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Die Sutartines Plural von litauisch sutartine s ʊt ɐrʲˈt ʲɪn ʲeː sind mehrstimmige im Nordosten und Osten Litauens beheimatete Volkslieder mit einer Jahrhunderte alten Tradition Sie werden gesungen zuweilen verbunden mit Tanzschritten oder auf alten litauischen Instrumenten gespielt Besonderes Merkmal der Sutartines ist die Unabhangigkeit der einzelnen Stimmen Polyphonie in Melodie Rhythmus und Text verbunden mit rhythmischer Synkopierung und dem Zusammentreffen der Stimmen im Tonintervall der Sekunde was die Lieder spannungsreich und ausdrucksstark macht und ihnen einen unverwechselbaren Charakter verleiht Der Begriff leitet sich ab vom litauischen Verb sutarti mit der Bedeutung sich vertragen vereinbaren aber auch ubereinstimmen harmonieren 2010 wurden die Sutartines seitens der UNESCO beim immateriellen Kulturerbe der Menschheit eingetragen Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte und Verbreitung 2 Musikalische Merkmale 3 Kategorien 4 Wiederbelebung und moderne Rezeption 5 Literatur 6 Horbeispiele 7 EinzelnachweiseGeschichte und Verbreitung BearbeitenDie Tradition der Sutartines wurde nicht in ganz Litauen sondern nur im Nordosten und Osten des Landes gepflegt Ihr Verbreitungsgebiet erstreckte sich auf den Landesteil nordlich von Vilnius und ostlich von Panevezys bis zu den Landesgrenzen mit Lettland und Belarus In dieser landlich bauerlichen Gegend wurden die Melodien und Texte der Sutartines von Generation zu Generation mundlich weitergegeben Die Geschichte dieser Tradition reicht weit zuruck vor die Zeit schriftlicher Aufzeichnungen Es gibt Anzeichen dass die Sutartines Teil heidnischer Brauche waren Der fruheste gedruckte Hinweis auf die Existenz der Sutartines findet sich in der Chronik von Maciej Stryjkowski aus dem Jahr 1582 1 Wahrscheinlich war die Liedform zu diesem Zeitpunkt aber schon mehrere Jahrhunderte alt moglicherweise geht sie auf den baltischen Volksstamm der Selonen Selen zuruck der im nordostlichen Grenzgebiet Litauens lebte Neuere vergleichende musikethnologische Untersuchungen weisen auf eine musikalische Ahnlichkeit mit anderen europaischen Volkslied Traditionen etwa auf dem Balkan 2 hin 3 Die Lieder kamen zur Auffuhrung anlasslich bedeutender Ereignisse wie Hochzeiten Taufen Ernte und anderen Jahresfeiern aber auch beim Verrichten von Arbeiten wie beim Spinnen oder auf dem Feld Zu manchen wurde getanzt Gesungene und getanzte Sutartines waren den Frauen vorbehalten die instrumentalen wurden hauptsachlich von Mannern vorgetragen Den ersten schriftlichen Beleg fur das Wort Sutartine gibt es 1829 zusammen mit dem ersten Abdruck eines Liedtextes 4 Bereits zu jener Zeit wurden die Lieder als veraltet und archaisch angesehen Das Interesse an einer schriftlichen Erfassung wuchs trotzdem im Verlauf des 19 Jahrhunderts hinzu kam die Schallaufzeichnung mit Phonograph und Tonbandgerat im 20 Jahrhundert Die heutigen Kenntnisse uber die Sutartines basieren auf den Transkriptionen Tonaufnahmen und den Schilderungen von Zeitzeugen Die bedeutendsten Sammlungen und Transkriptionen erstellten die litauischen Volkskundler Adolfas Sabaliauskas 1873 1950 und Zenonas Slaviunas 1907 1973 Dessen Sammlung umfasst 1820 Lieder die man zuvor im ganzen landlichen Verbreitungsgebiet an uber 300 Stellen zusammengetragen hatte So konnte das Liedgut vor dem endgultigen Vergessen bewahrt werden denn ab Mitte des 19 Jahrhunderts kam es zum Niedergang der Tradition und sie gilt als erloschen seit den 1930er Jahren Zu den Hauptursachen zahlen dass die schroffen sekundenreichen Lieder nicht mehr dem Musikgeschmack entsprachen und sie durch den gesellschaftlichen Wandel im Zuge der Industrialisierung in der landlichen Bevolkerung keinen Ruckhalt mehr fanden In den letzten Jahrzehnten ist es zu einer Renaissance gekommen die Lieder werden wieder aufgefuhrt und deren Herkunft wird wissenschaftlich erforscht Musikalische Merkmale BearbeitenSutartines sind mehrstimmig und dabei polyphon das heisst die Stimmen im Lied sind unabhangig gleichwertig und dabei eigenstandig linear gefuhrt In der uberwiegenden Zahl der Stucke 84 trifft das gleichermassen auf Melodien Rhythmen und Texte zu Die polyphonen Melodien sind so angelegt dass es zu einem stetigen Wechsel von konsonantem und dissonantem Zusammenklang der Stimmen kommt mit der Sekunde als vorherrschendem dissonantem Akkord Die ubliche durch unsere europaischen Horgewohnheiten erwartete Auflosung der Dissonanz fehlt Die Sekunde wurde eben nicht als unangenehm empfunden sondern als harmonisch Ublicherweise erklingen zwei Stimmen gleichzeitig Bei den gesungenen Sutartines tragt die Hauptstimme lit rinkinys vom Verb rinkti sammeln zusammentragen den Liedtext vor wahrend die zweite Stimme lit pritarynis vom Verb pritarti einwilligen einen Refrain dazu liefert Haufig besteht dieser aus lautmalerischen Wortern Es kommt zu einem Verweben der beiden Stimmen wobei die Refrainstimme rhythmisch unabhangig von der ersten Stimme unter anderem durch Synkopen eine wirkungsvolle rhythmische Akzentuierung und Pulsation wahrend des ganzen Liedes herbeifuhrt Polyrhythmik Die Tempi sind durchweg moderat 82 der Lieder stehen im 2 4 Takt vorherrschend sind Viertel und Achtel Noten Die Melodien sind schlicht und mit nur zwei bis funf Tonhohen von geringem Tonumfang Traditionell bestand kein Unterschied zwischen vokalen und instrumentalen Sutartines dieselben Stucke konnten gesungen oder gespielt werden Fur die Instrumentalversionen kamen traditionelle litauische Blasinstrumente 5 zum Einsatz die Eintonfloten aus Rohr lit skuduciai 1 4 bis 2 3 m lange Holztrompeten lit daudytes Schnabelfloten lit lumzdelis oder die birbyne eine litauische Hornpfeife Eine Besonderheit sind die Stucke fur litauische Kastenzither lit kankles da sie von einer einzelnen Person gespielt wurden Kategorien BearbeitenDie Sutartines lassen sich schwer typisieren zu vielfaltig ist ihr Aufbau Bisher sind in der Forschung insgesamt 29 Haupt und 9 Nebenvarianten klassifiziert worden 6 In der dorflichen Tradition unterschied man dagegen traditionell lediglich drei Kategorien vereinfacht benannt nach der Zahl der Stimmen wobei eine Stimme auch von mehreren Personen gesungen oder gespielt werden konnte Dvejines von lit dvejos zwei zweistimmige Sutartines In der Ausfuhrung als Zwiegesange tragen zwei Personen oder Gruppen gleichzeitig denselben Text mit unterschiedlichen Melodien vor wobei im Zusammenklang der beiden Stimmen die fur alle Sutartines charakteristischen parallelen Sekunden entstehen Etwa 10 aller Lieder lassen sich dieser Kategorie zuordnen Trejines von lit trejos drei dreistimmige Sutartines ausgefuhrt als Kanon von drei Personen oder Gruppen Allerdings sollen stets nur zwei Stimmen gleichzeitig erklingen Das wird erreicht indem die drei Stimmen von Strophe zu Strophe zeitlich versetzt beginnen und jede Stimme am Ende der Strophe pausiert bis die nachste Stimme mit der Strophe fertig ist So wird bis zum Ende des Liedes verfahren Die Trejines sind eine sehr beliebte und bilden mit einem Anteil von etwa 60 die grosste Kategorie unter den Sutartines Keturines von lit keturi vier vierstimmige Sutartines ausgefuhrt als Wechselgesange zu viert von zwei Paaren oder Gruppen Jede Strophe wird nacheinander vom ersten und zweiten Paar gesungen Von jedem Paar werden gleichzeitig zwei unterschiedliche Texte und Melodien vorgetragen Die Keturines machen 25 aller Sutartines aus Wiederbelebung und moderne Rezeption BearbeitenDie Tradition der Sutartines war in der ersten Halfte des 20 Jahrhunderts erloschen Seit Mitte des 20 Jahrhunderts wachst das Interesse an ihr allerdings wieder und es kam zu einer intensiven Beschaftigung mit den Sutartines Die traditionellen Lieder wurden analysiert und sind zu einem Gegenstand musikethnologischer Forschung geworden Die moderne litauischen Folkmusik Bewegung hat dafur gesorgt dass die Lieder auch wieder vermehrt aufgefuhrt werden Heute erfahren sie eine grosse Wertschatzung und nehmen einen wichtigen Platz ein als Bestandteil moderner Kompositionen wie von Alfred Schnittkes Sutartines fur Schlagwerk Orgel und Streicher 1991 und Werken namhafter litauischer Komponisten Dazu zahlt das Werk Sutartine op 35 des Komponisten Stasys Vainiunas 1909 1982 von 1968 und die 1982 entstandene Kantate Cantus ad futurum von Algirdas Martinaitis im Repertoire der litauischen Folkmusik wie sie heute in den Stadten Litauens und auf Folklore Festivals gepflegt wird Die Polyphonie der Sutartines mit ihren parallelen Sekunden wird heutzutage nicht mehr als storend empfunden die Stucke gelten als meditativ und entruckend als geschatztes Kulturgut Litauens Im Jahr 2010 wurden die Sutartines als besondere kulturelle Ausdrucksform in das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen 7 Als Zeichen der nationalen Bedeutung hat Litauen diesen Volksliedern im Jahr 2019 eine Gedenkmunze gewidmet Auf dem Munzbild der 2 Euro Gedenkmunze sind die polyphonen Melodien der Sutartines symbolisch dargestellt 8 Literatur BearbeitenMartin Boiko Die litauischen Sutartines Eine Studie zur baltischen Volksmusik Hamburg 1996 DNB 950319910 Dissertation Universitat Hamburg 1995 393 Seiten Daiva Raciunaite Vyciniene Sutartines Lithuanian polyphonic songs Translated from Lithuanian by Vijole Arbas VAGA Publishers Vilnius 2002 ISBN 5 415 01630 9 Adolfas Sabaliauskas Lietuviu dainu ir giesmiu gaidos Musikalische Aufzeichnung litauischer Lieder und Hymnen Imprimerie de la Societe Litteraire de Finlande Helsingfors 1916 litauisch Zenonas Slaviunas Sutartines Daugiabalses lietuviu liaudies dainos Sutartines Litauische mehrstimmige Volkslieder 3 Bande Valstybine grozines literaturos leiykla Vilnius 1958 1959 litauisch enthalt die Transkription von Musik und Text fast aller bekannten Sutartines online einsehbar auf der Website des Litauischen Instituts fur Literatur und Volkskunde Horbeispiele BearbeitenLithuanian Folk Culture Centre Anthology of Lithuanian Ethnoculture Abschnitt Sutartines von Skirmante Valiulyte Vilnius 1998 Zwiegesang lit Dvejine ausgefuhrt von der Gruppe Trys keturiose Lithuanian Folk Culture Centre Anthology of Lithuanian Ethnoculture Abschnitt Sutartines von Skirmante Valiulyte Vilnius 1998 Kanon lit Trejine ausgefuhrt von der Gruppe Trys keturiose Litauische Musik und Theaterakademie Vierstimmiger Wechselgesang lit Keturine Einzelnachweise Bearbeiten Maciej Stryjkowski Kronika Polska Litewska Zmodzka i wszystkiej Chronik von Polen Litauen und ganz Russland Konigsberg 1582 Nachdruck im Verlag Glucksberg Warschau 1846 Timothy Floyd Rice Polyphony in Bulgarian Folk Music Dissertation Univ of Washington 1977 D Raciunaite Vyciniene Sutartines Lithuanian polyphonic songs Translated from Lithuanian by Vijole Arbas VAGA Publishers Vilnius 2002 ISBN 5 415 01630 9 S 239 262 Simonas Stanevicius Dainos zemaiciu Schemaitische Lieder B Neumano Vilnius 1829 Nachdruck Valstybine grozines literaturos leiykla Vilnius 1954 litauisch Beschreibung traditioneller litauischer Blasinstrumente mit Horbeispielen D Raciunaite Vyciniene Sutartines Lithuanian polyphonic songs Translated from Lithuanian by Vijole Arbas VAGA Publishers Vilnius 2002 ISBN 5 415 01630 9 S 204 206 Audiovisuelle Prasentation der Sutartines auf der Website der UNESCO Coin dedicated to sutartines Lithuanian multipart songs auf der Website der Litauischen Zentralbank abgerufen am 20 Marz 2022 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sutartine amp oldid 221334203