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Der Bremer Kunstlerstreit auch Bremer Kunststreit genannt war eine Kontroverse um den Stellenwert der modernen Kunst und um den Einfluss von Galerieleitern Kunstkritikern und handlern auf die Entwicklung der deutschen Malerei zu Beginn des 20 Jahrhunderts Zunachst nur in Bremer Kunstkreisen ausgetragen erlangte der Kunstlerstreit 1911 deutschlandweites Interesse Die sich im Zuge der Kontroverse zeigende Spaltung der Kunstschaffenden und ihres Publikums in einerseits Verteidiger einer traditionellen Historien Landschafts und Portratmalerei und andererseits Unterstutzer neuer Stromungen wie der Freilichtmalerei des Expressionismus und des Jugendstils kann als Teil des umfassenden gesellschaftlichen Wandels um die Jahrhundertwende herum verstanden werden Mit dem Aufkommen reformorientierter Krafte in Politik und Kultur wurde die bis dahin in der Hansestadt vorherrschende von der Kaufmannschaft und dem Grossburgertum gepragte konservative Kunstauffassung in Frage gestellt was wiederum die traditionsorientierten Krafte zu einer vehementen Kritik an den neuen Entwicklungen veranlasste Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Der Kunstlerstreit 3 Nachspiel 4 Verschiedenes 5 Literatur 6 Weblinks 7 Anmerkungen 8 EinzelnachweiseVorgeschichte Bearbeiten nbsp Karikatur zum Bremer Kunstlerstreit mit Arthur Fitger als Don Quijote 1912Die Anfange des Kunstlerstreits gehen bis auf das Jahr 1899 zuruck als der Kunstverein in Bremen mit dem Kunsthistoriker Gustav Pauli einen ersten wissenschaftlichen Leiter an die Kunsthalle Bremen berief Bald nach seiner Anstellung zeigt sich sein Interesse an neuen Tendenzen in der Malerei durch eine erste Ausstellung von Werken der damals noch weitgehend unbekannten Worpsweder Malerin Paula Becker Der wohl renommierteste bremische Kunstler jener Zeit Arthur Fitger Vorsitzender des Kunstvereins verfasste daraufhin in der Weser Zeitung eine harsche Kritik in die er spater auch die Arbeiten Heinrich Vogelers einbezog Ein erster Schlagabtausch in der Presse entwickelt sich als der Worpsweder Maler Carl Vinnen ebenfalls Mitglied im Kunstverein die Kunstlerin in einem Artikel im Bremer Courier in Schutz nahm obwohl er ihre Kunst selbst auch als unreife Schulerarbeiten 1 einstufte Neben dieser Kritik an neuen kunstlerischen Stilrichtungen zeigte sich um die Jahrhundertwende ein zweiter Kernaspekt des sich anbahnenden Kunstlerstreits als Pauli 1906 anlasslich des Ankaufs des Bildes Dame im grunen Kleid Camille von Claude Monet vorgeworfen wurde die auslandische Kunst zum Nachteil der einheimischen deutschen zu begunstigen 1 Der Kunstlerstreit Bearbeiten nbsp Vincent van Gogh Mohnfeld 1889 Kunsthalle BremenUngeachtet dessen fuhrte Pauli seine Ankaufspolitik fort und erwarb 1910 fur 30 000 Mark das Bild Mohnfeld von Vincent van Gogh fur die Sammlung der Kunsthalle Paulis Assistent Gustav Friedrich Hartlaub beschrieb in diesem Zusammenhang das Sammlungskonzept des Museumsdirektors in der Kunstzeitschrift Die Guldenkammer wie folgt Neben der Gruppe der Worpsweder Kunstler soll stets ein Hauptgewicht auf den Erwerb von Bildern franzosischer und derjenigen deutschen Meister gelegt werden die aus der franzosischen Entwicklung den grossten Nutzen zogen 1 Dies fuhrte zu einer zunachst internen Auseinandersetzung im Kunstverein als Vinnen bemangelte dass die zeitgenossische deutsche Kunst in Paulis Konzept unterreprasentiert sei Pauli widersprach diesem Eindruck und listete in einem Brief an Vinnen jungere Erwerbungen deutscher Kunst an darunter Werke von Franz von Stuck Wilhelm Trubner Heinrich von Zugel und anderen Den Beginn des offen ausgetragenen Kunstlerstreits markiert ein im Januar 1911 in den Bremer Nachrichten veroffentlichtes Mahnwort an den Kunstverein von Vinnen in dem er die Sammlungspolitik Paulis kritisierte und forderte den Erwerb von Kunstwerken in die Hand einer Kommission zu legen Vinnen wendete sich in diesem Artikel ausserdem gegen die vermeintliche grosse Invasion franzosischer Kunst 2 in Deutschland und die durch Spekulation im Kunsthandel verursachten uberhohten Preise zu denen eben jene Werke angekauft wurden Pauli belegte daraufhin in einer Gegendarstellung am 8 Januar dass er in den vergangenen Jahren mehr deutsche als franzosische Werke fur den Kunstverein erworben habe Anm 1 Daruber hinaus betonte er die besondere Bedeutung der franzosischen Malerei fur die Entwicklung der modernen Kunst und argumentierte dass die hohen Preise der Werke einzig durch die hohe Qualitat der Kunst bedingt seien In der Folge begann die Auseinandersetzung deutschlandweite Kreise zu ziehen beginnend mit dem Artikel Phantasien in der Bremer Kunsthalle Anm 2 vom 11 Januar im Berliner Lokal Anzeiger Darin wurde van Gogh als Vertreter des Farbenirrsinns 2 bezeichnet und der Ankauf des Mohnfeldes durch Pauli als Beweis fur die gefahrliche Macht des Kunsthandels gedeutet Am 16 Januar bezichtigte der Schriftsteller und Kritiker Karl von Perfall in der Kolnischen Zeitung progressive Museumsleiter wie Pauli aber auch Alfred Lichtwark und Hugo von Tschudi Gehilfen des Kunsthandels zu sein Es folgte eine Verteidigung der Beschuldigten unter dem Titel Wieder eine Hetze gegen einen Museumsdirektor in der National Zeitung aus Berlin in der Vinnen als Urheber der Kritik ausgemacht und als reaktionar bezeichnet wurde woraufhin sich dieser in einer Gegendarstellung vom 21 Januar entschieden von Perfalls Standpunkt distanzierte Derweilen veroffentlichte Pauli in den Bremer Nachrichten und der Guldenkammer zwei Texte in denen er seine Sammlungspolitik darlegte und noch einmal die historische Bedeutung van Goghs betonte der auf dem Weg vom Impressionismus zu einer monumentalen im hohen Sinne dekorativen Ausdrucksform gelangte 3 Ende Januar 1911 sandte Vinnen den Entwurf eines Textes mit seiner Kritik am deutschen Kunstmarkt unter der Uberschrift Quousque tandem Wie lange noch an Pauli und bat diesen um eine Stellungnahme dazu Pauli antwortete dass er Vinnen in vielen seiner Kritikpunkte durchaus zustimme auch er lehne die absurden Nachahmungen der allerneusten Franzosen wie wir sie in Dusseldorf usw kennengelernt haben ab und fugte an dass auch er von unserer deutschen Art keinen Deut preisgeben wolle 3 Dieser Annaherung der Standpunkte zum Trotz begannen beide Lager Unterstutzer ihrer Positionen zu kontaktieren und Stellungnahmen fur eine Veroffentlichung zu sammeln nbsp Ein Protest deutscher Kunstler 17 April 1911Am 17 April wurde unter dem Titel Ein Protest deutscher Kunstler eine 80 seitige Broschure Vinnens im Verlag Eugen Diederichs in Jena veroffentlicht Darin schlossen sich 123 Kunstler dessen Kritik an einige davon mit eigenen Stellungnahmen Die Unterstutzer des Protestes kritisierten insbesondere die Uberfremdung des Kunstmarktes und der Sammlungen in Deutschland Als Gegenentwurf pladierten sie fur Wahrung der bestehenden Traditionen und die Forderung einer eigenen nationalen Kunst Wir wollen keine chinesische Mauer keinen Schutzzoll fur unsere Kunst keine chauvinistische Deutschtumelei kein Absperren gegen Wertvolles bloss weil es von jenseits der Grenzen kommt Sonst mussten wir uns ja auch gegen die alten Meister wenden gegen Werke die allen Volkern und allen Zeiten verehrungswurdig waren und bleiben Darum keine Zollrevision im Reiche des Ideals sondern freien edlen Wettkampf der Geister gegenseitiges Befruchten hoher Kulturen Aber eben im Namen dieser Freiheit Kampf gegen eine in Deutschland so ubermachtig gewordene Interessengruppe und deren Bundgenossen die Astheten und die Snobs Indem wir so versuchen Kunstwerte wieder auf ihr eigenes Mass zuruckzufuhren glauben wir nicht nur der deutschen Kunst sondern der Kunst uberhaupt zu dienen Carl Vinnen Ein Protest deutscher Kunstler Auszug 4 Zu den Unterzeichnern der Protestschrift zahlten unter anderem Jacob Alberts Benno Becker Ludwig Dill Hans am Ende Walter Georgi Otto Greiner Hugo von Habermann Karl Haider Kathe Kollwitz Gotthardt Kuehl Franz Servaes und Franz von Stuck nbsp Im Kampf um die Kunst Juni 1911Im Juni 1911 erschien beim Piper Verlag in Munchen die 182 seitige Antwortschrift auf Vinnens Publikation unter dem Titel Im Kampf um die Kunst Die Antwort auf den Protest deutscher Kunstler In dieser Broschure verteidigten 47 Kunstler und 28 Galerieleiter Schriftsteller und Kunsthandler die angegriffenen Museumsleiter und den franzosischen Impressionismus wie bereits in Paulis Schreiben an Vinnen anklang stimmten die Unterstutzer Paulis in der Frage nach einer eigenstandigen nationalen Kunst der Kritik Vinnens durchaus zu lehnten jedoch dessen pessimistisch kritische Haltung ab Wir glauben in den Kunsthallen lediglich den von Vinnen angezogenen Tatsachen Rechnung getragen zu haben indem wir eben jene franzosischen Meister welche die deutsche Kunst befruchtet haben in charakteristischen Werken sammelten Besieht man die Deduktionen Vinnens genauer so bleibt es nur ubrig dass seiner Ansicht nach die grosse Zeit der franzosischen Malerei eben jetzt vorubergegangen sei Nun daruber werden sich wohl die allermeisten einigen konnen Aber was beweist das Die Entwicklung hort nie auf sie geht immer weiter so lange die Erde sich dreht so lange Menschen auf ihr leben lieben und kampfen Nur wissen wir noch nicht welchen Weg die Entwicklung uber Cezanne und van Gogh hinaus nehmen werde da wir keine Propheten sind Gustav Pauli Im Kampf um die Kunst Die Antwort auf den Protest deutscher Kunstler Auszug 5 Zu den Unterzeichnern der Antwortschrift zahlten unter anderem Max Beckmann Lovis Corinth Wassily Kandinsky Gustav Klimt Georg Kolbe Max Liebermann August Macke Franz Marc Otto Modersohn Carl Moll Ernst Oppler Max Pechstein und Max Slevogt In den folgenden Monaten erschienen noch zahlreiche Artikel und weitere Stellungnahmen zum Kunstlerstreit in der deutschen Presse uber 30 allein in der bremischen Presse und uber 60 in der uberregionalen deutschen Presse aber sogar in Wien Paris und New York wurde uber den Disput berichtet 6 Des Weiteren wurden im Herbst 1911 noch zwei Publikationen veroffentlicht die sich der Kritik Vinnens anschlossen Carl Vinnen und seine Gegner Ein Beitrag zum deutschen Kunstlerstreit von August Piening und Die Herabsetzung der deutschen Kunst durch die Parteiganger des Impressionismus von Theodor Alt letztere Schrift ging dabei in ihrer kategorisch antimodernen Haltung jedoch weit uber Vinnens Kritik hinaus Nachspiel BearbeitenAn seinem Ausgangspunkt in Bremen setzte sich der Kunstlerstreit auch zum Jahreswechsel 1911 1912 noch fort als Gustav Pauli zunachst 51 Werke van Goghs aus der Hamburger Galerie Commeter in der Kunsthalle ausstellte und anschliessend Arbeiten des Deutschen Kunstlerbundes zeigte darunter auch Werke der Neuen Kunstlervereinigung Munchen und der Neuen Berliner Secession die die Diskussion um den Stellenwert der modernen Kunst in der Stadt erneut anfachten Auf Einladung der Kritiker Paulis hielt Theodor Alt am 28 Februar unter dem Titel Uber Machtfragen in der Kunst einen Vortrag in Bremen in dem er den Leiter der Kunsthalle angriff Gustav Pauli antwortete am 29 Marz mit dem Vortrag Die Aufgaben des modernen Kunstmuseums in dem er wiederum Alt attackierte Eine darauf folgende Beleidigungsklage Alts gegen Pauli wurde abgewiesen Als die Bremer Burgerschaft Anfang 1913 die Aufstockung der Zuschusse fur die Kunsthalle beschloss wurde auf Antrag konservativer Abgeordneter festgelegt dass die Ankaufskommission der Kunsthalle um zwei Vertreter aus der Burgerschaft und einen aus dem Senat zu erganzen sei Kurz darauf musste die Regelung jedoch ruckgangig gemacht werden nachdem sie in der Offentlichkeit stark kritisiert und als Angriff auf die Unabhangigkeit der Kunst gewertet wurde 7 Somit blieb der vom Kreis um Vinnen initiierte Disput letztendlich ohne konkrete Wirkungen zumal auch der Nachfolger von Pauli Emil Waldmann dessen Ankaufspolitik fortfuhrte und neben Gemalden des 19 Jahrhunderts die Sammlung des Kunstvereins um weitere Werke des Impressionismus und jungerer Kunst erganzte Verschiedenes BearbeitenAm 2 Januar 2020 gab die Deutsche Post AG eine Briefmarke im Wert von 155 Eurocent fur DIN A4 Grossbriefe heraus in der Serie Schatze aus deutschen Museen Das Bildmotiv zeigt Van Goghs Olgemalde Mohnfeld und soll der Begrundung nach auch an den Bremer Kunstlerstreit erinnern 8 9 Literatur BearbeitenWulf Herzogenrath Ingmar Lahnemann Hrsg Noble Gaste Meisterwerke der Kunsthalle Bremen zu Gast in 22 deutschen Museen Hachmannedition Bremen 2009 ISBN 978 3 939429 58 6 Inhaltsverzeichnis Wulf Herzogenrath Dorothee Hansen Hrsg Van Gogh Felder Das Mohnfeld und der Kunstlerstreit Kunsthalle Bremen Hatje Cantz Ostfildern Ruit 2002 ISBN 3 7757 1130 9 Inhaltsangabe Inhaltsverzeichnis Wiltrud Ulrike Drechsel Heide Gerstenberger Christian Marzahn Schone Kunste und ihr Publikum im 18 und 19 Jahrhundert Universitat Bremen Beitrage zur Sozialgeschichte Bremens Heft 10 Edition Temmen Bremen 1987 ISBN 3 88722 149 4 Weblinks BearbeitenVolltext von Ein Protest deutscher Kunstler bei der Universitatsbibliothek Heidelberg Digitalisat von Im Kampf um die Kunst Die Antwort auf den Protest deutscher Kunstler bei der Universitatsbibliothek HeidelbergAnmerkungen Bearbeiten Zwischen 1899 und 1910 erwarb Pauli 84 Werke deutscher Kunstler und 13 Werke franzosischer Kunstler So benannt in Anspielung auf Wilhelm Hauffs Novelle Phantasien im Bremer Ratskeller Einzelnachweise Bearbeiten a b c Wulf Herzogenrath Ingmar Laehnemann Hrsg Noble Gaste Meisterwerke der Kunsthalle Bremen zu Gast in 22 deutschen Museen Hachmannedition Bremen 2009 S 148 a b Wulf Herzogenrath Ingmar Laehnemann Hrsg Noble Gaste Meisterwerke der Kunsthalle Bremen zu Gast in 22 deutschen Museen Hachmannedition Bremen 2009 S 149 a b Wulf Herzogenrath Ingmar Laehnemann Hrsg Noble Gaste Meisterwerke der Kunsthalle Bremen zu Gast in 22 deutschen Museen Hachmannedition Bremen 2009 S 150 Carl Vinnen Hrsg Ein Protest deutscher Kunstler Eugen Diederichs Jena 1911 S 1 Gustav Pauli Hrsg Im Kampf um die Kunst Die Antwort auf den Protest deutscher Kunstler R Piper amp Co Munchen 1911 S 3 Wulf Herzogenrath Ingmar Laehnemann Hrsg Noble Gaste Meisterwerke der Kunsthalle Bremen zu Gast in 22 deutschen Museen Hachmannedition Bremen 2009 S 152 Wulf Herzogenrath Ingmar Laehnemann Hrsg Noble Gaste Meisterwerke der Kunsthalle Bremen zu Gast in 22 deutschen Museen Hachmannedition Bremen 2009 S 153 Programm 2020 Serie Schatze aus deutschen Museen Vincent van Gogh Mohnfeld In Bundesfinanzministerium 2 Januar 2020 aufgerufen am 3 Januar 2020 Bild des Tages Love Vincent In Monopol 3 Januar 2020 aufgerufen am 3 Januar 2020 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Bremer Kunstlerstreit amp oldid 236450702