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Als Pluralismus bezeichnet man in der Philosophie Positionen die eine Vielzahl grundlegender und irreduzibler Ebenen oder Erkenntnisformen in der Welt annehmen Pluralismen unterscheiden sich damit zum einen von monistischen Theorien wie etwa dem Physikalismus der die Ebene des physischen Geschehens fur die einzig grundlegende halt Pluralistische Theorien unterscheiden sich jedoch auch vom Dualismus der von zwei grundlegenden Ebenen ausgeht dem Physischen und dem Mentalen Pluralistische Theorien variieren oft sehr stark in ihren metaphysischen und ontologischen Hintergrundannahmen Wahrend ontologische Pluralismen eine Vielzahl von grundlegenden Entitaten in der Welt postulieren lehnen relativistische Pluralismen die Idee einer Ontologie ab und behaupten eine Vielzahl von Beschreibungssystemen oder Sprachspielen Pluralismus kann daher in der Philosophie nicht als eine einheitliche Position wahrgenommen werden Inhaltsverzeichnis 1 Logischer Pluralismus 2 Ontologischer Pluralismus 3 Relativistischer Pluralismus 4 Pragmatischer Pluralismus 5 Pluralismus als allgemeine Haltung 6 Siehe auch 7 Einzelnachweise 8 WeblinksLogischer Pluralismus BearbeitenImmanuel Kant ausserte sich zum Pluralismus Der logische Egoist halt es fur unnotig sein Urteil auch am Verstande Anderer zu prufen gleich als ob er dieses Probiersteins criterium veritatis externum gar nicht bedurfe 1 Dem Egoismus kann nur der Pluralismus entgegengesetzt werden das ist die Denkungsart sich nicht als die ganze Welt in seinem Selbst befassend sondern als blossen Weltburger zu betrachten und zu verhalten 2 Wenn man seine Einsichten mit denjenigen anderer vergleicht und aus dem Verhaltnis der Ubereinstimmung mit anderer Vernunft die Wahrheit entscheidet ist das der logische Pluralismus 3 Kant bezeichnet einen einseitigen Gelehrten als Zyklopen Er ist ein Egoist der Wissenschaft und es ist ihm noch ein Auge notig welches macht dass er seinen Gegenstand noch aus dem Gesichtspunkte anderer Menschen ansieht 4 Ontologischer Pluralismus BearbeitenOntologische Pluralismen zeichnen sich durch die Annahme einer Vielzahl von grundlegenden Entitaten aus Sie erklaren dass es nicht nur grundlegende physische Objekte Eigenschaften und Ereignisse gebe Vielmehr existierten in der Welt zahlreiche nichtphysische Entitaten etwa Bewusstsein Zahlen Bedeutungen moralische oder asthetische Eigenschaften Eine moderne Form des ontologischen Pluralismus findet sich etwa bei dem Wissenschaftstheoretiker John Dupre 5 Vergleichbar sind auch Theorien der starken Emergenz Gegen eine solche inflationare Ontologie wird oft mit Ockhams Rasiermesser argumentiert Unter Ockhams Rasiermesser versteht man das Prinzip ontologischer Sparsamkeit das besagt dass man moglichst wenige grundlegende Entitaten postulieren soll Ontologische Pluralisten konnen gegen diesen Einwand anfuhren dass Ockhams Rasiermesser nur anwendbar ist wenn ontologisch sparsamere Alternativen zur Verfugung stehen die das gleiche Erklarungspotential haben Dies sei jedoch nicht der Fall da monistische oder dualistische Theorien der Existenz zahlreicher Entitaten nicht gerecht werden konnten Ein weiterer Einwand gegen ontologische Pluralismen lautet dass dieselben Schwierigkeiten auftreten wie beim Dualismus Gegen den Dualismus wird oft argumentiert dass er nicht die kausale Wechselwirkung zwischen physischen und mentalen Zustanden erklaren kann Dieses Problem der mentalen Verursachung 6 ist in einer generalisierten Variante auf den Pluralismus anwendbar Wenn es viele nichtphysische Entitaten gibt muss man erklaren wo und wie diese auf die physische Welt einwirken Eine solche Erklarung konne jedoch nicht gegeben werden da das physische Geschehen immer schon selbst rein physische Ursachen habe fur nichtphysische Kausalitat daher gar kein Platz sei Ontologische Pluralisten reagieren auf diesen Einwand indem sie behaupten dass nicht uberall hinreichende physische Ursachen zu finden seien oder erklaren dass physische Determiniertheit nicht im Konflikt mit nichtphysischen Ursachen steht Relativistischer Pluralismus BearbeitenDie Idee eines relativistischen Pluralismus ist eng mit dem Werk Nelson Goodmans verknupft 7 Goodman argumentiert in seinem Werk dass die Idee einer Welt an sich sinnlos sei da man nicht von den menschlichen Perspektiven abstrahieren und eine Welt jenseits der Perspektiven beschreiben konne Es gebe vielmehr eine Vielzahl von Perspektiven etwa die Perspektive der Physik der Asthetik oder des Mentalen Wenn man jedoch nicht hinter diese einzelnen Perspektiven treten kann ist auch die Idee einer Welt jenseits menschlicher Perspektiven sinnlos Man muss demnach anerkennen dass jeder Beschreibungsweise eine eigene Welt entspricht Da diese Welten erst durch den aktiven Sprachgebrauch der Menschen entstehen kann man von einer Welterzeugung sprechen Die Uberzeugungskraft des relativistischen Pluralismus hangt im Wesentlichen von der Koharenz des Relativismus ab Das Postulat mehrerer von Menschen erzeugten Welten wird haufig kritisch hinterfragt Pragmatischer Pluralismus BearbeitenWilliam James entwickelte die Erkenntnisposition des Pragmatismus gegen die damals verbreiteten idealistischen Positionen Er mochte der Tatsache der oft widerspruchlichen Erfahrungen gerecht werden und sucht nach praktischen allgemein uberzeugenden Auswegen denn Pluralismus ist Relativismus d h Verlust an allgemein verbindlicher offentlicher Rationalitat Deswegen gehoren Kompromiss und Vermittlung untrennbar zur Philosophie des Pluralismus Nicht allein aus dem abstrakten Denken sondern auch aus der Lebenspraxis sind wichtige Gesichtspunkte zur Wurdigung philosophischer Ideen und ihrer Konsequenzen abzuleiten 8 Hilary Putnam der seine Spatphilosophie als pragmatischen Pluralismus 9 und Begriffspluralismus 10 bezeichnet versucht eine Zwischenposition zwischen ontologischem und relativistischem Pluralismus zu formulieren Putnam lehnt eine inflationare Ontologie ab und behauptet dass man nicht eine Pluralitat von grundlegenden Entitaten sondern eine Vielzahl von Perspektiven annehmen sollte Allerdings fuhrt diese Perspektivenpluralitat laut Putnam nicht zur Erzeugung einer Vielzahl von Welten wie von Goodman behauptet wird Vielmehr gibt es nur eine Welt die in verschiedenen Weisen beschrieben werden kann nbsp Putnams Universum mit drei IndividuenPutnam versucht diese Position durch das Phanomen der begrifflichen Relativitat zu verdeutlichen 11 Die begriffliche Relativitat erortert Putnam durch folgendes Beispiel Er fordert dazu auf sich ein Universum mit drei unteilbaren Individuen vorzustellen siehe Abbildung Nun konne man auf die Frage wie viele Objekte sich in dem Universum befinden verschiedene Antworten geben Ist man etwa der Meinung dass nur Individuen Objekte sind dann befinden sich im Universum drei Objekte X1 X2 X3 Behauptet man hingegen dass auch Konjunktionen von Individuen Objekte darstellen so gibt es sieben Objekte X1 X2 X3 X1 X2 X1 X3 X2 X3 X1 X2 X3 Putnam argumentiert dass es keine richtige Antwort auf die Frage gibt wie viele Objekte in der Welt wirklich existieren Die Antwort hangt von der Perspektive bzw von dem verwendeten Begriffssystem ab Dabei stehen verschiedene gleichberechtigte Begriffssysteme zur Verfugung Nach Putnam zeigt die begriffliche Relativitat dass es verschiedene Perspektiven auf die Welt gibt die gleichermassen legitim und grundlegend sind und von denen keine als die eigentliche Beschreibung der Welt gelten kann Bei dieser Konzeption handelt es sich um einen Pluralismus da er eine Vielzahl von gleichermassen grundlegenden Perspektiven impliziert Dabei steht Putnam allerdings vor der Herausforderung zeigen zu mussen dass die Ablehnung einer grundlegenden Perspektive nicht zum grundsatzlichen Relativismus fuhrt Pluralismus als allgemeine Haltung BearbeitenPluralismus bedeutet praktisch Erkennen und Gelten lassen einer Vielheit seien es Anschauungen Religionen und Kulturen Lebensweisen und Gebrauche Der Pluralismus von Weltanschauungen bedeutet das Vorhandensein ganz unterschiedlicher politischer oder religioser Uberzeugungen innerhalb einer Ethnie oder eines Staates Dieses Gelten lassen der Pluralitat kann verschiedene Formen annehmen Wird das Andere nur tolerant hingenommen vielleicht als verschieden gesehen umgedeutet und assimiliert oder wirklich als ein Anderes erkannt als gleichberechtigt begriffen und aktiv geschutzt Monismus als Gegenbegriff zum Pluralismus ist die Uberzeugung dass alles aus einem umfassenden Prinzip ubernaturlicher oder naturlicher Art abzuleiten in einem Ganzen zu erklaren und zu werten ist Religion und Staat Erziehung und Wissenschaft offentliches und privates Leben Es sind Manifestationen des einen Geistes des einen Gottes der einen Gesellschaftsidee In diesem Monismus liegen der Wahrheitsanspruch und die Ausschliesslichkeit die sich zur Intoleranz gegen andere Uberzeugungen zum Dogmatismus und Fundamentalismus und im Extrem zum aggressiven Totalitarismus steigern konnen Da in diesem System alle abweichenden Auffassungen als Negation des einen und unbedingt herrschenden Prinzips wirken mussen besteht kein echter Platz fur Freiheitsrechte und Individualismus Sandkuhler 1996 erlautert Nicht nur in der Welt der sozialen Interessen und der Werte sondern auch in der Welt der Ideen und der Erkenntnis Weltbilder Theorien und Wissenschaften eingeschlossen gibt es den Streit der Kulturen weil Perspektivitat ein nicht hintergehbares Apriori eine allgemeine und notwendige Bedingung von Erfahrung Erkenntnis und Theoriebildung ist So stellt sich das Problem der Koexistenz und der Inkommensurabilitat von Kulturen bereits fur die Erkenntnistheorie und schon hier vor allem Politischen geht es um Freiheit und Ordnung das Einzelne des einzelnen und das allgemeine Gesetz 12 In der Philosophie und anderen Formen der Weltbildkonstruktion hat sich Pluralismus zwar weitgehend als Selbstverstandlichkeit gegen Systemanspruche und Monismen bzw Dualismen durchgesetzt er wird aber nur in wenigen Philosophien explizit theoretisch ontologisch epistemologisch methodologisch begrundet Pluralismus ist freilich auch mit der skeptischen Frage konfrontiert ob er sich nicht zwangslaufig in den Schrecken der Beliebigkeit und des Relativismus verkehrt Wer die Frage bejaht sieht im Konzept des Pluralismus die philosophische Steigerung eines alltaglichen Irrationalismus zum ontologischen epistemologischen und methodologischen anything goes 13 Der Pluralismus ist aus kritisch rationalistischer Sicht eine allgemeine wissenschaftliche Erkenntnishaltung Grundsatzlich wird eine Pluralitat von Theorien die wechselseitig in einem Verhaltnis der Kritik stehen akzeptiert und der dogmatische Wahrheitsanspruch jeder einzelnen Theorie zuruckgewiesen Und wer gegen den Pluralismus ist sollte wissen wovon er spricht und prufen ob er wirklich auf all das verzichten will was er als Antipluralist ablehnen zu mussen glaubt 14 Siehe auch BearbeitenStaatssoziologieEinzelnachweise Bearbeiten Immanuel Kant Anthropologie in pragmatischer Hinsicht In Wilhelm Weischedel Hrsg Schriften zur Anthropologie Geschichtsphilosophie Politik und Padagogik 2 Immanuel Kant Werkausgabe in zwolf Banden Band 12 Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1983 S 409 Immanuel Kant Anthropologie in pragmatischer Hinsicht 1983 S 411 Immanuel Kant Vorlesungen uber Logik In Preussische Akademie der Wissenschaften Hrsg Gesammelte Schriften Band 24 Reimer Berlin 1966 S 428 Immanuel Kant Reflexionen In Preussische Akademie der Wissenschaften Hrsg Gesammelte Schriften Band 15 Reimer Berlin 1923 S 395 ff John Dupre The Disorder of Things Harvard University Press Harvard 1993 Heil Mele Hrsg Mental Causation Oxford University Press 1995 ISBN 0 19 823564 X Nelson Goodman Ways of Worldmaking Hackett Indianapolis 1978 deutsch Weisen der Welterzeugung Suhrkamp Frankfurt M 1984 William James Pragmatismus ein neuer Name fur einige alte Denkweisen Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2001 ISBN 3 534 12999 7 Hilary Putnam Ethics without Ontology Harvard University Press Harvard 2004 S 21 ISBN 0 674 01851 6 Hilary Putnam 2004 S 48 Hilary Putnam truth and convention In Hilary Putnam Realism with a Human Face Harvard University Press Harvard 1990 ISBN 0 674 74945 6 Hans Jorg Sandkuhler Einheit des Wissens zur Debatte uber Monismus Dualismus und Pluralismus Schriftenreihe Zentrum Philosophische Grundlagen der Wissenschaften Band Nr 17 Universitats Buchhandlung Bremen 1996 ISBN 3 88722 360 8 S 23 Hans Jorg Sandkuhler Einheit des Wissens zur Debatte uber Monismus Dualismus und Pluralismus 1996 S 9 Helmut Spinner Pluralismus als Erkenntnismodell Suhrkamp Frankfurt a M 1974 ISBN 3 518 07632 9 S 241 Weblinks BearbeitenHans Jorg Sandkuhler Pluralismus PDF 119 kB in ders Hg Enzyklopadie Philosophie Hamburg 1999 Aufsatz zu Varianten des Pluralismus von Steve Horst MS Word 113 kB Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pluralismus Philosophie amp oldid 227072743