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Als Balkonreden oder Balkonansprachen bezeichnet man zwei kurze Reden die der deutsche Kaiser Wilhelm II am 31 Juli 1 Balkonrede und am 1 August 2 Balkonrede 1914 vom Berliner Schloss aus an grosse Volksmengen im Lustgarten hielt Ein Kunstlerflugblatt Max Liebermanns aus dem August 1914 zeigt eine Volksmenge vor dem Portal V des Schlosses und zitiert Wilhelms Worte vom 4 August 1914 Ich kenne keine Parteien mehr ich kenne nur noch Deutsche Heinz Keune Kunstler Kriegs Postkarte Nr 1 von Konig amp EbhardtDie Reden fanden in den letzten Tagen der Julikrise unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges statt nachdem Osterreich Ungarn mit der symbolischen Beschiessung von Belgrad am 29 Juli bereits einen Krieg mit Serbien begonnen hatte und ein Krieg mit Russland unmittelbar bevorstand Der Kaiser teilte der Bevolkerung mit wie die Lage Deutschlands angesichts der Eskalation der Ereignisse zu bewerten sei forderte die Deutschen zu Geschlossenheit Opferbereitschaft und Gefolgschaft auf und drohte den Feinden Deutschlands mit dem Schwert Inhaltsverzeichnis 1 Erste Balkonrede 2 Zweite Balkonrede 3 Weitere Ansprachen 4 Nachleben 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseErste Balkonrede BearbeitenDie erste Balkonrede hielt Wilhelm am 31 Juli auf dem Balkon des Portals V Hintergrund war die russische Generalmobilmachung am Vortag Wilhelm eroffnete dem Volk eine schwere Stunde Neider uberall zwingen uns zu gerechter Verteidigung weshalb sich das deutsche Volk mit dem Schwert in der Hand wehren musse sofern es ihm nicht gelange die Gegner in letzter Minute zum Einsehen zu bringen Er empfahl seinen Untertanen in die Kirche zu gehen und fur den Erhalt des Friedens und fur unser braves Heer zu beten und erklarte ein Reizen Deutschlands und ein Angriff auf das Deutsche Reich werde seine Gegner teuer zu stehen kommen Zweite Balkonrede BearbeitenDie zweite Balkonrede hielt Wilhelm am Abend des 1 August 1914 herab vom grossen Fenster des Saulensaals uber dem Portal IV Anlass war die deutsche Kriegserklarung an Russland nachdem dieses der ultimativ gestellten deutschen Aufforderung zur Rucknahme seiner Generalmobilmachung nicht nachgekommen war Es war die erste Kriegsrede des Kaisers im Ersten Weltkrieg In ihr griff der Kaiser seine pathetisch bildreiche Diktion vom Vortag wieder auf und dankte den Versammelten fur ihre Liebe und Treue in den Tagen der diplomatischen Krise Angesichts der kriegerischen Verwicklung mit dem Ausland beschwor er die nationale Einheit und gewahrte seinen innenpolitischen Gegnern d h der Sozialdemokratie in einer generosen rhetorischen Geste Vergebung fur ihre Angriffe in der Vergangenheit Schliesslich gelobte er in feierlicher Gebarde er kenne keine Parteien und auch keine Konfessionen mehr stattdessen seien wir heute alle deutsche Bruder und nur noch deutsche Bruder Diese Formel griff er in abgewandelter Form am 4 August 1914 in seiner Reichstagsansprache auf in der er verkundete Ich kenne keine Parteien mehr ich kenne nur noch Deutsche Zuletzt machte der Kaiser erneut eine Anleihe bei der Sprache des Rittertums um seiner Hoffnung zu Gott Ausdruck zu verleihen dass unser gutes deutsches Schwert siegreich aus diesem schweren Kampfe hervorgeht wenn der Nachbar es nicht anders wolle und Deutschland keinen Frieden gonne Weitere Ansprachen BearbeitenDen Balkonreden folgte am 4 August die Ansprache des Kaisers zur Eroffnung des mit Verordnung vom 2 August 1914 einberufenen Reichstages im Weissen Saal des Schlosses vor den dort versammelten Abgeordneten In einem personlichen Nachsatz zu der vom Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg vorformulierten Thronrede nahm Wilhelm II nochmals auf die Worte seiner Balkonrede vom 1 August Bezug und wiederholte den Aufruf an die Parteien zum Burgfrieden Anschliessend liess er sich von den Parteifuhrern treue Gefolgschaft und Verzicht auf Parteienstreit wahrend des Krieges in die Hand geloben Die letzte Rede Wilhelms zum Kriegsbeginn mit dem Titel An das deutsche Volk entstand in schriftlicher Form und wurde am 6 August 1914 im Reichsanzeiger veroffentlicht Im Januar 1918 wiederholte Wilhelm die Ansprache fur eine Schallplattenaufnahme 1 Aus diesem Aufruf also nicht wie manchmal falschlich angenommen aus einer der eigentlichen Balkonreden stammt der bekannte Ausspruch Kaiser Wilhelms II zum Kriegsausbruch Es muss denn das Schwert nun entscheiden Mitten im Frieden uberfallt uns der Feind Darum auf zu den Waffen Nachleben BearbeitenMit der zweiten Balkonrede hatte der Kaiser die Burgfriedenspolitik eingeleitet welche die deutsche Innenpolitik im Krieg bestimmen sollte Dies liess den Ort an dem er sie hielt zu einem Symbol werden Als der Burgfriede in der Novemberrevolution endgultig zerbrach wahlte der Fuhrer des radikalen Spartakusbundes Karl Liebknecht am 9 November 1918 das Portal IV zum Ort der Verkundung der freien sozialistischen Republik Deutschland 2 In Erinnerung an das aus ihrer Sicht traditionsstiftende Ereignis liess es 1951 die in Ost Berlin herrschende Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED bei der Sprengung des Schlosses verschonen einlagern und 1963 in das Staatsratsgebaude der DDR als Liebknechtportal einfugen 3 Mit dem Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldt Forum ist der Schauplatz der Balkonreden wiedererstanden Das Portal IV ist seither dort als Kopie 200 Meter entfernt aber im Original vorhanden Literatur BearbeitenJudith Prokasky Balkonreden Das Berliner Schloss und die Symbolpolitik der Hohenzollern In Dominik Juhnke Judith Prokasky Martin Sabrow Mythos der Revolution Karl Liebknecht das Berliner Schloss und der 9 November 1918 Hanser Munchen 2018 ISBN 978 3 446 26089 4 S 9 23 Goerd Peschken Hans Werner Klunner Das Berliner Schloss Das klassische Berlin Propylaen Berlin 1982 ISBN 3 549 06652 X S 453 Weblinks BearbeitenWortlaut der Balkonreden vom 31 Juli und 1 August 1914 Memento vom 5 Dezember 2014 im Internet Archive Rede Wilhelms II vor dem Reichstag 4 August 1914 Aufruf Wilhelms II an das deutsche Volk 6 August 1914 Tonaufnahme des Aufrufs vom 6 August 1914 nachtraglich am 10 Januar 1918 vertont Mentalitaten und Ideologien am Vorabend des Krieges Beitrag von Matthias Hennies im Deutschlandfunk vom 2 Januar 2014 mit einer Fotoaufnahme der Balkonrede am 1 August 1914 vom Fenster an Portal IV des Schlosses Abb 5 abgefragt am 31 Oktober 2020 Einzelnachweise Bearbeiten Georg Vorwerk Sprachunterricht fur einen Kaiser Die Probeaufnahmen zum Aufruf Kaiser Wilhelms II an das deutsche Volk zu Beginn des Ersten Weltkrieges Memento vom 27 Dezember 2017 im Internet Archive Begleitartikel zum Dokument des Monats November 2006 des Deutschen Rundfunkarchivs Zu den Vorgangen im Schloss am Abend des 9 November 1918 siehe Dominik Juhnke Szenen des Aufruhrs Der 9 November am Berliner Schloss In Dominik Juhnke Judith Prokasky Martin Sabrow Mythos der Revolution Karl Liebknecht das Berliner Schloss und der 9 November 1918 Hanser Munchen 2018 ISBN 978 3 446 26089 4 S 24 103 hier S 83 92 Zitat S 88 Martin Sabrow Volkstribun und Hassfigur Karl Liebknecht im deutschen Gedachtnis In Dominik Juhnke Judith Prokasky Martin Sabrow Mythos der Revolution Karl Liebknecht das Berliner Schloss und der 9 November 1918 Hanser Munchen 2018 ISBN 978 3 446 26089 4 S 123 125 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Balkonreden amp oldid 237364464