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Der Schreibtisch des Ruhrgebiets ist eine fruher umgangssprachliche haufig verwendete Metapher 1 fur die Landeshauptstadt Dusseldorf als ehemaligen Verbands und Verwaltungssitz vieler Eisen und Stahl produzierender Betriebe des Ruhrgebiets Der Cluster von Verwaltungszentralen der Montanindustrie wie der Konzerne Mannesmann Thyssen und Krupp die sich Anfang des 20 Jahrhunderts im Stahlwerksverband zusammengeschlossen hatten war damit ebenso gemeint wie der Umstand dass die Stadt vor allem in der Grunderzeit zur Wiege des modernen industriellen Verbandswesens in Deutschland geworden war 2 3 4 Manchmal wird dieser Begriff mit der sauberen Verwaltungstatigkeit gegenuber der dreckigen Produktion konnotiert 5 In seinem Lied Bochum spielte Herbert Gronemeyer mit der Frage Wer wohnt schon in Dusseldorf auf diesen Aspekt an Oft soll mit dem Begriff allgemein die Bedeutung Dusseldorfs als Zentraler Ort unterstrichen werden Denn langst hat sich die Verwaltungstatigkeit in Dusseldorf auf die Lenkung international bedeutender Konzerne auf ein breites Feld unternehmensnaher Dienstleistungen und auf die in einem Regierungsviertel sichtbar werdenden Hauptstadtfunktionen fur das Land Nordrhein Westfalen ausgeweitet Noch heute ist Dusseldorf der Sitz der Wirtschaftsvereinigung Stahl Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte bis 1945 2 Geschichte ab 1945 3 Kulturhistorische Bedeutung 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseGeschichte bis 1945 Bearbeiten nbsp Der Stahlhof vor dem Ersten Weltkrieg eine Keimzelle der Entwicklung Dusseldorfs zum Schreibtisch des Ruhrgebiets nbsp Der fur eine Hohe von 500 Metern geplante Rheinturm von 1913 war Ausdruck der ehrgeizigen Ambitionen des Stahlwerksverbands vor dem Ersten Weltkrieg Uber dem Rhein vor Dusseldorf wollte er ein gigantisches Zeichen seines Konnens setzen 200 Meter hoher als der Eiffelturm Im fruhen 19 Jahrhundert profitierte Dusseldorf in erheblichen Umfang von zuziehenden Unternehmern besonders aus dem Bergischen Land und aus der Eifel Ihre Eisen produzierenden und Metall verarbeitenden Industrien konnten am Rhein grosseren Nutzen aus neuen wirtschaftlichen Moglichkeiten ziehen die sich insbesondere aus dem grenzuberschreitenden Handel und aus der Industrialisierung des Ruhrgebiets ergaben Dusseldorf verfugte als ehemalige Residenzstadt am Rhein uber zahlreiche weiche Standortfaktoren insbesondere uber eine vergleichsweise dichte Struktur kultureller Einrichtungen und ein die Stadtgesellschaft pragendes kunstlerisches Milieu in dem die Kunstakademie Dusseldorf sowie die international renommierten Maler der Dusseldorfer Schule den Ton angaben So bestanden gunstige Bedingungen fur berufliche Zusammenkunfte Tagungen und Handelsmessen Bereits 1852 konnte sich Dusseldorf durch die Provinzial Gewerbe Ausstellung fur Rheinland und Westphalen als fuhrender Messestandort des rheinisch westfalischen Industriegebiets etablieren Bei derartigen Veranstaltungen wurden neben Gutern auch Informationen gehandelt und soziale Kontakte gepflegt und es wurde Wert darauf gelegt dass sie ein reprasentativer kultureller Rahmen umgab Seit etwa 1853 tagte in Dusseldorf der Zollvereinslandische Eisenhutten und Bergwerksverein die erste schutzzollorientierte Organisation der deutschen Schwerindustrie 6 Seit 1861 firmierten in Dusseldorf der 1856 gegrundete Verein Deutscher Ingenieure und der 1860 gegrundete Verein Deutscher Eisenhuttenleute Als ein fruher Impuls fur die Ansiedlung politischer Interessenvertretungen der Wirtschaft darf auch der von William Thomas Mulvany 1871 initiierte Langnam Verein angesehen werden 7 1874 etablierte sich in Dusseldorf die Nordwestliche Gruppe des Vereins Deutscher Eisen und Stahlindustrieller Es folgten der Verband der Deutschen Maschinenfabriken der Verein Deutscher Eisengiessereien der Verein Deutscher Stahlformgiessereien die Vereinigung Deutscher Edelstahlwerke der Verein Deutscher Nietenfabrikanten und der Verein der Deutschen Dampfkessel und Apparateindustrie 8 1897 nahm das Rheinisch Westfalische Roheisensyndikat ein Absatzkartell rheinisch westfalischer Hutten das sich bald mit Syndikaten aus dem Siegerland und Lothringen Luxemburg vereinigte seine Arbeit in Dusseldorf auf Hinzu kam ab 1904 der Stahlwerksverband in dem die meisten Stahlproduzenten des Ruhrgebiets bald darauf auch ganz Deutschlands zusammengeschlossen waren Der Stahlwerksverband war ebenfalls ein komplexes fortgeschrittenes Absatzkartell vom Typ eines Syndikats also mit zentralisiertem gemeinsamem Verkauf Dieser erfolgte ab 1908 in den Raumen des heute noch bestehenden Stahlhofes Vor dem Ersten Weltkrieg waren etwa 80 Prozent der deutschen Stahlfertigerzeugnisse uber den Stahlwerksverband organisiert 9 Diese Jahrzehnte zwischen Reichsgrundung und Erstem Weltkrieg wird als das wesentliche Entwicklungsfenster fur den Ruf als Schreibtisch des Ruhrgebiets angesehen 10 In Veroffentlichungen des US amerikanischen Publizisten Frederic C Howe wurde Dusseldorfs damalige Stadtentwicklung als Ergebnis einer fortschrittlichen Stadtplanung hervorgehoben und die Stadt als City of Tomorrow bezeichnet Die Ansiedlung des Stahlwerksverbandes war vor allem dem Oberburgermeister Wilhelm Marx zu verdanken der in seiner Zeit nicht nur das kulturelle Leben der Stadt forderte Grundlagen der Luftfahrt in Dusseldorf legte und zur Grundung des Industrie Clubs Dusseldorf beitrug sondern sich auch im Verbund mit anderen im Rat der Stadt vertretenen Industriellen dafur einsetzte dem Stahlwerksverband unter bestimmten Bedingungen das Baugrundstuck fur den Bau des Stahlhofs kostenlos zur Verfugung zu stellen Privates Kapital und offentliche Hand investierten daruber hinaus in betrachtlichem Umfang in den reprasentativen Ausbau der Stadt Bau des Hafens in der Lausward 1886 1896 Bau der Oberkasseler Brucke einschliesslich K Bahn 1896 1898 Rheinufervorschiebung und Anlage der ersten Rheinuferpromenade 1899 1902 Ausrichtung der internationalen Industrie und Gewerbeausstellung Dusseldorf und Bau des Kunstpalasts 1902 Bau von Verwaltungspalasten Oberlandesgericht 1910 Koniglich Preussische Regierung 1907 1911 Zentralverwaltung des Provinzialverbandes der Rheinprovinz 1910 1911 alle Gebaude mit herrschaftlichen Amtssitzen ihrer Leiter Auch etliche Banken und Versicherungen siedelten sich am entstehenden Finanzplatz Dusseldorf an 11 12 1875 entstand mit der Borse Dusseldorf ein bedeutender Handelsplatz fur Wertpapiergeschafte der die zentralortliche Bedeutung des Finanzplatzes wesentlich steigerte Die staatliche Anerkennung der Borse im Jahr 1884 ging massgeblich auf das Wirken von Christian Gottfried Trinkaus zuruck 12 1935 verschmolz sie unter der Bezeichnung Rheinisch Westfalische Borse mit den Borsen von Essen und Koln womit sie eine herausragende Bedeutung fur das westdeutsche Wirtschaftsleben erlangte In den 1920er Jahren kamen weitere Industriekonzerne hinzu so 1921 Phoenix Rheinrohr und ab 1926 die Vereinigten Stahlwerke Im Dritten Reich blieb Dusseldorf die wichtigste Verkaufs und Organisationsdrehscheibe der kartellierten deutschen Stahlindustrie Die Reichsvereinigung Eisen ein Lenkungsverband der NS Wirtschaft seit 1942 betrieb vor Ort die grosste ihrer Aussenstellen 13 Geschichte ab 1945 BearbeitenNach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches konnte sich Dusseldorf aufgrund seiner materiellen und ideellen Infrastruktur eine fur die Wirtschaft des Ruhrgebiets und Rheinlands wichtige Rolle bewahren Von 1949 bis 1952 hatte die Internationale Ruhrbehorde dort ihren Sitz Die Clusterbildung hin zu einem bedeutenden Standort fur Unternehmen und unternehmensnahe Dienstleister wurde durch Kunst Gewerbe und Industrieausstellungen wie zum Beispiel die Industrie und Gewerbeausstellung Dusseldorf des Jahres 1902 sowie durch die Entwicklung eines Banken und Borsenplatzes bereits fruh gefordert 12 Neben der Entwicklung eines Messestandortes hat auch die zentrale verkehrliche Lage am Rhein mit einem bedeutenden Eisenbahnknoten und einem internationalen Verkehrsflughafen das Wachstum des Wirtschaftsstandortes begunstigt Dem Strukturwandel und der Globalisierung fielen inzwischen viele Firmen zum Opfer wie die drei erstgenannten Mannesmann wurde 2000 in einer Feindlichen Ubernahme von Vodafone ubernommen und dann abgewickelt Thyssen und Krupp fusionierten und haben jetzt ihre Zentrale in Essen aber andere weltweit operierende Firmen kamen zum Teil in ihrer Nachfolge hinzu wie E ON Vodafone D2 und E Plus Diese Verwaltungssitze haben aber nicht mehr oder nicht allein mit dem Ruhrgebiet zu tun Inwieweit die Funktion des Schreibtischs des Ruhrgebiets Einfluss auf die Wahl als Landeshauptstadt von Nordrhein Westfalen hatte ist Gegenstand der historischen Forschung 14 Unstrittig ist dass diese positive Reputation seit den fruhen 1950er Jahren zu Ansiedlungen der Japaner in Dusseldorf zur Entwicklung einer japanischen Infrastruktur und zur Etablierung der Landeshauptstadt als Kristallisationskern fur japanische Investitionen in Europa gefuhrt hat 15 Die erste Niederlassung war die der Firma Mitsubishi 16 Nach der Grundung des Landes Nordrhein Westfalen sah sich Dusseldorf ab 1952 als den Mittelpunkt der Stadtlandschaft Rhein Ruhr an 17 Auch innerhalb des Raumordnungskonzepts Metropolregion Rhein Ruhr und des Wirtschaftsforderungsverbands Metropolregion Rheinland liegt die Landeshauptstadt im Mittelpunkt und verfugt uber die hochste Zentralitat Kulturhistorische Bedeutung BearbeitenNicht nur Dusseldorf sondern auch andere Stadte mit zentralortlicher Bedeutung fur das Ruhrgebiet etwa Essen werden heutzutage mit dem Attribut Schreibtisch des Ruhrgebiets charakterisiert 18 19 Die Auffassung ist feststellbar dass die Funktion Schreibtisch des Ruhrgebiets mehr bedeutet haben konnte als eine blosse Zentralisierung von Verwaltungsfunktionen und zwar besonders oder prototypisch fur die Zeit der Kartelle und Syndikate im 19 und fruhen 20 Jh Der Kartelltheoretiker Holm Arno Leonhardt fuhrte 2013 aus dass im Umfeld der Syndikatszentralen fur Stahl und Kohle d h in Dusseldorf und Essen wichtige regionalwirtschaftliche Entscheidungen getroffen wurden die auf Sicht von Jahrzehnten den Aufstieg des Ruhrgebiets zu einer Region mit einer einzigartig dichten und durchdachten Infrastruktur ermoglichte 20 Aufgrund dessen pladiert er dafur die besondere regionalwirtschaftliche Organisationskunst der Syndikate als ein immaterielles Kulturgut aufzufassen und unter den Welterbeschutz der UNESCO zu stellen bevor sie ganz in Vergessenheit gerat Geeignete Erinnerungsorte seien Dusseldorf und Essen Literatur BearbeitenSchreibtisch des Ruhrgebietes In Die Zeit Ausg 23 50 8 Juni 1950 Reiner Burger Die Welt ist ein Dusseldorf auf faz net 9 Mai 2011 Susanne Hilger Soziales Kapital und regionale Wirtschaftsentwicklung Das Beispiel Dusseldorfs im 19 und fruhen 20 Jahrhundert In Gertrude Cepl Kaufmann Dominik Gross Georg Molich Hrsg Wissenschaftsgeschichte im Rheinland unter besonderer Berucksichtigung von Raumkonzepten kassel university press Kassel 2008 ISBN 978 3 89958 407 3 S 49 online Weblinks BearbeitenKurt Duwell Operation Marriage Die britische Geburtshilfe bei der Grundung Nordrhein Westfalens PDF 91 kB Redemanuskript Dusseldorf 2006 W O Reichelt Schreibtisch des Ruhrgebiets In Die Zeit 8 Juni 1950 abgerufen im Portal zeit de am 30 September 2012 Einzelnachweise Bearbeiten Dietrich Henckel Entwicklungschancen deutscher Stadte die Folgen der Vereinigung Schriften des Deutschen Instituts fur Urbanistik Band 86 Verlag W Kohlhammer 1993 ISBN 3 17 012682 2 S 388 Helmut Uebbing Stahl schreibt Geschichte 125 Jahre Wirtschaftsvereinigung Stahl Dusseldorf 1999 S 5 Josef Windschuh Der Verein mit dem langen Namen Geschichte eines Wirtschaftsverbandes Berlin 1932 Jens Kirsch Geographie des deutschen Verbandswesens Mobilitat und Immobilitat der Interessenverbande mit dem Regierungsumzug Dissertation an der Humboldt Universitat Berlin 2003 LIT Verlag Munster 2003 ISBN 3 8258 7029 4 S 117 online Gerhard Bosch Der Arbeitsmarkt im Ruhrgebiet 40 Jahre Talfahrt mit Chancen zum Neubeginn PDF 267 kB Veroffentlichung des Instituts Arbeit und Technik im Portal iat eu abgerufen am 3 Oktober 2012 Manfred Erdmann Die verfassungspolitische Funktion der Wirtschaft in Deutschland 1815 1871 In Sozialwissenschaftliche Abhandlungen Heft 12 Duncker amp Humblot Berlin 1968 S 213 online Reinhard Mehring Carl Schmitt Aufstieg und Fall Verlag C H Beck 2009 ISBN 978 3 406 59224 9 S 37 Susanne Hilger Soziales Kapital und regionale Wirtschaftsentwicklung Das Beispiel Dusseldorf im 19 und fruhen 20 Jahrhundert In Gertrude Cepl Kaufmann Dominik Gross Georg Molich Hrsg Wissenschaftsgeschichte im Rheinland unter besonderer Berucksichtigung von Raumkonzepten kassel university press Kassel 2008 ISBN 978 3 89958 407 3 S 57 Irmgard Steinisch Arbeitszeitverkurzung und sozialer Wandel Der Kampf um den Achtstundentag in der deutschen und amerikanischen Eisen und Stahlindustrie 1986 ISBN 3 11 010483 0 S 39 Friedrich Wilhelm Henning Dusseldorf und seine Wirtschaft zur Geschichte einer Region Band 1 Verlag Droste 1981 ISBN 3 7700 0595 3 S 389ff Michaela Paal Stadtzukunfte in Deutschland Strategien zwischen Boom und Krise Forschungsbeitrage zur Stadt und Regionalgeographie Band 4 LIT Verlag Munster 2010 ISBN 978 3 643 10236 2 S 40 a b c Axel Rosch Die Entstehung und Entwicklung des Bankenplatzes Dusseldorf Von Beginn der Industrialisierung bis zur Entindustrialisierung 1850 1961 Dr Kovac Hamburg Liselotte Eckelberg Die Bedeutung der Reichsvereinigungen im Rahmen der Wirtschaftslenkung fur die gewerbliche Wirtschaft Diss Univ Hamburg 1944 S 47 Siehe hierzu etwa Kurt Duwell Operation Marriage Britische Geburtshilfe bei der Grundung Nordrhein Westfalens Memento vom 6 Dezember 2012 im Internet Archive PDF 91 kB Redemanuskript Dusseldorf 2006 S 2 ff abgerufen am 28 August 2012 Volker Guttgemanns Japanische Direktinvestitionen in Deutschland und ihre regionalwirtschaftlichen Wirkungen am Beispiel der Stadt Dusseldorf Bachelorarbeit an der Rheinisch Westfalischen Technischen Hochschule Aachen Aachen 2008 Diplomica Verlag Hamburg 2008 ISBN 978 3 8366 1909 7 S 29 online Japanisches Generalkonsulat Dusseldorf Abbildung 13 in Werner Durth Dusseldorf Demonstration der Modernitat In Klaus von Beyme Neue Stadte aus Ruinen Deutscher Stadtebau der Nachkriegszeit Prestel Verlag Munchen 1992 ISBN 3 7913 1164 6 S 243 Eckhard Bergmann Karl Werner Schulte Immobilienokonomie Band 3 Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2005 ISBN 3 486 24447 7 S 354 Frank Gesemann Roland Roth Lokale Integrationspolitik in der Einwanderungsgesellschaft VS Verlag 2009 ISBN 978 3 531 15427 5 S 383 Holm Arno Leonhardt Regionalwirtschaftliche Organisationskunst Vorschlag zur Erganzung des NRW Antrags zum UNESCO Welterbe In Forum Geschichtskultur Ruhr 2013 2013 S 41 42 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schreibtisch des Ruhrgebiets amp oldid 237163415