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Edgar Michaelis 9 Oktober 1890 in Berlin 21 Februar 1967 bei Bern war ein Psychotherapeut und Nervenarzt der sich mit einer Gruppe Gleichgesinnter fur eine Weiterentwicklung der Psychoanalyse zur Psychosynthese einsetzte Er wuchs in einer liberalen judischen Familie des Bildungsburgertums auf und besuchte das Franzosische Gymnasium in Berlin Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Lehre 3 Michaelis als Kritiker der Frankfurter Zeitung 1923 bis 1932 4 Die psychotherapeutische Arbeit von Edgar Michaelis 5 LiteraturLeben BearbeitenSein Onkel Simon machte ihn in seinen Akademisch literarischen Verein mit Berliner Schriftstellern bekannt was Michaelis zu seiner spateren selbststandigen literarischen Arbeit anregte Nach dem Abitur studierte Michaelis Medizin in Berlin 1913 schenkte ihm sein Freund Hans Rosenberg die 1831 erstmals erschienenen Vorlesungen uber Psychologie von Carus Dieses Buch ein bekanntes Werk der romantischen Seelenkunde vereinte seine religiosen und politischen Vorstellungen in einem idealistischen Weltbild auf naturphilosophischer Basis Nachdem er das Staatsexamen mit cum laude bestanden hatte bewarb er sich 1914 aus Interesse an experimentellen Arbeiten als Assistenzarzt am Bakteriologischen Institut Berlin Kaum hatte er zu arbeiten begonnen wurde dieses nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges geschlossen Als Assistenzarzt in der Psychiatrischen Universitatsklinik Giessen betreute er eine Station mit nervos Kranken und fuhlte sich sehr offen und aufnahmefahig war sofort in s einem Element und wusste dass er dort hingehore Er verfasste 1916 unter der Leitung von Professor Sommer eine experimentell psychologische Dissertation Zur Kenntnis der psychischen Erkrankungen bei Kriegsteilnehmern Diese Arbeit ist insofern bemerkenswert als er den Mut zeigte die Rolle der Militarpsychiater kritisch zu kommentieren Er widersprach der weitverbreiteten Auffassung dass die psychische Belastbarkeit keinen Einfluss auf die allgemeine Wehrfahigkeit habe Er vertrat also die Ansicht dass nicht jeder Mensch die geeignete psychische Konstitution fur den Kriegsdienst habe selbst wenn er korperlich diensttauglich sei Der eigentliche experimentelle Teil der Arbeit bestand in einem Fallbericht uber einen kriegstraumatisierten jungen Mann den er uber mehrere Wochen taglich denselben Fragebogen beantworten liess Im Verlauf zeigte sich an den Antworten dass der psychotisch erkrankte Soldat langsam in die Realitat zuruckkehrte 1916 heiratete er Kathe Guttmann die er acht Jahre zuvor vermutlich in dem Kurort Wolfsgrund kennengelernt hatte Er wurde in die Weiler schen Anstalten bei Berlin dann nach Graudenz und schliesslich in das Festungslazarett Thorn geschickt Als Pazifist lehnte er den Krieg ab und es gelang ihm die Einberufung als Zivilarzt bis 1916 hinauszuzogern Er wollte sich der militarischen Hierarchie nicht beugen und verweigerte z B den Gruss gegenuber seinem Offizier wohl wissend dass ihm dafur eine Haftstrafe drohte Trotz wiederholter Konflikte mit seinen Vorgesetzten fuhrte er mit den kriegstraumatisierten Soldaten eine Gesprachspsychotherapie nach seinem eigenen Konzept durch 1917 erhielt er dennoch das Hessische Militar Verdienstkreuz Zuruck in Berlin vertiefte er sich fur seine personliche Ausbildung zum Psychotherapeuten in die psychiatrische Fachliteratur 1919 liess er sich als Nervenarzt in eigener Praxis in Berlin nieder Lehre Bearbeiten1925 veroffentlichte er sein bekanntestes Werk Die Menschheitsproblematik der Freud schen Psychoanalyse Der Titelzusatz Urbild und Maske spielt auf das griechische antike Theater an in dem die Person des Schauspielers sich hinter einer Maske versteckt so dass der Zuschauer die wahre Gestalt und die Personlichkeit des Schauspielers nicht erkennen kann So habe auch Freud sich hinter der Maske seiner radikalen Ideologie versteckt doch sei er eigentlich ein ganz anderes Urbild Freud sei nicht der pessimistisch realistisch betont objektiv denkende und gefuhlskalte Mensch der er zu sein vorgebe So ausserte er uber Freud die hoheren Strebungen die in der Lehre fehlen wo das Wesen des Menschen als triebhaft und bose hingestellt wurde diese hoheren Strebungen sind das verborgenste Gut auf dem Grunde der Seele ihres Schopfers aufzeigbar Hinter der Maske verberge sich eine empfindsame Person die von einer enttauschenden Vaterfigur gepragt worden sei Freud habe sich um die Beschreibung der menschlichen Psyche sehr verdient gemacht Seine Lehre sei keineswegs als falsch zu verwerfen doch bedurfe es seiner Ansicht nach einer Erganzung um die auch bei Freud vorhandene idealistische Seite Neben der Betonung der Triebe des Menschen sollte der Psychotherapeut der Seelsorger und Erzieher auch das Streben nach einer positiven Haltung und einer Entwicklung der guten Anlagen und Fahigkeiten des Menschen berucksichtigen Michaelis erwarb sich mit diesem Werk einen Ruf als geschickt argumentierender Kritiker Freuds Offensichtlich war es ihm ein wichtiges Anliegen die Stimme der Kritik an jeder einseitigen psychologischen Forschung also auch der Verhaltenstherapie nicht verstummen zu lassen Der Mensch so Michaelis sei eben nicht hilflos seinen Trieben ausgeliefert sondern versuche fortwahrend seine individuellen positiven Begabungen zu finden und zu entwickeln Um den Menschen hierzu zu befahigen bedurfe es einer geeigneten Erziehung und Forderung seiner Begabungen Michaelis Werk wurde von den befreundeten religiosen Sozialisten und den Anhangern der Bewegung Arzt und Erzieher positiv aufgenommen Martin Buber Ricarda Huch Thomas Mann Paul Haberlin Hermann Graf von Keyserling und andere gratulierten ihm wohlwollend zu seinem Erstlingswerk Dadurch ergaben sich zahlreiche neue Kontakte und auch Freundschaften wie die zu Alphonse Maeder einem Schweizer Psychotherapeuten und ehemaligem Freud Schuler Dieser machte ihn wiederum mit anderen Mitgliedern und Gasten des Psychologischen Clubs in Zurich wie Hans Trub und Constantin von Monakow bekannt Michaelis als Kritiker der Frankfurter Zeitung 1923 bis 1932 BearbeitenNeben seinen Vortragen uber die vieldiskutierten gesellschaftlichen Themen wie die Stellung der Frau und Sexualitat in der Ehe veroffentlichte er regelmassig Literaturkritiken zu den Neuerscheinungen aus der Psychologie in der Frankfurter Zeitung Hier ein Beispiel von 1923 Gegenuber der Lehre vom sog Realitats Prinzip nach der der Arzt als Vertreter der Gesellschaft den Neurotiker zur Anpassung fuhren muss wird betont dass der Arzt nicht nur Vertreter der Aussenwelt sondern gerade der Innenwelt sein muss wenn er heilen will Wahrend nach Schilder die Ich Triebe zerstorenden destruktiven Charakter tragen hat Prof Goldstein dankenswert dargestellt dass das Leben als solches das Streben nach Entfaltung und Wachstum in sich tragt Die Begriffe des Ideal und der Liebe die auch Schilder gebraucht gehen uber eine blosse Trieblehre weit hinaus Es ist ein Fortschritt dass jetzt das Problem des Ideals wenigstens immer starker besprochen wird In dieser Richtung liegen Fragen von denen das Schicksal der Psychotherapie innerlich abhangt Frankfurter Zeitung Edgar Michaelis 1923 Gerade der Vorstoss von einer symptomatischen Therapie zu letzten Fragen der Weltanschauung gibt der Erforschung der psychischen Heilmethoden allgemein kulturelle Bedeutung Umso mehr erwachst die Verantwortung nicht vorzeitig halt zumachen sondern uber die vorhandenen Ansatze hinaus wirklich letzte Entscheidungen zu suchen damit die Psychotherapie immer mehr der grossen Aufgabe gerecht werden konne an der sie Anteil hat die Not des Lebens zu bekampfen und die innere Bestimmung des Menschen erfullen helfen Ein Dogma wie die Freud sche Psychoanalyse wurde als Hindernis fur eine freie Weiterentwicklung der noch jungen Therapie angesehen Uber den Streit innerhalb des Berufsstandes bemerkte er Es ist in der Tat die eigentumliche Spannung der Aufgabe vor die die Psychotherapie gestellt war dass in einer Zeit der Auflockerung aller Bindungen fur innere Zerrissenheit und Seelennot neue Stellen der Hilfe und Fuhrung aus angstvoller Vereinzelung sich bilden mussten obwohl doch allgemein das Lebensganze den Blicken zu schwinden drohte So entstanden Glaubenskampfe um die Psychoanalyse konnte es geschehen dass alle menschlichen Werte unter dem Gesichtswinkel dieser betrachtet und an ihr gemessen wurden Diese Auseinandersetzung um das Ideal war fur Michaelis entscheidend fur die Zukunft der Psychotherapie und damit angesichts steigender Zahlen psychiatrischer Patienten auch ein gesellschaftliches Thema Unermudlich versuchte er in seinen Kritiken die Kernbotschaft zu vermitteln dass die Weiterentwicklung der Psychotherapie einen Beitrag zur Bewaltigung der spirituellen und psychosozialen Krise der ganzen Gesellschaft leisten konne und daher keinesfalls gehindert werden durfe So verstehe sich der Idealismus als Gegenspieler zum Realismus welcher bereits mit der Psychoanalyse die einzig wissenschaftliche Psychotherapierichtung gefunden zu haben glaubte Die psychotherapeutische Arbeit von Edgar Michaelis Bearbeiten1933 begann fur das Ehepaar eine Zeit des kirchlichen Engagements im Widerstand gegen Hitler Die Korrespondenz belegt Kontakte zu fuhrenden Akteuren der kirchlichen Opposition gegen die Deutschen Christen und damit gegen das Nationalsozialistische Regime Aus den Korrespondenzen im Nachlass von Michaelis geht hervor dass er Martin Niemoller Dietrich Bonhoeffer und Gerhard Jakobi gut kannte Eine Einladungskarte zu einer Synode am 7 Marz 1934 in Berlin Dahlem gibt Ratsel auf Vermutlich handelte es sich um eine Vorbereitungsveranstaltung zu den kommenden grosseren Zusammentreffen kirchlicher Oppositioneller Michaelis war also im Kampf um das Bekenntnis der protestantischen Kirche gegen die zunehmende Macht der Nationalsozialisten aktiver Teilnehmer Ab 3 und 4 Januar 1934 formierte sich die freie reformierte Synode in verschiedenen deutschen Stadten Vor allem in Wuppertal Barmen und Dahlem fanden die Kirchengemeinden zur Bekenntnissynode zusammen Vom 29 bis 31 Mai 1934 wurde die Barmer Theologische Erklarung als Fundament der Bekennenden Kirche verabschiedet Bekannt wurde auch die zweite Bekenntnissynode vom 19 20 Oktober 1934 in Berlin Dahlem Dort wurde das Kirchliche Notrecht von Dahlem beschlossen Michaelis Teilnahme dort ist aber nicht belegt Mit der Machtubernahme der Nationalsozialisten endete Michaelis Karriere als Autor da das Publizieren fur Juden immer schwieriger und schliesslich ganz verboten wurde 1930 hielt Michaelis vor der Arbeitsgemeinschaft Arzt und Seelsorger im Berliner Johannesstift 1930 den Vortrag Geschlecht und Seele und 1934 den Vortrag Der Ernst der arztlichen Seelsorge vor Gott in dem er sich zu einer arztlichen Seelsorge nach dem Vorbilde Luthers bekannte Besonders brisant wurde diese letzte Zusammenkunft aber dadurch dass er ganz eindeutig eine versteckte Kritik an den Grundgedanken der Nationalsozialisten ubte Er widersprach dem Satz Du bist nichts Dein Volk ist alles auf eine erst auf den zweiten Blick ersichtliche Weise Er verglich die verheerenden Folgen einer unreflektierten Religionsausubung gegenuber Gott mit denen einer unreflektierten Gefolgschaft gegenuber der Ideologie des Nationalsozialismus Es sei fatal einer Religion bzw einer Ideologie zu folgen die den Menschen bzw den sogenannten Herrenmenschen verehre Nur Gott allein durfe im Mittelpunkt des Lebens stehen nicht der einzelne Mensch und nicht ein bestimmtes Volk Nach den Nurnberger Rassengesetzen von 1935 galt Michaelis als Volljude hatte allerdings seit dem 7 Marz 1933 das Frontkampfer Privileg Viele seiner judischen Patienten wanderten aus oder wurden von den Nationalsozialisten verhaftet 1938 loste die Ankundigung des Entzugs der Approbation fur alle judischen Arzte bei Michaelis einen erneuten Erschopfungszustand aus Nach einem Kuraufenthalt im Sanatorium Furstenberg bei Potsdam wohnte das Ehepaar Michaelis noch eine Zeit in einer privaten Pension in Graudenz Dort wurde er am Abend der Reichspogromnacht vom 9 November 1938 ohne Angabe von Grunden verhaftet und ins Lager Strehlitz bei Berlin abtransportiert Seine Frau bemuhte sich ihn mit einer arztlichen Bescheinigung der Haftunfahigkeit zu befreien Nach drei Wochen wurde er dank der Fursprache einiger seiner Freunde entlassen Nach der Freilassung aus der Haft kehrte er nach dem ersten Schrecken schon bald in seinen Alltag zuruck Dabei ignorierte er weiterhin die Gefahr in der er und seine Frau schwebten und versaumte so beinahe die letzten Moglichkeiten zur Emigration Erst Ende 1939 als das Ehepaar aufgefordert wurde in ein Judenhaus umzuziehen gab Michaelis dem Drangen seiner Frau und seiner Freunde unter anderen besonders Pfarrer Link nach und stimmte einer Flucht zu Dank der guten Verbindungen in die Schweiz gelang es ihnen am 28 Dezember 1939 uber Basel nach Lausanne zu fliehen Fluchtlinge erhielten damals in der Schweiz keine Arbeitsbewilligung sodass Michaelis weder als Arzt noch Psychotherapeut seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte Das Ehepaar Maeder das schon Jahre zuvor mit den Michaelis befreundet war unterstutzte sie nach Kraften 1947 vermittelte Maeder Michaelis ein dreimonatiges Praktikum in der psychiatrischen Klinik La Rochelle in Vaumarcus bei Neuchatel in der Hoffnung dass er eine Anstellung angeboten bekame Dieser Gedanke war zwar naheliegend doch hatte Michaelis sich seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr mit der Anstaltspsychiatrie befasst und nie den Wunsch verspurt dort wieder zu arbeiten Auch die Aussicht als stellvertretender Chefarzt tatig zu werden lockte ihn nicht da er weder Erfahrung noch Interesse an administrativen Aufgaben hatte Das Verhaltnis kuhlte sich deutlich ab als Maeder einsehen musste dass Michaelis wenige Moglichkeiten hatte wieder an seine fruheren Tatigkeiten als Psychotherapeut freier Autor und Literaturkritiker anzuknupfen Als getaufter judischer Fluchtling war er in der Schweiz zwar geduldet doch fand er keinesfalls mehr Anschluss an die intellektuellen Kreise in denen er sich im Berlin der 1920er Jahre bewegt hatte Der Krieg hatte ihm die Grundlagen seiner damaligen Karriere entzogen Michaelis fuhlte sich geistig isoliert was ihn sehr belastete Dank der Fursprache von Prof Steck Vorsteher der Klinik Cery erhielt Michaelis 1950 die Erlaubnis psychologische Beratungen ohne arztliche Tatigkeit durchzufuhren Im Jahr darauf erhielt er die Niederlassungsbewilligung fur eine eigene Beratungspraxis Im August 1960 wurde er fur seinen Beitrag zur Entwicklung der Psychotherapie von dem Psychiater Viktor Frankl dem Prasidenten der von Frankl selbst gegrundeten Osterreichischen Arztegesellschaft zum korrespondierenden Mitglied der Gesellschaft ernannt 1961 begegneten sich beide auf dem Internationalen Kongress fur Psychotherapie in Wien Kathe Michaelis starb am 18 April 1960 an einer schon etwa zwei Jahre andauernden Herzerkrankung Der Verlust seiner Frau die ihn immer umsorgt und auch einige Male aus gefahrlichen Situationen gerettet hatte liess ihn in Trauer versinken Mehrmals nahm er am Rencontre de Geneve einem jahrlichen Kongress der Theologen Philosophen und Literaten in Genf teil 1962 wurde bei dem inzwischen 72 jahrigen Michaelis eine Leukamie festgestellt an der er am 21 Februar 1967 verstarb Literatur BearbeitenHuldrych M Koelbing Michaelis Edgar In Neue Deutsche Biographie NDB Band 17 Duncker amp Humblot Berlin 1994 ISBN 3 428 00198 2 S 431 Digitalisat Julia Roseler Edgar Michaelis Arzt und Seelsorger Herausgegeben vom Centrum Judaicum Hentrich amp Hentrich Berlin 2014 ISBN 978 3 95565 035 3 Judische Miniaturen Band 146 Julia Annette Friederike Roseler Die Arztliche Seelsorge nach Edgar Michaelis PDF 125 Seiten 1 3 MB Dissertation am Medizinhistorischen Institut der Universitat Zurich 2012 Normdaten Person GND 118840606 lobid OGND AKS LCCN no90008085 VIAF 3267930 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Michaelis EdgarKURZBESCHREIBUNG deutscher Psychotherapeut und NervenarztGEBURTSDATUM 9 Oktober 1890GEBURTSORT BerlinSTERBEDATUM 21 Februar 1967STERBEORT bei Bern Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Edgar Michaelis amp oldid 238683470