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Scotophobin von altgriechisch skotos skotos Dunkelheit und fobos phobos Furcht ist der Name einer hypothetisch Dunkelangst erzeugenden Verbindung die vom Neurowissenschaftler 1 Georges Ungar 1968 entdeckt 2 und in einer Pressemitteilung am 26 Dezember 1970 benannt 3 wurde Scotophobin so schienen die Ergebnisse von Ungar und seinen Mitarbeitern zu zeigen erzeugt in verschiedenen Saugetieren und Fischen Angst vor dem Dunklen Die wissenschaftlich umstrittene Identifikation Isolierung und Synthese dieser Substanz 4 war fur etwa ein Jahrzehnt Kernargument fur die Hypothese dass Erinnerungen im Gehirn molekular gespeichert werden und es folgten zahlreiche Konferenzen und Bucher zu diesem Thema 5 Nach heutigem Wissensstand kann Scotophobin nicht die Wirkung gehabt haben die ihm zugeschrieben wurde denn das Gedachtnis ist nicht molekular sondern in der Struktur und Starke der Verbindungen zwischen Nervenzellen gespeichert 6 Inhaltsverzeichnis 1 Beschreibung 2 Vorgeschichte 3 Hypothese Molekularer Code der Gedachtnisspeicherung 4 Entdeckung von Scotophobin 5 Zeitgenossische Kritik 6 Rezeption in der Offentlichkeit 7 Heutige Beurteilung 8 EinzelnachweiseBeschreibung Bearbeiten nbsp Die Molekulstruktur von Scotophobin 7 mit der Sequenz Serin Asparaginsaure Asparagin Asparagin Glutamin Glutamin Glycin Lysin Serin Alanin Glutamin Glutamin Glycin Glycin Tyrosin NH2 Scotophobin ist ein Peptid von 15 Aminosauren d h ein Pentadecapeptid der Einbuchstabencode ist SDNNQQGKSAQQGGY 4 8 Es wurde erstmals aus dem Gehirn von Dunkelangst trainierten Ratten extrahiert wird kommerziell gentechnisch erzeugt 9 und kann auch in Totalsynthese hergestellt werden 7 Die genaue Funktion von Scotophobin ist bis heute Stand 2016 unklar Die Aminosauresequenz ahnelt der von verschiedenen Neuropeptiden 7 insbesondere der Enkephaline und der Substanz P Es wurde daraus geschlossen dass es also eine ahnliche Rolle im Nervensystem spielen konnte Sollte Scotophobin tatsachlich relevant fur das Nervensystem sein ware es vermutlich ein Peptidhormon oder ein Neuromodulator 10 Vorgeschichte Bearbeiten nbsp Nukleinsauren speichern Informationen unter anderem fur Proteinsequenzen wie Marshall Nirenberg und Heinrich Matthaei mit ihrem Poly U Experiment gezeigt hatten Bis in die 1970er wurde spekuliert dass auch Erinnerungen so oder ahnlich codiert sein konnten Die Geschichte der Theorie von molekularen Substraten als Grundlage des Gedachtnisses geht auf Arbeiten in der Mitte des 20 Jahrhunderts zuruck Nach der Entdeckung der Beziehung zwischen DNA und Proteinen durch die Entdeckung dass das Immunsystem ein Leben lang Antikorper gegen bestimmte Antigene bilden kann und da das Erbgut nicht nur die aussere Form eines Organismus sondern auch sein Verhalten codiert waren Biomolekule wie DNA oder Proteine naheliegende Kandidaten wie Informationen im Gehirn abgelegt sein konnten 11 Joseph Katz and Ward Halstead formalisierten diese Idee im Jahr 1950 12 Katz und Halstead schlugen vor dass eine Erfahrung die Produktion eines bestimmten Proteins verursache Sie spekulierten dass es sich bei dem Protein um ein Nucleoprotein handeln konne das fur die Zelle dann eine ahnliche Aufgabe ubernehme wie ein Gen und das Protein wurde sich selbst reproduzieren konnen Zahlreiche Kopien solcher Proteine wurden in die Zellmembran eingebaut und so spekulierten sie konnten entweder die Erregungsweiterleitung beeinflussen oder uber Synapsen weitergegeben werden wodurch mehrere Zellen Teil eines neuronalen Netzes wurden Eine so gebildete Gruppe von Nervenzellen konnte dann durch einen bestimmten Stimulus spezifisch aktiviert werden um ein gelerntes Verhalten zu reproduzieren Verschiedene Erinnerungen wurden sich durch unterschiedliche chemische Zusammensetzung und sterische Struktur der Proteine unterscheiden Hypothese Molekularer Code der Gedachtnisspeicherung Bearbeiten nbsp Dugesia subtentaculata ein Vertreter der DugesiaEine Reihe einfacher Experimente in denen Vertreter der Dugesia einer Gattung in der Klasse der Strudelwurmer klassisch konditioniert und anschliessend an andere Dugesia Individuen verfuttert wurden schien zu unterstutzen dass Erinnerungen so weitergegeben werden konnten 13 14 Die Idee eines molekularen Gedachtnisses wurde dabei mit dem Begriff biochemical engram subsumiert Ab 1965 wurden zu dieser Art von Erinnerungstransfer Experimente auch in Saugetieren durchgefuhrt 15 16 Eines der ersten Experimente von Georges Ungar einem Wissenschaftler am Baylor University College of Medicine in Houston schien den Transfer von Resistenz gegenuber dem Opiat Morphin in Ratten zu zeigen 17 Weitere Experimente zeigten dann den Transfer der Habituation an laute Gerausche sogar zwischen Spezies von Ratten auf Mause 15 11 Ungar nannte diese Hypothese a molecular code of memory 18 Entdeckung von Scotophobin Bearbeiten1968 publizierten Ungar und Mitarbeiter ein weiteres Experiment im Fachblatt Nature 2 In diesem Experiment wurden Ratten in einem Kafig platziert in dem es einen erleuchteten und einen verdunkelten Teil gab Sobald ein Tier den verdunkelten Teil betrat erhielt es einen Stromschlag woraufhin es wieder in den beleuchteten Teil des Kafigs fluchtete Die Tiere wurden so mehrere Tage konditioniert Anschliessend wurden ihre Gehirne isoliert homogenisiert und nach unterschiedlicher chemischer Behandlung in Mause intraperitoneal injiziert Fuhrte Ungar nun ein ahnliches Experiment mit den so behandelten Mausen durch verbrachten die Mause im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant weniger Zeit im verdunkelten Teil eines Testkafigs als im erleuchteten Durch verschiedene chemische Behandlungen engte man das Molekul das die Angst vor dem Dunklen transferierte auf ein Peptid der Lange von 6 bis 10 Aminosauren ein Die Studie hatte eine grosse Wirkung in der Fachwelt und Ungar veroffentlichte anschliessend ein Buch uber die molekulare Basis des Gedachtnisses in dem zahlreiche weitere Beitrage zusammengetragen sind 19 Im Jahr 1972 schliesslich wurde die Isolierung Sequenzierung und Totalsynthese von Scotophobin berichtet 4 nbsp Gezeigt ist die relative Zeit die Mause fur den Weg aus einem von je zwei Labyrinthen brauchen Einem Teil der Mause wurde dabei Hirnlysat von Tieren injiziert die je eines der Labyrinthe schon kannten Die mit x y bezeichneten Kurven zeigen Experimente bei denen Mause in Labyrinth x getestet wurden und die Lysat von Tieren aus Labyrinth y erhielten Diese Daten scheinen zu zeigen dass die 1 1 und 2 2 Tiere deutlich schneller als die anderen Gruppen ihren Weg finden 20 Zeitgenossische Kritik BearbeitenSchon die Experimente mit Dugesia wurden wegen der uberraschenden Ergebnisse teils heftig diskutiert und tatsachlich gab sich sogar Georges Ungar uberrascht von der Starke des von ihm beobachteten Effekts Schon fruh fuhrte dies zu einem Artikel im Fachblatt Science unterschrieben von 23 Wissenschaftlern die 18 Experimente vorstellten die allesamt den Transfer von Erinnerungen nicht reproduzieren konnten 21 1971 wurde die Arbeit von Georges Ungar nach einer Bewerbung um Forschungsgelder vom National Institute of Mental Health in seinem Labor begutachtet Vom Begutachtungsgremium wurde vorgeschlagen sicherzugehen dass die Ergebnisse nicht durch die unspezifische Ubertragung von Stress oder Erregung entstanden seien Es wurde ihm ausserdem empfohlen anderen Laboratorien Proben von synthetischem Scotophobin zuganglich zu machen Im Review von B Setlow wird spekuliert dass Ungar nach dieser Begutachtung erkannte dass das Verhalten der Tiere durch die fehlenden Kontrollen einen Effekt nur vorgegaukelt haben konnte 11 Die Reaktion von Ungar und seinen Mitarbeitern war es daraufhin sowohl ihre Ergebnisse zu spezifizieren als auch eine komplette Theorie chemisch kodierter Erinnerungen zu veroffentlichen Dies fuhrte zu einer Reihe von kritischen Kommentaren zur Isolierung und Synthese von Scotophobin 22 Besonders ist die Untersuchung 23 von Walter W Stewart 24 einem Biochemiker der National Institutes of Health zu erwahnen der im Detail zeigte dass die Forscher Ungar und Mitarbeiter nicht den Hauch einer Idee hatten was sie wirklich gefunden hatten 25 Stewart ging sogar so weit dass er eine hypothetische Substanz Pseudo Scotophobin vorschlug deren Eigenschaften besser zu den von Ungar prasentierten Daten passte als Scotophobin selber Dennoch setzte Ungar seine Arbeit fort und publizierte bis zu seinem Tod im Jahr 1978 einige Reviews zur Theorie des molekularen Substrats der Erinnerung 26 27 Die Ergebnisse der Begutachtung unter Roger W Russel wurden 1972 veroffentlicht 28 Rezeption in der Offentlichkeit BearbeitenDie vermeintlichen Ergebnisse mit Scotophobin hatten eine deutliche Wirkung in der Offentlichkeit In den spaten 1960ern und 1970ern gab es eine Reihe von Artikeln in zahlreichen Zeitungen und die Idee des Prinzips der molekularen Erinnerung uberlebt bis heute beispielsweise im Film Unforgettable von 1996 der Fernsehserie iZombie oder in popularwissenschaftlichen Werken 29 Heutige Beurteilung BearbeitenTrotz des einst intensiven Studiums des Peptids fand diese Forschungsrichtung etwa 15 Jahre nach den ersten Fachartikeln ein Ende Nach Meinung des Neurobiologen James L McGaugh wird dieses Kapitel der Hirnforschung auch heute noch mit einer gewissen Verlegenheit betrachtet So viele wissenschaftliche Karrieren seien durch diese Experimente zerstort worden dass innerhalb des Fachs immer noch eine Art Scham bezuglich der gesamten Ara herrsche The memory transfer experiments drew in so many researchers initially and subsequently destroyed enough careers that even today there seems to be a sense of collective embarrassment in the field about the whole era Die Gedachtnisubertragungsexperimente zogen ursprunglich so viele Forscher in ihren Bann und zerstorten anschliessend hinreichend viele Karrieren dass im Forschungsfeld selbst heute eine gewisse kollektive Verlegenheit zu der gesamten Ara herrscht James L McGaugh zitiert in B Setlow Georges Ungar and memory transfer 1997 11 Einzelnachweise Bearbeiten Stanley Finger Francois Boller Kenneth L Tyler History of Neurology Handbook of Clinical Neurology Series Editors Aminoff Boller and Swaab Elsevier 2009 ISBN 978 0 7020 3541 8 S 610 google com a b G Ungar L Galvan R H Clark Chemical transfer of learned fear In Nature Band 217 Nummer 5135 Marz 1968 S 1259 1261 PMID 5643106 P Mosley Memory Created in Test Tube Scientists at Baylor U Claim The Washington Post Times Herald 1959 1973 Washington D C 27 Dec 1970 a b c G Ungar D M Desiderio und W Parr Isolation identification and synthesis of a specific behaviour inducing brain peptide In Nature Band 238 Nummer 5361 Juli 1972 S 198 202 PMID 4558348 Beispielsweise durch die Max Planck Gesellschaft in Gottingen am MPI f biophysikalische Chemie Symposium on Memory and Transfer of Information Gottingen 24 26 Mai 1972 Howard Eichenbaum Memory In Scholarpedia englisch inkl Literaturangaben a b c Synthese und Geschichte in Jared T Hammill Syntheses of 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