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Der Tatbestand des Vertrauensbruchs im auswartigen Dienst der so genannte Arnim Paragraf wurde ahnlich wie der Duchesne Paragraf und der Kanzelparagraph aufgrund eines politisch motivierten Vorfalls wahrend der ersten Jahre nach der deutschen Reichsgrundung von 1871 normiert Der Paragraf wurde 1876 als 353a in das Reichsstrafgesetzbuch aufgenommen und er gilt weiterhin Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Wortlaut 3 Bedeutung der Vorschrift 4 Literatur 5 WeblinksGeschichte BearbeitenGraf Harry von Arnim Suckow hatte seine Stelle als kaiserlich deutscher Botschafter in Paris im Jahr 1871 angetreten 1873 ignorierte er mehrere dienstliche Anweisungen des Reichskanzlers Otto von Bismarck und unterstutzte die Monarchiebewegung in Frankreich statt Partei fur den damaligen franzosischen Staatsprasidenten Adolphe Thiers zu ergreifen Das selbstherrliche Auftreten Arnims wurde in der Offentlichkeit als mogliche Anwartschaft auf den Posten des Reichskanzlers also Bismarcks Nachfolge gesehen Auf Bismarcks Veranlassung wurde Arnim am 2 Marz 1874 durch Kaiser Wilhelm I von seinem Posten abberufen und ihm die Leitung der Gesandtschaft in Konstantinopel angeboten In einem in der Presse gefuhrten Wortwechsel raumte Arnim ein aus den Botschaftsarchiven personliche Akten die seinen Konflikt mit Bismarck betreffen sog Konfliktspapiere mitgenommen zu haben Weitere Akten mit Positionen zur Kirchenpolitik gab er zuruck Arnim wurde verhaftet und wegen Vergehens wider die offentliche Ordnung zunachst vom Amtsgericht Berlin zu drei Monaten Gefangnis verurteilt Das Kammergericht Berlin entschied als das fur die Berufung zustandige Gericht dass Arnim sich des Beiseiteschaffens von Urkunden schuldig gemacht habe und erhohte die Gefangnisstrafe auf neun Monate An den Strafprozess schloss sich ein Disziplinarverfahren an welches zur Entlassung aus dem Dienst unter Verlust von Titeln und Pension fuhrte Arnim entzog sich der Strafvollstreckung durch Flucht in das Ausland Von dort aus fuhrte er mit der anonymen Druckschrift Pro Nihilo Vorgeschichte des Arnim schen Prozesses seinen Kampf um Rehabilitierung mit scharfer Kritik an Bismarck und indirekt auch am Kaiser fort Wegen dieser Veroffentlichung wurde Arnim 1876 durch den Senat fur Staatsverbrechen beim Kammergericht Berlin wegen Verwendung diplomatischer Urkunden und Fuhrung verschiedener Amtsgeschafte zum Nachteil des Reiches qualifiziert als Landesverrat sowie Beleidigung seiner Majestat des Reichskanzlers und des AA in Abwesenheit zu funf Jahren Zuchthaus verurteilt Am 19 Mai 1881 starb der an Diabetes leidende Arnim in Nizza Schon 1875 legte die Reichsregierung dem Reichstag den Entwurf fur den 353a StGB vor Diese wurde in leicht veranderter Fassung am 26 Februar 1876 RGBl S 25 37 Gesetz Nachdem die Strafvorschrift 353a StGB als Norm mit aussenpolitischem Bezug mit dem 11 Kontrollratsgesetz aufgehoben war fand sie im Zusammenhang mit der Errichtung des neuen Auswartigen Amtes AA und des diplomatischen Auslandsapparates der Bundesrepublik Deutschland mit dem 1 Strafrechtsanderungsgesetz im Jahre 1951 wieder Eingang in das StGB Vom Gesetzgeber wurde dies mit der Notwendigkeit begrundet nach Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen seitens der Bundesrepublik diese Vorschrift um ihrer vorbeugenden Wirkung willen in das StGB aufzunehmen Wortlaut Bearbeiten 353a Vertrauensbruch im auswartigen Dienst 1 Wer bei der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland gegenuber einer fremden Regierung einer Staatengemeinschaft oder einer zwischenstaatlichen Einrichtung einer amtlichen Anweisung zuwiderhandelt oder in der Absicht die Bundesregierung irrezuleiten unwahre Berichte tatsachlicher Art erstattet wird mit Freiheitsstrafe bis zu funf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft 2 Die Tat wird nur mit Ermachtigung der Bundesregierung verfolgt Bedeutung der Vorschrift BearbeitenRechtsgut des als abstraktes Gefahrdungsdelikt konzipierten 353a StGB sind die auswartigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland die vor Storungen und Nachteilen geschutzt werden sollen die bei der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland durch die Nichtbefolgung amtlicher Anweisungen 1 Tatvariante oder durch Falschberichte 2 Tatvariante entstehen konnen Amtliche Anweisungen verfolgen im Bereich der auswartigen Angelegenheiten den Zweck die von den fur die Aussenpolitik der Bundesrepublik Deutschland politisch und oder rechtlich verantwortlichen Instanzen formulierten aussen politischen Zielsetzungen Positionen oder Handlungsoptionen gegenuber den in 353a genannten Stellen fremde Regierung Staatengemeinschaft zwischenstaatliche Einrichtung operativ umzusetzen Amtliche Anweisungen im Bereich der auswartigen Angelegenheiten sind daher von dem Personenkreis an den sie ergangen sind zu befolgen und in dem von der anweisenden Stelle i d R der jeweilige Vorgesetzte des Angewiesenen gewollten Sinne auszufuhren Dies ist notwendig damit es nicht zu einer Lahmlegung oder Durchkreuzung der von den zustandigen Instanzen vorgegebenen aussen politischen Zielsetzungen Positionen oder Handlungsoptionen der Bundesrepublik Deutschland kommt und hierdurch u U deutsche auswartige Interessen gefahrdet werden In dieser durch die Tathandlung des sog amtlichen Ungehorsams erzeugten abstrakten Gefahr fur die auswartigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland liegt der eigentliche Strafgrund fur die in 353a mit der 1 Tatvariante ponalisierte Zuwiderhandlung gegen eine amtliche Anweisung Die laufende Unterrichtung der fur die Aussenpolitik der Bundesrepublik Deutschland politisch und oder rechtlich verantwortlichen Instanzen uber das Ausland betreffende Vorgange ist fur die Gestaltung der auswartigen Beziehungen unverzichtbar Sie bildet die Grundlage fur die Meinungsbildung der von den zustandigen Instanzen zu formulierenden aussen politischen Zielsetzungen Positionen und Handlungsoptionen bzw im Einzelfall zu treffenden operativen Entscheidungen Entsprechend ihrem Sinn und Zweck hat sich die Berichterstattung daher zu erstrecken auf Informationen uber die politischen militarischen wirtschaftlichen kulturellen und sonstigen Vorgange in einem fremden Staat einer Staatengemeinschaft oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder auf Mitteilungen uber besondere Umstande und Ereignisse die auf die Gestaltung bzw Leitung der deutschen Aussenpolitik Einfluss haben konnen Bericht ist ferner zu erstatten als Anzeige uber die Ausfuhrung einer erteilten amtlichen Anweisung gegenuber den in 353a genannten Stellen und als Mitteilung uber die mit der Ausfuhrung dieser Anweisung bei den genannten Stellen erreichte politische Wirkung oder auch Nichtwirkung Aus Sinn und Zweck der Berichterstattung und ihrer Bedeutung fur die Meinungsbildung und unverzichtbares Steuerungselement der fur die deutsche Aussenpolitik verantwortlichen Instanzen folgt schliesslich zwingend dass sich die berichteten Mitteilungen nicht auf erdachte sondern ausschliesslich auf wahre tatsachliche Verhaltnisse zu stutzen haben Eine Meinungsbildung dieser Instanzen auf der Basis eines unwahren Berichts wurde u U deutsche auswartige Interessen gefahrden In dieser durch die Tathandlung der sog amtlichen Luge erzeugten abstrakten Gefahr fur die auswartigen Interessen der Bundesrepublik Deutschland liegt der eigentliche Strafgrund fur die in 353a mit der 2 Tatvariante ponalisierte Falschberichterstattung Da fur die Tatbestandserfullung die Herbeifuhrung eines Schadens oder einer konkreten Gefahrdung des Schutzgutes nicht verlangt wird bedeutet dies in der Konsequenz dass formal ein Verstoss gegen 353a auch dann vorliegt wenn bspw die Nichtbefolgung von sachwidrigen Anweisungen fur die Bundesrepublik in concreto von Nutzen ist oder ein Falschbericht diese vor Schaden bewahrt hat weil bspw eine wahrheitsgemasse Berichterstattung die Bundesregierung in concreto zu voreiligen unsachgemassen Massnahmen veranlasst hatte Zusatzlich zum genannten Schutzzweck soll durch 353a auch die Entscheidungs und Direktionskompetenz bei der auswartigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland sichergestellt werden Nicht der untergeordnete Vertreter soll uber die Interessen der Bundesrepublik befinden konnen sondern die gemass Interessenlage der Bundesrepublik Deutschland gebotenen Massnahmen ausschliesslich von den gesetzlich dafur zustandigen Instanzen die auch die politische und oder rechtliche Verantwortung tragen getroffen werden Aus dem Typus des 353a als einem abstrakten Gefahrdungsdelikt folgt dass auch der Nachweis volliger Ungefahrlichkeit den Tatbestand nicht ausschliesst bzw der Nachweis Schaden abgewendet ja sogar Nutzen herbeigefuhrt zu haben nicht etwa zur Straffreiheit fuhrt Da fur die Tatbestandserfullung des 353a erforderlich ist dass der Tater bei der Vertretung der Bundesrepublik Deutschland handelt kann der Tatbestand nur von Personen die auch in dieser besonderen Beziehung stehen begangen werden Insoweit handelt es sich bei 353a um ein Sonderdelikt Die Einordnung des 353a im StGB innerhalb der Straftaten im Amt erklart sich rechtsgeschichtlich da diese Strafnorm fruher allein auf eine bestimmte Beamtenklasse die Beamten im Dienste des Auswartigen Amtes anwendbar war Dem von der Strafrechtswissenschaft wie der Rechtspraxis seit mehr als 130 Jahre weitgehend vergessenen Tatbestand des 353a StGB kommt gerade in der heutigen Zeit erhebliches Potenzial sowie hohe Aktualitat und praktische Bedeutung zu Als Tater kommen nicht nur diplomatische konsularische Vertreter der Bundesrepublik Deutschland als Amtstrager des Auswartigen Amtes AA und in den Auswartigen Dienst zeitlich befristet ubernommene Fachreferenten anderer Bundesbehorden bspw als Militar Wirtschafts Presseattache oder des Bundesnachrichtendienstes BND an einer Auslandsvertretung in Betracht sondern alle Amtstrager als Amtstrager auch in der Zentrale des Auswartigen Amtes und anderer Bundesbehorden wie auch behordenexterne Personen als Emissar fur eine diplomatische Ad hoc Sonderaufgabe bestellte und im Ausland angesehene Personlichkeit des offentlichen Lebens wie etwa ein Mitglied des Bundestages ein Elder statesman oder ein pensionierter Berufsdiplomat die mit der Wahrnehmung auswartiger Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutschland sei es im Ausland oder Inland beauftragt sind Durch Erfassung eines Taterkreises auch ausserhalb des diplomatischen Auslands Dienstes des Auswartigen Amtes AA ist der Arnim Paragraf ein wichtiges Praventivinstrument um der mit der Vielzahl neuer aussenpolitischer Akteure gestiegenen Gefahr einer mehrgleisigen Aussenpolitik und widerspruchlichen Darstellung aussenpolitischer Positionen der Bundesregierung schon im Vorfeld zu begegnen und zugleich eine koharente Implementierung deutscher Aussenpolitik insgesamt noch starker abzusichern Als Ausdruck staatlicher Missbilligung auswartiger Privatpolitik Aussenpolitik auf eigene Faust ponalisiert 353a StGB mit der 1 Tatvariante auch Verstosse gegen eine als Richtschnur vorgegebene amtliche Aussenpolitik Die Untersuchung von Aktivitaten des Bundesnachrichtendienstes BND im Zusammenhang mit dem Irak Krieg 2003 belegt dass die Existenz des 353a StGB ein geeignetes Praventivinstrument sein kann um der Gefahr dass bestimmte Aktivitaten des BND ein von den politisch verantwortlichen Instanzen nicht gedecktes Eigenleben entwickeln vorzubeugen Ferner belegt die Untersuchung der im Jahre 2005 neu gefassten AA Richtlinien fur die Handhabung diplomatischer und konsularischer Privilegien entsandter Beschaftigter dass diese eine amtliche Anweisung i S d 353a StGB darstellen und somit vorsatzlicher Privilegienmissbrauch bereits de lege lata strafbar ist Im Strafanwendungsrecht ergibt die Untersuchung dass mit der Reform des sog Internationalen Strafrechts im Jahre 1975 fur eine bestimmte Tatergruppe des 353a StGB hier behordenexterne Personen eine zuvor nicht existente Strafbarkeitslucke de lege lata geschaffen wurde Literatur BearbeitenDarstellung der in der Untersuchungssache wider den Wirklichen Geheimen Rath Grafen von Arnim vor dem Koniglichen Stadtgericht zu Berlin im Dezember 1874 stattgehabten offentlichen Verhandlungen unter Benutzung amtlicher Quellen herausgegeben sowie den Anhang enthaltend die in der Untersuchungssache wider den Wirklichen Geheimen Rath Grafen von Arnim im Laufe der offentlichen Verhandlungen verlesenen Dokumente Kgl Ober Hofbuchdruckerei Berlin 1875 Franz von Holtzendorff Hrsg Rechtsgutachten erstattet zum Process des Grafen H v Arnim mit Beitragen von Wahlberg Merkel von Holtzendorff und Rolin Jaequemyns Munchen 1875 Anklageschrift des k preuss Oberstaatsanwaltes gegen den Grafen Harry von Arnim nebst Actenstucken London 1876 Pro Nihilo Anonyme Schrift Harry von Armin zugeschrieben Vorgeschichte des Arnim schen Processes Erstes Heft Zurich 1876 von Harlessem Pro Multo Entgegnung der Broschure Pro nihilo Leipzig 1876 Anonymer Verfasser Der Process Arnim dargestellt von einem alten Juristen Heidelberg 1877 Disziplinarverfahren gegen den Grafen Harry von Arnim in letzter Instanz vor dem Reichs Disziplinarhof zu Leipzig am 3 Marz 1877 stenographische Niederschrift Leipzig 1877 Oskar Klein Hattingen Bismarck und seine Welt Zweiter Bd Erster Teil Berlin 1903 Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen RGSt Band 41 4 6 Entscheidung der Vorinstanz zu 1 Landgericht Berlin in Deutsche Juristen Zeitung Jahrgang 1907 976 Fritz Stier Somlo Der Fall Poplau und der Arnimparagraph Deutsche Juristen Zeitung 1907 682 Wilhelm Contag Die Amtsdelikte im diplomatischen Dienst der 353a des Strafgesetzbuches Arnim Paragraph Diss Breslau 1913 Franz von Liszt Zum Arnim Paragraphen 353a StGB Juristische Wochenschrift 1918 540 Bernhard Schwertfeger Die Diplomatischen Akten des Auswartigen Amtes 1871 1914 Kommentar Erster Teil Die Bismarck Epoche 1 Bd Der Frankfurter Friede und seine Nachwirkungen 1871 1877 Berlin 1924 Hans Herzfeld Deutschland und das geschlagene Frankreich 1871 1873 Berlin 1924 Georg Strobl Der diplomatische Geheimnisverrat und der diplomatische Ungehorsam nach 353a StGB und seine Umgestaltung nach dem Entwurf von 1927 Diss Erlangen 1933 Walter Laubenthal Der Arnim Paragraph 353a des StGB seine Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart Diss Koln 1935 Heinrich Triepel Die auswartige Politik der Privatpersonen Zeitschrift fur auslandisches offentliches Recht und Volkerrecht Band IX 1939 1 21 Fritz Hartung Bismarck und Graf Harry Arnim Historische Zeitschrift Band 171 1951 47 Wolfgang Noack Eine besondere Strafvorschrift fur den auswartigen Dienst Der sog Arnimparagraph 353a StGB in Monatsschrift der Vereinigung Deutscher Auslandsbeamten Heft 2 1963 33 George O Kent Arnim and Bismarck Oxford 1968 Gerhard Kratzsch Harry von Arnim Bismarck Rivale und Frondeur Die Arnim Prozesse 1874 1876 Gottingen u a 1974 Heinz Wolter Harry von Arnim Rivalisierender Diplomat und konservativer Frondeur in Gestalten der Bismarckzeit hrsg v Gustav Seeber Berlin 1978 286 Fritz Munch Bismarcks Affare Arnim Die Politik des Diplomaten und die Verantwortlichkeit des Staatsmannes Berlin 1990 Karl Alexander Hampe Botschafter Harry Graf von Arnim ein politischer Rebell oder ungehorsamer Beamter in Auswartiger Dienst Vierteljahreszeitschrift der Vereinigung Deutscher Auslandsbeamten Heft I II 1990 15 Prof Dr Bernd Heinrich Bismarcks Zorn Inhalt und Bedeutung eines vergessenen Tatbestandes Zeitschrift fur die gesamte Strafrechtswissenschaft Band 110 1998 327 Dr Klaus Hermann Ringwald Generalkonsul a D Rechtsanwalt Der Arnim Paragraf 353a StGB und der Schutz auswartiger Interessen der Bundesrepublik Deutschland Nomos Verlag Baden Baden 2010 ISBN 978 3 8329 5118 4Weblinks Bearbeiten 353a StGB GesetzestextBitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Vertrauensbruch im auswartigen Dienst amp oldid 239557631