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Die Eideskapelle des Lubecker Rats war eine spatgotische Schwurlade im Lubecker Rathaus die bis 1811 in Gebrauch war Sie war aus vergoldetem Silber und war in der Form eines Kirchleins ahnlich wie ein Reliquiar gestaltet Federzeichnung und lateinische Beschreibung der seit 1811 verlorenen spatgotischen Eideskapelle des Lubecker Rathauses durch den Syndicus Carl Henrich Dreyer Archiv der Hansestadt Lubeck Museum Dreyerianum Bl 190 Hamburger Eideskapelle dargestellt im Hamburger Stadtrecht von Absolon Stumme 1497Die in der Rathauskammerei verwahrte Eideskapelle wurde zu besonderen Anlassen wie auch bei Gerichtstagen prasentiert Sie diente unter anderem den neuerwahlten Ratsherren zur Bekraftigung und Veranschaulichung ihres Schwurs Wahrend der Lubecker Franzosenzeit musste das wertvolle Kleinod des Lubecker Rates an den Generalgouverneur des Departement des Bouches de l Elbe in Hamburg Louis Nicolas Davout abgeliefert werden und ist seither verschollen Inhaltsverzeichnis 1 Herstellung und Umfeld 2 Verwendung und Funktion 3 Verlust 4 Beschreibung 5 Eideskapelle des Lubecker Niedergerichts 6 Eideskapelle des Lubecker Echtdings 7 Vergleichbare Reliquiare in der Lubecker Kunst 8 Literatur 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseHerstellung und Umfeld Bearbeiten nbsp Eid auf Reliquien in der Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels aus der Zeit 1295 1363 nbsp Derick Baegert Gerichtliche Eidesleistung Wesel 1493Mittelalterliche vorreformatorische Eideskapellen als Metallarbeit sind auch in anderen Stadten Norddeutschlands uberliefert ohne dass bis heute eine abschliessende wissenschaftliche Untersuchung uber Gebrauch und Verbreitung dieser Form der Schwurlade vorlage Bekannt ist unter anderen die Eideskapelle der Stadt Tangermunde die 1461 von dem Goldschmied Valentin Pust 1 gefertigt wurde 2 Wahrend die Eideskapelle in Tangermunde datierbar ist kann die Lubecker Eideskapelle nur pauschal der Spatgotik ab etwa 1350 zugeordnet werden Einen Hinweis auf ihr Nicht Vorhandensein ergibt sich moglicherweise aus den Lubecker Chroniken denen zufolge nach der Vertreibung des Lubecker Rates im Zuge der burgerlichen Unruhen 1408 die neuen Ratsherren ihren Eid auf dat gulden crutze dat de herren hebben up dem hus 3 also ein goldenes Schwurkreuz ablegten Lambacher datiert die Lubecker Eideskapelle unter Hinweis auf die Eideskapelle von 1461 in Tangermunde und die 1497 von Absolon Stumme zweifach dargestellte Hamburger Eideskapelle gefertigt ebenfalls im Jahr 1461 durch den Goldschmied Johann Schroder vage auf das letzte Viertel des 15 Jahrhunderts und vermutet einen Lubecker Goldschmiedemeister als den Hersteller 4 Das zum Luneburger Ratssilber gehorende Burgereidkristall datiert inschriftlich auf das Jahr 1443 und ist von dem Goldschmied Hans Laffert signiert Man kann die sakralarchitektonische Form der Lubecker Eideskapelle als vorreformatorische Sakralisierung der Lubecker Stadtgeschichte bzw des Lubecker Rates und seines selbstbewussten Machtanspruches im Stadtregime der Freien Reichsstadt verstehen 5 Annette Reitz Diense eine Theologin sieht auch im Ratsarchiv das ab 1298 in der Tresekammer der Lubecker Marienkirche eingerichtet wurde eine ahnliche Entwicklung 5 Die Marienkirche war als vorreformatorische Ratskirche in erklarter Konkurrenz zur Bischofskirche dem Lubecker Dom erbaut worden Verwendung und Funktion BearbeitenDie Form der Eideskapelle verweist auf die Rolle der Kirche als Garant des Eides Der Ratswahl selbst schon gingen in Lubeck Furbitten in Gottesdiensten der Stadtkirchen voraus Die neu gewahlten Ratsherren versammelten sich vor dem Eid wiederum in der Lubecker Marienkirche Der Schwur selbst fand aber im Ratssaal statt wo das Schmuckstuck des Rates aufgestellt wurde Die neuen Ratsherren knieten dort paarweise nieder und leisteten den Eid mit einem Finger auf der Eideskapelle 6 Die Lubecker Eideskapelle wurde im Lubecker Rathaus in der Kammerei verwahrt und stand am St Peterstag an dem jeweils der neue Rat Senat gesetzt wurde vor den neu erwahlten Ratsherren Damit wurde der Zusammenhang zum Ratseid deutlich den die vom Rat nach dem Prinzip der Selbsterganzung neu zugewahlten Ratsherren dem Rat selbst nicht der Stadt oder ihrer Burgerschaft zu leisten hatten 7 Aber auch bei Gerichtsverhandlungen von Oberhof und niederen Gerichten wurde sie genutzt bis im ersten Drittel des 16 Jahrhunderts die Gerichtsherren im Rat eine weitere holzerne Eideskapelle erhielten die dem alteren Vorbild nachempfunden war Verlust BearbeitenDie Eideskapelle war uber 400 Jahre Bestandteil des Lubecker Ratssilbers Ihre symbolische Funktion verlor sie in der Franzosenzeit als der Lubecker Rat aufgelost und durch den Munizipalrat einer kurzzeitigen bonne ville de l Empire francais ersetzt wurde Wahrend das gesamte ubrige Ratssilber bei massigen bis niedrigsten Erlosen infolge der nachfragebedingt eingebrochenen Silberpreise zum Schuldenabbau der Stadt verwertet wurde war die Eideskapelle ob nun wegen ihrer Symbolhaftigkeit oder wegen personlicher Begehrlichkeit auf den ausdrucklichen Befehl des Generalgouverneurs des Departement des Bouches de l Elbe Louis Nicolas Davouts in Hamburg abzuliefern 8 Der sogenannte Lubecker Silberschatz ist hingegen eine private Sammlung von Exponaten alter Lubecker Goldschmiedekunst die erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zusammengetragen und von den Lubecker Museen angekauft wurde um eine entstandene Lucke wieder zu schliessen Beschreibung BearbeitenDie Eideskapelle wurde von dem Syndicus Carl Henrich Dreyer beschrieben 9 und gezeichnet Sie hatte einen rechteckigen Grundriss Satteldach und ein Turmchen an jeder Ecke Sie war nach den Beschreibungen silbervergoldet etwa einen Fuss hoch wie lang bei einer Breite von 1 2 Fuss und hatte ein Gewicht von umgerechnet 848 Gramm 58 Lot Silber Reliefs und Inschriften zierten sie rundum Das Satteldach zeigte als Reliefapplikationen die Majestas Domini in der Mandorla zwischen einem Bischof und einem weiteren Heiligen unten ringsum umgeben von den Zwolf Aposteln Die lateinische Inschrift auf dem Satteldach lautete EGO SVM LUX MVNDI QVI SEQVITVR ME NON AMBVLAT IN TENEBRIS deutsch Ich bin das Licht der Welt Wer mir nachfolgt der wird nicht wandeln in der Finsternis Johannes 8 12 LUT Auf der anderen Dachflache war der Gekreuzigte zwischen Maria und Johannes dargestellt mit der lateinischen Inschrift JESVS NAZARENVS REX JVDEORVM Der Dachfirst trug die Inschrift OS QVOD INIQVA IVRAVERIT OCCIDIT ANIMAM DOMINI deutsch Ein Mund der falsch schwore totet die Seele des Herrn Letztere Inschrift auf der Handauflageflache Draufsicht der Eideskapelle bezog sich also direkt auf den zu leistenden Eid 10 Eideskapelle des Lubecker Niedergerichts Bearbeiten nbsp Gerard ter Borch Eidesleistung beim Westfalischen Frieden 1648Die Eideskapelle des Lubecker Niedergerichts ist eine Eideskapelle aus Eichenholz nach dem Vorbild der silbervergoldeten Eideskapelle des Rats die auf das erste Drittel des 16 Jahrhunderts datiert wird Sie zeigt die zwolf Apostel auf den Langsseiten und das Lubecker Doppelwappen auf den Schmalseiten die zu Treppengiebeln ausgeformt sind Der ursprungliche achteckige Dachreiter ist verloren und in spaterer Zeit durch ein Galgengerust mit Glockchen ersetzt worden Diese Eideskapelle wurde 1612 farblich neu gefasst und auf dem Unterbau des Dachreiters mit den Wappen der beiden in diesem Jahr amtierenden Gerichtsherren des Lubecker Rates den Ratsherren Johann Luneburg und Lorenz Moller versehen 11 Sie befindet sich heute im St Annen Museum 12 Holzerne nachreformatorische Schwurladen in sakralarchitektonischer Form sind aus Zwickau Rendsburg Werben Kiel Bremen und in zwei Exemplaren in Luneburg bekannt 13 Eideskapelle des Lubecker Echtdings Bearbeiten nbsp Lubecker Echtding im 16 JahrhundertAuch das seit der Stadtgrundung abgehaltene Lubecker Echtding bediente sich einer Eideskapelle Ihr Aussehen ist jedoch nur in groben Zugen durch die im 18 Jahrhundert entstandene Zeichnung eines heute nicht mehr erhaltenen Gemaldes aus dem 16 Jahrhundert uberliefert auf der sie die Form einer Kirche mit spitzem Turm und Dachreiter hat Der Verbleib dieser Eideskapelle nach der Aufhebung des Echtdings im Jahre 1803 ist nicht bekannt Die Bedeutung des Echtdings sank in Lubeck bereits Ende des 13 Jahrhunderts so wie die Judikative zunehmend auf den Lubecker Rat uberging Vergleichbare Reliquiare in der Lubecker Kunst Bearbeiten nbsp Abbildung eines Reliquiars im Lukas Altar durch Hermen RodeEin von der Gestaltung her der Eideskapelle des Rats recht ahnliches Reliquiar Kapelle mit Fialen an den Ecken findet sich unten rechts auf der Sonntagsseite im Lukas Altar des Lubecker Maleramtes der um 1490 von Hermen Rode gemalt wurde Er befand sich ursprunglich in der Lubecker Katharinenkirche und ist heute eines der zentralen Sammlungsstucke der Altare des Museums fur Kunst und Kulturgeschichte im St Annen Museum 14 Literatur BearbeitenFriedrich Bruns Hugo Rahtgens Lutz Wilde Die Bau und Kunstdenkmaler der Hansestadt Lubeck Band I 2 Teil Rathaus und offentliche Gebaude der Stadt Max Schmidt Romhild Lubeck 1974 ISBN 3 7950 0034 3 S 269 270 Friedrich Bruns Der Lubecker Rat Zusammensetzung Erganzung und Geschaftsfuhrung von den Anfangen bis ins 19 Jahrhundert In Zeitschrift des Vereins fur Lubeckische Geschichte und Altertumskunde 32 1951 S 1 69 Antjekathrin Grassmann Lubeckische Geschichte 2 Auflage Lubeck 1989 Dietrich Poeck Rituale der Ratswahl Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa 12 18 Jahrhundert Stadteforschung A Darstellungen 60 Bohlau Koln Weimar 2003 ISBN 3 412 18802 6 bes S 180 Lothar Lambacher Goldschmiedekunst in Lubeck um 1500 In Jan Friedrich Richter Hrsg Lubeck 1500 Kunstmetropole im Ostseeraum Katalog Imhoff Petersberg 2015 S 104 112 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Eideskapellen Sammlung von Bildern Videos und AudiodateienEinzelnachweise Bearbeiten Lebensdaten und weitere Werke unbekannt siehe Wolfgang Scheffler Goldschmiede Mittel und Nordostdeutschlands Von Wernigerode bis Lauenburg in Pommern Daten Werke Zeichen Walter de Gruyter 1980 S 537 Peter Knuvener Dirk Schumann Die Mark Brandenburg unter den fruhen Hohenzollern Beitrage zu Geschichte Kunst und Architektur im 15 Jahrhundert Lukas Verlag 2015 S 405 ff Friedrich Bruns Hugo Rahtgens Lutz Wilde Die Bau und Kunstdenkmaler der Hansestadt Lubeck Band I 2 Teil Rathaus und offentliche Gebaude der Stadt Max Schmidt Romhild Lubeck 1974 S 269 Lothar Lambacher Goldschmiedekunst in Lubeck um 1500 S 106 a b Annegret Reitz Dinse Kommunikation mit Gott Medialitat und Sakralitat von Kirchengebauden und ihrer Nutzung am Beispiel der St Marienkirche Lubeck Neukirchener Theologie Neukirchen Vluyn 2012 S 62 ff zur Eideskapelle S 65 ff Dietrich Poeck Rituale der Ratswahl Zeichen und Zeremoniell der Ratssetzung in Europa 12 18 Jahrhundert Stadteforschung A Darstellungen 60 Bohlau Koln Weimar 2003 ISBN 3 412 18802 6 S 178 180 Eberhard Isenmann Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150 1550 Stadtgestalt Recht Verfassung Stadtregiment Kirche Gesellschaft Wirtschaft Bohlau Verlag Koln Weimar 2014 S 367 ff grundsatzlich zum Ratseid Antjekathrin Grassmann Lubeckische Geschichte 2 Auflage Lubeck 1989 S 545 nach Lothar Lambacher 2015 ging der Befehl zur Ablieferung von dem Prafekten des Departements Patrice de Coninck 1770 1827 aus Carl Henrich Dreyer Einleitung zur Kenntniss der in Geist Burgerlichen Gerichts Handlungs Policey und Kammer Sachen von E Hochw Rath der Reichsstadt Lubeck von Zeit zu Zeit ergangenen allgemeinen Verordnungen Mandaten Normalien Decreten wie auch der dahin einschlagenden Rechts Urkunden Donatius Lubeck 1769 S 359 Inschriften und Ubersetzung nach BuK Band I 2 Teil S 269 270 unter dortiger Bezugnahme auf die Uberlieferung Dreyers es muss wohl inique heissen vgl auch Weisheit 1 11 EU os autem quod mentitur occidit animam ein Mund der lugt totet die Seele Friedrich Bruns Hugo Rahtgens Lutz Wilde Die Bau und Kunstdenkmaler der Hansestadt Lubeck Band I 2 Teil Rathaus und offentliche Gebaude der Stadt Max Schmidt Romhild Lubeck 1974 S 203 Abbildung beim Bildindex der Kunst und Architektur Abbildung bei der Bibliothek der University of Pennsylvania Peter Knuvener Dirk Schumann Die Mark Brandenburg unter den fruhen Hohenzollern Beitrage zu Geschichte Kunst und Architektur im 15 Jahrhundert Lukas Verlag 2015 S 405 mit weiterfuhrenden Literaturhinweisen Beschreibung des Retabels bei Uwe Albrecht Hg Corpus der Mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig Holstein Band I Hansestadt Lubeck St Annen Museum Kiel Ludwig 2005 ISBN 3933598753 S 248 257 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Eideskapelle des Lubecker Rats amp oldid 222310678