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Der Vertrag von Coulaines benannt nach der nordfranzosischen Stadt Coulaines ist ein 843 geschlossenes Abkommen zwischen Karl dem Kahlen Konig des Westfrankischen Reiches sowie Adel und Klerus Seine Geltung beschrankt sich auf diesen karolingischen Reichsteil doch seine historische Bedeutung zeigt sich in seinen Auswirkungen auf die anderen Reiche im mittelalterlichen Europa Er beschrankte nachdrucklich die Befugnisse des Konigs und garantierte Rechte des Adels und des Klerus Als Nachwirkung wurde im Westfrankischen Reich wie in den anderen Reichen Europas das Gottesgnadentum des Konigs gestarkt Karl der Kahle umgeben von Leibwachen und Beratern erhalt von einer Monchs Delegation einen Bibel Codex Bibliotheque nationale Paris Inhaltsverzeichnis 1 Ereignisse im Vorfeld 1 1 Karls Herrschaftssicherung 1 2 Der Vertrag von Verdun 2 Der Vertrag von Coulaines 2 1 Entstehung 2 2 Form 2 3 Inhalt 2 4 Interpretation 2 5 Bedeutung und Folgen 3 Quellen 4 LiteraturEreignisse im Vorfeld BearbeitenKarls Herrschaftssicherung Bearbeiten Karl der Kahle wurde 823 als Sohn aus der zweiten Ehe Ludwigs des Frommen mit Judith geboren Ihm wurde 829 Alamannien und 832 Aquitanien zugestanden Wahrend des Aufstands seiner alteren Bruder verlor er den Besitz da diese seinen Erbteil als Bruch der ordinatio imperii empfanden Drei Jahre nach der Wiedereinsetzung Ludwigs 834 erhielt er den nordwestlichen Teil des Frankenreiches Als er 838 volljahrig war wurde er mit dem Schwert gegurtet und gekront jedoch aufgrund mangelnder Salbung nicht rechtsverbindlich Im gleichen Jahr starb Pippin I Unterkonig von Aquitanien Daraufhin wies Ludwig der Fromme die Herrschaft Aquitaniens Karl zu Nach dem Tode Ludwigs des Frommen 840 war es an Karl seinen Anspruch in Aquitanien gegen Pippin II der dort grossen Ruckhalt genoss und seinen Erbteil im Westen des Reiches gegen seine Bruder durchzusetzen Der Vertrag von Verdun Bearbeiten Im Jahre 843 wurde im Vertrag von Verdun die Dreiteilung des Frankenreichs zwischen Lothar I Ludwig II dem Deutschen und Karl beschlossen womit die andauernden Streitigkeiten um das Erbe Ludwigs des Frommen beendet wurden An der Teilung waren die Grossen der Reichsteile beteiligt die ein moglichst grosses Erbteil zu erlangen suchten da sich in den vorangegangenen Auseinandersetzungen keiner der Bruder durchsetzen konnte Karl der Kahle erhielt den westlichen Reichsteil mit Aquitanien Septimanien die Region zwischen Loire und Seine sowie ein Teil des Landes zwischen Mosel und Seine bis zur Maas Der junge Konig musste seine Herrschaft muhsam durchsetzen vor allem war dies in Aquitanien schwer Dort musste er sein Anwachsungsrecht gegenuber dem Eintrittsrecht das sein Neffe Pippin II fur sich beanspruchte behaupten Der Vertrag von Coulaines BearbeitenEntstehung Bearbeiten Karl der Kahle befand sich auf dem Ruckzug von einem erfolglosen Feldzug gegen die Bretonen als er in Coulaines nahe Le Mans auf einer Reichsversammlung von den geistlichen und weltlichen Gefolgsleuten zu einem schriftlichen Vertrag gezwungen wurde Die federfuhrenden Personen bleiben unbekannt bis auf Warin von Macon der an der Spitze der Unterzeichner stand Es ist nicht bekannt wie die Zusammensetzung der Gemeinschaft genau aussah Man kann davon ausgehen dass die Herren aus Karls ursprunglichem Konigreich zwischen Seine und Loire dem alten Neustrien wo die Versammlung stattfand den Hauptteil bildeten Die Gemeinschaft die beanspruchte alle weltlichen und geistlichen Grossen des Teilreiches zu reprasentieren war stark genug ihn gefugig zu machen Im Vorfeld des Vertrages grundeten sie einen Bund gegen den Konig Der Vertrag ist das Ergebnis von Karls Anerkennung und seinem Beitritt zu diesem Bund der Getreuen Sie verlangten aber nichts uber die Massen denn vielmehr sollte ein sicheres und festes Konigtum geschaffen werden Ihr Ziel war es ihre Interessen zu wahren doch sollte im Ganzen ein Gleichgewicht zwischen den Vertragspartnern erreicht werden Form Bearbeiten Die convenientia der fideles regelte die Rechtsgrundlage von Karls Herrschaft und sollte die 842 bei seiner Kronung in Aachen gemachten Zusagen erneuern und festhalten Daher wurde der Inhalt in einer rechtsverbindlichen Urkunde in der Form eines Kapitulars festgehalten Hier wurde erstmals ein Vertragstext geschaffen in der der Konig una voce spricht Bis dahin wurden die adnuntiationes und Eide der Vertragschliessenden in wechselseitiger Rede verfasst was vielleicht auch deren Gleichberechtigung ausdrucken sollte Denn Sinn der neuen Formulierung ist zu verschleiern dass Karl zu dem Vertrag genotigt wurde Der Redaktor des Textes vergleicht ihn sogar mit Christus als Haupt der Gemeinde was ebenfalls diesem Zweck diente da der Vergleich dem Wesen des Vertrages nicht gerecht wird Da in dem Vertrag meist der pluralis maiestatis angewandt wird wird der Eindruck eines koniglichen Erlasses erweckt Im Gegensatz dazu stehen die Unterschriften der Vertragschliessenden am Ende der Urkunde die in der Abschrift des Dokuments jedoch nicht uberliefert sind Sie kennzeichnen ihn als einen zweiseitigen Vertrag und sollten die Rechtsgultigkeit sicherstellen wie in der narratio Einleitung und am Ende der Kapitel beschrieben wird Inhalt Bearbeiten In der narratio sind die Ursprunge des Vertrages mit dem im Vorfeld geschlossenen Bund wiedergegeben der vergangene Bruderkrieg und anhaltende Zwietracht im westlichen Teilreich Dagegen wandten sich die geistlichen und weltlichen fideles der Getreuen in einer Versammlung conventus und begrundeten einen Bund der wahren Freundschaft und der friedlichen Eintracht pacis concordia et vera amicitia der Verhandlungen mit dem Konig uber den Nutzen des Reiches aufnehmen sollte Im letzten Abschnitt der narratio findet sich der Ausdruck per benevolentiam fur das Wohlwollen des Konigs der wohl den tatsachlich keineswegs freien Willen des Konigs hervorheben soll Die Vereinbarungen sind in sechs Kapitel unterteilt Die ersten drei legen die Rechte und Pflichten der drei vertragschliessenden Parteien das sind Konig Kirche und Laienadel fest Allen Parteien werden ihre Ehren und ureigenen Rechte garantiert an erster Stelle dem Klerus der Kultdienst dann dem Konig die Herrschaft und den weltlichen Getreuen die rechtliche Sicherheit Die drei weiteren Kapitel befassen sich mit Bestimmungen bezuglich der Ausfuhrung und Sanktionen Kapitel 1 Den Bischofen wird Hilfe durch Entschlossenheit der Grossen und Staatsbeamten sowie durch die Macht des Konigs zugesagt Dies ist in der Sache nicht neu da der Kirchenschutz im Frankenreich traditionell die Aufgabe des Konigs und Adels war Kapitel 2 Hier wird festgestellt dass die Herrschaft des Konigs zum Teil wenigstens von seinen Lehnsmannern hergeleitet wird da er den Vorfahren Gehorsam und Aufrichtigkeit schuldig ist Es besteht also eine Wechselbeziehung von Recht und Pflicht zwischen dem Konig und dem Laienadel Daruber hinaus wird vereinbart dass kein Bund gegen den Konig und diesen aufrichtigen Vertrag hanc pactam sinceritatem geschlossen werden darf Damit soll offensichtlich die Bildung einer Adelsverschworung ausgeschlossen werden Kapitel 3 Das Gegenseitigkeitsprinzip zwischen Konig und Adel wird hier deutlicher in der Aussage dass der Konig neben dem Wort Gottes denjenigen Ehre erweisen muss die ihn ehren ut a quibus honorem suscipimus eos iuxta dictum dominicum honoremus Erstmals ist der Konig nicht mehr Gott allein verpflichtet sondern die fideles nehmen nun auch eine Rolle ein die ihnen mehr Rechte einraumt Dem Konig ist nun verboten willkurlich das heisst ohne ordentliches Gericht Amter und Lehen zu entziehen Kapitel 4 Dieser Artikel befasst sich mit den Vereinbarungen zwischen den fideles und dem Konig Ihr Inhalt ist das gemeinsame Vorgehen gegen eventuelle Versuche dass jemand seinen Einfluss auf den Konig zu personlichem Vorteil nutzen konnte Es werden Blutsverwandtschaft Hausgenossenschaft und Freundschaftsbunde consanguinitas familiaritas amicitia genannt die missbraucht werden konnten Die Kapitel 5 und 6 beinhalten weitere weniger wichtige Einzelbestimmungen Am Schluss wird der Vertragsinhalt zusammenfassend als ein Bund der heilsamen Eintracht foedus concordia salubris bezeichnet der unter anderem durch die Wachsamkeit custodia der Getreuen gesichert werden sollte Interpretation Bearbeiten Der Vertrag grenzt in seinen Kapiteln die Machtbereiche der Geistlichkeit der weltlichen Grossen und des Konigs im Reich voneinander ab und setzt sie gleichzeitig miteinander in eine rechtliche Wechselbeziehung Diese bestand darin dass Karl seine fideles nur belangen durfte wenn die Grundsatze von Gerechtigkeit Vernunft und Gleichheit iustitia ratio aequitas missachtet wurden entsprechend waren diese verpflichtet Amt Herrschaft und Wohl des Konigs honor potestas salus und den Zusammenhalt soliditas des Reiches nicht zu gefahrden Es entstand also eine konstitutionelle Sicherung des jungen Reiches in der jede der Vertragsparteien in einem Abhangigkeitsverhaltnis stand Vor allem war Karl verpflichtet die Rechte seiner Getreuen zu wahren da seine Herrschaft auf deren Unterstutzung basierte Bereits in den Vertragen von Strassburg und Verdun spielten sie eine wichtigere Rolle als in den vorangegangenen Reichsteilungsplanen der divisio regnorum 806 und der ordinatio imperii 817 Dem wachsenden Einfluss seiner Getreuen nach dem Bruderkrieg verdankte er dass er seinen Herrschaftsanspruch wenigstens teilweise durchsetzen konnte In Coulaines stellten sie sich auf die gleiche Rechtsebene wie der Konig selbst Von nun an lag die Herrschaftsgewalt nicht mehr allein beim Konig sondern grundete sich auf dem Bundnis mit seinen Getreuen Bedeutung und Folgen Bearbeiten Das neu entstandene und willkurlich abgegrenzte Teilreich Karls musste im Innern gefestigt werden um eine Einheit bilden zu konnen Einen entscheidenden Schritt in diese Richtung wurde mit dem Vertrag von Coulaines getan Ruckblickend kann er als die Grundungsurkunde des westfrankischen Reiches angesehen werden Die Grenzen des Teilreiches wurden nun zu Grenzen unterschiedlichen Rechts und dieses Recht grundete sich auf alle Getreuen des Teilreiches Der Vertrag wandelte die alte Staatsauffassung in eine neue mit geordneter und fester Form um Die neue Form schrankte die Konigsrechte weiter ein da die Beziehungen und Abhangigkeiten untereinander und damit die Rechte der einzelnen Vertragspartner festgelegt waren Das bedeutet nichts anderes als dass der Konig der zuvor den Rat der fideles nach eigenem Ermessen befolgen oder ablehnen konnte diesen nun verpflichtet war Die weltlichen fideles sicherten sich gegen den Willen des Konigs ihren Einfluss wie es in den anderen Teilreichen bis dahin unbekannt war Durch den Vertrag wurde die Vererblichung der Lehen festgelegt da die Amter nur noch aufgrund eines Rechtsbruchs entzogen werden konnten Karl war wie seine Nachfolger durch schriftliche Zusagen gebunden Nicht nur durch den Vertrag selbst sondern auch durch Dokumente die sich auf ihn stutzten Die Rechtsgarantien des Konigs kehren in den Aufzeichnungen des Westfrankischen Reichs immer wieder In den Synodalakten von Meaux und Paris 845 6 wurden alle sechs Kapitel des Vertrags von Coulaines wortlich ubernommen bis auf eine entscheidende Veranderung der Ausdruck des Versprechens promittimus der in Kapitel 3 eingefugt wurde Bis dahin war der Konig an kein Versprechen gebunden Um das Versprechen zu betonen und zugleich neue zu fordern wurde der Ausdruck des Versprechens promissio am Schluss wiederholt und sollte fortan die Konige binden Die Rechtsverbindlichkeit lebte fort und fand sich in der Rechtfertigung responsio des Konigs bei der Konigsweihe Karls in Metz wieder Im Kapitular der Reichsversammlung in Quierzy 877 wo Ludwig II der Stammler zum Nachfolger bestimmt wurde ist das erste Kapitel von Coulaines ubernommen das wiederum in der Versprechensformel seiner Kronung auftaucht Der Inhalt floss auch in die Versprechensformel Karlmanns 882 Odos 888 sowie in spatere Kronungsordines ein Da Karl der Kahle durch den Vertrag so sehr an Macht verlor fand er eine Moglichkeit seine verbliebene Macht zu sichern der sich der Bund von Coulaines schwer entgegenstellen konnte Karl erhohte das Konigtum mit Hilfe Hinkmars von Reims in sakraler Weise und stutzte nun ebenso wie die Geistlichkeit seine Herrschaft auf Gott Die Salbung die in der damaligen Vorstellung den Willen Gottes zum Ausdruck brachte sollte den Herrschaftsanspruch sicherstellen Daher wurde ihre Bedeutung gesteigert was sich nicht nur auf Karls Herrschaft auswirkte Ihre Bedeutung blieb erhalten und breitete sich auch auf die Nachbarreiche aus Wahrend die Konigswahl die immerwahrende Unterstutzung der Grossen voraussetzte konnte man der Salbung von weltlicher Seite nichts anhaben da der Konig durch die Weihe eine besondere Stellung unter den Laien hatte und ein Missachten als frevelhaft galt Karl konnte dadurch den Klerus auf seine Seite gegen den Adel bringen wenn dieser gegen ihn aufbegehrte Die Strafmittel des Klerus waren die Busse und die Exkommunizierung das Handeln gegen die beeideten Vertrage als auch gegen den gesalbten Konig wurde als untragbarer Rechtsbruch empfunden Die Geistlichkeit fuhrte an dass ein Missachten des gesalbten Konigs gegen die gottliche Bestimmung sei Der hohe Bedeutungsgrad der Konigssalbung festigte und verbreitete die allgemein mittelalterliche Vorstellung vom Gottesgnadentum das somit ein Ergebnis des Vertrags von Coulaines darstellt Quellen BearbeitenMGH Conc 3 ed Wilfried Hartmann Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 843 859 Hannover 1984 Nr 3 S 10 17 MGH Capitularia 2 Nr 254 Alfred Boretius und Victor Krause Hg Hannover 1960 S 253 255 MGH Scriptores Annales Bertiniani G Waitz Hg Hannover 1883 Deutsche Ubersetzung und Interpretation bei A Krah Die Entstehung der potestas regia im Westfrankenreich wahrend der ersten Regierungsjahre Kaiser Karls II 840 877 Berlin 2000 S 209 212 Lateinischer Text Le Capitulaire de CoulainesLiteratur BearbeitenClassen Peter Die Vertrage von Verdun und von Coulaines 843 als politische Grundlagen des westfrankischen Reiches In Ausgewahlte Aufsatze von Peter Classen J Fleckenstein Hg Sigmaringen 1983 S 249 277 zuerst 1963 Apsner Burkhard Vertrag und Konsens im fruheren Mittelalter Studien zu Gesellschaftsprogrammatik und Staatlichkeit im westfrankischen Reich Trierer Historische Forschungen 58 Trier 2006 Krah Adelheid Die Entstehung der potestas regia im Westfrankenreich wahrend der ersten Regierungsjahre Kaiser Karls II 840 877 Berlin 2000 ISBN 3 05 003565 X Kapitel 3 Die konstitutionelle Basis Die Vertrage von Verdun und Coulaines als Ergebnisse der Bruderkriege S 187 256 Magnou Nortier Elisabeth Foi et Fidelite Recherches sur l evolution des liens personnels chez les Francs du VIIe au IXe siecle Publications de l universite de Toulouse Le Mirail Serie A Bd 28 Toulouse 1976 Penndorf Ursula Das Problem der Reichseinheitsidee nach der Teilung von Verdun 843 Untersuchungen zu den spaten Karolingern Munchener Beitrage zur Mediavistik und Renaissance Forschung Bd 20 Munchen 1974 Schramm Percy Ernst Der Konig von Frankreich Das Wesen der Monarchie vom 9 zum 16 Jh Ein Kapitel aus der Geschichte des abendlandischen Staates Bd 1 Darmstadt 1960 Zollner Erich Die politische Stellung der Volker im Frankenreich Veroffentlichungen des Instituts fur osterreichische Geschichtsforschung L Santifaller Hg Bd XIII Wien 1950 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Vertrag von Coulaines amp oldid 239019594