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Der Berliner Janus ist eine Karikatur die das widerspruchliche Verhalten des preussischen Konigs Friedrich Wilhelm IV in der Revolution von 1848 kritisiert Der Monarch hatte am 18 Marz 1848 den Befehl an General Karl von Prittwitz erteilt eine Demonstration vor dem Berliner Schloss aufzulosen Dabei war es zu einem Barrikadenkampf zwischen Demonstranten und preussischen Truppen gekommen Nach dem Abzug der Truppen aus Berlin am 19 Marz 1848 inszenierte sich der Konig dann jedoch als Vorkampfer der deutschen Nationalbewegung In der Proklamation An mein Volk und an die deutsche Nation vom 21 Marz 1848 erklarte er dass Preussen fortan in Deutschland aufgehe Das unerwartete Nachgeben des Konigs gegenuber der Berliner Opposition fand ein kritisches Echo im Publikationswesen Berliner Januswahrscheinlich Franz von Seitz 1848 Inhaltsverzeichnis 1 Historischer Kontext 2 Erscheinungsort und Beschreibung 3 Deutung 4 EinzelnachweiseHistorischer Kontext BearbeitenDie in den Stadten vorherrschende soziale Unsicherheit der 1840er Jahre liess eine politisch kritische Offentlichkeit entstehen Dies lag zum einen daran dass in grossen Stadten wie Berlin Munchen oder Hamburg eine ausreichend grosse Leserschaft vorhanden war Zum anderen hatte sich nach Beginn der Revolution von 1848 in den Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes weitestgehende Pressefreiheit durchgesetzt Kritische Flugblatter Satiren politische Zeitschriften und Bucher uberschwemmten den Markt In Preussen war die Zensur in den ersten drei Regierungsjahren Friedrich Wilhelms IV gelockert worden 1 In der Zensurinstruktion vom 24 Dezember 1841 sprach der Konig davon die Presse von unstatthaften gemeint unerlaubten Beschrankungen zu befreien 2 Am 4 Oktober 1842 hob er die Vorzensur von Publikationen die mehr als 20 Druckbogen 320 Seiten umfassten auf Allerdings schrankte er diese Zugestandnisse auch schnell wieder ein Die am 28 Mai 1842 eingefuhrte Karikaturfreiheit wurde bereits am 3 Februar 1843 wieder zuruckgenommen Diese Zensurpolitik bezeichnete Karl Marx als Scheinliberalismus In Wahrheit hatte die preussische Regierung einsehen mussen dass eine vollumfangliche Unterdruckung der Presse nicht mehr moglich war 3 So wurde Friedrich Wilhelm IV schon vor der Revolution von 1848 zum ersten deutschen Monarchen der im grossen Stil in Karikaturen angegriffen wurde Einer vergleichbaren publizistischen Verunglimpfung waren zuvor nur der franzosische Burgerkonig Louis Philippe I und Georg III von Grossbritannien ausgesetzt worden Zur Zielscheibe bot sich der preussische Monarch besonders an da er dank des Eisenbahnnetzes mehr als seine Vorganger Reisen unternahm und offentliche Reden hielt 4 Auch personliche Eigenschaften des Konigs liessen ihn in der offentlichen Wahrnehmung zu einer Witzfigur werden Er war ein schlechter Reiter und zeigte wenig Interesse am Militarischen Ausserlich war er korpulent hatte einen Ansatz zur Glatze mit nach vorne gekammten Haaren eine hohe Stirn und war stark kurzsichtig 5 Bei den Karikaturen handelte sich dabei weniger um aufwendige Radierungen oder Zeichnungen sondern vielmehr um schnell herstellbare Lithografien Einblattdrucke und Holzschnitte Die Qualitat war unterschiedlich Teilweise wurde der Konig nur in einfachen Linien oder skizzenhaft angedeutet wobei Flachen farblos gelassen wurden andere Spottbilder waren feiner gearbeitet und erzeugten mittels feiner Lichtunterschiede einen raumlichen Tiefeneindruck Vor der Revolution von 1848 erschienen die Karikaturen meist anonym um der Bestrafung durch die Zensurbehorden zu entgehen Zudem standen Teile der Bevolkerung der Karikatur als noch relativ neuem Genre ablehnend gegenuber Andere Kunstformen genossen eine weit hohere Anerkennung 6 Erscheinungsort und Beschreibung BearbeitenDie Karikatur erschien auf Seite 140 im ersten Band der Munchener Satirezeitschrift Leuchtkugeln 7 Die Zeitschrift wurde 1847 gegrundet und war im ganzen deutschsprachigen Raum aufgrund ihrer liberal demokratischen Ausrichtung und ihrer politisch scharfen Formulierungen bekannt Gerade dieser Ruf fuhrte jedoch dazu dass die Zeitschrift 1851 als die Monarchien die Oberhand wieder zuruckgewonnen hatten verboten wurde Fur die kunstlerische Gestaltung der Zeitschrift war der im Konigreich Bayern hoch angesehene Lithograph und Maler Franz von Seitz zustandig Auf ihn geht die Karikatur mit hoher Wahrscheinlichkeit zuruck Da allerdings keine Signatur vorhanden ist bleibt dies unsicher 8 Die Zeitschrift wandte sich an eine uberwiegend linksliberale und demokratisch gesinnte Minderheit Dies spiegelt sich auch in der nur geringen Auflage des zweiten Bandes von 8 000 Exemplaren wider Gleichwohl zahlten die Leuchtkugeln neben dem Stuttgarter Eulenspiegel dem Berliner Kladderadatsch dem Frankfurter Satyr 9 und dem Hamburger Mephistopheles zu den bedeutendsten deutschen Satiremedien der Revolutionszeit einem Genre das sich im Unterschied zu Grossbritannien und Frankreich erst noch aus seiner provinziellen Organisation losen musste Die Zeitschrift konnte sowohl drei Mal im Monat als eine aus 8 Seiten bestehende Nummer oder als halbjahrlich erscheinender Band gekauft werden der sich dann aus 24 Nummern und 192 Seiten zusammensetzte Bis zu ihrem Verbot erschienen 170 Nummern wobei der Berliner Janus in der Nummer 18 erschien Da die Nummern jeweils ohne Datumsangaben veroffentlicht wurden bleibt ihre genaue historische Datierung unbekannt 10 Die Karikatur zeigt den Konig als Ganzkorperfigur in der vertikal zweigeteilten Form des Janus der zwei Schatten wirft Die linke grimmig wirkende Seite der Figur feuert zwei rauchende Kanonenrohre ab wahrend die rechte lachelnde Seite eine schwarz rot goldene Fahne halt und eine deutsche Kaiserkrone tragt Die Gesamtfigur Friedrich Wilhelms IV ahmt die Silhouette einer Sektflasche nach wobei der Kopf den Korken bildet Zur Erklarung ist die Erlauterung 11 hinzugefugt Der Konig vor und nach dem Missverstandnis vom 19 Marz Auf der linken Seite liegen Friedrich Wilhelm IV zehn Kanonenkugeln zu Fussen 12 Deutung BearbeitenDie linke Seite des Konigs symbolisiert den 18 Marz 1848 bzw den Berliner Barrikadenkampf Die rechte Seite des Monarchen steht dagegen fur den 21 Marz 1848 bzw den Umritt des Konigs unter schwarz rot goldener Flagge durch Berlin Schwarz rot gold waren die Symbolfarben der freiheitlichen Nationalbewegung die den Deutschen Bund einen losen Zusammenschluss souveraner Furstentumer und Stadte in einen foderalen Nationalstaat umformen wollte siehe auch Deutsche Frage In der Karikatur wechselt Friedrich Wilhelm IV also scheinbar uber Nacht vom absolutistischen Despoten zum Anfuhrer der revolutionaren Bewegung So wie Louis Philippe I in Karikaturen haufig als Birne dargestellt wurde entwickelten sich Sekt oder Champagnerflaschen zum personlichen Attribut Friedrich Wilhelms IV 13 Sie konnten in Darstellungen sogar stellvertretend fur seine Person stehen Ursprunglich wurde damit auf die spritzigen oder an Ideen uberschaumenden Reden Friedrich Wilhelms IV angespielt die dem Monarchen den Spottnamen des Redseligen eintrugen Da vor Friedrich Wilhelm IV noch kein preussischer Monarch Reden gehalten hatte nahm dies die Bevolkerung als ungewohnlichen Akt wahr Spater wurde das scheinbar sprunghafte und unreflektierte Verhalten des Konigs in Zusammenhang mit angeblichen Alkoholexzessen gebracht Die den Burgern zugewandte Seite das heisst die Worte des Konigs sollte so die Aussage der Karikatur nicht uber die zuruckliegende Gewalttat hinwegtauschen 14 Mit dem verwendeten Begriff Missverstandnis vom 19 Marz wird die am selben Tag erschienene Proklamation An meine lieben Berliner ins Lacherliche gezogen In dieser Erklarung versuchte Friedrich Wilhelm IV sich seiner Verantwortung am Berliner Barrikadenkampf zu entziehen Die zwei Schusse der koniglichen Infanterie die das Blutvergiessen auslosten hatten sich so die Behauptung des Konigs von selbst entladen Das ganze Ereignis sei ein unseelige r Irrthum 15 Dieses Winden aus der Verantwortung wird in der Karikatur durch die Darstellung des selbst schiessenden Konigs ad absurdum gefuhrt 16 Einzelnachweise Bearbeiten David E Barclay Anarchie und guter Wille Friedrich Wilhelm IV und die preussische Monarchie Siedler Berlin 1995 ISBN 3 88680 463 1 S 179 Joachim Grimm Karl Gutzkows Arrivierungsstrategie unter den Bedingungen der Zensur 1830 1847 Hamburger Beitrage zur Germanistik Band 51 Lang Frankfurt am Main 2010 ISBN 978 3 631 61296 5 zugleich Dissertation Universitat Hamburg 2010 S 129 Thomas Christian Muller Der Schmuggel politischer Schriften Bedingungen exilliterarischer Offentlichkeit in der Schweiz und im Deutschen Bund 1830 1848 Niemeyer Tubingen 2001 ISBN 978 3 484 35085 4 S 223 David E Barclay Anarchie und guter Wille Friedrich Wilhelm IV und die preussische Monarchie Siedler Berlin 1995 ISBN 3 88680 463 1 S 180 Adam Zamoyski Phantome des Terrors Die Angst vor der Revolution und die Unterdruckung der Freiheit 1789 1848 Beck Munchen 2016 ISBN 978 3 406 69766 1 S 498 Gisold Lammel Der Konig als Flasche In Friedrich Wilhelm IV Kunstler und Konig zum 200 Geburtstag Fichter Frankfurt 1995 S 180 Leuchtkugeln Randzeichnungen zur Geschichte der Gegenwart Erster Band Emil Roller Munchen 1848 S 140 Gisold Lammel Der Konig als Flasche In Friedrich Wilhelm IV Kunstler und Konig zum 200 Geburtstag Fichter Frankfurt 1995 S 180 Der Satyr Lose Blatter aus dem Deutschen Reiche Frankfurt am Main 1848 49 urn nbn de bsz 16 diglit 162319 Friedhelm Jurgensmeier Die katholische Kirche im Spiegel der Karikatur der deutschen satirischen Tendenzzeitschriften von 1848 bis 1900 Neu Trier 1969 S 26 Der vollstandige Satz lautet Bei dieser Gelegenheit vorher war vom osterreichischen Staatsmann Metternich die Rede gewesen kann ich nicht unterlassen Ihnen den Berliner Janus zu zeigen Der Konig vor und nach dem Missverstandnis vom 19 Marz Vgl Peter Schnabel der Raritatenkramer In Leuchtkugeln Randzeichnungen zur Geschichte der Gegenwart Erster Band Emil Roller Munchen 1848 S 137 bis 141 hier S 139 bis 140 Remigius Bruckmann Konig Friedrich Wilhelm IV von Preussen und die politische Karikatur der Jahre 1840 1849 In Berlin zwischen 1789 und 1848 Facetten einer Epoche Frolich amp Kaufmann Berlin 1981 S 156 Siehe zu diesem Motiv in Karikaturen des Konigs beispielsweise Auch ein deutscher Kaiser von 1849 aus dem Familienarchiv von Gagern Hessisches Staatsarchiv Darmstadt Bestand R 4 Nr 29900 UF Remigius Bruckmann Konig Friedrich Wilhelm IV von Preussen und die politische Karikatur der Jahre 1840 1849 In Berlin zwischen 1789 und 1848 Facetten einer Epoche Frolich amp Kaufmann Berlin 1981 S 156 Gisold Lammel Der Konig als Flasche In Friedrich Wilhelm IV Kunstler und Konig zum 200 Geburtstag Fichter Frankfurt 1995 S 180 Sylvia Wolf Politische Karikaturen in Deutschland 1848 49 Essay Bibliographie Katalog Maander Mittenwald 1982 ISBN 3 88219 003 5 zugleich Dissertation Universitat Munchen 1983 S 36 Friedrich Wilhelm IV An meine lieben Berliner Hrsg Universitatsbibliothek Frankfurt Flugschriften 1848 urn nbn de hebis 30 2 243663 Remigius Bruckmann Konig Friedrich Wilhelm IV von Preussen und die politische Karikatur der Jahre 1840 1849 In Berlin zwischen 1789 und 1848 Facetten einer Epoche Frolich amp Kaufmann Berlin 1981 S 159 nbsp Dieser Artikel wurde am 10 April 2018 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Berliner Janus amp oldid 235350653