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Beim Bukowiner Ausgleich handelte es sich um eine Gesetzesreform im ostlichsten Kronland der osterreichischen Reichshalfte Cisleithanien der Osterreichisch Ungarischen Monarchie mit den Zielsetzungen der Ausweitung des allgemeinen Mannerwahlrechts Demokratisierung und der Entscharfung nationaler Gegensatze in der Landespolitik Dafur wurden eine vollig neue Landtagswahlordnung geschaffen und die Landesverfassung Landesordnung stark uberarbeitet Das Gesetzeswerk wurde in den Jahren 1904 09 von fuhrenden Landespolitikern der verschiedenen Nationalitaten ausgearbeitet im Oktober 1909 im Bukowiner Landtag beschlossen und erlangte im Mai 1910 die Zustimmung der Wiener Zentralregierung sowie die kaiserliche Sanktion Bekanntmachung der kaiserlichen Sanktion des Bukowiner Ausgleichs in der Wiener Zeitung am 3 Juni 1910 1 Inhaltsverzeichnis 1 Gesamtstaatlicher Kontext 2 Regionale Einflussfaktoren 3 Entstehungsgeschichte 3 1 Von den Landtagswahlen 1904 bis zum lokalen Konsens 1909 3 2 Kontroverse um den separaten judischen Kataster 3 3 Endgultige Zusammensetzung des Landtages und Beschlussfassung 4 Interpretation der Mandatsverteilung 5 Das Funktionieren der Gesetze in der Praxis 6 Auswirkungen auf das politische Klima in der Bukowina 7 Schlussfolgerung 8 Literatur 9 Weblinks 10 EinzelnachweiseGesamtstaatlicher Kontext BearbeitenDas Bukowiner Reformwerk steht in Kontinuitat zu einer Reihe ahnlicher Bestrebungen in der Habsburgermonarchie Wahrend eine erste Welle an Ausgleichsgesetzen gesamtstaatliche Fragen geklart hatte insbesondere die zwischen Osterreich und Ungarn 1867 und zwischen Ungarn und Kroatien 1868 wurden in der zweiten Welle regionale Fragen zwischen Volksgruppen innerhalb der Kronlander reguliert Hier sind insbesondere der Mahrische Ausgleich von 1905 und der Galizische Ausgleich von 1914 hervorzuheben Der gerne als mustergultig hervorgestrichene Bukowiner Ausgleich 2 wurde in seiner praktischen politischen Wirksamkeit dadurch begunstigt dass die nationalen Gegensatze durch das Fehlen dominierender Volksgruppen weniger stark als in anderen Gebieten der Monarchie ausgepragt waren 3 und anders als in Galizien 4 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges noch einige Friedensjahre zur Verfugung standen Er beschrankte sich im Gegensatz zum Mahrischen Ausgleich zudem auf die Regelung der politischen Vertretung wahrend jener auch das Schul und Sprachwesen neu zu regeln suchte 5 hatte also eine enger umrissene Zielsetzung Als fordernd fur das Zustandekommen der Bukowiner Reform stellte sich das Bestreben der Wiener Zentralregierung heraus ein Erfolgsbeispiel fur die Entscharfung nationaler Gegensatze zu schaffen Auch wenn das Wiener Kabinett in einer entscheidenden Frage gegen den lokalen Entwurf ihr Veto einlegen sollte war die Grundhaltung doch zustimmend und unterstutzend Das Zustandekommen des Ausgleiches wurde aus Wien nicht von oben oktroyiert sondern weitgehend der regionalen Politik uberlassen jedoch immer auf einen konsensualen Prozess bestehend das ubergeordnete Staatswohl im Blick 6 So steht die Reform auch in der Tradition Josephinischen Staatsdenkens das gesellschaftliche Konflikte durch eine Verrechtlichung der Materie zu regeln suchte 7 Regionale Einflussfaktoren BearbeitenDie Bukowina war erst 1775 Teil von Osterreich und 1849 eigenstandiges Kronland geworden Seit dieser Zeit waren durch gezielte Entwicklungspolitik beachtliche Fortschritte in Wirtschaft Verwaltung und Kultur erreicht worden nicht zuletzt durch die Ansiedelung von Fachkraften aus der gesamten Monarchie was zu einer Vervielfachung der Bevolkerungszahl aber auch zu fortschreitender ethnischer Vielfalt fuhrte 8 Treibende Krafte zur Entstehung des Ausgleichs zu Beginn des 20 Jahrhunderts waren der in der Bukowina so wie in anderen Teilen der Habsburgermonarchie aufgekeimte Nationalismus Demokratisierungstendenzen sowie das politische Aufstreben der bauerlichen ukrainischen ruthenischen Bevolkerungsmehrheit nbsp Jungruthenenchef Nikolaj Wassilko einer der pragenden Politiker des Bukowiner Ausgleichs Foto ca 1915 Gerade nationalistische Tendenzen mussten in einem ethnisch so vielfaltigen Land wie der Bukowina destabilisierende Wirkung entfalten 9 auch wenn sie im Vergleich zu anderen Kronlandern spater auftraten und weniger stark ausgepragt waren 10 Als besonders einflussreiche Entwicklungen erwiesen sich dabei das ruthenische Aufbegehren gegen die rumanische Dominanz in Kirchen und Schulen 11 12 das von der neu entstehenden ruthenischen Intelligenz darunter vor allem Lehrern und Beamten getragen wurde sowie das anti assimilatorisch zionistisch gepragte Drangen 13 nach Anerkennung der besonders in der Hauptstadt Czernowitz politisch und kulturell dominierenden 14 Juden als eigenstandige Nationalitat und nicht wie im Staatsgrundgesetz von 1867 geregelt nur als Religionsgemeinschaft sie wurden in Osterreich Ungarn gemass ihrer Umgangssprache zumeist der deutschen in Galizien der polnischen Volksgruppe zugerechnet Den entscheidenden Anstoss fur das Zustandekommen des Ausgleichs sollte jedoch die Bildung einer ubernationalen politischen Koalition geben die unter dem Namen Freisinniger Verband mit modernen populistischen Methoden Demokratisierungsbestrebungen gegen die aristokratische regierungstreue Elite des traditionellen rumanischen und polnischen Grossgrundbesitzes betrieb und erstmals bei den Landtagswahlen von 1904 erfolgreich in Aktion trat Entscheidende Figuren des Freisinnigen Verbandes waren die jeweiligen politischen Anfuhrer der Jungruthenen Nikolaj Wassilko der rumanischen Demokraten Aurel Onciul der Deutschfortschrittlichen Arthur Skedl sowie der judischen Nationalpartei Benno Straucher Sie alle hatten zusatzlich zu ihren Bukowiner Landtagsmandaten auch Sitze im Wiener Reichsrat und waren damit politisch weit uber die Landesgrenzen hinaus vernetzt und tatig Unterstutzung fanden sie zudem durch den 1903 04 amtierenden Bukowiner Landesprasidenten den roten Prinzen Konrad zu Hohenlohe Schillingsfurst Die Aktivitaten des Freisinnigen Verbandes fuhrten schliesslich zur Herausbildung moderner politischer Parteienstrukturen in der Bukowina die fur ein Durchfuhren von Massenwahlen eine wichtige Voraussetzung darstellten 15 Entstehungsgeschichte BearbeitenVon den Landtagswahlen 1904 bis zum lokalen Konsens 1909 Bearbeiten Nach ihrem grossen Erfolg bei den Bukowiner Landtagswahlen 1904 brachten Vertreter des Freisinnigen Verbandes zugig einen ersten Entwurf fur Landtagsreformgesetze ein der vor allem eine Ausdehnung des Landtags Wahlrechts durch Schaffen einer allgemeinen Wahlerklasse Manner uber 24 Jahre als Schritt Richtung Demokratisierung vorsah Weiters regelte er eine Neubestimmung der Kriterien fur das Wahlrecht in den privilegierten Wahlerklassen in Form von Mindest Steuerleistungen sowie die Einfuhrung des direkten und geheimen Wahlrechts Ein deutliches Aufstocken der Sitze im Landtag wurde ebenfalls schon vorgesehen wenn sich diese Zahl im Lauf der nachsten Jahre bis zum endgultigen Beschluss auch immer wieder andern sollte 16 nbsp Oktavian Regner von Bleyleben 1904 11 Bukowiner Landesprasident forderte als Vertreter des Kaisers die AusgleichsverhandlungenDieser rasch zusammengestellte Entwurf fand im Landtag allerdings nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit und die Diskussion daruber wurde bald durch gesamtstaatliche Themen wie das allgemeine Mannerwahlrecht fur die Reichsratswahlen uberlagert das mit den Wahlen von 1907 auch tatsachlich eingefuhrt wurde Ihr Ausgang sollte die Fuhrungsfiguren des Freisinnigen Verbandes weiter starken 17 Die deutschnationalen Abgeordneten starteten 1907 mit einer Uberarbeitungsinitiative die Debatte uber den Ausgleich erneut die eine saubere Trennung der Wahlbezirke nach nationalem Gesichtspunkt gewahrleisten sollte insbesondere der rumanischen und deutschen sowie der judischen und deutschen Wahlbezirke Wahrend also beim ersten Entwurf von 1904 noch starker die Ausweitung des Wahlrechts im Vordergrund gestanden war wurden nun die nationalen Aspekte verstarkt deutlich inspiriert vom inzwischen abgeschlossenen Mahrischen Ausgleich von 1905 Als die rumanischen und polnischen Grossgrundbesitzer zu opponieren und die neuen Vorschlage der Deutschnationalen durch Ruckgriff auf und rasche Beschliessung der Entwurfe von 1904 zu hintertreiben suchten wendeten sich mehrere deutsche Reichsratsabgeordnete direkt an das Wiener Innenministerium und protestierten gegen die drohende mangelnde politische Vertretung der Bukowina Deutschen In dieser Situation trat die starke Konsenshaltung der Wiener Behorden und als deren Vertretung des seit 1904 amtierenden Bukowiner Landesprasidenten Oktavian Regner von Bleyleben in Nationalitatsfragen zutage als sie an die Streitparteien die klare Forderung nach echtem Ausgleich der Interessensgegensatze sowie einer eingehenden Behandlung der Materie im Landtag stellten 18 Der Bukowiner Landtag kreierte daraufhin 1908 einen Permanenzausschuss um die komplexe Materie auch ausserhalb der Landtagssessionen weiter behandeln und einen fur alle Beteiligten akzeptablen Entwurf ausarbeiten zu konnen 19 nbsp Alexander Freiherr von Hormuzaki war 1911 18 der letzte Landeshauptmann des Herzogtums Bukowina Foto ca 1904 1909 wurden unter Leitung des Landtags und Reichsratsabgeordneten Alexander Freiherr von Hormuzaki die bisherigen Entwurfe von Grund auf uberarbeitet und dann im Permanenzausschuss vor allem durch Aurel Onciul erganzt nach dem Vorbild des Mahrischen Ausgleiches wurden nationale Kataster auf Gemeindeebene geschaffene Wahlerlisten nach nationaler Zugehorigkeit entworfen die man dann in 5 nationale Wahlkorper Ruthenen Rumanen Deutsche Polen und Juden zusammenfasste Weiters folgt die Schaffung von Nationalen Kurien im Landtag nicht unahnlich Fraktionen in heutigen Parlamenten aber eben nicht nach Partei sondern nach Nationenzugehorigkeit strukturiert welche die Exekutive der Selbstverwaltung den Landesausschuss wahlen Dieser Entwurf wurde von allen Beteiligten gebilligt worauf im September die Ubersendung des Entwurfes an das Wiener Innenministerium zur Erlangung der kaiserlichen Sanktion erfolgte 20 Kontroverse um den separaten judischen Kataster Bearbeiten Nun kam es zur grossten Kontroverse bei der Entstehung der Ausgleichsgesetze sie entspann sich um die Frage eines eigenen judischen Katasters die vom Permanenzausschuss vorgeschlagen worden war und quer durch die Lager bei den Bukowiner Politikern breite Zustimmung fand Trotz dieses Konsenses erfolgte durch die Wiener Zentralregierung in den Personen des Ministerprasidenten Richard Freiherr von Bienerth und des Ministers des Inneren Guido Freiherr von Haerdtl ein energisches Veto Dies hatte einen formalen und zwei gewichtige politische Grunde 21 Als Formalgrund wurde ins Treffen gefuhrt dass die Juden in Osterreich in den Staatsgrundgesetzen von 1867 als Religionsgemeinschaft nicht aber als eigener Volksstamm angefuhrt wurden Daher konne keine eigene judische Kurie geschaffen werden da legistisch nur die Trennung nach Nationen nicht nach Religionen moglich sei nbsp Innenminister Guido Freiherr von Haerdtl legte gegen den judischen Kataster sein Veto einDie politischen Grunde hatten einen gesamtstaatlichen Hintergrund Erstens wollte man keinen Prazedenzfall schaffen der in Folge zu einer Schwachung der deutschen Kurien gegenuber den Tschechen in Bohmen und Mahren durch Aufteilung nach Deutschen und Juden hatte fuhren konnen 22 Zweitens gab es ernsthafte Bedenken eine Absonderung der judischen Wahler wurde antisemitischen Forderungen nach separaten judischen Institutionen zum Beispiel im Unterrichtswesen nach sich ziehen und letztlich eine generelle Erosion der Gleichberechtigung der Juden mit sich bringen Diese Regierungsposition wurde von prominenten judischen Personlichkeiten nachdrucklich unterstutzt so vom Wiener Philosophen und Herrenhausmitglied Theodor Gomperz in einem Gastbeitrag in der Neuen Freien Presse am 26 September 1909 23 Schliesslich wurde der judische Kataster von der Wiener Regierung formal zuruckgewiesen womit die weit uberwiegend deutschsprachigen judischen Wahler 24 dem deutschen Kataster zugeordnet werden mussten und eine Empfehlung ausgesprochen in Wahlbezirken in denen eine geographische Abgrenzung der Gruppen nicht moglich war ein System der Minderheitenvertretung anzuwenden 25 Dieses Modell in dem in gemischten judisch deutschen Wahlbezirken zwei Mandate vergeben wurden ein Mehrheits und ein Minderheitenmandat war nicht nur kompliziert sondern sollte sich in der Praxis als anfallig fur der Intention der Wahlordnung widersprechende Ausgange herausstellen s unten Dennoch wurde diese Empfehlung der Wiener Regierung vom Permanenzausschuss in seiner letzten Sitzung im Oktober 1909 aufgenommen und in den Gesetzesentwurf eingearbeitet die Juden damit dem deutschen Wahlkorper bzw den deutschen Wahlerlisten zugewiesen und drei Wahlbezirke mit Doppelmandaten eingerichtet Dieser Teil des Ausgleichs fand allerdings weder die Zustimmung der deutschen noch der judischen Vertreter die schwere Bedenken ausserten und schliesslich im Landtag auch gegen die Ausgleichsgesetze stimmen sollten 26 Endgultige Zusammensetzung des Landtages und Beschlussfassung Bearbeiten nbsp Mandatsverteilung im Bukowiner Landtag nach dem Ausgleich von 1909 10In dieser letzten Sitzung des Permanenzausschusses vor der Beschlussfassung wurde auch die endgultige Zusammensetzung des Landtages mit 63 Mandaten festgesetzt Diese waren wie folgt zusammengesetzt 27 2 Mandate gingen als ex officio oder Virilisten Mandate an den griechisch orientalischen Erzbischof von Czernowitz und an den Rektor der Universitat Czernowitz ersterer traditionell ein Rumane zweiterer meist ein christlicher Deutscher 2 Mandate gingen an die Handelskammer und waren de facto judisch In der Wahlerklasse des Grossgrundbesitzes wurden 13 Mandate vergeben 2 davon an den geistlichen rumanischen 3 an den weltlichen rumanischen Grossgrundbesitz 1 an die Ruthenen 2 an die Juden de jure Deutsche 4 an die Polen In der Zensuskurie also die an eine Mindeststeuerleistung gebundene Wahlerklasse vergab der Entwurf 28 Mandate je 10 an Rumanen und Ruthenen 7 an Deutsche davon de facto 3 Juden 1 an Polen In der allgemeinen Wahlerklasse gab es 18 Mandate je 6 Rumanen und Ruthenen 5 Deutsche davon de facto 2 Juden 1 Pole Damit hatten gemass der Intention des Gesetzes die Rumanen 23 Mandate die Ruthenen 17 die Juden 9 die Deutschen 8 und die Polen 6 Zur Abwicklung der Wahl in der allgemeinen und der Zensus Klasse wurde das Katastersystem verwendet das alle Wahler einerseits einer Nationalitat und damit einem Wahlkorper andererseits einem Wahlkreis zuordnete heute wurde man von einem Matrix System sprechen Diese seitens der Behorden erstellten Listen wurden aufgelegt und in einem daran anschliessenden Richtigstellungsverfahren konnten die Wahlberechtigten sich und andere nun aus Listen heraus oder in Listen hineinreklamieren 28 Wahrend sich alle Vertreter im Permanenzausschuss mit der Mandatsverteilung einverstanden erklarten blieb es bei den Auffassungsunterschieden zu den judisch deutschen Mandaten Der Permanenzausschuss ersuchte nun den Landesprasidenten den Landtag einzuberufen 29 Am 16 Oktober 1909 erfolgte schliesslich die Debatte und Beschlussfassung im Bukowiner Landtag der Gesetzesentwurf wurde gegen die Stimmen der deutschen und judischen Abgeordneten mit Zweidrittelmehrheit angenommen Im Mai 1910 traf die Zustimmung der Wiener Zentralregierung sowie die kaiserliche Sanktion ein Interpretation der Mandatsverteilung BearbeitenAuf den ersten Blick erkennt man das numerische Ubergewicht der rumanischen Mandate dem keine demographische Mehrheit und schon gar nicht in diesem Ausmass gegenuberstand da die Rumanen in der Bukowina knapp hinter den Ruthenen die zweitstarkste Bevolkerungsgruppe stellten Wie man sieht ergibt sich diese Mehrheit durch mehrere Mandate die nach dem Prinzip der Interessensvertretung vergeben wurden Sechs von den dreizehn Mandaten des Grossgrundbesitzes gingen an die Rumanen nur eines an die Ruthenen Hier spiegelt sich die Bedeutung der traditionellen Fuhrungsschicht der Bukowina der Bojaren wider auch wenn mit dem Ausgleich als Gipfelpunkt einer langen politischen Auseinandersetzung diese Vorherrschaft offiziell und in der Praxis weitgehend wohl auch tatsachlich beendet war Uber die starke Gewichtung des Grossgrundbesitzes konnten sich auch die Armeno Polen eine weitere traditionelle Elite des Landes mit fast einem Zehntel der Mandate einen Einfluss sichern der weit uber ihre Bevolkerungsstarke hinausging jedoch ihre gesellschaftliche Leistungsfahigkeit zum Ausdruck brachte 30 Diese Mandatsverteilung stellte ahnlich wie beim Mahrischen Ausgleich einen Kompromiss zwischen den Prinzipien der Gleichheit und der Leistung beziehungsweise zwischen quantitativen und qualitativen Kriterien dar Ganz im Sinne der liberalen politischen Tradition Osterreich Ungarns setze sich der Konsens durch dass politische Vertretung nicht nur durch das Abzahlen von Kopfen bestimmt sein durfe sondern auch Aspekte wie Besitz und Bildung sowie davon abgeleitet die Steuerleistung berucksichtigen musse Ganz wesentlich spielte auch die Idee dass die Interessen von insbesondere einflussreichen Minderheiten vor der Willkur der Mehrheit geschutzt werden musse eine Rolle 31 Das Funktionieren der Gesetze in der Praxis Bearbeiten nbsp Der judische Klubobmann Benno Straucher sollte mit seiner Kritik an der Wahlordnung recht behalten Foto vor 1907 Schon bei der Beschlussfassung der Gesetze wurden von den deutschnationalen und judischen Abgeordneten nochmals die Argumente und Bedenken gegen einzelne Abschnitte zusammengefasst Einwande hatten sie vor allem gegen zwei Bereiche der Landtagswahlordnung das System der Majoritats und Minoritatsmandate sowie das Richtigstellungsverfahren Ersteres war eingefuhrt worden da es einerseits ja nicht moglich war Deutsche und Juden in getrennten Wahlkorpern zu fuhren andererseits in den Stadten die geographische Verflechtung so dicht war dass man auch nicht durch die Gestaltung der Wahlkreise eigene Mandate fur deutsche und fur judische Abgeordnete garantieren konnte So wurde also eine komplizierte Losung ausgearbeitet nach der in den drei betroffenen Wahlkreisen jeweils zwei Mandate vergeben wurden Eines sollte an den Kandidaten gehen der uber 50 der Stimmen erhielt das andere an den zweitgereihten Kandidaten mit mehr als 25 der Stimmen Der fuhrende deutschnationale Abgeordnete Arthur Skedl wies darauf hin dass die Deutschen bei diesen drei Mandaten vollstandig von der Majoritat der Juden abhingen Wenn wir hier wo wir in der Minoritat sind wahlen und eine Stichwahl notwendig ist so entscheidet uber die Person des Kandidaten die Judenschaft 32 Damit hatten sie von ihren sieben bzw acht mit dem Rektor der aber nicht immer ein Deutscher war Mandaten nur vier sicher 33 Der judische Klubchef Benno Straucher sah vor allem Probleme bei der Bestimmung dass Wahler aus einer der nach Nationalitaten getrennten Liste hinausreklamiert werden konnten Und wenn es beispielsweise dem Kollegen Wiedmann oder seinen Gesinnungsgenossen den Christlichsozialen Anm in den deutschen Gemeinden in ihrer zweifelhaften Objektivitat belieben wird die Juden hinauszureklamieren um sich Majoritaten zu schaffen so stehen wir schutzlos da 34 Der Landtag beschloss schliesslich eine von ihm eingebrachte Resolution dass fur die Eintragung der Wahler in die Nationalitaten oder Wahlerlisten in erster Linie die Erklarung des betreffenden Wahlers entscheidend ist 35 Die Bedenken beider Abgeordneter sollten sich in der Praxis als berechtigt herausstellen Die ersten und einzigen auf Grundlage des Ausgleiches durchgefuhrten Landtagswahlen starteten unmittelbar nach der kaiserlichen Sanktionierung im Juni 1910 mit der Erfassung der Wahlberechtigten und fanden im Mai 1911 mit dem letzten Wahlgang ihren Abschluss Schon bei der komplexen Katasterbildung gab es in den Gemeinden Unklarheiten wo die judischen Wahler einzutragen seien und im Richtigstellungsverfahren agitierte das christlichsoziale Parteiorgan Bukowina Volksblatt fur ein systematisches Hinausreklamieren der judischen Wahler aus den deutschen Wahlerlisten Einige rumanische Geistliche versuchten eine Beeinflussung der ruthenischen Landbevolkerung zur Eintragung in die rumanischen Wahlerlisten 36 In der Hauptstadt Czernowitz versagte das System der Mehrheits und Minderheitenmandate bei der gewunschten Aufteilung der deutschen und judischen Mandate da das Minderheitenmandat statt an den deutschen Kandidaten an den Unterlegenen eines unerwarteten innerjudischen Wahlkampfes ging 37 Eine 1913 vom Bukowiner Landtag verabschiedete Novellierung der Landtagswahlordnung versuchte das System der Mehrheits und Minderheitenmandate zu vereinfachen und die deutschen Mandate abzusichern erhielt jedoch vor Kriegsausbruch nicht mehr die Sanktion aus Wien 38 Offen bleibt ob die Zielsetzung der Eliminierung nationaler Gegensatze als Wahlkampfgegenstand auch mit einfacheren Mitteln etwa durch eine dem Verhaltniswahlrecht folgende Regelung erreichbar gewesen ware Diese hatte allerdings nicht die Vorteile der nationalen Trennung in der Literatur als Befriedung durch Trennung bezeichnet 39 der Vorhersehbarkeit und der Stabilitat mit sich gebracht die von den Gesetzgebern intendiert waren 40 Dieses Ziel war eben nur durch eine Kombination von Personalautonomie und Territorialautonomie welche eine komplexe legistische Grundlage benotigte erreichbar 41 Auswirkungen auf das politische Klima in der Bukowina BearbeitenAus dem bereits gesagten ist klar dass nach den Landtagswahlen die Deutschen nach dem Geist des Gesetzes ein Mandat zu wenig und die Juden eines zu viel hatten Ein ruthenisches Mandat war an einen sozialistischen Kandidaten gegangen der nicht nur nicht mit seinen Kataster Genossen sondern zumeist energisch gegen sie agierte und zwar gemeinsam mit einem rumanischen Bundnis aus Hochklerus Grossgrundbesitzern und Nationalisten die sich in Richtung Kriegsausbruch immer klarer als Irredentisten herausstellten Durch sein Stimmverhalten in den entscheidenden Materien muss man zu dieser bunten Koalition auch Benno Straucher hinzurechnen der zwar immer noch von der breiten judischen Bevolkerung als politische und als Kultusprasident auch religiose Fuhrungsfigur anerkannt wurde sich aber in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch innerhalb der politischen Elite immer starker isoliert hatte Die anderen judischen Mandatare gingen politisch sehr eigenstandig vor und verwirklichten obwohl ja eigentlich gar keine Nationalitat im Sinne der Ausgleichsgesetze noch am ehesten den Ansatz einzelne Nation eigenstandiges politisches Interesse Dem klerikal national sozialistischen Bundnis standen die Ruthenische Nationalpartei unter der uberragenden politischen Figur Nikolaj Wassilko die deutschnationalen Abgeordneten ein Christlichsozialer und die Polen gegenuber die rumanischen Demokraten um Aurel Onciul kann man ebenfalls diesem Bundnis zurechnen Damit fanden sich mit Ausnahme der Judisch Nationalen fast deckungsgleich die Krafte des ursprunglichen Freisinnigen Verbandes wieder Allerdings sollte man sich diese Bundnisse nicht als stabile Koalitionen vorstellen Zweckbundnisse wurden da und dort geschlossen und die Mehrheiten wechselten Aber in den wichtigsten landespolitischen Fragen fand man zumeist diese Konstellation vor die uber die Mandatsmehrheit verfugte weswegen sich auch das von den Ruthenen angefuhrte Bundnis haufig durchsetzen konnte nbsp An einem Skandal um die Raiffeisenkassen zerbrach mit dem Parteiaustritt von Stefan Smal Stocki die politische Einheit der JungruthenenIn der politischen Praxis zeigte sich dass in landespolitischen Entscheidungsfindungsprozessen nicht so sehr die Nationalitat entscheidend war als die jeweils vertretenen Interessen Gerade die rumanischen Abgeordneten mit ihren zahlreichen Mandaten waren derart hoffnungslos zerstritten und zersplittert dass sie das Fortkommen im Landtag immer wieder lahmten Auch bei den judischen Mandataren fanden dramatische Grabenkampfe wahrend des schmerzlichen Emanzipationsprozesses von ihrem politischen Ubervater Benno Straucher statt Das grosste landespolitische Thema in der Bukowina wahrend der kurzen Wirkungszeit der Ausgleichsgesetze war der drohende vollige Zusammenbruch der rumanischen und ruthenischen Raiffeisenkassen ein klassisches Thema des nationalen Besitzstandes Gerade hier aber agierten die Rumanen bzw Ruthenen nicht geschlossen Bei den Rumanen trafen die im letzten Jahrzehnt emporgekommenen liberalen und regimetreuen Demokraten die sich wohl allzu unverschamt an Amtern und geschaftlichen Chancen im offentlichen und halboffentlichen Bereich bedient hatten auf die Vertreter des Grossgrundbesitzes und damit der alten Bojaren Elite im Bundnis mit den bauerlichen Abgeordneten die sich von den Demokraten als verraten und verkauft empfanden Selbst die sonst so mustergultig disziplinierten Ruthenen verloren uber dieser Affare ihren zweitwichtigsten Landespolitiker Landeshauptmann Stellvertreter und Reichsratsabgeordneter Stefan Smal Stocki fuhlte sich von seiner Partei in seiner Funktion als Obmann des ruthenischen Raiffeisenlandesverbandes nicht genugend unterstutzt trat von seinen Landesamtern zuruck und bekampfte die Jungruthenen ab dann wo immer er konnte was anfangs ein kleines politisches Erdbeben ausloste aber weitgehend erfolglos bleiben sollte Einzig in der Kirchenfrage bei der es um die Besetzung der hochsten kirchlichen Amter im Land ging was kaiserliches Privileg und daher politisch war trafen die nationalen Interessen aufeinander Aber nicht einmal hier verliefen die Frontlinien klar die Demokraten um Aurel Onciul waren vom Fanatismus der rumanischen Nationalisten weit entfernt und versuchten eine vermittelnde Rolle einzunehmen 42 Schlussfolgerung BearbeitenAus all dem werden in der Literatur verschiedene Schlusse gezogen Zum Beispiel dass der Bukowiner Ausgleich derartig erfolgreich dabei war nationale Konfrontationen zu entscharfen dass die politischen Konflikte eben nicht mehr entlang nationaler Trennlinien verliefen Oder aber dass es so scharfe politische Gegensatze zwischen Volksgruppen wie in anderen Kronlandern ohnehin nicht geben konnte da durch die Vielzahl der Gruppen eine Politik des standigen Ausgleiches zwingend notwendig war Oder auch dass es den Initiatoren der Ausgleichsgesetze gar nicht primar um die nationale Frage sondern eher um eine Entmachtung der alten Eliten durch Demokratisierung ging die sich unter dem Mantel eines Ausgleiches am besten verkaufen liess Diese Frage ist fur einen wissenschaftlichen Konsens in der Literatur noch nicht ausreichend diskutiert 43 Literatur BearbeitenThomas Hensellek Der Bukowiner Ausgleich Ein Erfolg in der politischen Praxis In Farosa Lukas u a Hrsg Moravske vyrovnani z roku 1905 Der Mahrische Ausgleich von 1905 Brunn 2006 Thomas Hensellek Die letzten Jahre der kaiserlichen Bukowina Studien zur Landespolitik im Herzogtum Bukowina Bachelor Master Publishing Hamburg 2011 ISBN 9783863411183 zugleich Masterarbeit Universitat Wien 2002 Jeremy King Group Rights in Liberal Austria the Dilemma of Equality in Proportional Representation In Farosa Lukas u a Hrsg Moravske vyrovnani z roku 1905 Der Mahrische Ausgleich von 1905 Brunn 2006 Ortfried Kotzian Der Bukowina Ausgleich 1910 Beispiel einer Losung ethnisch religioser Konflikte In Feleszko Kazimierz u a Hrsg Bukowina wspolnota kultur i jezykow Warschau 1992 Borries Kuzmany Der Galizische Ausgleich als Beispiel moderner Nationalitatenpolitik In Haid Elisabeth u a Hrsg Galizien Peripherie der Moderne Moderne der Peripherie Marburg 2013 Sonderdruck aus Tagungen zur Ostmitteleuropaforschung 31 John Leslie Der Ausgleich in der Bukowina von 1910 Zur osterreichischen Nationalitatenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg In Brix Emil u a Hrsg Geschichte zwischen Freiheit und Ordnung Gerald Stourzh zum 60 Geburtstag Graz u a 1991 Peter Urbanitsch Die nationalen Ausgleichsversuche in den Landern Cisleithaniens in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Gemeinsamkeiten und Unterschiede In Farosa Lukas u a Hrsg Moravske vyrovnani z roku 1905 Der Mahrische Ausgleich von 1905 Brunn 2006 Weblinks BearbeitenLandes Ordnung fur das Herzogthum Bukowina Memento vom 21 Januar 2022 im Internet Archive Das Wahl Ghetto In Neue Freie Presse 26 September 1909 abgerufen am 13 Mai 2022 Einzelnachweise Bearbeiten https anno onb ac at cgi content anno aid wrz amp datum 19100603 amp seite 1 amp zoom 33 Urbanitsch Peter Die nationalen Ausgleichsversuche in den Landern Cisleithaniens in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg Gemeinsamkeiten und Unterschiede In Farosa Lukas u a hg Moravske vyrovnani z roku 1905 Der Mahrische Ausgleich von 1905 Brunn 2006 S 46 Leslie John Der Ausgleich in der Bukowina von 1910 Zur osterreichischen Nationalitatenpolitik vor dem Ersten Weltkrieg In Brix Emil u a hg Geschichte zwischen Freiheit und Ordnung Gerald Stourzh zum 60 Geburtstag Graz u a 1991 S 113 Kuzmany Borries Der Galizische Ausgleich als Beispiel moderner Nationalitatenpolitik In Haid Elisabeth u a hg Galizien Peripherie der Moderne Moderne der Peripherie Marburg 2013 Sonderdruck aus Tagungen zur Ostmitteleuropaforschung 31 S 123 Kotzian Ortfried Der Bukowina Ausgleich 1910 Beispiel einer Losung ethnisch religioser Konflikte In Feleszko Kazimierz u a hg Bukowina wspolnota kultur i jezykow Warschau 1992 S 15 Urbanitsch S 44f Urbanitsch S 47 Kotzian S 11f Kotzian S 13 Leslie S 113 S 116 Leslie S 116 Kotzian S 13f Leslie S 117f Leslie S 114f Leslie S 117 119f Leslie S 120f Leslie S 121f Leslie S 123f Leslie S 124 Leslie S 124f Leslie S 126f Leslie S 127 Leslie S 127 Leslie S 113 Leslie S 128 Leslie S 128 130 Leslie S 129f Leslie S 131 Leslie S 130 Hensellek Thomas Der Bukowiner Ausgleich Ein Erfolg in der politischen Praxis In Farosa Lukas u a hg Moravske vyrovnani z roku 1905 Der Mahrische Ausgleich von 1905 Brunn 2006 S 279 281 King Jeremy Group Rights in Liberal Austria the Dilemma of Equality in Proportional Representation In Farosa Lukas u a hg Moravske vyrovnani z roku 1905 Der Mahrische Ausgleich von 1905 Brunn 2006 S 27 35 Skedl Stenographische Protokolle des Bukowiner Landtages StPBL X Wahlperiode V Session 3 Sitzung X V 3 16 10 1909 S 75 Hensellek S 281f Straucher StPBL X V 3 16 10 1909 p139 141 StPBL X V 3 16 10 1909 p139 141 Hensellek S 282f Hensellek S 284f Hensellek S 286 Urbanitsch S 48 King S 36f Urbanitsch S 48 Hensellek S 287 289 Hensellek S 289 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Bukowiner Ausgleich amp oldid 234167405