabungskampagne gestartet die bis April 2005 dauerte 2013 2017 wurden mittels Kernbohrungen die stratigrafischen Gegebenheiten erforscht wobei ein System von ehemaligen Wassergraben entdeckt wurde Geschichte und Fundstucke von Frattesina werden in den Museen Museo Archeologico Nazionale di Fratta Polesine 1 im Museo archeologico nazionale di Adria und im Museo dei grandi fiumi in Rovigo prasentiert Beschreibung BearbeitenDie ehemalige Siedlung von Frattesina lag in der Polesine am Sudufer eines Flussarms des Po Dieser Po di Adria genannte Arm verlief damals nordlicher als heute und mundete 30 40 Kilometer von der Siedlung entfernt ins Meer Die Siedlung hatte eine Ausdehnung von etwa 20 Hektar Zur Siedlung gehoren die beiden Nekropolen Narde und Fondo Zanotto in denen etwa 1000 Bestattungen gefunden wurden Die meisten Bestattungen erfolgten als Brandbestattungen in bikonischen Urnen die mit umgestulpten Deckschusseln abgedeckt wurden An der Stelle der ehemaligen Siedlung befindet sich heute Ackerland das Zentrum des Wohngebiets der modernen Ortschaft Fratta Polesine liegt etwas weiter nordwestlich Siedlung Bearbeiten Die Siedlung entstand auf einer etwa 1000 200 Meter grossen Terrasse alluvialem Ursprungs Der zentrale Kern mit Wohngebauden und Werkstatten hatte eine Ausdehnung von rund 10 Hektar Um diesen Kern lag ein Bereich fur Viehgehege und andere landwirtschaftlich genutzte Flachen Durch das Wohngebiet verlief ein zentraler Wassergraben durch weitere quer und parallel verlaufende Graben wurde die Siedlung in Blocke unterteilt Die Funktion dieser Graben ist noch ungeklart moglicherweise dienten sie zur Erleichterung der handwerklichen Tatigkeiten oder zur Abwasserentsorgung Nekropole Narde Bearbeiten Die Nekropole Narde auch Le Narde liegt am anderen Flussufer des damaligen Po di Adria in einer Entfernung von rund 700 Metern zum Wohngebiet Ihre beiden Graberfelder Narde I und Narde II wurden intensiv beforscht die gefundenen Objekte wurden auf den Zeitraum 1150 bis 925 v Chr datiert In Narde I wurden rund 630 Urnenbestattungen und 3 Erdbestattungen gefunden Dabei wurden vier Bestattungsschichten identifiziert funf im zentralen Bereich wo eine hohe Konzentration von Grabern zu finden ist Dadurch entstand ein Grabhugel von 30 Metern Lange der sich in die heutige Zeit mit einer Hohe von etwas mehr als einem Meter erhalten hat Einige Graber waren mit einem grossen Stein markiert In manchen Gruben fur die Urnen bzw in den Urnen selbst wurden Gegenstande der Verstorbenen gefunden In zwei Grabern in Narde I wurden rituell zerbrochene Schwerter Typ Allerona gefunden Da es in der spaten Bronzezeit in Norditalien sonst absolut unublich war Schwerter der Bestattung beizugeben durfte es sich bei den Verstorbenen um Personen von hohem Rang gehandelt haben Von den neun mit den reichsten Grabbeigaben ausgestatteten Frauengrabern der Nekropole Narde befinden sich acht in Narde I Im Graberfeld Narde II wurden mehr als 200 Urnenbestattungen und 22 Erdbestattungen gefunden Durch eine Asche und Holzkohleschicht wurde hier auch ein Verbrennungsplatz Ustrina identifiziert Eine osteologische Analyse von 472 Grabern in Narde zeigt ein Geschlechterverhaltnis der Bestatteten von annahernd 1 1 Der Anteil beerdigter Kinder und Jugendlicher ist in Narde II mit 31 etwas hoher als in Narde I 21 Mittels Strontiumisotopenanalyse bei 46 Bestatteten konnte gezeigt werden dass etwa ein Drittel von ihnen 37 im Umkreis von 20 bis 50 Kilometern um die Siedlung geboren wurde Nekropole Fondo Zanotto Bearbeiten Die Nekropole Fondo Zanotto liegt etwa 500 Meter sudostlich der Siedlung Hier wurden etwa 150 Bestattungen gefunden dabei handelte es sich fast ausschliesslich um Brandbestattungen Es wurden Grabstellen in mehrere Schichten und in Gruppen identifiziert Die Gruppierungen bilden moglicherweise Verwandtschaftsbeziehungen der Toten ab Als Grabbeigaben wurde einfacher Schmuck gefunden der offenbar bei der Verbrennung von den Toten getragen und daher vom Feuer verformt wurde Einige wenige Graber enthielten wertvollere Beigaben mit Bronzeelementen oder Schmuck aus wertvollen Materialien Am Hals vieler Urnen fanden sich reichlich eingearbeitete Dekorationen ein Element das bei den Urnen der Nekropole Narde fehlt In etwa der Halfte der Graber beider Nekropolen wurden Grabbeigaben gefunden Dabei handelte es sich uberwiegend um Bronzeschmuck oder Kleidungszubehor aus Bronze 78 seltener um Werkzeug 12 Toilettenartikel 7 und vereinzelt um Waffen In etwa jeder zehnten Urne waren die Uberreste mehrerer Personen bestattet Die Erdbestattungen enthielten kaum Grabbeigaben Geschichte und wirtschaftliche Bedeutung BearbeitenSuditalien unterhielt bereits seit dem 17 Jahrhundert v Chr intensive Handelsbeziehungen mit der Agais Spatestens im 13 Jahrhundert v Chr erreichten Kaufleute aus der Agais und der Levante auch Norditalien Hier trafen auch Handelsrouten aus dem Norden ein etwa fur Kupfer aus dem Trentino oder fur Bernstein aus dem Baltikum ein Zweig der Bernsteinstrasse fuhrte etwa entlang der Etsch Dem Po di Adria als Verbindungsglied dieser Handelsrouten mit dem Mittelmeer kam dabei eine strategische Bedeutung zu Die mediterranen Handler brachten neue Waren in die Region wie Fayence und Glasperlen Hinzu kam ein Wissenstransfer fur neue Techniken zur Keramikherstellung und uber die Glasbearbeitung Auch das Gewichtssystem auf der Grundlage agaischer Einheiten durfte ubernommen worden sein so fand man entsprechende Steingewichte die von hier auch in die Region der heutigen Schweiz gelangten Im 12 Jahrhundert v Chr kam es in vielen Landern im Mittelmeerraum zu grossen Umwalzungen so auch in der Po Ebene Die Siedlungen der Terramare Kultur sudlich des Po gerieten vermutlich durch drastische Waldrodung und intensive Ausbeutung der Boden gemeinsam mit einer klimatischen Erwarmung und dem Sinken des Grundwasserspiegels in eine Krise wodurch das Gebiet innerhalb weniger Jahrzehnte praktisch entvolkert wurde Weit weniger stark betroffen davon waren die Gebiete nordlich des Po deren Bewohner nun Hauptansprechpartner im sich entwickelnden Fernhandel wurden Zu Beginn des 12 Jahrhunderts v Chr wurde am Ufer des Po die Siedlung von Frattesina gegrundet sowie einige Kilometer weiter im Osten Campestrin das fur kurze Zeit ein wichtiges Zentrum fur Bernsteinverarbeitung werden sollte Wahrend Frattesina das Erbe der produktiven Traditionen der Terramare Kultur weiterfuhrte fiel das Aufbluhen der Siedlung mit der Herausbildung der sogenannten Proto Villanovakultur bzw Ascona Milazzo Phanomen 2 zusammen Nach der Grundungsphase entwickelte sich im Ort hochspezialisiertes Handwerk dessen Produkte in weiten Teilen Italiens Mittel und Nordeuropas und teilweise auch im ostlichen Mittelmeerraum gehandelt wurden Das bedeutendste Nutztier im Ort war das Schwein aber auch Wild spielte eine grosse Rolle Fur die Handwerker war Hirschhorn ein wichtiger Werkstoff wie zahlreiche Werkstucke und Artefakte belegen Weiteres Handwerk das in Frattesina betrieben wurde war die Metallverarbeitung Es wurden vier Depots von Metallgegenstanden aus dem 11 Jahrhundert v Chr gefunden die offenbar zum Einschmelzen und Wiederverwerten gedacht waren Weiters wurden in Frattesina auch Rohstoffe aus Afrika wie Elfenbein und Strausseneier verarbeitet In der Keramikproduktion wurde ein hoher Standard erreicht so wurde etwa Geschirr mit einer Wandstarke von nur 2 Millimetern gefunden Ein lokales Erzeugnis das intensiv uberregional gehandelt wurde waren Glasperlen 3 Frattesina war das erste Zentrum der Glaserzeugung westlich der Agais Aus vom Fluss angeschwemmtem Sand wurden rote und blaue Perlen produziert die teilweise mit Augen oder Spiralen aus weissem Glas Pfahlbauperlen verziert waren Auch farbloses grunes turkisfarbenes und braunes Glas wurde hergestellt Man fand Halbzeuge und einmalig fur vorgeschichtliche archaologische Fundstatten in Europa einen vollstandigen Schmelztiegel mit Glasresten 3 Laut Anna Maria Bietti Sestieri muss Frattesina im 11 Jahrhundert v Chr das wichtigste Handelszentrum der nordlichen Adria gewesen sein Sie geht daher davon aus dass auch politisch eine starke hierarchische Ordnung existiert haben muss die den Erwerb und die Umverteilung der produzierten und gehandelten Waren kontrollierte Sie halt es fur moglich dass in den Grabern mit den beigegebenen Schwertern Herrscher bestattet worden sind Wahrend Frattesina in der spaten Bronzezeit das dominierende regionale Zentrum war ubernahm zu Beginn der Eisenzeit im 10 9 Jahrhundert v Chr die vier Kilometer entfernte 65 Hektar grosse Siedlung von Villamarzana die Vormachtstellung In Frattesina verlandeten durch eine Uberschwemmung die Wasserkanale und eine abnehmende Fundmenge aus jener Zeit legt einen Produktionsruckgang und eine Abnahme der Handelsbeziehungen mit dem ostlichen Mittelmeerraum nahe Die letzten archaologischen Spuren in Frattesina aber auch in Villamarzana stammen aus dem 9 Jahrhundert v Chr Verantwortlich fur den Bevolkerungsruckgang in der Gegend durfte eine zunehmende Instabilitat des Po di Adria mit zahlreichen Uberschwemmungen und schliesslich Verlegung des Flussbettes sein Neuer wirtschaftlich bedeutender Verkehrsweg wurde nun der Flussarm Po di Spina Literatur BearbeitenClaudio Cavazzuti Andrea Cardarelli Francesco Quondam Luciano Salzani Marco Ferrante Stefano Nisi Andrew R Millard Robin Skeates Mobile elites at Frattesina flows of people in a Late Bronze Age port of trade in northern Italy In Antiquity Volume 93 Issue 369 Cambridge University Press Juni 2019 S 624 644 doi 10 15184 aqy 2019 59 englisch Michele Baldo Paolo Bellintani Andrea Cardarelli Massimo Saracino Claudio Balista Claudio Cavazzuti Federica Gonzato Raffaele Peretto Francesco Quondam Luciano Salzani Ursula Thun Hohenstein Maria Cristina Vallicelli Frattesina di Fratta Polesine Traffici e mercanti nell Alto Adriatico In Archeologia Viva 188 Marz April 2018 2018 ISSN 0392 9485 S 22 38 italienisch Artikel online auf researchgate net Museo Archeologico Nazionale di Fratta Polesine Hrsg Il villaggio di Frattesina e le sue necropoli 2010 italienisch web archive org PDF 2 0 MB abgerufen am 26 August 2021 Weblinks BearbeitenWebsite einer Konferenz anlasslich 50 Jahre Forschung in Frattesina von CPSSAE italienisch englisch Einzelnachweise Bearbeiten National Archaeological Museum Fratta Polesine In archeoveneto it 2010 abgerufen am 29 Juni 2019 englisch Petra Amann Das Protovillanova Phanomen im endbronzezeitlichen Italien und seine Relevanz fur die Herausbildung der fruheisenzeitlichen Kulturgruppen der italienischen Halbinsel In Oberosterreichisches Landesmuseum Linz Hrsg Interpretierte Eisenzeiten Fallstudien Methoden Theorie Tagungsbeitrage der 1 Linzer Gesprache Zur Interpretativen Eisenzeitarchaologie Linz 2005 S 18 f Online PDF 805 kB abgerufen am 26 August 2021 auf der Website des OO Landesmuseum a b Julian Henderson Ancient Glass An Interdisciplinary Exploration Cambridge University Press Cambridge 2013 ISBN 978 1 139 61937 0 S 152 ff englisch eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche 45 0251 11 652628 Koordinaten 45 1 30 4 N 11 39 9 5 O Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Frattesina amp oldid 227717833