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Mit dem Begriff Burgermorde von Altotting bezeichnete der Historiker Ulrich Volklein ein Endphaseverbrechen an Altottinger Burgern kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs bei denen Adam Wehnert Josef Bruckmayer Hans Riehl Monsignore Adalbert Vogl und Martin Seidel am 28 April 1945 durch ein SS Kommando standrechtlich erschossen wurden wahrend Landrat Josef Kehrer und Burgermeister Karl Lex nach offizieller Darstellung durch Suizid starben Sie hatten versucht ihre Heimatstadt von der NS Herrschaft zu befreien um damit eine Zerstorung durch die heranruckenden US Truppen zu verhindern Am 1 Mai 1945 wurde schliesslich auch noch der Elektromonteur Max Storfinger erschossen Inhaltsverzeichnis 1 Situation am 28 April 1945 2 Ablauf 3 Burgermorde 4 Befreiung und juristische Aufarbeitung 5 Gedenken 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseSituation am 28 April 1945 BearbeitenEnde April 1945 stand der Zusammenbruch der NS Herrschaft unmittelbar bevor Der Altottinger Landrat Josef Kehrer hatte soweit bekannt Kenntnis von den Bestrebungen des befreundeten Hauptmanns Rupprecht Gerngross und dessen Freiheitsaktion Bayern die er aber allenfalls andeutungsweise Gesprachsteilnehmern bekannt gab Am 28 April 1945 besetzte Hauptmann Gerngross um 5 Uhr in der Fruh die Sender Freimann und Ismaning und liess uber die Sender ausstrahlen die Freiheitsaktion Bayern FAB habe die Regierungsgewalt ubernommen zur Befreiung des bayerischen Heimatbodens sollten sich alle zusammenschliessen Landrat Kehrer durfte die Nachricht erwartet haben und begab sich um 6 Uhr in das Landratsamt wo er bis etwa 8 Uhr einen Kreis vertrauenswurdiger Burger um sich versammelte Ziel war es den Wallfahrts und Lazarettort Altotting moglichst kampflos und unbeschadigt den herannahenden US Truppen zu ubergeben Ablauf BearbeitenLandrat Kehrer liess sechs ihm gefahrlich erscheinende nationalsozialistische Funktionare festnehmen darunter den Regierungsinspektor Karl Schuster Fuhrer eines SA Sturms den Ortsgruppenleiter Karl Stubenhofer den Organisationsleiter der NSDAP Franz Obermaier Teilnehmer des Hitlerputsches von 1923 und den 2 Burgermeister von Neuotting Heinrich Hilleprandt Blutordenstrager und Alten Kampfer Der Burgermeister Karl Lex nahm sich bei seiner Festnahme das Leben Die Nachricht von der Verhaftung der Parteifunktionare erreichte in einem Lazarett in Neuotting auch Offiziere die unter der Fuhrung des Obersten und SA Standartenfuhrers Karl Kaehne eine Offiziersstreife bildeten und zunachst zum Rathaus dann zum Landratsamt zogen Angeblich hat sich Regierungsrat Kehrer beim Auftauchen der Offiziersstreife in seinem Dienstzimmer im Landratsamt selbst in den Kopf geschossen er starb zwei Tage spater am 30 April 1945 Der Chefarzt des Krankenhauses in das Kehrer eingeliefert wurde bezweifelte allerdings diese Darstellung der Offiziere da er an der Einschussstelle keine Schmauchspuren habe feststellen konnen Der Munchner Gerichtsmediziner Laves vertrat in einem Gutachten zwei Jahre spater die Meinung nach dem Schusskanal musse es sich um eine Armeepistole PKK 7 65 mm gehandelt haben die Kehrer nicht besass weitere neun Monate spater hielt er jedoch auch einen Schuss einer tschechischen Pistole mit etwas kleinerem Kaliber 6 35 mm fur moglich eine solche hatte Kehrer besessen Etwa zeitgleich um 11 Uhr liess Gauleiter Paul Giesler uber den Rundfunk die Nachricht verbreiten die Freiheitsaktion Bayern sei niedergeschlagen Mangels ausreichender Bewaffnung hatte die Gruppe um Landrat Kehrer den bewaffneten Militars nichts entgegenzusetzen Die Offiziersstreife befreite die sechs gefangenen NS Funktionare kurz nach 11 Uhr Unter Fuhrung des Organisationsleiters Obermaier und mit Hilfe des ebenfalls freigekommenen SA Sturmfuhrers Schuster und des Ortsgruppenleiters Stubenhofer wurde eine Liste erstellt die alle Personen enthielt die an diesem Vormittag das Landratsamt betreten hatten jedenfalls soweit sie von den Parteifunktionaren von der Arrestzelle aus beobachtet wurden Kreisleiter Fritz Schwaegerl ordnete noch von Muhldorf aus telefonisch die Verhaftung von neun auf der Liste stehenden Altottinger Burgern an des Muhlenbesitzers Josef Bruckmayer des Verwaltungsinspektors Martin Seidel des Lagerhausverwalters Hans Riehl des Administrators der Heiligen Kapelle Stiftsdechant Monsignore Adalbert Vogl des Buchhandlers Adam Wehnert des Altburgermeisters Gabriel Mayer des Schriftstellers Heinrich Haug des Regierungsrats Scheupl und des Verlagsinhabers Hans Geiselberger Nachdem Kreisleiter Schwaegerl in Altotting eingetroffen war erweiterte er die Liste noch um Rechtsanwalt Gmach und Baumeister Irpertinger Nur die ersten funf auf der Liste konnten bis 14 Uhr verhaftet werden die anderen wurden zu Hause nicht angetroffen Ob sie gewarnt worden waren und sich unter Ausnutzung ihrer Ortskenntnisse der Festnahme entziehen konnten oder zufallig Geschaften ausser Haus nachgegangen sind ist nicht bekannt Burgermorde BearbeitenNeben dem Kreisleiter war inzwischen auch eine Gruppe SS Leute von etwa 60 Mann aus der Kampfgruppe Trummler eingetroffen Der Kreisleiter veranstaltete eine Art Standgericht das die funf Inhaftierten zum Tod verurteilte Martin Seidel Josef Bruckmayer Adam Wehnert Adalbert Vogl und Hans Riehl wurden von den SS Leuten um etwa 15 30 Uhr im Hof des damaligen Landratsamtes erschossen Kreisleiter und SS ruckten dann wieder ab offenbar ohne nach den noch auf der Proskriptionsliste stehenden Altottingern zu fahnden Auch die ortlichen Gewalthaber kummerten sich anscheinend nicht mehr darum Am 1 Mai waren die US Truppen bis zum Nordufer des Inn vorgeruckt tatsachlich hatten sie ihn bei Niedergottsau nahe Haiming bereits uberquert und forderten uber Lautsprecher die Kapitulation von Alt und Neuotting Als Zeichen der Ubergabe sollten in der Nacht alle Lichter eingeschaltet werden Die Burger kamen dieser Aufforderung nach ein fanatischer Luftwaffenleutnant namens Merkel hielt jedoch mit drei Mann das ortliche Elektrizitatswerk besetzt Als Arbeiter und Anwohner des Werks vor den Toren forderten die Stromversorgung aufrechtzuerhalten liess Merkel wahllos aus den Demonstranten den Elektromonteur Max Storfinger herausgreifen und sofort erschiessen Befreiung und juristische Aufarbeitung BearbeitenAm 2 Mai ruckten die US Truppen in Altotting ein Die juristische Aufarbeitung der Taten nach Kriegsende fand teils vor der von den Alliierten eingesetzten Spruchkammer teils vor regularen deutschen Gerichten statt Die Tater und Tatbeteiligten wurden soweit angeklagt entweder wegen Befehlsnotstand freigesprochen oder im Falle der Verurteilung nach wenigen Jahren amnestiert Kreisleiter Fritz Schwaegerl starb vor Kriegsende durch Suizid Oberst Karl Kaehne wurde in seinem Spruchkammerverfahren 1948 als Hauptbelasteter zu funf Jahren Arbeitslager verurteilt Im Strafverfahren vor dem Landgericht Traunstein wegen der Burgermorde vor Altotting wurde er wegen erwiesener Unschuld am Tod des Landrats Kehrer freigesprochen Daraufhin anderte die Spruchkammer auf Kaehnes Berufung hin im Dezember 1950 ihr Urteil und stufte ihn nunmehr als Belasteten ein Die funfjahrige Arbeitslagerstrafe brauchte er nicht anzutreten Der Napola Schuler Pforta Leutnant und spatere Jurist Merkel wurde im Marz 1953 des Totschlags an Max Storfinger angeklagt und zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt Er wurde im Oktober 1954 vom Bundesgerichtshof auf der Grundlage des Straffreiheitsgesetzes freigesprochen 1 Storfinger hatte sich fur die Rettung Altottings eingesetzt SS Untersturmfuhrer Fritz Otto Albrecht hatte an den Erschiessungen im Landratsamtsgarten teilgenommen und danach im Wacker Werk in Burghausen drei weitere Personen exekutiert Albrecht wurde 1956 wegen Befehlsnotstand freigesprochen SS Sturmbannfuhrer Werner Hersmann Vorgesetzter von Albrecht wurde 1950 wegen Totschlags zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt 1958 wurde Hersmann im Ulmer Einsatzgruppen Prozess wegen der Beteiligung an Massenmorden in Russland zu 15 Jahren Zuchthaus als Gesamtstrafe verurteilt SS Hauptsturmfuhrer Olaf Sigismund ebenfalls Vorgesetzter von Albrecht wurde 1950 wegen Totschlags zu funf Jahren Zuchthaus verurteilt Die Altottinger NS Funktionare die an der Erstellung der Liste der zu Exekutierenden beteiligt waren wurden nicht strafrechtlich belangt In Spruchkammerverfahren wurden sie als belastet oder minderbelastet eingestuft Hans Trummler wurde wegen der Ermordung zweier amerikanischer Flieger angeklagt Er wurde 1948 hingerichtet Obwohl er nicht direkt an den Morden beteiligt war hatte Trummler seinen Mannern die Erlaubnis zum Schiessen gegeben Gedenken Bearbeiten nbsp Altarwand der Rastkapelle im Kreuzgang der StiftspfarrkircheNach dem Krieg wurde an der Stelle an der die funf Altottinger ermordet worden waren eine Gedenkstatte fur alle sieben Opfer errichtet Diese wurde 1959 zur Rastkapelle ausgebaut und in den Kreuzgang der Stiftspfarrkirche einbezogen Heute befindet sich zusatzlich vor dem romanischen Tor der Stiftspfarrkirche eine Dauerausstellung welche die Ablaufe und Hintergrunde der Geschehnisse in Altotting am Ende der NS Herrschaft erklart Die katholische Kirche hat folgende Personen aus den damaligen Geschehnissen als Glaubenszeugen in das Deutsche Martyrologium des 20 Jahrhunderts aufgenommen Adalbert Vogl Josef Bruckmayer Josef Kehrer Ludwig Schon Burghausen Hans Riehl Martin Seidel Josef Stegmair Burghausen Adam Wehnert und Max Storfinger Literatur BearbeitenHelmut Moll Hrsg im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz Zeugen fur Christus Das deutsche Martyrologium des 20 Jahrhunderts Paderborn u a 1999 7 uberarbeitete und aktualisierte Auflage 2019 ISBN 978 3 506 78012 6 Band I S 615 620 Herbert Riehl Heyse Mord in unserer kleinen Stadt Widerstand in den letzten Kriegstagen In Suddeutsche Zeitung vom 27 28 April 1985 Ulrich Volklein Ein Tag im April Die Burgermorde von Altotting Aufklarung eines Kriegsverbrechens nach mehr als funfzig Jahren Steidl Verlag Gottingen 1997 ISBN 3 88243 516 X LG Traunstein 17 Dezember 1948 In Justiz und NS Verbrechen Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Totungsverbrechen 1945 1966 Bd III bearbeitet von Adelheid L Ruter Ehlermann C F Ruter University Press Amsterdam 1969 Nr 108 S 681 692 Erschiessung des Landrats von Altotting und 5 weiterer Mannern wegen Teilnahme an der Freiheitsaktion Bayern LG Traunstein 21 September 1950 In Justiz und NS Verbrechen Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Totungsverbrechen 1945 1966 Bd VII Bearbeitet von Adelheid L Ruter Ehlermann H H Fuchs und C F Ruter University Press Amsterdam 1971 Nr 241 S 455 471 Erschiessung von 5 Altottinger Burgern wegen Teilnahme an der Freiheitsaktion Bayern Josef Eimer Josef Kehrer aus Wernberg 1909 1945 In Die Oberpfalz ISSN 0342 9873 98 2010 S 103 108Weblinks BearbeitenBurgermorde von 1945 auf der Website der Stadt Altotting Peter Becker Der 28 April 1945 in Altotting Vom schwierigen Umgang mit unserer Geschichte PDF 584 kB Ansprache bei der Gedenkstunde am 28 April 2005 Einzelnachweise Bearbeiten LG Traunstein 5 Marz 1953 In Justiz und NS Verbrechen Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Totungsverbrechen 1945 1966 Bd X bearbeitet von Adelheid L Ruter Ehlermann H H Fuchs C F Ruter University Press Amsterdam 1973 Nr 348 S 543 563 Erschiessung eines Zivilisten der als Zeichen zur Ubergabe des von den Amerikanern eingeschlossenen Altotting aufgerufen hatte die Fenster zu beleuchten und weisse Tucher zu hissen Memento vom 8 Dezember 2016 im Internet Archive Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Burgermorde von Altotting amp oldid 230992100