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Die Verordnung uber ausserordentliche Rundfunkmassnahmen vom 1 September 1939 dem ersten Tag des Zweiten Weltkriegs kundigte im Grossdeutschen Reich fur das Abhoren aller auslandischen Radiosender Freiheitsstrafen und fur die Verbreitung von Nachrichten auslandischer Sender unter bestimmten Voraussetzungen die Todesstrafe an Beides wurde im nationalsozialistischen Deutschland auch mit dem Begriff Rundfunkverbrechen belegt BasisdatenTitel Verordnung uber ausserordentliche RundfunkmassnahmenArt ReichsverordnungGeltungsbereich Deutsches ReichRechtsmaterie StrafrechtErlassen am 1 September 1939RGBl 1939 I S 1683 ff Inkrafttreten am 7 September 1939Ausserkrafttreten 4 Februar 1946Kontrollratsgesetz Nr 11Weblink RGBl 1939 I S 1683 ff auf DGDBBitte den Hinweis zur geltenden Gesetzesfassung beachten Verordnung uber ausserordentliche Rundfunkmassnahmen vom 1 September 1939Schon 1933 hatte die Gestapo den Kommunisten zugerechnete Rundfunkteilnehmer die gemeinschaftlich Radio Moskau empfangen hatten in Konzentrationslager verschleppt Auch hatten Oberlandesgerichte Sondergerichte und ab 1934 der Volksgerichtshof bereits ohne diese gesetzliche Grundlage Urteile wegen Vorbereitung zum Hochverrat gefallt weil Beschuldigte diesen Sender abgehort hatten Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Inhalt der Verordnung 3 Bekanntmachung der Verordnung 4 Ausmass der Verfolgung 5 Todesurteile 6 Aufhebung der Verordnung 7 Weblinks 8 Literatur 9 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenSeit dem 29 Oktober 1929 strahlte ein starker Langwellen Sender des Zentralrates der russischen Gewerkschaften deutschsprachige Sendungen aus die die KPD in Deutschland propagandistisch unterstutzten Die Reichsregierung setzte ab 1931 versuchsweise Storsender dagegen ein 1 Im September 1933 gab die Gestapo einen Erlass heraus dass alle beim gemeinschaftlichen Empfang von Radio Moskau festgestellten Personen unverzuglich in ein Konzentrationslager einzuliefern seien 2 Erwogen wurden technische Anderungen an Radioempfangern um den Empfang zu verhindern Zahlreiche Storsender wurden installiert diese fuhrten aber beim Betrieb zu unliebsamen Storgerauschen des Deutschlandsenders 1936 gab das Reichsjustizministerium eine Richtlinie heraus nach der hochverraterische Mundpropaganda auch dann vorliegen konne wenn ein Feindsender nur im engsten Familienkreis angehort werde bei gemeinschaftlichem Empfang von Radio Moskau sei grundsatzlich von Vorbereitung zum Hochverrat auszugehen 3 Obwohl das Abhoren gesetzlich noch nicht verboten war verhangte das Hanseatische Oberlandesgericht 1937 in einem solchen Fall Zuchthausstrafen Ein von Joseph Goebbels vorgelegter Entwurf fur ein Gesetz uber das Abhoren kommunistischer Sender das Geldstrafen und Gefangnisstrafen nicht unter zwei Jahren vorsah wurde 1937 auf Geheiss Adolf Hitlers nicht angenommen 4 In einem Monatsbericht aus Bayern der zur Information der Gestapo angefertigt wurde wird im April 1939 gemeldet Bedenklich ist die immer grosser werdende Sucht die in deutscher Sprache ausgehenden Meldungen auslandischer Rundfunksender abzuhoren Das fuhrt dazu dass auch auf dem Lande von weniger beguterten Volksgenossen anstelle der einfachen billigen Volksempfanger die teuren und leistungsfahigen Rundfunkgerate bevorzugt werden mit denen auch die Sendungen aus dem Ausland gut abgehort werden konnen 5 Hitler billigte spater eine mehrfach veranderte Vorlage bei der Goebbels das ablehnende Votum des Ministerrates durch vorzeitige Veroffentlichung uberspielt hatte und die Verordnung wurde am 7 September 1939 im Reichsgesetzblatt verkundet 6 Inhalt der Verordnung BearbeitenIm 1 wurde das absichtliche Abhoren auslandischer Sender verboten und bei Zuwiderhandlung mit Zuchthausstrafe bedroht deren Dauer nicht begrenzt war Leichtere Falle waren mit Gefangnisstrafe zu ahnden das Rundfunkgerat war einzuziehen Im 2 wurde die vorsatzliche Verbreitung solcher abgehorten Nachrichten die die Widerstandskraft des deutschen Volkes gefahrdeten mit Zuchthausstrafe und in besonders schweren Fallen mit der Todesstrafe bedroht Weitere Paragrafen stellten das dienstliche Abhoren straffrei und bestimmten dass die Strafverfolgung nur auf Antrag der Staatspolizeistellen erfolgen und fur Verhandlungen die Sondergerichte zustandig sein sollten Goebbels schrankte spater den Kreis derjenigen erheblich ein die zum dienstlichen Abhoren befugt waren Sein Ministerium versagte sogar einigen Ministern diese Erlaubnis 7 Bekanntmachung der Verordnung BearbeitenDas Abhorverbot wurde durch Presseveroffentlichungen und Ankundigungen in Filmlichtspielen 8 publik gemacht Zeitungen berichteten uber abschreckende Strafurteile Mitte 1941 erhielten die Blockwarte den Auftrag alle Wohnungen aufzusuchen und an den Rundfunkgeraten oder an den Bedienungsknopfen eine Karte anzubringen die folgende Warnung enthielt Das Abhoren auslandischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes Es wird auf Befehl des Fuhrers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet Denke daran 9 In den Geheimen Lageberichten des Sicherheitsdienstes heisst es hierzu diese Aktion finde in allen Kreisen der Bevolkerung eine stark negative Aufnahme Man empfinde die Anbringung dieser Zettel als eine Krankung und Beleidigung und lehne besonders ab dass dort die Begriffe Fuhrer und Drohung mit Zuchthausstrafe unmittelbar nebeneinander gestellt wurden 10 nbsp Quittung 1944 fur Zahlung der Rundfunkgebuhren im Postamt nbsp Das stand auf der RuckseiteAusmass der Verfolgung Bearbeiten nbsp Stolperstein in KonstanzDurch die Ausschaltung der Staatsanwaltschaft entfiel die Strafverfolgungspflicht Denunziationen wurden gefiltert und fuhrten nur dann zu Strafurteilen wenn die Gestapo die Anzeige entsprechend bearbeitete und weiterleitete Nach einer internen Richtlinie sollte das blosse Abhoren von Musiksendungen im Feindsender zu einer Verwarnung die Weiterverbreitung von Nachrichten aber in jedem Falle zu einem Strafantrag fuhren 11 Die Quellenlage erlaubt keine genauen Aussagen zur Verfolgungsintensitat Nach einem Lagebericht von 1941 wurden monatlich zwischen 200 und 440 Personen wegen Abhorens feindlicher Rundfunkpropaganda festgenommen 12 In einigen naher untersuchten Gestapobereichen wurden Verstosse nur in 23 bis 47 der Falle an die Gerichte weitergemeldet In etwa 10 der Falle wurden die Denunzierten nach einer mehrtagigen Gestapohaft entlassen viele der Angezeigten kamen mit einer Verwarnung davon Die Reichskriminalitats Statistik nennt fur die Jahre 1939 bis 1942 fur das Deutsche Reich ohne Osterreich 2 704 Verurteilungen nach der Rundfunkverordnung Gesamtzahlen fur die Folgejahre fehlen doch offenbaren Zahlenangaben einzelner Stadte eine eindeutige Tendenz So stieg in Hamburg die Anzahl der Falle ab 1943 sprunghaft um das Dreifache an 13 Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes berichten unter dem 8 Juli 1943 von Auflockerungserscheinungen in der Haltung der Bevolkerung die fur Rundfunkverbrecher Verstandnis zeige weisen ferner auf die Tatsache hin dass das Abhoren auslandischer Sender offensichtlich seit Monaten stark zugenommen hat Es gebe zwar niemand zu dass er auslandische Sender hore haufig werde aber in politischen Gesprachen daruber diskutiert dass in England das Abhoren deutscher Sender nicht verboten sei und dass die unzureichende Information des deutschen Volkes durch Presse und Rundfunk geradezu der Feindpropaganda in die Arme treibe 14 In autobiographischen Texten wird haufiger erwahnt dass beim Abhoren von Feindsendern Vorsichtsmassnahmen notwendig waren um Denunziationen durch neugierige Nachbarn oder Parteifunktionare zu umgehen etwa indem man sich mit dem Radio unter eine Decke setzte wenn kein Kopfhorer zur Verfugung stand und dass man immer darauf achtete dass nach dem Abschalten des Gerats immer wieder ein unverfanglicher deutscher Sender eingestellt wurde Vergleichende Untersuchungen der Urteile die Sondergerichte in Berlin und in Freiburg verhangten belegen durchschnittliche Gefangnisstrafen von 11 bzw 9 Monaten und Zuchthausstrafen von 25 bzw 21 Monaten Todesurteile Bearbeiten 2 sah unter bestimmten Umstanden die Todesstrafe vor Tatsachlich begrundeten Richter jedoch Todesurteile auch in Kriegszeiten nur in wenigen Ausnahmefallen mit dieser Bestimmung Todesurteile wurden haufig wegen Hochverrat oder Vorbereitung zum Hochverrat oder Wehrkraftzersetzung ausgesprochen Dazu reichte es die Wirkung der defatistischen und regimefeindlichen Ausserungen entsprechend zu bewerten ohne nachforschen zu mussen ob der Angeklagte diese Nachricht selbst abgehort nur weitererzahlt oder aus eigenem Wissen und Urteilen geschopft hatte Aufhebung der Verordnung BearbeitenMit dem Kontrollratsgesetz Nr 11 vom 30 Januar 1946 wurde mit zahlreichen weiteren Strafbestimmungen der nationalsozialistischen Zeit auch diese Rundfunkverordnung aufgehoben 15 Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Verordnung uber ausserordentliche Rundfunkmassnahmen Quellen und Volltexte Verordnung im Reichsgesetzblatt 1 Durchfuhrungsverordnung vom 11 September 1939 betrifft das Verfahren bei Wehrmachtsangehorigen HVBl 1942 Teil V Nr 501 Liste der Rundfunksender die von der Truppe abgehort werden durfen 2 Durchfuhrungsverordnung vom 2 Juli 1940 betrifft Einziehung 3 Durchfuhrungsverordnung vom 20 September 1940 betrifft italienische Staatsangehorige Diese Sender des Mittel und Langwellenbereiches durfen in Deutschland abgehort werden Radio Mentor 12 1941 S 528 Fritz Grau Karl Krug Otto Rietsch Erlauterungen zu den seit dem 1 9 1939 ergangenen strafrechtlichen und strafverfahrensrechtlichen Vorschriften Deutsches Strafrecht Band 1 2 Auflage 1943 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche RG Urteile RGSt 74 271 1940 Musiksendungen 75 197 1941 Gefahrdungseignung VGH Urteile gegen die Lubecker Martyrer 1943 Texte uber Rundfunkverbrechen in Mecklenburg und Vorpommern 1933 1944 Michael Hensle Rundfunkverbrechen vor nationalsozialistischen Sondergerichten Eine vergleichende Untersuchung der Urteilspraxis in der Reichshauptstadt Berlin und der sudbadischen Provinz TU Berlin 2001Literatur BearbeitenMichael Hensle Rundfunkverbrechen vor nationalsozialistischen Sondergerichten Eine vergleichende Untersuchung der Urteilspraxis in der Reichshauptstadt Berlin und der sudbadischen Provinz Dissertation Berlin 2001 tu berlin de PDF 2 4 MB abgerufen am 2 Marz 2019 Michael P Hensle Rundfunkverbrechen Das Horen von Feindsendern im Nationalsozialismus Berlin Metropol 2003 ISBN 3 936411 05 0 Zugl Berlin Techn Univ Diss 2001 Christian Mullner Schwarzhorer und Denunzianten Vergehen nach 1 und 2 der Verordnung uber ausserordentliche Rundfunkmassnahmen vor dem Sondergericht Wien Dissertation Universitat Wien 2011 im InternetEinzelnachweise Bearbeiten Carola Tischler Funk in Fesseln Der deutschsprachige Rundfunk aus Moskau zwischen revolutionarem Anspruch und staatlicher Reglementierung 1929 bis 1941 In Karl Eimermacher Astrid Volpert Hrsg Sturmische Aufbruche und enttauschte Hoffnungen West ostliche Spiegelungen Neue Folge Band 2 Wilhelm Fink Verlag 2006 ISBN 3 7705 4091 3 S 1021 1067 digitale sammlungen de Michael Hensle Rundfunkverbrechen Das Horen von Feindsendern im Nationalsozialismus Berlin 2003 ISBN 3 936411 05 0 S 18 Michael Hensle Rundfunkverbrechen S 22 Michael Hensle Rundfunkverbrechen S 25 28 Cornelia Schmitz Berning Vokabular des Nationalsozialismus Berlin 1998 ISBN 3 11 013379 2 S 653 RGBl 1939 I Seite 1683 Michael Hensle Rundfunkverbrechen S 36 f C F Latour Goebbels Ausserordentliche Rundfunkmassnahmen 1939 1942 Dokumentation In VfZ 11 1963 H 4 S 418 435 Beispiel Film Episode mit Tran und Helle Michael Hensle Rundfunkverbrechen S 141 Heinz Boberach Hrsg Meldungen aus dem Reich Herrsching 1984 ISBN 3 88199 158 1 Bd 8 S 3020 Michael Hensle Rundfunkverbrechen S 72 Michael Hensle Rundfunkverbrechen S 89 Justizbehorde Hamburg Hrsg Von Gewohnheitsverbrechern Volksschadlingen und Asozialen Hamburger Justizurteile im Nationalsozialismus Hamburg 1995 ISBN 3 87916 023 6 S 195 Heinz Boberach Hrsg Meldungen Bd 14 S 5447 Kontrollratsgesetz Nr 11 Aufhebung einzelner Bestimmungen des deutschen Strafrechts auf verfassungen de aufgerufen am 23 Juni 2023 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Verordnung uber ausserordentliche Rundfunkmassnahmen amp oldid 239267097