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Unter Kartelltheorie versteht man ublicherweise die Lehre von den Wirtschaftskartellen Da der Begriff Kartell aber nicht auf den Bereich der Wirtschaft begrenzt sein muss sind grundsatzlich auch Theorien uber nichtwirtschaftliche Kartelle denkbar Solche bestehen bereits in Gestalt der Staatenkartelltheorie und der Lehre von den Parteienkartellen Fur die vormodernen Kartelle die als Regelwerke fur Turniere Duelle und hofische Wettkampfspiele oder in Gestalt zwischenstaatlicher Fairnessabkommen bestanden gab es keine wissenschaftliche Theorie Eine solche entwickelte sich seit den 1880er Jahren fur den Anwendungsbereich der Wirtschaft getrieben von der Notwendigkeit die massenhaft aufgekommenen Unternehmenskartelle verstehen und einordnen zu konnen Bei der wirtschaftlichen Kartelllehre kann man zwischen einer klassischen und einer modernen Phase unterscheiden wobei die Durchsetzung eines allgemeinen Kartellverbots in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Amerikaner die Zasur zwischen beiden setzt Inhaltsverzeichnis 1 Klassische Kartelltheorie 2 Theorievarianten im Ausland 3 Moderne Kartelltheorie 4 Unterschiede zwischen beiden Kartelltheorien 5 Kartell Systemtheorie allgemeine Kartelltheorie 6 Literatur 7 EinzelnachweiseKlassische Kartelltheorie Bearbeiten nbsp Gustav von Schmoller 1838 1917 nbsp Robert Liefmann 1874 1941 Die klassische Kartelllehre geht auf das Jahr 1883 zuruck als der osterreichisch ungarische Professor der Nationalokonomie Friedrich Kleinwachter eine Reihe von Fallstudien zum Entwurf einer Fachtheorie verdichtete 1 Die Kartelllehre die auf dem markanten Grundbegriff Kartell fusste blieb uber Jahrzehnte hinweg das Ergebnis vor allem der mitteleuropaischen deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaft Jene Theorie war den Unternehmenskartellen wohlgesinnt und insofern konstruktiv institutionalistisch oder organisationssoziologisch wirtschaftswissenschaftlich angelegt 2 Ihren Ursprung hatte sie in der historischen Schule der Volkswirtschaftslehre Die klassische Kartelllehre selbst durchlief drei Stadien ein fruhes in Teilen naives in welchem die historische Schule stark dominierte Gustav von Schmoller Karl Bucher Lujo Brentano ein mittleres das durch die Einbringung von mehr Wirtschaftstheorie gepragt war vor allem Robert Liefmann und ein spates das vom Eintritt in das organisierte Wirtschaften des Dritten Reiches im Anschluss an die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 beeinflusst war vgl z B Heinz Mullensiefen Theorievarianten im Ausland Bearbeiten nbsp Jeremiah Jenks 1856 1929 nbsp Francis Laur 1844 1934 Im Ausland gab es mehr oder weniger ahnliche Theorien zur wirtschaftlichen Organisationsbildung Diese Varianten bestanden bis in die 1920er Jahre hinein in Italien bis nach 1945 Sie firmierten aber unter anderslautenden Grundbegriffen wie syndicat accaparement sindacati combination oder auch trust In Frankreich waren Francis Laur und Paul de Rousiers in Italien Francesco Vito in den USA Jeremiah Jenks und in Grossbritannien Henry W Macrosty wie auch David H MacGregor massgebliche Autoren Moderne Kartelltheorie BearbeitenDie sich an die klassische Kartelltheorie anschliessende moderne Kartelltheorie ist im Wesentlichen amerikanischen Ursprungs George J Stigler in den 1940er Jahren Sie lehnt Kartelle mehr oder weniger grundsatzlich ab und interessiert sich deshalb kaum noch fur die innere Organisation der nunmehr zu bekampfenden und deshalb schwach institutionalisierten realen Kartelle Die moderne Kartelltheorie ist in der Folge stark wirtschaftstheoretisch und wirtschaftspolitisch orientiert Die organisationssoziologischen Anteile der klassischen Kartelllehre finden in der modernen Kartelltheorie keine Fortsetzung Unterschiede zwischen beiden Kartelltheorien BearbeitenDie moderne Kartelltheorie weist viel engagierter als die klassische auf die schadlichen Folgen eines Mangels an Konkurrenz hin der zu Uberteuerung zu Fehlallokationen von Kapital und zur Verlangsamung des technischen Fortschritts in der Wirtschaft fuhrt Sie hat in diesem Zusammenhang das Paradigma eines Marktversagens mit entwickelt das es durch eine geeignete Wettbewerbspolitik zu vermeiden gilt Andererseits werden die Nachteile ungezugelter Konkurrenz wie unnotige Transporte von Massengutern unnotige Werbung fur reife Guter Markenabsatzstrategien eher in der klassischen Kartelltheorie hervorgehoben Beide Schulen der Kartelllehre die klassische und die moderne entsprechen somit konfligierenden sich gegenseitig ausschliessenden wirtschaftspolitischen Konzeptionen die beide das grundlegende Problem des unternehmerischen Wettbewerbs nicht ideal haben losen konnen Terminologisch hat die klassische Kartelllehre sozialwissenschaftlich gehaltvolle Kartellbegriffe und typologien hervorgebracht die auf reale institutionelle Kriterien abstellten Die moderne Kartelltheorie hingegen ist wesentlich normativ ausgerichtet Ihre besonderen Begrifflichkeiten hangen vom jeweiligen Wettbewerbsgesetz dessen Fassung von Kartellverbot und Kartellausnahmen ab in Deutschland vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschrankungen 3 Kartell Systemtheorie allgemeine Kartelltheorie BearbeitenNach einer neueren Analyse von H Leonhardt lasst sich die klassische Kartelltheorie nach einer dekonstruierenden Bereinigung als eine interdisziplinare sozialwissenschaftliche Systemtheorie begreifen 4 Abstrahiert von den konkreten Umstanden der jeweiligen Konkurrenz und Konkurrenzregulierung liegt damit eine ubergreifende Theorie des sozialen Systems Kartell vor Leonhardt definiert dieses uber neun Grundaussagen zu den Gegenstanden Arena Akteure Interaktionen Strukturen Funktionen Gleichgewichtsbedingung Triebkraft Entwicklungspfad und System Umwelt Gruppen von unabhangigen gleichartigen Akteuren sind auf bestimmten Arenen Aktionsfeldern unterwegs Ihr Egoismus fuhrt zu Konkurrenz und Konflikt Diese werden als storend oder bedrohlich empfunden und fuhren zu Absprachen uber Fairnessregeln und Interessenausgleich u a in Joint Ventures Die beschlossenen Normen Vereinbarungen und Projekte mussen durchgesetzt und uberwacht werden was akteursubergreifende Organisationen entstehen lasst Kartelle Die Gleichgewichtsbedingung des Systems ist die Win Win Konstellation alle Mitglieder eines Zusammenschlusses wollen von diesem auch profitieren Die Triebkraft welche zur Kartellbildung fuhrt und die Verbande auf einem Entwicklungspfad zu hoheren Organisationsformen sukzessive verdichtet ist die Rationalisierung Letztere ist erst erschopft wenn eine arenaubergreifende Gesamt Organisation entstanden und voll ausgebaut ist etwa ein Trustunternehmen oder ein Weltstaat In der Wirtschaft wird diese Tendenz durch die Wettbewerbspolitik des Staates permanent unterbunden In den internationalen Beziehungen gibt es eine solche Instanz nicht so dass die Weltstaatsperspektive in Kraft bleibt Literatur BearbeitenFriedrich Kleinwacher Die Kartelle Ein Beitrag zur Frage der Organisation der Volkswirtschaft Innsbruck 1883 Pohle Ludwig Die Kartelle der gewerblichen Unternehmer Eine Studie uber die grossindustriellen Organisationsformen der Gegenwart Leipzig 1898 Robert Liefmann Kartelle Konzerne und Trusts diverse Aufl 1920er Jahre Oskar Klug Das Wesen der Kartell Konzern und Trustbewegung Jena 1930 Arnold Wolfers Das Kartellproblem im Licht der deutschen Kartellliteratur Munchen 1931 Robert Liefmann Cartels Concerns and Trusts Ontario 2001 London 1932 Heinz Mullensiefen Freiheit und Bindung in der geordneten Wirtschaft Kartellgesetzgebung und Marktordnung in der gewerblichen Wirtschaft Hamburg 1939 George J Stigler The extent and bases of monopoly In The American economic review Bd 32 1942 S 1 22 Harald Enke Kartelltheorie Tubingen 1972 Wyatt C Wells Antitrust and the Formation of the Postwar World New York 2002 Tony A Freyer Antitrust and global capitalism 1930 2004 New York 2006 Holm A Leonhardt Kartelltheorie und Internationale Beziehungen Theoriegeschichtliche Studien Hildesheim 2013 Holm A Leonhardt Die Entwicklung der Kartelltheorie zwischen 1883 und den 1930er Jahren Von internationaler Vielfalt zu Konvergenz Hildesheim 2016 Online Ressource Holm A Leonhardt The Development of Cartel Theory between 1883 and the 1930s from International Diversity to Convergence Hildesheim 2018 Online RessourceEinzelnachweise Bearbeiten Friedrich Kleinwacher Die Kartelle Ein Beitrag zur Frage der Organisation der Volkswirtschaft Innsbruck 1883 Ein guter Uberblick in Arnold Wolfers Das Kartellproblem im Licht der deutschen Kartellliteratur Munchen 1931 Holm A Leonhardt Kartelltheorie und Internationale Beziehungen Theoriegeschichtliche Studien Hildesheim 2013 S 340 348 Leonhardt Kartelltheorie S 192 197 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kartelltheorie amp oldid 235768407