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Staatsinterventionismus beschreibt die in einer grundsatzlich marktwirtschaftlich geordneten Volkswirtschaft bestehende Neigung des Staates in die Wirtschaft einzugreifen zu intervenieren Inhaltsverzeichnis 1 Allgemeines 2 Geschichte 3 Formen 4 Sonstiges 5 Kritik 6 Siehe auch 7 Literatur 8 EinzelnachweiseAllgemeines BearbeitenEs geht dabei in erster Linie um Massnahmen die uber die Gestaltung der gesetzlichen und okonomischen Rahmenbedingungen des Wirtschaftens Ordnungspolitik hinausgehen und in die Wirtschaftsprozesse eingreifen Prozesspolitik 1 Staatsinterventionismus wird damit gerechtfertigt dass der Markt nicht immer in der Lage sei bestimmte wirtschafts und sozialpolitische Vorstellungen z B Vollbeschaftigung zu verwirklichen 2 Geschichte BearbeitenIm Wirtschaftsliberalismus des 19 Jahrhunderts beschrankte sich die Politik weitgehend auf Ordnungspolitik Wirtschaftspolitik wurde hauptsachlich von Juristen gemacht Juristenmonopol 3 Etliche Historiker neigen dazu die wirtschaftspolitische Entwicklung ab etwa 1870 als Beginn des modernen Interventions und Sozialstaates zu sehen Aufgrund der anfanglich begrenzten Reichweite und fehlenden Systematik der Massnahmen wird jedoch kein Sprung zu einem neuen System gesehen sondern ein allmahlicher Ubergang bedingt durch die Quantitat staatlicher Eingriffe in einer komplexer werdenden Industriegesellschaft Die Zeit zwischen 1870 und dem Ersten Weltkrieg wird als Ara des liberalen Staatsinterventionismus bezeichnet 4 In dieser Zeit verursachten u a die Konzentrations und Zentralisationstendenzen Monopole Kartelle und Trusts sozio okonomische Instabilitat 5 Als Reaktion auf die Soziale Frage wurde von deutschen Nationalokonomen 1873 der Verein fur Socialpolitik gegrundet Der Verein propagierte mit einigem Erfolg staatliche Intervention damit der Staat die Schwachen schutze die unteren Klassen hebe 6 Die meisten industrialisierten Staaten reagierten auf die Herausforderungen u a mit Sozialpolitik und mit protektionistischer Handelspolitik Temporar kam es im Zuge der Kriegswirtschaft im Ersten Weltkrieg und Zweiten Weltkrieg zu einer starken Ausdehnung staatlicher Wirtschaftslenkung Einen nachhaltigen Einfluss hatte die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1939 die eine dauerhafte qualitative Ausdehnung des Staatsinterventionismus beforderte 7 In Deutschland orientierten sich seit der Weltwirtschaftskrise mit den Praekeynesianern wie auch den Ordoliberalen alle relevanten volkswirtschaftlichen Stromungen kritisch an der Realitat des interventionistischen Wirtschaftsstaates Der Interventionismus wurde auch von Ordoliberalen nicht mehr abgelehnt sondern in Form des liberalen Interventionismus der nicht gegen die Marktentwicklung wirkt sondern diese beschleunigt und abfedert als notwendig angesehen 8 Im Zeitalter des punktuellen Staatsinterventionismus schliesslich ruckte die Struktur und Prozesspolitik immer starker in den Vordergrund Seit der zunehmenden Einschaltung von Volkswirtschaftlern erfolgte nun auch eine systematische Instrumentenplanung der Wirtschaftspolitik 9 Formen BearbeitenIn einer reinen Marktwirtschaft freie Marktwirtschaft gibt es streng genommen keine Wirtschaftspolitik In einer Zentralverwaltungswirtschaft sind Staat und Wirtschaft identisch In der Realitat kommen diese idealtypischen Formen der Wirtschaftsordnung selten vor Fast alle realen Wirtschaftsordnungen sind Mischformen also Marktwirtschaften in denen der Staat mehr oder weniger stark interveniert Die in der Realitat vorkommenden Varianten wirtschaftspolitischen Interventionismus lassen sich nach dem Intensitatsgrad und nach der gesamtwirtschaftlichen Orientierung typisieren 10 Nach dem Intensitatsgrad wird unterschieden 11 Der marktwirtschaftliche Interventionismus auch liberaler Interventionismus greift auf einzelnen Markten ein um dort vor allem Anpassungshilfen zu gewahren Die Intervention ist vorubergehender Natur und soll der besseren Funktionsfahigkeit des Marktes dienen Auch eine gewisse Korrektur der Einkommensverteilung lasst sich hierunter fassen Beispiel Konzept der Sozialen Marktwirtschaft Im verbandswirtschaftlichen Interventionismus delegiert der Staat wirtschaftspolitische Aufgaben an Wirtschaftsverbande Prufungswesen Zwangskartelle Marketing Boards etc Der lenkungswirtschaftliche Interventionismus erstrebt eine Strukturerhaltung entgegen der Marktdynamik z B aus rustungswirtschaftlichen Grunden Beispiele Stutzung des Agrarsektors in Industrielandern KriegswirtschaftNach der gesamtwirtschaftlichen Orientierung wird unterschieden 12 Punktueller bzw pragmatischer Interventionismus Der Staat greift dort ein wo der Marktmechanismus nicht zufriedenstellend funktioniert oder wenn ein Ergebnis des Marktmechanismus politisch unerwunscht ist Konstruktivistischer Interventionismus Durch die Interventionen sollen Marktergebnisse in eine ex ante geplante Richtung gelenkt werden Beispiele Globalsteuerung PlanificationSonstiges BearbeitenDie Bereitschaft zu Staatseingriffen in die Wirtschaft nimmt in Zeiten einer Wirtschaftskrise sprunghaft zu insbesondere wenn grosse fur eine Nation sehr wichtige Unternehmenseinheiten wirtschaftlich zu scheitern drohen Too Big to Fail Ein Beispiel ist die Krisenregulierung durch politische Kartellbildung 13 in der Krise der deutschen Stahlindustrie an Saar und Ruhr seit 1975 In den Jahren 2008 2009 war die Krise der US Autoindustrie ein Beispiel 14 Fur Hans Albert kann die Beurteilung einer Intervention gemass ihrer angeblichen okonomischen Rationalitat oder Effizienz nichts weiter als eine Scheinbegrundung darstellen da die Volkswirtschaftslehre als Realwissenschaft keine Werturteile zu liefern in der Lage ist 15 Nach C Wright Mills verstecke sich hinter dem Streit um staatliche Eingriffe vs Freiheit der Wirtschaft haufig das Streben der Wirtschaftselite die eigene Entscheidungsmacht abzusichern und dabei die damit verbundenen Risiken und Folgeprobleme auf den Staat abzuwalzen Deshalb behaupteten viele Unternehmen und Unternehmer lediglich an einer freien Marktwirtschaft interessiert zu sein diese wirtschaftliche Freiheit konne aber nur durch staatliche Subvention abgesichert werden 16 Kritik BearbeitenDer Begriff selbst wurde von Kritikern einer solchen wirtschaftspolitischen Grundorientierung gepragt und impliziert so von Anfang an einen negativen Wertakzent Hintergrund ist dabei die Vorstellung eines Laissez faire Liberalismus dass die Wirtschaft ein sich selbst regelnder Prozess sei wobei das Eingreifen des Staates nichts anderes als schaden konne So argumentiert Ludwig von Mises dass dieses zu Wohlfahrtverlusten durch Fehlallokationen der volkswirtschaftlichen Ressourcen fuhre da die Lenkungsfunktion von am Markt gebildeten Preisen hierbei ausser Kraft gesetzt werde Staatliche Eingriffe konnen demnach zu Staatsversagen fuhren oder sind bereits Folge von Staatsversagen Die Folgen staatlicher Eingriffe werden beispielsweise unter folgenden Aspekten gesehen Massnahmen die getroffen werden um ein bestimmtes Problem zu losen konnten dieses infolge falscher Anreize fur die Wirtschaft auch verscharfen vgl Kobraeffekt Ein einzelner staatlicher Ersteingriff in den Wirtschaftsprozess ziehe sich immer weiter ausdehnende Folgeeingriffe in das Wirtschaftssystem und letztlich eine Interventionsspirale nach sich siehe Olflecktheorem Unvollkommenheiten im Marktgeschehen wurden sich gegenseitig ausgleichen es ergebe sich die zweitbeste Losung Staatsinterventionen seien daher wirkungslos oder sogar schadlich vgl Gegengiftthese Siehe auch BearbeitenMarktregulierung Dirigismus Gelenkte Volkswirtschaft Laissez faireLiteratur Bearbeitenchronologische FolgeWilhelm von Humboldt 1792 Ideen zu einem Versuch die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen ISBN 978 3 15 001991 7 Walter Eucken 1952 Grundsatze der Wirtschaftspolitik Tubingen 7 Aufl 2004 ISBN 3 8252 1572 5 Elmar Altvater 1972 Zu einigen Problemen des Staatsinterventionismus In Prokla 3 1972 Niklas Luhmann 1988 Die Wirtschaft der Gesellschaft S 136ff 163f und ganzes Kapitel 10 Grenzen der Steuerung ISBN 978 3 518 28752 1Einzelnachweise Bearbeiten Siehe Staatsinterventionismus Brockhaus Enzyklopadie 21 vollig neu bearbeitete Auflage Band 26 Duden Wirtschaft von A bis Z Grundlagenwissen fur Schule und Studium Beruf und Alltag 4 Aufl Mannheim Bibliographisches Institut 2009 Lizenzausgabe Bonn Bundeszentrale fur politische Bildung 2009 Stichwort Interventionismus Willi Albers Handworterbuch der Wirtschaftswissenschaften Band 9 Gustav Fischer Verlag 1982 ISBN 3 525 10260 7 S 192 Rudolf Boch Staat und Wirtschaft im 19 Jahrhundert Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH 2004 ISBN 3 486 55712 2 S 91 f vgl zu dieser Epoche auch Tobias ten Brink Staatenkonflikte Lucius amp Lucius UTB Stuttgart 2008 ISBN 978 3 8282 0419 5 S 13 f Gustav v Schmoller zitiert nach Tilman Repgen Die soziale Aufgabe des Privatrechts Mohr Siebeck 2001 ISBN 3 16 147516 X S 78 f vgl zu dieser Epoche auch Tobias ten Brink Staatenkonflikte Lucius amp Lucius UTB Stuttgart 2008 ISBN 978 3 8282 0419 5 S 13 f Werner Abelshauser Deutsche Wirtschaftsgeschichte Von 1945 bis zur Gegenwart C H Beck 2011 ISBN 978 3 406 51094 6 S 93 Willi Albers Handworterbuch der Wirtschaftswissenschaften Band 9 Gustav Fischer Verlag 1982 ISBN 3 525 10260 7 S 192 Willi Albers Handworterbuch der Wirtschaftswissenschaft Band 9 ISBN 3 525 10260 7 Seite 344 345 Willi Albers Handworterbuch der Wirtschaftswissenschaft Band 9 ISBN 3 525 10260 7 Seite 345 Willi Albers Handworterbuch der Wirtschaftswissenschaft Band 9 ISBN 3 525 10260 7 Seite 345 Josef Esser Wolfgang Fach Werner Vath Krisenregulierung Zur politischen Durchsetzung okonomischer Zwange Frankfurt Main 1 Aufl 1983 es 1176 ISBN 3 518 11176 0 S 72 ff David E Sanger Taking Risks With Bailout New York Times vom 8 Dezember 2008 Jedes vom Gleichgewichtspreissystem der vollstandigen Konkurrenz abweichende Preisgefuge kann also fur den einen eine Verbesserung fur den anderen eine Verschlechterung seiner Maximum Position bedeuten Das durch vollstandige Konkurrenz tatsachlich entstehende System ist in dieser Beziehung in keiner Weise a priori ausgezeichnet Dieser Sachverhalt bedarf ja gerade des Beweises durch die Maximum Theoretiker Der Einwand dass alle anderen Preissysteme keinen Gleichgewichtszustand reprasentieren da in ihnen Gewinne und Verluste entstunden ist erstens nicht richtig denn diesem Mangel konnte durch Subventionen und Steuern abgeholfen werden die man doch erst dann als Marktinterventionen ablehnen kann wenn die Optimalitat des interventionslosen Zustandes nachgewiesen ist Hans Albert Okonomische Ideologie und politische Theorie Verlag Otto Schwartz amp Co Gottingen 2 Aufl 1972 S 74 the only way to secure economic Freedom for the enterpriser is for the state to subsidize him C Wright Mills Collectivism and the Mixed up Economy In Power Politics and People The Collected Essays of C Wright Mills Oxford University Press London Oxford New York S 185Normdaten Sachbegriff GND 4120517 0 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Staatsinterventionismus amp oldid 235548121