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Der Vagans lateinisch Vox vagans die umherschweifende oder wandernde Stimme bezeichnet in der mehrstimmigen Musik vom Ende des 15 bis in die zweite Halfte des 16 Jahrhunderts eine zusatzliche Stimme die einen vierstimmigen Satz auf funf Stimmen erweitert bei zwei Vagans Stimmen auch zum sechsstimmigen Satz 1 2 Inhaltsverzeichnis 1 Historischer Hintergrund 2 Renaissance Zeit 3 Spat Renaissance 4 Literatur Auswahl 5 QuellenHistorischer Hintergrund BearbeitenNachdem bei den Musiktheoretikern der fruhen Renaissance die Vierstimmigkeit als die ideale Mehrstimmigkeit angesehen wurde Gioseffo Zarlino perfettione dell harmonia in seiner Schrift Le istitutioni harmoniche Venedig 1558 galt eine Vergrosserung der Stimmenzahl prinzipiell als unzulassig auch beispielsweise bei Glarean in seiner Veroffentlichung Dodecachordon Basel 1547 In den erlaubten Ausnahmefallen wurde jedoch stets auf die Sonderstellung des Vagans hingewiesen Renaissance Zeit BearbeitenNach Aussage des Musikwissenschaftlers Othmar Luscinius in seiner Schrift Musurgia seu praxis musicae Strassburg 1536 kann eine zusatzliche Stimme wie der Vagans nur bestehen wenn sie sich in die Schlusswendungen Klauseln der anderen Stimmen geeignet einfugt Die Aussenseiterstellung des Vagans wird besonders deutlich in vollstimmigen Kadenzen von vierstimmigen Musikstucken weil hier die vier Hauptstimmen meistens ihre angestammten melodischen Schlusswendungen ausfuhren und somit eine Zusatzstimme weniger Raum hat als in einem aufgelockerten Satz Gute Beispiele hierfur finden sich in Johann Walters Werk Geistliches Gesangbuchlein Wittenberg 1544 Diese Zusatzstimme muss aus Stimmfuhrungsgrunden jedoch meistens die Schlusswendung abandern und beispielsweise vom Leitton in die Quinte der Tonika abspringen gelegentlich kommt hier auch ein Oktavsprung vor so in Johann Walters sechsstimmigen Satz Ascendo ad patrem meum Besonders haufig ist in derartigen stimmfuhrungstechnischen Situationen die Fuhrung des Vagans in die Tonika Terz durch welche die Kadenz der Hauptstimmen vom Quint Oktav Klang zum vollstandigen Dreiklang erganzt wird Es gibt jedoch keinen grundsatzlichen Unterschied zwischen dem Stimmumfang und der Bewegung des Vagans im Vergleich zu den Hauptstimmen Am haufigsten kommt der Vagans als zweiter Tenor vor Luscinius inter Tenor et Bassum oder bei Michael Praetorius in Syntagma Musicum III Wolfenbuttel 1619 der Vagans sei von den Alten im Sinne von Bariton verwendet worden Bei Andreas Ornitoparchus und Friedrich Beurhaus erscheint der Vagans in Zusammenhang mit Concordans einer alten franzosischen Bezeichnung fur den Bariton Auch bei anderen Komponisten kommt eine als Vagans bezeichnete Stimme mehr in den tieferen Lagen vor so in den funfstimmigen Messen von Johannes Ockeghem oder in den Motetten von Johannes Regis Die Bezeichnung des Vagans erscheint grundsatzlich nur in Mittel und Nordeuropa sie ist vor allem im deutschen Raum recht haufig und fehlt in italienischen Werken hier wird diese Stimme Contra oder Bassus secundus oder Contratenor primus genannt Dass die Einordnung des Vagans trotz seiner Bevorzugung des Bariton Raums ziemlich frei war zeigen die Symbola Vertonungen von Caspar Othmayr 1547 Nur bei wenigen anderen Komponisten erscheint der Vagans in einer anderen Stimmlage und behalt diesen Tonraum auch bei so bei Thomas Stoltzer in seinem Octo Tonorum Melodiae in dem stets die zweitoberste Stimme Vagans genannt wird Von manchen zeitgenossischen Musiktheoretikern wurde der Vagans als Nebensachlichkeit bezeichnet dagegen spricht jedoch seine haufige Verwendung als Trager des Cantus firmus Beispiele dafur sind von Johannes Ockeghem das Gloria seiner Messe Fors seulement Werke von Adam von Fulda und Heinrich Finck sowie die vielen quodlibetartigen Liedsatze von Ludwig Senfl hier bekam gerade der Vagans insofern eine Sonderstellung als nur dieser eine Stimmbezeichnung tragt Daruber hinaus wird der Vagans auch haufig als Kanonstimme eingesetzt so bei Arnolt Schlick in zwei Satzen aus seinen Orgelstucken zur Kronung von Kaiser Karl V 1520 und in den sechsstimmigen Satzen aus dem Magnificat octo tonorum von Johann Walter 1557 In der letztgenannten Komposition werden oft zwei Vagantes als Cantus firmus Kanons verschiedener Stimmlagen gekoppelt Bei Johann Walter ist somit ein Vagans nicht nur die Bezeichnung fur die funfte Stimme sondern uberhaupt fur jede Zusatzstimme In dem zweiten Band der Walter Gesamtausgabe gibt es einen Vagans in der Tenorlage einen Vagans Secundus Discantus einen Vagans in der Altlage einen Vagans Secundus Bassus usw Spat Renaissance BearbeitenIn der zweiten Halfte des 16 Jahrhunderts kam die Bezeichnung Vagans ausser Gebrauch stattdessen wurde allgemein die aus Sudeuropa bekannte numerische Stimmbezeichnung ublich Nachdem das Ideal der strengen Vierstimmigkeit in den Hintergrund getreten war und jede Anzahl von Stimmen je nach Komposition besonders in der vielstimmigen Mehrchorigkeit die gleiche Berechtigung hatte gab es keine uberzahlige Stimme mehr Als Gegenbeispiel existiert hierzu aus der Ubergangszeit die doppelchorige Motette Laudate Dominum von Jacob Handl aus dem Jahr 1586 mit den Bezeichnungen Cantus I Cantus II Alt Tenor und Bass im ersten Chor und Cantus Alt Tenor Vagans und Bass im zweiten Chor Literatur Auswahl BearbeitenA C Baines Two Cassel Inventories In The Galpin Society Journal IV Juni 1951 Willibald Gurlitt Canon sine pausis In Melanges d histoire et d esthetique musicales offerts a Pau Marie Masson I Paris 1955 Gerhard Pietzsch Die Beschreibungen deutscher Furstenhochzeiten von der Mitte des 15 bis zum Beginn des 17 Jahrhunderts als musikgeschichtliche Quellen In Anuario Musical XV 1960 S 50 Quellen Bearbeiten Peter Schleunig Vagans In Friedrich Blume Hrsg Die Musik in Geschichte und Gegenwart erste Ausgabe Band 13 Syrinx Volkstanz Deutscher Taschenbuch Verlag Barenreiter Verlag Munchen Kassel u a 1989 ISBN 3 423 05913 3 Spalte 1210 1213 Marc Honegger Gunther Massenkeil Hrsg Das grosse Lexikon der Musik Band 8 Herder Freiburg im Breisgau 1982 ISBN 3 451 18058 8 S 223 Normdaten Sachbegriff Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Vagans amp oldid 222244257