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Die Pariser Verurteilungen zahlreicher Thesen des Averroismus und Aristotelismus durch den Bischof von Paris Etienne Tempier am 10 Dezember 1270 und 7 Marz 1277 als Reaktion auf das Eindringen der arabischen Philosophie an der Sorbonne 1 markieren einen Hohepunkt in der Auseinandersetzung der augustinisch monastischen Theologie mit diesen philosophischen Stromungen des Hochmittelalters Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte an der Pariser Universitat 2 Verurteilung von 1270 3 Verurteilung von 1277 4 Anpassungen nach 1277 5 Auswirkungen 6 Literatur 7 Weblinks 8 AnmerkungenVorgeschichte an der Pariser Universitat Bearbeiten1204 wurde Amalrich von Bena der Philosophie und Theologie lehrte vom Papst Innozenz III der Haresie bezichtigt Viele Amalrikaner wurden 1210 verurteilt und zehn von ihnen wurden lebendig verbrannt Das 4 Laterankonzil verurteilte 1215 seine Lehre 1210 wurden auf der Pariser Synode die naturphilosophischen Schriften des Aristoteles fur den Lehrbetrieb an der Artistenfakultat verboten 1215 verbot der papstliche Legat Robert von Courson die Physik und Metaphysik des Aristoteles zu lehren 1230 wurden die Aristoteles Kommentare des Averroes gelesen nachdem Michael Scotus diese aus dem Arabischen ubersetzt hatte 1231 verbot Papst Gregor IX in einer Bulle die Physik des Aristoteles bis sie gepruft und von allem Verdacht des Irrtums gereinigt sei 2 Von 1243 bis 1248 lehrte Albertus Magnus in Paris und befasste sich dabei intensiv mit Aristoteles Mitte des 13 Jahrhunderts wurden die Schriften des Aristoteles an der Artistenfakultat Grundlage der scholastischen Wissenschaft und am 19 Marz 1255 als Lehrbucher vorgeschrieben Logik Physik De anima Metaphysik und Nikomachische Ethik 2 Seit 1267 klagten die franziskanischen Lehrer unter ihrem Generalminister Bonaventura von Bagnoregio offentlich gegen die Thesen des Aristoteles und seiner zeitgenossischen Interpreten wie Siger von Brabant Von 1269 bis 1271 lehrte Thomas von Aquin in Paris und versuchte zu vermitteln Er systematisierte die Theologie mit den Mitteln der aristotelischen Philosophie 1270 erstellte Agidius von Rom eine Liste von 95 Irrlehren der Philosophen Verurteilung von 1270 BearbeitenEtienne Tempier verurteilte am 10 Dezember 1270 dreizehn Thesen 3 ohne die Namen derer zu erwahnen die diese Lehren verbreiteten Folgende sind die Irrlehren die von Herrn Stephan dem Bischof von Paris zusammen mit allen die sie wissentlich lehren oder behaupten sollten verurteilt und exkommuniziert worden sind im Jahre des Herrn 1270 am Mittwoch nach dem Feste des hl Nikolaus im Winter Dass der Intellekt aller Menschen ein und derselbe ist an Zahl Dass Folgendes falsch oder uneigentlich gesagt ist Ein Mensch versteht Dass der Wille des Menschen aus Zwang will oder wahlt Dass alles was hier auf Erden geschieht dem Zwang von Himmelskorpern unterliegt Dass die Welt ewig ist Dass es niemals einen ersten Menschen gegeben hat Dass die Seele vergehe wenn der Korper vergeht Dass die nach dem Tode abgetrennte Seele nicht unter korperlichem Feuer leidet Dass der freie Wille ein passives nicht aktives Vermogen ist und dass er durch Zwang von dem was er erstrebt bewegt wird Dass Gott nicht Einzeldinge erkennt Dass Gott nicht von sich anderes erkennt Dass menschliche Handlungen nicht durch gottliche Vorsehung geleitet werden Dass Gott nicht Unsterblichkeit oder Unverganglichkeit einer sterblichen oder verganglichen Sache geben kann Sie sagen namlich dies sei wahr gemass der Philosophie aber nicht gemass dem katholischen Glauben als ob diese zwei gegensatzliche Wahrheiten seien und als ob gegen die Wahrheit der Hl Schrift Wahrheit in Satzen verdammter Heiden sei von denen geschrieben steht Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen 1 Kor 1 19 weil die wahre Weisheit die falsche Weisheit zunichte macht Dass doch solche Philosophen den Rat des Weisen beachten der da spricht Nur wer imstande ist antworte deinem Mitmenschen wenn nicht leg die Hand auf den Mund Sir 5 12 Damit also unvorsichtige Reden nicht Einfaltige in Irrtum ziehen verbieten wir nach gemeinsamem Rat von Doktoren der Hl Schrift wie anderer kluger Manner solches und ahnliches und verurteilen es ganz und gar wir exkommunizieren alle jene die die genannten Irrlehren oder irgendeine von ihnen als Dogma verkunden oder sich irgendwie vornehmen sie zu verteidigen oder zu behaupten ebenso auch deren Horer wenn sie sich nicht binnen sieben Tagen dem Kanzler der Universitat entdecken wollen Verurteilung von 1277 BearbeitenAm 23 November 1276 hatte der Inquisitor Simon du Val die ehemaligen Lehrer der Artistenfakultat zu Paris Siger von Brabant Gosvin von La Chapelle und Bernier von Nivelles vor sein Tribunal geladen Am 18 Januar 1277 wurde Tempier von Papst Johannes XXI aufgefordert Geruchten uber neuerliche Irrlehren an der Universitat Paris nachzugehen Tempier rief eine Theologenkommission zusammen der auch Heinrich von Gent angehorte Am 7 Marz 1277 veroffentlichte Tempier einen Syllabus von 219 Thesen die an der Artistenfakultat diskutiert wurden Sie betreffen philosophische und theologische Themen wie den Wissenschaftscharakter der Theologie die Erkennbarkeit Gottes das gottliche Wissen die Allmacht Gottes den Willen Gottes die Freiheit des menschlichen Willens die Unsterblichkeit der Seele die Eucharistie die Morallehre die Angelologie und die Kosmologie 4 Prolog des DekretsEs wird die Lehre der 219 Thesen unter die Strafe der Exkommunikation gestellt 5 und die doppelte Wahrheit verurteilt Sie sagen namlich diese Irrlehren seien wahr im Sinne der Philosophie aber nicht im Sinne des katholischen Glaubens als gebe es zwei gleichsam entgegengesetzte Wahrheiten 6 Ausserdem werden ein dreibandiges Werk De amore uber die hofische Liebe 7 ein Buch uber Geomantie 8 sowie Schriften uber Nekromantie Gebrauche von Zauberern Teufelsanbetungen und seelengefahrdende Beschworungen 9 verboten Anpassungen nach 1277 BearbeitenDie beiden Verurteilungen von 1270 und 1277 wurden mit derjenigen Verurteilung des Pariser Bischofs Wilhelm von Auvergne von 1241 sowie derjenigen des Erzbischofs von Canterbury Robert Kilwardby von 1277 zu der Sammlung Collectio errorum in Anglia et Parisius condemnatorum zusammengefasst Unter den 219 Thesen sind auch einige Lehrstucke des Thomas von Aquin Um dessen Verurteilung zu verhindern stellte Gottfried von Fontaines 1296 im Rahmen einer Quaestio quodlibetalis die Frage ob der Nachfolger Tempiers eine Sunde begehe wenn er dessen Syllabus aufgrund seiner Mangel nicht korrigiere 10 Nach der Heiligsprechung von Thomas von Aquin 1323 korrigierte der Pariser Bischof Etienne Bourret 1325 die Irrtumsliste Auswirkungen BearbeitenDoppelte Wahrheit Der Verurteilungstext von 1277 uberliefert was per kirchlichem Dekret nicht gedacht werden sollte Die Philosophie befreite sich in Folge zunehmend unter anderem mit Wilhelm von Ockham vom Einfluss der Theologie Der franzosische Physiker und Wissenschaftshistoriker Pierre Duhem betrachtete die Verurteilungen als Geburtsdatum der modernen Wissenschaft weil die aristotelische Physik mit ihrem Horror vacui zuruckgewiesen und damit Raum fur die moderne Naturwissenschaft geschaffen wurde 11 Die Verurteilungen in Paris wurden vom Philosophiehistoriker Steenberghen als wahrer Angelpunkt der Geistesgeschichte dieser Epoche 12 und von Gilson als epochales landmark Grenzzeichen 13 bezeichnet Literatur BearbeitenJosef Pieper Scholastik dtv Munchen 1978 S 116 123 Bernd Goebel Tempier Etienne Stephanus von Orleans In Biographisch Bibliographisches Kirchenlexikon BBKL Band 22 Bautz Nordhausen 2003 ISBN 3 88309 133 2 Sp 1332 1339 Artikel Artikelanfang im Internet Archive Weblinks BearbeitenEintrag in Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Vorlage SEP Wartung Parameter 1 und weder Parameter 2 noch Parameter 3 Diplomarbeit Peter Grabher 2005 Die Pariser Verurteilung von 1277 PDF 3 0 MB 136 Seiten Sammelpunkt Archiv Meta Daten Blatt Dekret vom 3 Marz 1277 Opiniones ducentae undeviginti Sigeri de Brabantia Boetii de Dacia aliorumque a Stephano episcopo Parisiensi de consilio doctorum Sacrae Scripturae condemnatae 1277 Martii Parisiis Memento vom 30 Dezember 2013 im Internet Archive Prolog und Katalog der 219 Irrlehren lateinisch Anmerkungen Bearbeiten Gotthard Strohmaier Avicenna Beck Munchen 1999 ISBN 3 406 41946 1 S 145 f a b Peter Grabher Die Pariser Verurteilung von 1277 Kontext und Bedeutung des Konflikts um den radikalen Aristotelismus Memento des Originals vom 14 April 2010 imInternet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot sammelpunkt philo at Diplomarbeit Wien 2005 Seite 74 Peter Grabher Die Pariser Verurteilung von 1277 auf Seite 76 Peter Grabher Die Pariser Verurteilung von 1277 auf Seite 83 Die 219 Thesen des Pariser Syllabus Ne igitur incauta locutio simplices pertrahat in errorem nos tam doctorum sacrae scripturae quam aliorum prudentium virorum communicato consilio districte talia et similia fieri prohibemus et ea totaliter condempnamus excommunicantes omnes illos qui dictos errores vel aliquem ex illis dogmatizaverint aut deffendere seu sustinere praesumpserint quoquomodo necnon et auditores nisi infra VII dies nobis vel cancellario Parisiensi duxerint revelandum nichilominus processuri contra eos pro qualitate culpae ad poenas alias prout ius dictaverit infligendas Dicunt enim ea esse vera secundum philosophiam sed non secundum fidem catholicam quasi sint duae contrariae veritates Librum etiam De amore sive De Deo amoris qui sic incipit cogit me multum etc et sic terminatur cave igitur Galtere amoris exercere mandata etc vergleiche dazu De amore in der Online Bibliothek Bibliotheca Augustana und W Maurice Sprague Andreas Capellanus In Biographisch Bibliographisches Kirchenlexikon BBKL Band 26 Bautz Nordhausen 2006 ISBN 3 88309 354 8 Sp 31 42 Artikel Artikelanfang im Internet Archive item librum geomantiae qui sic incipit Aestimaverunt Indi etc et sic terminatur ratiocinare ergo super eum et invenies etc item libros rotulos seu quaternos nigromanticos aut continentes experimenta sortilegiorum invocationes demonum sive coniurationes in periculum animarum Peter Grabher Die Pariser Verurteilung von 1277 auf Seite 97 Peter Grabher Die Pariser Verurteilung von 1277 auf Seite 86 Steenberghen zitiert nach Josef Pieper Scholastik dtv Munchen 1978 S 116 Gilson History of Christian Philosophy in the Middle Ages 1955 zitiert nach Josef Pieper Scholastik dtv Munchen 1978 S 116 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Pariser Verurteilungen amp oldid 212261930