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Die Schienenfreie Innenstadt war ein Stadtentwicklungs und Verkehrskonzept der 1980er Jahre in Frankfurt am Main Es sah nach Vollendung des innerstadtischen Schnellbahnnetzes die Stilllegung aller Strassenbahnstrecken in den Innenstadtbezirken und die Nutzung der freiwerdenden Gleisflachen zur Aufwertung offentlicher Raume vor Die Planung entstand zu Beginn der 1980er Jahre und scheiterte spektakular beim Versuch ihrer Vollendung im Herbst 1986 am Widerstand der Offentlichkeit und der Genehmigungsbehorden Der damalige Konflikt erregte bundesweites Interesse und gehort zu den heftigsten verkehrspolitischen Konflikten der deutschen Nachkriegsgeschichte Der Eingang zum 1986 eroffneten U Bahnhof Bockenheimer Warte symbolisiert das Konzept der schienenfreien Innenstadt Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 1 1 Stadt und Verkehrsplanung im Frankfurt der 1970er Jahre 1 2 Der Regierungswechsel 1977 2 Das Konzept der Schienenfreien Innenstadt 3 Der Herbst 1986 3 1 Die Details der Schienenfreien Innenstadt 3 2 Widerstand in der Bevolkerung 3 3 Der Regierungsprasident verweigert die Genehmigung 3 4 Die Eskalation 3 5 Die spate Einigung 4 Folgen 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenStadt und Verkehrsplanung im Frankfurt der 1970er Jahre Bearbeiten Frankfurt am Main litt Mitte der 1970er Jahre bundesweit unter einem denkbar schlechten Ruf Die Stadt galt als hasslich unregierbar 1 und unbewohnbar 2 Der Wiederaufbau des kriegszerstorten historischen Stadtkerns wurde in modernen Formen umgesetzt gefolgt von autogerechter Stadtplanung und Bauspekulation 3 die schliesslich auf den Widerstand der Bevolkerung Frankfurter Hauserkampf stiess Die Verkehrspolitik der Stadt orientierte sich einseitig an den Bedurfnissen des Strassenverkehrs neben dem Bau zahlreicher Stadtautobahnen sollte die Herausnahme der Strassenbahn aus bestehenden Hauptstrassen dazu beitragen den Kraftfahrzeugverkehr zu beschleunigen Die kunftigen Netze von U Bahn und S Bahn deren offene Baugruben zu dieser Zeit Stadtbild und Verkehr zusatzlich belasteten sollten die Strassenbahn mittelfristig vollig ersetzen Nach der aus den fruhen 1960er Jahren stammenden Planung sollte bereits die erste Ausbaustufe die Innenstadt vom schienengebundenen Oberflachenverkehr d h der Strassenbahn befreien 4 Der Regierungswechsel 1977 Bearbeiten Die Unzufriedenheit mit der stadtischen Planungspolitik fuhrte bei den Kommunalwahlen 1977 zu einem Regierungswechsel Die seit Kriegsende regierende SPD unter Oberburgermeister Rudi Arndt verlor nicht nur ihre absolute Mehrheit die oppositionelle CDU konnte jedoch eine solche gewinnen Ihr Kandidat Walter Wallmann wurde neuer Oberburgermeister Wallmann legte wahrend seiner Amtszeit einen Schwerpunkt auf die Wiedergewinnung einer grossstadtischen attraktiven Innenstadt Projekte wie die Schaffung des Museumsufers der Wiederaufbau der Alten Oper oder der historischen Ostzeile des Romerbergs sollten die Stadt sowohl mit ihrer Geschichte versohnen als auch der neugewonnenen Rolle als europaische Metropole einen stadtebaulichen Ausdruck verleihen Das Konzept der Schienenfreien Innenstadt BearbeitenIn der Verkehrspolitik ubernahm Wallmann dagegen ohne Anderung die Planungen seiner Vorganger Der Schnellbahnbau in der Innenstadt naherte sich seinem vorubergehenden Abschluss Die beiden ersten U Bahn Strecken waren 1968 und 1974 eroffnet worden 1978 folgte der Innenstadttunnel der S Bahn Mit der Inbetriebnahme der dritten und letzten U Bahn Strecke sollte die Abschaffung der zahlreichen durch die Innenstadt verlaufenden Strassenbahnstrecken verbunden werden Im Gegensatz zu den rein technokratisch planenden Vorgangerregierungen verband Wallmanns Magistrat die Herausnahme der Strassenbahn mit popularen stadtgestalterischen Zielen die Schienenfreie Innenstadt so der Titel des Konzepts fur das bald in Broschuren geworben wurde sollte zum attraktiven Erlebnisraum fur Bewohner und Besucher Frankfurts werden Die freiwerdenden Gleisflachen sollten nicht etwa dem Autoverkehr zugutekommen sondern zur Aufwertung der Strassen und Platzraume genutzt werden Der Herbst 1986 BearbeitenDie Details der Schienenfreien Innenstadt Bearbeiten nbsp Die tunnelgangigen P Triebwagen sollten die Abwicklung des Trambetriebes ubernehmenMit der fur den 29 September 1986 geplanten Eroffnung der Ost West Achse der U Bahn C Strecke Linien U6 und U7 sollten alle Strassenbahnstrecken in der Innenstadt der Altstadt dem Bahnhofsviertel und dem Westend stillgelegt werden Lediglich eine Stichstrecke zur Konstablerwache sollte als Zubringer fur S Bahn und U Bahn vorubergehend erhalten bleiben Alle anderen Strassenbahnstrecken in der Innenstadt sollten stillgelegt werden Die Strecke von der Bockenheimer Warte uber den Opernplatz zur Hauptwache die alteste Strassenbahnstrecke der Stadt 1872 eroffnet genau diesen Weg nahm nun die neue U Bahn die Strecke durch die Mendelssohn und Wilhelm Hauff Strasse im Westend hier sollte kunftig ein Bus verkehren die Strecke entlang der Mainzer Landstrasse und der Taunusanlage von der Ludwigstrasse uber den Platz der Republik bis zum Opernplatz ersatzlos die Zeil Ersatzstrecke von der Hauptwache uber die Schillerstrasse das Eschenheimer Tor die Stiftstrasse die Stephanstrasse und die Vilbeler Strasse zum Friedberger Tor ersatzlos der Knoten rund um den Goetheplatz die Biebergasse und die kurze Stichstrecke am Rossmarkt ersatzlos die Altstadtstrecke vom Hauptbahnhof durch das Bahnhofsviertel Munchener Strasse und die Bethmann und Braubachstrasse bis zum Allerheiligentor ebenfalls ersatzlos sowie die Strecke vom Rossmarkt uber Kaiserplatz Theaterplatz Untermainbrucke und Schweizer Strasse bis zur Gartenstrasse diese Relation bediente die 1984 vom Theaterplatz zum Sudbahnhof verlangerte A Strecke Bei der Planung wurde ein Gebiet im Radius von 600 Metern um einen Schnellbahnhof als ausreichend erschlossen angesehen deshalb war fur die stillzulegenden Tramstrecken im Stadtzentrum kein Ersatz vorgesehen Die sechs Schnellbahnstationen innerhalb der Wallanlagen wurden als ausreichend erachtet Den Strassenbahnen sollte auch im ubrigen Stadtgebiet wie den Stadtbussen nur noch eine Zubringerfunktion zum nachsten U Bahnhof zukommen Die Tramlinien im Osten und Westen der Stadt sollten nur noch uber das sudlich des Mains liegende Sachsenhausen also uber zwei Mainbrucken miteinander verbunden sein Die Bockenheimer Landstrasse der Goethe und Rathenauplatz der Rossmarkt die Braubachstrasse der Theaterplatz und die Munchener Strasse sollten anschliessend zu grosszugigen boulevardartigen Erlebnisraumen umgestaltet werden Diese positiven Aspekte des Konzepts wurden im Vorfeld der geplanten Umstellung besonders in den Vordergrund gestellt Auch auf die neue U Bahn Strecke sollte Vorfreude geweckt werden neben mehreren von Stadt und Frankfurter Verkehrsverbund FVV herausgegebenen Informationsbroschuren sollte diesen Zweck vor allem eine Reihe grosser Feierlichkeiten erfullen die fur den Eroffnungstag der U Bahn vorbereitet wurde Widerstand in der Bevolkerung Bearbeiten Gegen diese Plane formierte sich das Bundnis Rettet die Strassenbahn Dieses Bundnis setzte sich aus Nahverkehrsfreunden Gewerkschaftern Seniorenbeiraten kirchlichen Institutionen der SPD und den Grunen zusammen und bildete das erste organisierte Burgerbegehren zur Bewahrung von Strassenbahnstrecken Innerhalb eines Jahres unterschrieben fast 60 000 Menschen fur den Erhalt der Strassenbahnstrecken Zeitungen Horfunk und Fernsehen widmeten sich dem Konflikt Keine der zahlreichen fruheren Streckenstilllegungen hatte eine solche Aufmerksamkeit erregt Sogar der anerkannte Ex Zoodirektor Professor Bernhard Grzimek ergriff offentlich Partei fur die Strassenbahn und bewertete das Konzept der Schienenfreien Innenstadt als burgerfeindlich ebenso fand der spatere DGB Landesvorsitzende Dieter Hooge eine solche Innenstadt unsozial und unattraktiv Kommunalpolitisch bemerkenswert war dass die SPD sich nun gegen die von ihr 20 Jahre zuvor selbst entwickelte Planung stellte die nunmehr nur noch von der seinerzeit unbeteiligten CDU vertreten wurde dies jedoch ohne Rucksicht auf den erkennbaren Willen der Bevolkerung Der Regierungsprasident verweigert die Genehmigung Bearbeiten Der fur die Genehmigung der Stilllegungen zustandige Regierungsprasident Hartmut Wierscher SPD teilte schliesslich Ende August 1986 mit er werde der Stilllegung nicht zustimmen Aufgrund des Drucks der Bevolkerung stunde eine Stilllegung mit dem offentlichen Verkehrsinteresse nicht im Einklang Zumindest die Linien 14 Gallusviertel Monchhofstrasse Fechenheim 15 Stadion Bornheim Inheidener Strasse und 18 Enkheim Hausen mussten auf der Altstadtstrecke erhalten bleiben Der erst am 14 August ins Amt gewahlte neue Oberburgermeister Wolfram Bruck kritisierte die Entscheidung des Regierungsprasidiums daraufhin als parteipolitisch motiviert sachlich unrichtig und rechtlich unhaltbar und hielt weiterhin an seinen Stilllegungsplanen fest Spatestens jetzt eskalierte der Konflikt und gelangte bundesweit in die Schlagzeilen Der fur die Fahrplangestaltung zustandige FVV stellte zur gleichen Zeit seinen neuen Winterfahrplan vor der die stillzulegenden Strassenbahnlinien bereits nicht mehr enthielt und liess ihn umgehend drucken Er beinhaltete entgegen den Vorgaben des Regierungsprasidiums eine neue Linienfuhrung der Linie 11 verkurzt auf die Strecke Zoo Fechenheim und der Linie 14 uber Sachsenhausen Auf die erneute Forderung des Regierungsprasidiums nach Erhaltung der Altstadtstrecke drohte Bruck mit dem Ausstieg Frankfurts aus dem FVV Der damalige SPD Vorsitzende von Frankfurt der spatere Planungsdezernent Martin Wentz kommentierte dies mit den Worten Bruck macht Frankfurt bundesweit lacherlich Die Eskalation Bearbeiten Zwei Tage vor der geplanten Eroffnung der neuen U Bahn Strecke erreichte der Streit seinen Hohepunkt Oberburgermeister Bruck verschob die Eroffnung der U Bahn auf unbestimmte Zeit und verbot das grosse Eroffnungsfest in der Leipziger Strasse sowie weitere Eroffnungsfeiern in der Schillerstrasse und am Zoo Obwohl sich viele Geschaftsleute auf die Feiern vorbereitet hatten und in nicht unerheblichem Masse investiert hatten drohte Bruck mit ernsthaften Konsequenzen wenn irgendjemand an diesem Tag feiern wurde Dies liess er sogar polizeilich uberwachen Teuer engagierte Bands und Kunstler verliessen aufgrund der abgesagten Feierlichkeiten unverrichteter Dinge die Stadt Wiederum machte der Streit bundesweit Schlagzeilen Der Sommerfahrplan galt mit einigen Anderungen weiter worauf die Fahrgaste mit roten Schildern an den Haltestellen hingewiesen wurden Die Strassenbahnen fuhren also zunachst weiter durch die Innenstadt der fertige U Bahn Tunnel blieb einstweilen unbenutzt Im Bereich der Bockenheimer Warte kam es aber zu der besonderen Situation dass die Gleise der Strassenbahnlinie 16 teilweise bereits entfernt worden waren so dass die Zuge dieser Linie eine andere Strecke zwischen Bockenheimer Warte und der Festhalle befahren mussten Die spate Einigung Bearbeiten Erst Anfang Oktober signalisierte die CDU die Bereitschaft die Altstadtstrecke mit der Linie 11 zu erhalten Im Gegenzug verzichtete Regierungsprasident Wierscher auf die Beibehaltung von drei weiteren Linien Der FVV gestaltete die Linienfuhrung der Linie 11 absichtlich unattraktiv mit einer Endhaltestelle an der Sudseite des Hauptbahnhofes sowie einem Umweg uber die Zoo Schleife um als Zubringer zur U6 U7 zu dienen Die Linie 14 fahrt seitdem uber Sachsenhausen Mit drei Wochen Verspatung wurde die neue U Bahn am 12 Oktober 1986 doch noch eroffnet jedoch ohne Feier Eine Auflage der Stadt war dass uber die Altstadtstrecke nur die Linie 11 fahren durfte Bei Umleitungen und selbst fur Ein und Ausschiebeverkehr musste eine andere Strecke gewahlt werden Den bereits gedruckten Winterfahrplanen wurde ein Beiblatt mit den neuen Linienwegen beigelegt Alle anderen Strassenbahnstrecken wurden wie geplant stillgelegt die Strassenbahn Linie 12 befuhr nun die Stichstrecke zur Konstablerwache da der alte Streckenverlauf uber die Vilbeler Strasse Stephanstrasse und Schillerstrasse gekappt wurde Sie endete nun in der Grossen Friedberger Strasse wofur ein seit 1978 stillgelegter Streckenabschnitt reaktiviert wurde In der Folgezeit bemuhte sich der FVV weiterhin die Linie 11 stillzulegen Jedoch nutzten trotz der abgelegenen Endhaltestelle und des zeitraubenden Umweges uber den Zoo taglich zwischen 5000 und 10 000 Personen die Linie Folgen BearbeitenDie auf der Altstadtstrecke verbliebene Linie 11 erwies sich als langlebiger als ursprunglich geplant Drei Jahre nach dem Eklat um die Schienenfreie Innenstadt standen wieder Kommunalwahlen an die Bruck und seine Partei mit einem Stimmenverlust von 13 verloren Auf die CDU Alleinregierung folgte eine rot grune Koalition unter Volker Hauff die einen Richtungswechsel in der stadtischen Verkehrspolitik zu einem zentralen Anliegen ihrer Politik machte Bald war statt von einer schienen von einer autofreien Innenstadt die Rede was jedoch ebenfalls aufgrund vorhersehbarer Proteste nicht realisiert wurde Die bislang unattraktive Linie 11 wurde unter Verzicht auf die Zooschleife zu einer Ost West Durchmesserlinie Fechenheim Hochst aufgewertet der nun langsten Strassenbahnlinie der Stadt Seit 1999 verkehrt die Linie 12 uber eine noch langere Strecke und benutzt auf ihrem Weg ebenfalls die Altstadtstrecke deren Bestand heute nicht mehr in Frage gestellt wird Die Systemfrage U Bahn oder Strassenbahn ist in der kommunalpolitischen Debatte bis heute sehr umstritten wobei vor allem die 1986 direkt beteiligten Fraktionen von CDU und Grunen gegensatzliche aber gleichermassen dogmatische Positionen vertreten Wahrend die Christdemokraten dem mittlerweile wieder verfolgten Neubau von Strassenbahnstrecken teilweise nur widerwillig folgen machten die Grunen 2006 die Verhinderung einer U Bahn Strecke zum Wahlkampfthema und setzten dies im schwarz grunen Koalitionsvertrag trotz bereits weit gediehener Planungen durch Literatur BearbeitenStephan Kyrieleis Schienenfreie Innenstadt Seit 10 Jahren verschwindet die Tram aus der City In Klarwerk Umweltzeitung fur Rhein Main Nr 23 1996 S 4 Wolfgang Schubert Die Strassenbahn Mehrfach totgesagt und immer noch sehr lebendig In Frankfurter Rundschau Frankfurt am Main 18 September 1999 Hermann Grub Petra Lejeune Stadtraume im Wandel Eine Ausstellung der Bundesrepublik Deutschland 9 Stadte zeigen ihre Raum Konzepte Berlin Frankfurt Hamburg Hameln Karlsruhe Koln Munchen Nurnberg Stuttgart Hrsg Bundesministerium fur Raumordnung Bauwesen und Stadtebau C F Muller Verlag Karlsruhe 1986 ISBN 978 3 7880 7245 2 Weblinks BearbeitenStephan Kyrieleis Christian Appelt Schienenfrei Schiene frei In Webseite von Vimeo SK Media 1989 abgerufen am 25 November 2018 Einzelnachweise Bearbeiten Die unregierbare Stadt war ein in den 1970er Jahren haufig auf Frankfurt bezogenes Attribut vgl etwa CDU Frankfurt FrankfurtMagazin 3 2005 PDF 1 2 MB Seite 17 oder Gunter Mick Des Reiches Gute Stube 1 2 Vorlage Toter Link antikefan party lu Seite nicht mehr abrufbar festgestellt im Mai 2019 Suche in Webarchiven vgl etwa Alexander Mitscherlich Die Unwirtlichkeit unserer Stadte 1965 vgl etwa Stefan Bohm Ott Skyline Die Frankfurter Hochhauser in ihrem Bedeutungs und Bewertungswandel Memento vom 27 Marz 2016 im Internet Archive 2001 aufbau ffm de Stadtbahnbauamt Memento vom 6 September 2013 im Internet Archive Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Schienenfreie Innenstadt amp oldid 236658087