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Der Sisyphos griechisch Sisyfos Sisyphos latinisiert Sisyphus ist ein antiker literarischer Dialog in altgriechischer Sprache der dem Philosophen Platon zugeschrieben wurde aber sicher nicht von ihm stammt Die Unechtheit wurde schon in der Antike erkannt Der Anfang des Sisyphos in der altesten erhaltenen Handschrift Paris Bibliotheque Nationale Gr 1807 9 Jahrhundert Den Inhalt bildet ein kurzes Gesprach zwischen dem Philosophen Sokrates und dem vornehmen Thessalier Sisyphos Erortert wird die Frage worin der Sinn einer Beratschlagung besteht und was eigentlich dabei geschieht Daher tragt der Dialog in den Handschriften den Alternativtitel Uber das Beratschlagen Inhaltsverzeichnis 1 Ort Zeit und Teilnehmer 2 Inhalt 3 Verfasser und Entstehungszeit 4 Rezeption 5 Ausgaben und Ubersetzungen 6 Literatur 7 AnmerkungenOrt Zeit und Teilnehmer BearbeitenDer historische Sokrates der Lehrer Platons hatte die Gewohnheit mit seinen Bekannten Freunden und Schulern ebenso wie mit Fremden und auswartigen Besuchern Gesprache zu fuhren die er auf die ihn interessierenden philosophischen Fragen hinlenkte Auch der Autor des Sisyphos lasst Sokrates eine Bemerkung seines Gesprachspartners aufgreifen und zum Anlass nehmen eine philosophische Erorterung zu beginnen Sisyphos hat am Vortag an einer Ratsversammlung in der thessalischen Stadt Pharsalos teilgenommen deren Burger er ist Dies deutet darauf dass sich der Dialog dort abspielt was eine Reise des Sokrates nach Thessalien voraussetzt Das ist sehr auffallig denn Sokrates pflegte seine Heimatstadt Athen abgesehen von seinen militarischen Einsatzen im Peloponnesischen Krieg nicht zu verlassen 1 der Schauplatz aller platonischen Dialoge in denen er auftritt ist Athen oder die Umgebung dieser Stadt Daher ist in der Forschung die Deutung vorgeschlagen worden dass der Autor des Sisyphos an einen Aufenthalt des Thessaliers in der Heimat des Philosophen gedacht hat 2 Sisyphos kann aber die Distanz zwischen Pharsalos und Athen 187 km Luftlinie nicht in so kurzer Zeit zuruckgelegt haben zumal die Ratsversammlung den ganzen Vortag in Anspruch genommen hat 3 Dies spricht dafur dass der Verfasser des Dialogs einen Aufenthalt des Sokrates in Thessalien erfunden hat 4 Sisyphos gehort offenbar zur Fuhrungsschicht seiner Heimatstadt da er von deren Archonten zu einer Beratung herangezogen wird Anscheinend ist die Dialogfigur identisch mit dem historischen Adligen Sisyphos von Pharsalos der einem alten thessalischen Geschlecht angehorte Der Vater des historischen Sisyphos Daochos I bekleidete das Amt des Tagos des Befehlshabers der Streitmacht des thessalischen Bundes Sisyphos Sohn Daochos II spielte spater als Vertrauensmann Konig Philipps II von Makedonien in Thessalien eine fuhrende Rolle 5 Der historische Sisyphos von Pharsalos hat zu Beginn des 4 Jahrhunderts v Chr anscheinend eine wichtige militarische Funktion ausgeubt er war also damals wohl mindestens dreissig Jahre alt Eine Begegnung mit Sokrates der 399 v Chr starb ist daher chronologisch moglich Sie ist aber unwahrscheinlich es ist davon auszugehen dass es sich um eine literarische Fiktion des Dialogautors handelt 6 Inhalt BearbeitenEine Rahmenhandlung fehlt der Gesprachsverlauf wird in direkter Rede wiedergegeben Sokrates teilt dem soeben eingetroffenen Sisyphos mit dass er am Vortag als die beiden gemeinsam eine Rede horen wollten vergeblich auf ihn gewartet hat Sisyphos gibt als Grund fur sein Fernbleiben an dass er wegen einer Ratsversammlung an der er aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung teilnehmen musste verhindert war Daher geht Sokrates davon aus dass Sisyphos bei seinen Mitburgern als guter Ratgeber gilt 7 Aus Platons Werken ist bekannt dass Sokrates im Gesprach mit Fachleuten die auf ihren Gebieten als tuchtig angesehen wurden nach dem jeweiligen Wissen zu fragen pflegte auf dem der Kompetenzanspruch seines Gesprachspartners basierte Darauf steuert er auch hier zu Sisyphos wird als Ratgeber geschatzt naheliegend ware also die Frage was eine gute Beratschlagung ausmacht Dieses Thema stellt Sokrates aber vorerst zuruck da es zu viel Zeit erfordere Er wirft zunachst nur die einfachere Frage auf worin eigentlich eine Beratschlagung besteht Sisyphos zeigt sich uber die vermeintliche Trivialitat dieser Frage erstaunt 8 Beratungen wie Sokrates sie kennt bestehen darin dass Personen die nicht wissen was sie tun sollen uber ihre Ahnungen und Mutmassungen reden und auf gut Gluck herauszufinden versuchen was in der aktuellen Lage angebracht ist Es kann sein dass sie dabei zufallig auf das Richtige stossen Sisyphos der als Ratgeber nicht als so inkompetent erscheinen mochte ist jedoch mit dieser Definition des Beratens nicht einverstanden er stellt seine Tatigkeit anders dar Er meint bei den Teilnehmern einer Beratung sei ein gewisses Wissen schon vorhanden das nur vervollstandigt werden musse da bestimmte Einzelheiten noch unklar seien 9 Sokrates vergleicht dies mit den Bemuhungen von Mathematikern die bereits wissen was ein Wurfel ist und nun herausfinden mochten wie man ihn verdoppelt Delisches Problem 10 Tatsache bleibt aber wie Sokrates betont dass man immer nach etwas sucht was man nicht kennt Alle sich Beratenden streben nach einem Wissen das sie nicht haben sie suchen die jeweils beste Option Beratschlagung ist somit nichts anderes als ein gemeinsames Suchen ein Herumraten und Mutmassen Wenn ein Unwissender mit anderen Unwissenden beratschlagt ist er nur ein Suchender unter Suchenden und kein Ratgeber Die Alternative zum gemeinsamen Mutmassen besteht fur Sokrates darin dass man sich von jemand der bereits uber Wissen verfugt belehren lasst Nur wer aufgrund eines bereits vorhandenen Wissens belehren kann ist ein wirklicher Berater 11 Sokrates deutet an dass es nach seiner Ansicht solche Wissende gibt an die man sich wenden konnte wenn es um politische Fragen wie die auf der Versammlung in Pharsalos erorterten geht Damit meint er offensichtlich gemass dem platonischen Philosophieverstandnis Philosophen Den Teilnehmern der Ratsversammlung in Pharsalos hingegen traut er keine derartige Sachkompetenz zu In ihnen sieht er nur Ratlose die aufs Geratewohl etwas zu erkennen hoffen statt sich von kompetenten Fachleuten belehren zu lassen Dieser Einschatzung kann Sisyphos nicht widersprechen 12 Schliesslich lenkt Sokrates die Aufmerksamkeit auf den Gegenstand von Beratungen Dieser ist immer etwas Zukunftiges Der Zweck einer Beratung besteht also darin schon in der Gegenwart Zukunftiges zu erfassen obwohl die Zukunft noch gar nicht existiert Das erscheint als paradox Da das Zukunftige in der Gegenwart noch keine Beschaffenheit hat stellt sich die Frage wie es uberhaupt Gegenstand von Erkenntnis sein kann Wenn es unerkennbar ist hat dies gravierende Folgen Dann gibt es kein Kriterium fur die Qualitat eines Ratschlags und die Aussage jemand sei ein guter oder schlechter Berater ist sinnlos Dieses Problem bleibt ungelost der Dialog endet mit der Aufforderung an Sisyphos weiter daruber nachzudenken Somit mundet die Auseinandersetzung mit dem Thema so wie in manchen echten Dialogen Platons in eine Aporie Ratlosigkeit eine Losung ist vorerst nicht in Sicht 13 Verfasser und Entstehungszeit BearbeitenWahrscheinlich ist der Dialog im 4 Jahrhundert v Chr entstanden Michael Erler denkt eher an die erste Jahrhunderthalfte wahrend Joseph Souilhe fur Abfassung nach der Jahrhundertmitte pladiert 14 Carl Werner Muller meint den Entstehungszeitraum auf die Zeit zwischen 361 und etwa 350 v Chr eingrenzen zu konnen seiner Ansicht haben sich eine Reihe von Forschern angeschlossen 15 nbsp Der Anfang des Sisyphos in der Erstausgabe Venedig 1513Uber die Person des Autors lasst sich nichts Naheres ermitteln Er war vermutlich ein Angehoriger der Platonischen Akademie 16 und wollte offenbar beim Leser eine protreptische Wirkung erzielen das heisst fur die platonische Philosophie werben Erkennbar ist dass ihn Platons Dialog Menon wo die Problematik der Suche nach Unbekanntem thematisiert wird beeinflusst hat 17 Alfred Edward Taylor meint der Sisyphos stamme vielleicht von dem unbekannten Verfasser der unter der Bezeichnung Demodokos zusammengefassten Textgruppe dort wird ebenfalls der Sinn des Beratschlagens kritisch erortert 18 Margherita Isnardi sieht im Autor des Sisyphos einen Gegner der athenischen Demokratie dessen Kritik am Beratschlagen darauf abziele das Prinzip der demokratischen Beschlussfassung zu diskreditieren 19 Rezeption BearbeitenDa der Sisyphos in der Antike als unecht galt wurde er nicht in die Tetralogienordnung der Werke Platons aufgenommen Der Philosophiegeschichtsschreiber Diogenes Laertios und der Verfasser der anonym uberlieferten spatantiken Prolegomena zur Philosophie Platons fuhrten ihn unter den Schriften auf die ubereinstimmend als nicht von Platon stammend angesehen wurden 20 Das Interesse an dem kleinen Werk war in der Antike sehr gering Der einzige Beleg fur literarische Rezeption stammt aus der romischen Kaiserzeit Der Redner Dion Chrysostomos Dion von Prusa griff in seiner 26 Rede Gedanken aus dem Dialog auf 21 Im Mittelalter war der Dialog den lateinischsprachigen Gelehrten des Westens unbekannt Im Byzantinischen Reich hingegen war er manchen Gelehrten zuganglich Die alteste erhaltene Handschrift stammt aus dem 9 Jahrhundert 22 Im Zeitalter des Renaissance Humanismus wurde der Sisyphos wiederentdeckt fand aber bei den Humanisten wenig Beachtung Die Erstausgabe des griechischen Textes erschien im September 1513 in Venedig bei Aldo Manuzio im Rahmen der von Markos Musuros herausgegebenen Gesamtausgabe der Werke Platons Auf dieser Ausgabe basiert die lateinische Ubersetzung die der Humanist Willibald Pirckheimer erstellte und 1523 in Nurnberg bei seinem Drucker Friedrich Peypus veroffentlichte 23 In der modernen Forschung wird der literarische und philosophische Wert des Sisyphos gering veranschlagt Alfred Edward Taylor bezeichnet den Stil als unbeholfen und rugt der Autor habe eine Schwache fur kindische Widerlegungskunst im Streitgesprach Eristik 24 Ausgaben und Ubersetzungen BearbeitenJoseph Souilhe Hrsg Platon Œuvres completes Bd 13 Teil 3 Dialogues apocryphes 2 Auflage Les Belles Lettres Paris 1962 S 55 75 kritische Ausgabe mit franzosischer Ubersetzung Franz Susemihl Ubersetzer Sisyphos In Erich Loewenthal Hrsg Platon Samtliche Werke in drei Banden Bd 3 unveranderter Nachdruck der 8 durchgesehenen Auflage Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2004 ISBN 3 534 17918 8 S 825 831Literatur BearbeitenFrancesco Aronadio Ubersetzer Dialoghi spuri di Platone Unione Tipografico Editrice Torinese Torino 2008 ISBN 978 88 02 08022 2 S 57 59 Michael Erler Platon Grundriss der Geschichte der Philosophie Die Philosophie der Antike hrsg von Hellmut Flashar Bd 2 2 Schwabe Basel 2007 ISBN 978 3 7965 2237 6 S 328f 673 Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Philologische Beitrage zur nachplatonischen Sokratik Wilhelm Fink Munchen 1975 S 45 106Anmerkungen Bearbeiten Platon Kriton 52b Hierfur pladiert Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 48 50 Sisyphos 390b Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 48f Siehe dazu Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 45f Henry D Westlake Thessaly in the Fourth Century B C London 1935 S 61 202f 209f Bruno Helly L Etat thessalien Lyon 1995 S 51f 63 66 Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 45f Michael Erler Platon Basel 2007 S 328 Sisyphos 387b c Sisyphos 387c d Sisyphos 387d 389a Sisyphos 388e siehe dazu Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 105f Malcolm Brown Plato on Doubling the Cube Politicus 266 AB In Brian P Hendley Hrsg Plato Time and Education Albany 1987 S 43 60 hier 43 Sisyphos 389a 390d Sisyphos 390a d Sisyphos 390d 391d Michael Erler Platon Basel 2007 S 328f Joseph Souilhe Hrsg Platon Œuvres completes Bd 13 Teil 3 2 Auflage Paris 1962 S 59 61 Vgl William K C Guthrie A History of Greek Philosophy Bd 5 Cambridge 1978 S 398 Carl Werner Muller Die Kurzdialoge der Appendix Platonica Munchen 1975 S 94 103 Hans Kramer Die Altere Akademie In Hellmut Flashar Hrsg Grundriss der Geschichte der Philosophie Die Philosophie der Antike Band 3 Basel 1983 S 127 Holger Thesleff Platonic Patterns Las Vegas 2009 S 375 Francesco Aronadio Dialoghi spuri di Platone Torino 2008 S 59 Francesco Aronadio Dialoghi spuri di Platone Torino 2008 S 59 Joseph Souilhe Hrsg Platon Œuvres completes Bd 13 Teil 3 2 Auflage Paris 1962 S 61 63 Alfred Edward Taylor Plato The man and his work 5 Auflage London 1948 S 548 Anderer Meinung ist jedoch Joseph Souilhe Hrsg Platon Œuvres completes Bd 13 Teil 3 2 Auflage Paris 1962 S 57 Margherita Isnardi Sugli apocrifi platonici Demodoco e Sisifo In La Parola del Passato 9 1954 S 425 431 hier 429 431 Diogenes Laertios 3 62 Prolegomena zur Philosophie Platons 26 hrsg von Leendert G Westerink Prolegomenes a la philosophie de Platon Paris 1990 S 38 Siehe dazu Michael Trapp Plato in Dio In Simon Swain Hrsg Dio Chrysostom Politics Letters and Philosophy Oxford 2000 S 234 Anm 60 vgl Josef Pavlu Der pseudoplatonische Sisyphos In Mitteilungen des Vereines klassischer Philologen in Wien Jg 3 1926 S 19 36 hier 19 22 Parisinus Graecus 1807 siehe zu dieser Handschrift und ihrer Datierung Henri Dominique Saffrey Retour sur le Parisinus graecus 1807 le manuscrit A de Platon In Cristina D Ancona Hrsg The Libraries of the Neoplatonists Leiden 2007 S 3 28 Zu Pirckheimers Ubersetzung siehe Niklas Holzberg Willibald Pirckheimer Munchen 1981 S 301 311 Alfred Edward Taylor Plato The man and his work 5 Auflage London 1948 S 548 Normdaten Werk GND 4477529 5 lobid OGND AKS LCCN no2004101681 VIAF 305856929 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sisyphos Dialog amp oldid 204413208