www.wikidata.de-de.nina.az
Der Kanzelparagraph war von 1871 bis 1953 Bundesrepublik Deutschland bzw 1968 1 Deutsche Demokratische Republik eine Vorschrift des deutschen Strafgesetzbuches die den Geistlichen aller Religionen in der Ausubung ihres Amtes eine Stellungnahme zu politischen Angelegenheiten mit Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren untersagte Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Kaiserreich 1 2 Drittes Reich 1 3 Bundesrepublik 2 Literatur 3 Weblinks 4 BelegeGeschichte BearbeitenKaiserreich Bearbeiten Wahrend des Kulturkampfes ging die Reichsregierung des Kaiserreichs unter Fuhrung Otto von Bismarcks gegen Geistliche vor die in ihren Predigten von der Kanzel aus politische Ereignisse kommentierten Dieser so genannte Kanzelmissbrauch wurde in einem neuen 130a untersagt der am 10 Dezember 1871 in das Strafgesetzbuch eingefugt wurde Ein Geistlicher oder anderer Religionsdiener welcher in Ausubung oder in Veranlassung der Ausubung seines Berufes offentlich vor einer Menschenmenge oder welcher in einer Kirche oder an einem anderen zu religiosen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den offentlichen Frieden gefahrdenden Weise zum Gegenstande einer Verkundigung oder Erorterung macht wird mit Gefangniss oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft 2 Es kam in der Folge dieser Strafvorschrift auch zu politisch motivierten Haftstrafen gegen katholische Geistliche Der beliebte Erzbischof von Posen Mieczyslaw Graf Halka Ledochowski wurde zur Hochststrafe von zwei Jahren verurteilt und im Februar 1874 tatsachlich inhaftiert Eine Erganzung vom 26 Februar 1876 weitete die Vorschrift auf die Verbreitung von Schriften aus Gleiche Strafe trifft denjenigen Geistlichen oder anderen Religionsdiener welcher in Ausubung oder in Veranlassung der Ausubung seines Berufes Schriftstucke ausgibt oder verbreitet in welchen Angelegenheiten des Staats in einer den offentlichen Frieden gefahrdenden Weise zum Gegenstand einer Verkundigung oder Erorterung gemacht sind Drittes Reich Bearbeiten Martin Niemoller gehorte als evangelischer Pfarrer zu den prominenten Geistlichen der Bekennenden Kirche die unter Heranziehung des Kanzelparagraphen von der nationalsozialistischen Justiz wegen Kanzelmissbrauchs verfolgt wurden 3 Auch katholische Geistliche wurden im Dritten Reich wegen dieses Paragraphen belangt zum Beispiel Pater Rupert Mayer Gegen ihn wurde auf Grund seiner regimekritischen Ausserungen ein Predigtverbot verhangt Im Juni 1939 erklarte Mayer vor der Gestapo schriftlich Ich erklare dass ich im Falle meiner Freilassung trotz des gegen mich verhangten Redeverbotes nach wie vor aus grundsatzlichen Erwagungen heraus predigen werde Ich werde auch weiterhin in der von mir bisher geubten Art und Weise predigen selbst dann wenn die staatlichen Behorden die Polizei und die Gerichte meine Kanzelreden als strafbare Handlungen und als Kanzelmissbrauch bewerten sollten 4 1942 wurde der katholische Priester Bernhard Lichtenberg zu zwei Jahren Gefangnis wegen Kanzelmissbrauchs und Vergehens gegen das Heimtuckegesetz verurteilt weil er offentlich fur Juden und KZ Gefangene gebetet hatte In Berliner Hausern wird ein anonymes Hetzblatt gegen die Juden verbreitet Darin wird behauptet dass jeder Deutsche der aus angeblich falscher Sentimentalitat die Juden irgendwie unterstutzt und sei es auch durch freundliches Entgegenkommen Verrat an seinem Volk ubt Lasst euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren sondern handelt vielmehr nach dem strengen Gebot Jesu Christi Du sollst deinen Nachsten lieben wie dich selbst 5 Lichtenberg wurde daraufhin ein Verstoss gegen 130a RStGB und das Heimtuckegesetz zur Last gelegt Bundesrepublik Bearbeiten In der Bundesrepublik Deutschland wurde der Paragraph durch Art 2 Nr 18 Drittes Strafrechtsanderungsgesetz vom 4 August 1953 aufgehoben Literatur BearbeitenStephan Schmidl Gestapo Strafjustiz und Kanzelmissbrauch in Sudbayern 1933 bis 1939 Munchen 2002 ISBN 3 8316 6177 4 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Gesetz betreffend die Erganzung des Strafgesetzbuchs fur das Deutsche Reich Vom 10 Dezember 1871 Quellen und Volltexte nbsp Wikisource Gesetz betreffend die Abanderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs fur das Deutsche Reich vom 15 Mai 1871 und die Erganzung desselben Vom 26 Februar 1876 Quellen und Volltexte Drittes Strafrechtsanderungsgesetz vom 4 August 1953 BGBl I S 735 Resistenz der katholischen KircheBelege Bearbeiten Evangelische Pfarrer der Kirche Berlin Brandenburg 1945 1961 Lukas Verlag 2004 ISBN 3 936872 18 X S 310 de wikisource org Volltext Berliner Tageblatt und Handels Zeitung Donnerstag 3 Marz 1938 S 3 Spalte 1 Resistenz der katholischen Kirche Archiviert vom Original am 7 Oktober 2011 abgerufen am 4 August 2012 Rede der Bezirksburgermeisterin Monika Thiemen zur Enthullung einer Gedenktafel fur Bernhard Lichtenberg Abgerufen am 3 August 2014 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kanzelparagraph amp oldid 236311501