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Soziologie und empirische Forschung ist ein erstmals 1957 erschienener Essay von Theodor W Adorno der die Kritik Adornos an der Soziologie und Empirischen Sozialforschung der 1950er Jahre darstellt Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 1 1 Adorno zur Spannung von kritischer Theorie und Positivismus 1 1 1 Kritische Theorie 1 1 2 Positivismus 1 2 Probleme der empirischen Soziologie 1 3 Empirismus als erkenntnistheoretisch falsche Wissenschaft 1 4 Die Spannung zwischen Gesellschaft und naturwissenschaftlicher Betrachtung 1 5 Empirie und Totalitat 1 6 Vermittlung von Forschung und Theorie in Erscheinung und Wesen am Beispiel des Arbeiter Begriffs 1 7 Abschluss 2 Kritik 3 Literatur 4 Siehe auchInhalt BearbeitenAdorno zur Spannung von kritischer Theorie und Positivismus Bearbeiten Soziologie ist nach Adorno die Verbindung unterschiedlicher Verfahrensweisen zur Untersuchung gesellschaftlicher Phanomene Manche gelten der gesellschaftlichen Totalitat und ihren Bewegungsgesetzen andere in pointiertem Gegensatz einzelnen sozialen Phanomenen welche auf einen Begriff der Gesellschaft zu beziehen als spekulativ verfemt wird S 196 Diese zwei gegensatzlichen Verfahrensweisen Makroebene und Mikroebene bezeichnet Adorno auch als die geisteswissenschaftliche Soziologie und als die formale Soziologie Damit stellt er seine Kritische Theorie seiner umstrittenen Auffassung des Positivismus entgegen Kritische Theorie Bearbeiten Die kritische Theorie Adornos wird bereits in ihren Anfangen nach immanenter Kritik der traditionellen Wissenschaftsauffassung dieser explizit gegenubergestellt Sie zielt auf die Strukturbedingungen der gesellschaftlichen Totalitat und begreift somit die Gesellschaft selbst als Subjekt Kritische Theorie will unter die Oberflache des gesellschaftlichen Scheins sehen und analysiert die herrschende Ordnung als unvernunftig und unertraglich Kern ist ihr die uber reine Beschreibung hinausgehende Kritik an der Sache selbst Dabei arbeitet sie abseits des traditionellen Empirieverstandnisses erfahrungsbasiert und kritisiert mit Hegel die Trennung von Methode und Inhalt Kritische Gesellschaftstheorie entwickelt demnach keine zu uberprufenden Hypothesen da diese immer im aktualen gesellschaftlichen Schein verblieben Das gesellschaftspragende Prinzip solle vielmehr aufgehoben werden anstatt dass eine am Prinzip ausgerichtete Hypothese an der zukunftigen Erscheinung verifiziert werde Positivismus Bearbeiten Der Positivismus analysiert demgegenuber nach Adorno Einzelphanome in summarischer Absicht und halt einen theoriebasierten Begriff der Gesellschaft fur spekulativ Adorno fasst hiermit den Begriff des Positivismus weiter als im traditionellen Verstandnis ublich So entstunden bestenfalls klassifikatorische Oberbegriffe nie Begriffe des Lebens der Gesellschaft selbst Dies zeige sich z B darin dass klassifikatorisch zwar differenzierte Abstraktionsniveaus moglich seien diese jedoch nicht direkt mit erhohtem Erkenntnisgewinn verbunden seien Die Kategorie arbeitsteilige Gesellschaft uberhaupt ist hoher allgemeiner als die kapitalistische Gesellschaft aber nicht wesentlicher sondern unwesentlicher sagt weniger uber das Leben der Menschen und das was sie bedroht ohne dass doch darum eine logisch niedrigere Kategorie wie Urbanismus mehr daruber besagte Weder nach oben noch nach unten entsprechen soziologische Abstraktionsniveaus einfach dem gesellschaftlichen Erkenntniswert Deswegen ist von ihrer systematischen Vereinheitlichung durch ein Modell wie das funktionelle von Parsons so wenig zu erhoffen S 198 Bisher seien Theorie und Empirie in der Soziologie unvereint Einerseits verbleibe eine rein klassifikatorische Theorie im falschen Ganzen Andererseits seien empirische Beweise fur aus der Theorie erkannte Strukturbedingungen allein durch die Eigenheiten der Empirie immer empirisch widerlegbar Nicht darauf kommt es an derlei Divergenzen zu glatten und zu harmonisieren dazu lasst bloss eine harmonistische Ansicht von der Gesellschaft sich verleiten Sondern die Spannungen sind fruchtbar auszutragen S 198 Probleme der empirischen Soziologie Bearbeiten Heute gemeint 1957 werde allgemein der positivistisch empirischen Soziologie der Vorzug gegeben Sie sei praktisch verwertbar und verwaltungsaffin Empirie sei aber nur eine von vielen moglichen Methoden die Grenzen der Methodik folgten aus den Grenzen der Sache Gegenstand der empirischen Sozialforschung sei neben statistischen Daten wie Alter Einkommen Subjektives Meinungen Einstellungen und Verhaltensweisen Statistik ergebe dadurch im methodologischen Sinne objektive Aussagen uber Subjektives daruber wie Subjekte sich und die Welt sahen Dabei werde von der gesellschaftlichen Objektivitat abstrahiert Z B fuhre der unreflektierte Rahmen der Forschung in Massenmedien oder die Cafeteria praformierter Fragen zu einer Ignoranz gegen die Verhaltnisse oder gar zu deren Stutzung Die Annahme die Meinungen pragten die Gesellschaft ignoriere bspw die Machtstrukturen in der Gesellschaft die wiederum nur statistisch betrachtet wurden Gesellschaftlich Primares apersonale Verhaltnisse und Strukturen personelle Macht werde so zum Sekundaren degradiert Die Vorstellung der Menschen als pragende Subjekte statt gepragter Objekte der Totalitat sei eine Fetischisierung der eigenen Forschungsobjekte der empirischen Soziologie Entsprechend fetischisiere die Methodik sich selbst Folgerichtig wurden in der empirischen Soziologie mehr drangende Fragen methodologischer als inhaltlicher Art diskutiert Die Methodik forme selbst ihren Erkenntnisgegenstand z B wenn die Forschungsmotivation indifferent aus der methodologischen Moglichkeit resultiere anstatt auf das Erkenntnisziel gerichtet zu sein oder wenn die Begriffsbildung z B fur den Begriff Konservatismus mathematisch statt argumentativ vorgehe womit diese statistisch sauberen Definitionen sich dann aber direkt auf ihre konventionellen Entsprechungen bezogen und damit falsch wurden Empirismus als erkenntnistheoretisch falsche Wissenschaft Bearbeiten Siehe auch Empirismus Gesellschaftswissenschaft im Sinne Adornos lasst sich nicht wie Naturwissenschaft betreiben Dies aber nicht wegen einer Wurde des Menschen die sich der Naturwissenschaft entzoge In Bezug auf die Rezeption von Massenmedien treffe das simple Schema von Reiz und Reaktion objektiv zu Die von Atomen zu Allgemeinheiten klassifizierende Sozialwissenschaft treffe insofern eine Wahrheit als sie den Medusenspiegel der atomisierten verwalteten Welt darstelle also das Mittel diese grauenhafte Welt genauer zu betrachten ohne dabei zu Stein zu erstarren Jedoch fehle ihr dabei die Selbstreflexion Die Methoden der Induktion und Deduktion gelten Adorno dabei als szientifischer Ersatz fur die demgegenuber notwendige dialektische Vorgehensweise Quantitative und qualitative Forschung betrachtet er als zusammengehorig Blinde Tatsachenfeststellungen und formale Soziologie erfassten mithin nicht das Wesen der Gesellschaft sie seien fur das Verhaltnis von Allgemeinem und Besonderem blind und wollten durch ein einheitliches System die permanente Spannung von Allgemeinem und Besonderem aus der uneinheitlichen Welt schaffen Die Spannung zwischen Gesellschaft und naturwissenschaftlicher Betrachtung Bearbeiten Wegen dieser Spannungen ist die Gesellschaft nicht homogen wie es fur eine naturwissenschaftliche Untersuchung direkte Schlusse vom Partiellen auf Allgemeines sein musste Insbesondere liege in der wissenschaftlichen Behandlung der Gesellschaft anders als in jener der Natur kein reines Objekt vor erkennendes Subjekt und Gesellschaft sind uber die gesellschaftliche Totalitat miteinander gewissermassen verschrankt Sozialwissenschaftliche Gesetze ergaben nie ein bruchloses Allgemeines sondern eine je historisch konkrete Beziehung von Allgemeinem und Besonderem Darin schlage sich notwendig der anarchische Charakter bisheriger Gesellschaftsentwicklung und die Spontaneitat der Menschen nieder Diese Feststellung ist fur Adorno keine unwissenschaftliche Verklarung sondern ein Hinweis auf den Antagonismus der in den Zahlen untergehe und sich z B aus Vernunft oder einer spezifischen Interessenlage speisen konne Die Menschen entsprachen nicht den Atomen in der Physik Die empirische Sozialforschung behandelte sie aber auf diese Weise und produzierte dadurch eine neue individualisierte Form der Charaktermaske vgl dazu Soziale Rolle In einer befreiten Gesellschaft sei demgegenuber die Empirie ein Werkzeug zur Verwaltung von Sachen nicht von Menschen Vgl dazu bei Karl Marx das Reich der Freiheit als Ergebnis der letzten proletarischen Revolution Empirie und Totalitat Bearbeiten Die Soziologie ist nach Adorno insgesamt eine inhomogene Disziplin bestehend aus Theorie der kritischen Analyse von Verhaltnissen Institutionen und aus positivistischer Sozialforschung Das Erkenntnisziel Gesellschaft forderte deren Verbindung da Theorie und Empirie aufeinander angewiesen seien Die Wesensfrage nach der Totalitat durfe nicht wegen ihrer methodologischer Unfassbarkeit ausgeklammert werden Als Beispiel fuhrt Adorno das Tauschprinzip an Es handele sich einerseits nur um einen nichtempirischen Begriff andererseits handelt es sich um ein real waltendes Phanomen mit harten Konsequenzen Wenn die empirische Soziologie nur Fakten zahlt und abgeleitete Regeln fur die relevant pragenden Gesetze halt produziere sie Ideologie und Rechtfertigung Forschungshypothesen furchte sie sogar da diese statistisch systematische Fehler bias erzeugen konnten Sie folge dem Aberglauben bzw Fetisch der Tabula Rasa der Voraussetzungen und des neutralen Datensammelns Der Satz ein Forscher benotige zehn Prozent Inspiration und neunzig Prozent Transpiration der so gern zitiert wird ist subaltern und zielt aufs Denkverbot Langst schon bestand die entsagungsvolle Arbeit des Gelehrten meist darin dass er gegen schlechte Bezahlung auf die Gedanken verzichtete die er ohnehin nicht hatte Heute da der besser bezahlte Burochef in die Nachfolge des Gelehrten einruckt wird der Mangel an Geist nicht nur als Tugend dessen gefeiert der uneitel und wohlangepasst dem Team sich eingliedert sondern obendrein durch die Einrichtung der Forschungsgange institutionalisiert welche die Spontaneitat der Einzelnen kaum anders kennen denn als Reibungskoeffizienten S 211f Gedanken kristallisieren sich nach Adorno langsam durch Erfahrung Intuition und Denken gegen den gesunden Menschenverstand Die soziologische Arbeit sei kein stupides Verfahren sondern begriffliche Anstrengung Wissenschaft sei demnach das Herausarbeiten der Wahrheit und Unwahrheit dessen was das Phanomen sein mochte Vermittlung von Forschung und Theorie in Erscheinung und Wesen am Beispiel des Arbeiter Begriffs Bearbeiten Die empirische Erforschung des Subjektiven musse mit der Analyse der gesellschaftlichen Objektivitat verbunden werden Der Arbeiter musse z B auf sein Selbstbild aber auch auf seine Stellung im Produktionsprozess und auf seine Machtmittel hin untersucht werden Dies diene vor allem der Ideologiekritik aber auch der Analyse von Veranderungen des Objektiven durch das Subjektive Weiss niemand mehr dass er Arbeiter ist so andert das den Begriff des Arbeiters auch wenn seine Trennung von den Produktionsmitteln gleich bleibe Die Erscheinung der Sache konne also auf ihr Wesen zuruckwirken Empirische Sozialforschung und Theorie sollten einander in der Soziologie also als Korrektive dienen Die Betrachtung der Erscheinung konne den Erkenntniswert kritisch relativieren die Analyse des Wesens die Erscheinung entmythologisieren Abschluss Bearbeiten Soziologisch ermittelte Fakten seien durch Gesellschaft gepragt und darum kein Unmittelbares und Letztes Verfeinerte empirische Methoden Motivationsanalyse konnten diese Pragung einbeziehen aber nur funktionale keine kausalen Zusammenhange offenlegen Eine Chance sieht Adorno in der Entwicklung von indirekten Fragemethoden Die reine Meinungsforschung sei gleichzeitig zu achten und zu verachten demgegenuber aber der allgemeinen Meinung nicht bestimmend die allgemeine Wahrheit entgegenzustellen Dies habe in der Geschichte bereits zu viel Unheil angerichtet Die Durchschnittsmeinung stellt keinen Approximationswert der Wahrheit dar sondern den gesellschaftlich durchschnittlichen Schein An ihm hat teil was der unreflektierten Sozialforschung ihr ens realissimum dunkt die Befragten selbst die Subjekte Ihre eigene Beschaffenheit ihr Subjektsein hangt ab von der Objektivitat den Mechanismen denen sie gehorchen und die ihren Begriff ausmachen Der aber lasst sich bestimmen nur indem man in den Fakten selber der Tendenz innewird die uber sie hinaustreibt Das ist die Funktion der Philosophie in der empirischen Sozialforschung Wird sie verfehlt oder unterdruckt werden also bloss die Fakten reproduziert so ist solche Reproduktion zugleich die Verfalschung der Fakten zur Ideologie S 215f Kritik Bearbeiten nbsp Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer grundsatzlichen Uberarbeitung Naheres sollte auf der Diskussion angegeben sein Bitte hilf mit ihn zu verbessern und entferne anschliessend diese Markierung Adornos Essay ist nicht leicht nachvollziehbar und nach 50 Jahren sehr interpretationsbedurftig Denn die Situation in der Adorno ihn niederschrieb war durch zwei konkrete Frontstellungen gepragt Erstens hatte er selber 1950 in den USA eine eher qualitative empirische Studie vorgelegt namlich zusammen mit Else Frenkel Brunswik Daniel J Levinson und R Nevitt Sanford The Authoritarian Personality und sich damit implizit gegen den viel methodenstrengeren und vormals marxnahen Paul Lazarsfeld gestellt der uber Amerika hinaus gerade zum Protagonisten quantitativer Methoden aufruckte Diese Frontstellung war auch deshalb wichtig weil in der Bundesrepublik Deutschland in der Adorno akademisch Fuss zu fassen suchte der sehr einflussreiche Rene Konig bereits die methodenorientierte Kolner Schule erfolgreich begrundet und noch erfolgreicher der aufkommende Helmut Schelsky 1953 seine empirisch reichbelegten Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart vorgelegt hatte Zweitens berief sich beiden gegenuber die Kritische Theorie sehr stark auf Marx und Adorno wollte dies weder verhehlen noch ausdrucklich problematisieren Denn 1957 war ein Ernstnehmen von Marx als Soziologen im Zuge des Ost West Konfliktes in der Bundesrepublik Deutschland karrieremassig ausserordentlich untunlich So wahlte er den Weg sich in allen Punkten hochst allgemein durch hegel marxsche Wendungen auszudrucken was auch seinen wissenschaftlichen Stilvorlieben entgegenkam Das Resultat war ein schwebend kritischer Text dessen Hintergrunde der fachkundigen Leserschaft prasent waren der sich aber argumentativ schwer fur Diskussionen festmachen liess was vor allem dann Hans Albert in der Nachfolge Karl Poppers kornig und scharf attackiert hat Ferner wurde mit dem Fernrucken der damaligen Kontroversen dieser Text immer schwerer lesbar Weitere Einwande und Gegenpositionen sind in den folgenden Artikeln dargestellt Positivismusstreit Methodenstreit Sozialwissenschaften Theodor W Adorno GegenpositionenLiteratur BearbeitenTheodor W Adorno Soziologie und empirische Forschung In Gesammelte Schriften Band 8 Soziologische Schriften I Lizenzausgabe WBG Frankfurt am Main 1998 1972 Siehe auch BearbeitenZur gegenwartigen Stellung der empirischen Sozialforschung in Deutschland Wissenschaftstheorie Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Soziologie und empirische Forschung amp oldid 211340681