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Das Straffreiheitsgesetz 1954 offiziell Gesetz uber den Erlass von Strafen und Geldbussen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bussgeldverfahren vom 17 Juli 1954 war ein Amnestiegesetz zur Bereinigung der durch Kriegs und Nachkriegsereignisse geschaffenen aussergewohnlichen Verhaltnisse Nach 1 wurden bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten die vor dem 1 Januar 1953 begangen worden waren bereits verhangte Strafen und Geldbussen erlassen sowie noch anhangige Verfahren niedergeschlagen BasisdatenTitel Gesetz uber den Erlass von Strafen und Geldbussen und die Niederschlagung von Strafverfahren und BussgeldverfahrenKurztitel Straffreiheitsgesetz 1954Abkurzung StFG 1954Art BundesgesetzGeltungsbereich Bundesrepublik DeutschlandRechtsmaterie Verfahrensrecht Strafverfahren StrafvollzugErlassen am 17 Juli 1954 BGBl I S 203 Inkrafttreten am 18 Juli 1954Bitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten Historisch von Bedeutung ist das Gesetz weil es gem 6 auch Tatern sog Endphaseverbrechen zugutekam die unter dem Einfluss der aussergewohnlichen Verhaltnisse des Zusammenbruchs in der Zeit zwischen dem 1 Oktober 1944 und dem 31 Juli 1945 in der Annahme einer Amts Dienst oder Rechtspflicht insbesondere eines Befehls begangen worden waren Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Entstehung 3 Gesetzgebungsverfahren 4 Bedeutung 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenEin erstes Straffreiheitsgesetz war 1949 beschlossen worden und zum 1 Januar 1950 in Kraft getreten Vor dem 15 September 1949 begangene Straftaten wurden unter bestimmten Voraussetzungen straffrei gestellt Das Gesetz war Teil einer Vergangenheitspolitik die darauf abzielte die alliierte Entnazifizierungspolitik zu beenden und die vielen kleinen Straftater und Mitlaufer in die neue bundesdeutsche Gesellschaft zu integrieren Es war nicht unbedingt auf die Straffreiheit von nationalsozialistischen Tatern ausgerichtet sondern in den Debatten wurden etwa Schwarzmarktgeschafte oder Eigentumsdelikte wahrend der Nachkriegszeit hervorgehoben Aber es konnten auch durchaus schwerere Taten nicht jedoch Totungsdelikte aus der Zeit des Nationalsozialismus darunter fallen Bis 1951 wurden fast 800 000 Personen begnadigt Wie viele davon nationalsozialistische Tater waren ist nicht mehr zu ermitteln Ihre Zahl durfte im funfstelligen Bereich gelegen haben Nachweisbar sind 2547 Einstellungen von Verfahren Hinzu kamen weitere 1000 1500 Personen denen bereits verhangte Strafen ganz oder teilweise erlassen wurden 1 Von besonderer gesellschaftspolitischer Bedeutung war 10 des Gesetzes von 1949 wonach Straftaten die zwischen dem 10 Mai 1945 und dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verschleierung des Personenstandes aus politischen Grunden begangen worden waren ohne Rucksicht auf die Hohe der zu erwartenden Strafe straffrei gestellt wurden wenn der Tater bis spatestens 31 Marz 1950 freiwillig seine unwahren Angaben widerrief und bisher unterlassene Angaben nachholte Von geschatzt 80 000 Personen die nach Kriegsende unter falschem Namen untergetaucht waren stellten sich daraufhin 241 Personen den Behorden Mit 7 Straffreiheitsgesetz 1954 wurde die Offenbarungsfrist bis zum 31 Dezember 1954 verlangert fur im Ausland befindliche Personen bis sechs Monate nach Betreten der Bundesrepublik Bis Ende des Jahres 1954 wurden 954 Falle registriert 2 Verschiedene Interessengruppen versuchten aus unterschiedlichsten Grunden ein neues Amnestiegesetz voranzubringen Robert Kempner ehemals Anklager bei den Nurnberger Kriegsverbrecherprozessen ging es um die Amnestie fur kleinere Eigentums und Wirtschaftsvergehen fur die in der Besatzungszeit teilweise hohe Strafen verhangt worden waren Der judische Publizist Karl Marx setzte sich fur Juden ein die nach der Befreiung aus den Konzentrationslagern auf die schiefe Bahn geraten waren Es ging dabei vor allem um die Gruppe der aus Osteuropa stammenden Displaced Persons die nicht nach Israel ausgewandert waren und in der Bundesrepublik nur schwer Fuss fassen konnten Fur diese Gruppe setzte sich auch der Zentralrat der Juden ein 3 Entstehung BearbeitenWie sein Vorgangergesetz von 1949 diente das Gesetz von 1954 nicht primar der Amnestie von NS Tatern sondern es ging auch um andere politische Ziele So sollten Bonner Beamte die dem Informationsdienst von Robert Platow Material geliefert hatten und denen Anklagen wegen Bestechlichkeit und Untreue drohten nachdem ein erster Amnestieversuch an verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert war ohne Strafe ausgehen 4 Auch amnestierte es Steuervergehen und Vergehen gegen Vorschriften des Interzonenhandels Auch diejenigen die sich durch die Behauptung ehrenruhriger Tatsachen strafbar gemacht hatten sollten in den Genuss des Gesetzes kommen An diesem Punkt war Konrad Adenauer selbst interessiert hatte er doch im letzten Bundestagswahlkampf Unwahrheiten uber zwei SPD Funktionare behauptet Hinzu kam eine allgemeine Amnestie fur geringfugige Straftaten mit einem Strafmass von drei Monaten 2 Von nachhaltiger Bedeutung war das Gesetz aber vor allem in Hinblick auf die Amnestierung von NS Verbrechen Ernst Achenbach Parteifreund von Justizminister Thomas Dehler und wahrend des Dritten Reiches Leiter der politischen Abteilung der deutschen Botschaft in Paris grundete 1952 einen vorbereitenden Ausschuss zur Herbeifuhrung einer Generalamnestie 5 Dabei ging es um die Beendigung der strafrechtlichen Verfolgung von NS Tatern im In und Ausland Werner Best der zu dieser Zeit in Achenbachs Kanzlei arbeitete verfasste eine Denkschrift in der er einen Unterschied machte zwischen politischen Straftaten und solchen die aus privaten Motiven erfolgten Achenbach setzte seinen betrachtlichen politischen Einfluss er hatte den starken Landesverband der FDP in Nordrhein Westfalen hinter sich fur seine Ziele ein Er legte einen Entwurf fur ein neues Gesetz vor Dabei schob er andere Argumente etwa Verstosse im Bereich des Handels mit Osteuropa vor Aber er gab auch deutlich seine Ziele hinsichtlich der NS Tater zu erkennen Dehler dem diese Forderungen zu weit gingen versuchte die Sache abzublocken Achenbach unternahm 1953 einen weiteren Anlauf Best formulierte als Ziel nunmehr dass das Gesetz eine Amnestie fur alle Straftaten der Vergangenheit gewahren sollte die nicht aus personlichen Motiven begangen worden sind 6 Die gespannten Beziehungen zwischen Thomas Dehler und Achenbach gerade mit Blick auf dessen Versuch die FDP in Nordrhein Westfalen nationalsozialistisch zu unterwandern spielte fur den weiteren Kurs in der Amnestiefrage keine erkennbare Rolle Vielmehr liess Dehler in seinem Haus einen eigenen Gesetzentwurf erarbeiten 7 Kurz nach der Bundestagswahl 1953 verkundete Dehler dass sein Ministerium an einem Gesetzentwurf fur eine allgemeine Straffreiheit arbeite Er verlor sein Amt im Oktober an Fritz Neumayer Im Ministerium waren die Vorarbeiten fur ein solches Gesetz inzwischen vorangekommen Aber auch andere Stellen wie Vertreter der Bundesanwaltschaft insbesondere Max Gude brachten Vorstellungen ein Dabei wurde der Begriff des Befehlsnotstandes hervorgehoben Die Grenze des Amnestiewurdigen sah Gude dort an wo Taten aus Grausamkeit oder niedriger Gesinnung erfolgt waren Damit war lediglich Mord im Entwurf nicht eingeschlossen Als Alternative wurde vorgeschlagen die Amnestie auf Taten zu beschranken fur die keine hohere Freiheitsstrafe als drei Jahre zu erwarten ware Auch wurde bereits ein Tatzeitraum fur die Zeit des Zusammenbruchs des nationalsozialistischen Regimes ins Auge gefasst Die Landerjustizminister zeigten sich skeptisch den Befehlsnotstand mit in das Gesetz aufzunehmen weil man Gefahr laufe auch uble Taten zu begunstigen Letztlich schlugen die Lander einen Kompromiss vor Nur Berlin blieb bei seiner Abneigung nationalsozialistische Gewalttaten mit dem Mantel der Liebe zuzudecken 8 Das Justizministerium folgte aber den Vorschlagen von Gude und arbeitete sie in den Referentenentwurf ein An der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs waren uberwiegend ehemalige Mitarbeiter des Reichsjustizministeriums wie Franz Massfeller sowie Kriegs und Sonderrichter beteiligt Justizminister Fritz Neumayer wollte einen Schlussstrich unter die Straftaten ziehen die in unmittelbarem oder mittelbarem Zusammenhang mit den Verhaltnissen einer chaotischen Zeit standen 9 Ein zentraler Passus war der sogenannte Zusammenbruchs Paragraph Dabei ging es um Straftaten die unter dem Einfluss der aussergewohnlichen Verhaltnisse des Zusammenbruchs in der Zeit zwischen dem 1 Oktober 1944 und dem 31 Juli 1945 in der Annahme einer Amts Dienst oder Rechtspflicht insbesondere eines Befehls begangen worden sind Auch in diesen Fallen sollte Straffreiheit gelten jedoch nur fur Taten die mit weniger als drei Jahren Haft bedroht waren Gesetzgebungsverfahren BearbeitenEbendieser offenkundige Versuch NS Tater straffrei ausgehen zu lassen wurde im Gesetzgebungsverfahren intensiv debattiert Kritik kam seitens der SPD etwa von Otto Heinrich Greve aber auch aus den Regierungsparteien wie von Hermann Hocherl CSU Ein Anderungsantrag der SPD der das zu amnestierende Strafmass auf ein Jahr beim Zusammenbruchsparagraphen herabsetzen wollte fand im Rechtsausschuss zwar eine Mehrheit wurde aber bei der dritten Lesung des Gesetzes im Bundestag abgelehnt Bei der Schlussabstimmung votierte die Mehrheit der SPD dagegen Unter den Befurwortern war allerdings der Fraktionsvorsitzende Erich Ollenhauer Hinzu kamen einige Linksliberale der FDP und ein CDU Abgeordneter Nach Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat musste das Gesetz im Bundestag erneut beraten werden Letztlich stimmte auch der grosste Teil der SPD Fraktion zu Auch die SPD war angesichts der verbreiteten Schlussstrichmentalitat bereit den kleinen NS Tatern entgegenzukommen Damit wurde auch dieses Gesetz mit einer breiten Mehrheit beschlossen 10 Es war deutlich erkennbar dass der Zusammenbruchsparagraph auch schwerwiegendere NS Verbrechen straffrei stellen konnte Im Ubrigen wurden durch das Gesetz auch alle Strafregistereintrage 20 Abs 1 Nr 2 geloscht die aus Verurteilungen durch Spruchkammern aus der Zeit vor Grundung der Bundesrepublik stammten Aus dem Gesetz von 1949 wurde der sogenannte Illegalen Paragraph 7 zur Verschleierung des Personenstandes ubernommen Damit konnten untergetauchte NS Tater straffrei ausgehen Bedeutung BearbeitenVon dem Gesetz profitierten 400 000 Personen Der Grossteil entfiel auf die allgemeine Amnestie Die Zahl der begunstigten NS Tater war sehr gering Der umstrittene Zusammenbruchsparagraph kam in den ersten Jahren nur 77 mal zur Anwendung Ein Fall war einer der Angeklagten im Prozess um das Massaker im Arnsberger Wald Von Bedeutung war das Straffreiheitsgesetz vor allem hinsichtlich der politischen Kultur Der Zusammenbruchsparagraph erlaubte es den Tatern sich auf einen Befehlsnotstand zuruckzuziehen Das Gesetz setzte demonstrativ einen Schlussstrich unter die Entnazifizierungsbestrebungen der Siegermachte und war Teil der Selbstrehabilitation und legitimation der jungen Bundesrepublik In dieser Hinsicht war das Gesetz von 1954 noch wichtiger als das von 1949 Wohl nicht zufallig sank die Zahl der neu eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen NS Tater deutlich ab Im Jahr 1955 wurden nur 21 Personen wegen Taten mit NS Hintergrund rechtskraftig verurteilt 11 Literatur BearbeitenElmar Brandstetter Straffreiheitsgesetz 1954 Kommentar Verlag Franz Vahlen Berlin und Frankfurt a M 1954 Norbert Frei Vergangenheitspolitik Die Anfange der Bundesrepublik und die NS Vergangenheit Munchen 2 Auflage 1996 ISBN 978 3 406 41310 0 Inhaltsverzeichnis Andreas Eichmuller Keine Generalamnestie Die strafrechtliche Verfolgung von NS Verbrechen in der fruhen Bundesrepublik Munchen 2012 ISBN 978 3 486 70412 9 Rezensiert fur H Soz Kult von Christina Ullrich Amnestien In Lexikon der Vergangenheitsbewaltigung in Deutschland Bielefeld 2007 S 92 94 Urteil des LG Hagen vom 22 Oktober 1954 541022 11Ks2 51 Anklage wegen der Erschiessung von 27 Personen Anfang 1945 Freispruch nach dem Straffreiheitsgesetz Justiz und NS Verbrechen Bd XII S 663 Zugang nur mit Lizenz Weblinks BearbeitenW Fredericia Die Folgen des Amnestiegesetzes Die Zeit 24 Juni 1954 Joachim Perels Amnestien fur NS Tater in der Bundesrepublik Kritische Justiz 1995 S 382 389 Norbert Frei Amnestiepolitik in den Bonner Anfangsjahren Die Westdeutschen und die NS Vergangenheit Kritische Justiz 1996 S 484 494 Nomos eLibraryEinzelnachweise Bearbeiten Andreas Eichmuller Keine Generalamnestie Munchen 2012 S 39 f Illegal bis in den Tod Der Spiegel 13 April 1998 Norbert Frei Vergangenheitspolitik Munchen 1996 S 103 106 Kollision in Karlsruhe Der Spiegel 12 Januar 1955 Grossmutters Grundsatze Der Spiegel 23 Dezember 1959 Norbert Frei Vergangenheitspolitik Munchen 1996 S 108 Norbert Frei Vergangenheitspolitik Munchen 1996 S 106 111 Norbert Frei Vergangenheitspolitik Munchen 1996 S 111 115 Norbert Frei Vergangenheitspolitik Munchen 1996 S 102 Norbert Frei Vergangenheitspolitik Munchen 1996 S 121 125 Norbert Frei Vergangenheitspolitik Munchen 1996 S 101 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Straffreiheitsgesetz 1954 amp oldid 234340895