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Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar Bitte hilf uns dabei die Situation in anderen Staaten zu schildern Die objektive Zurechnung ist im deutschen Strafrecht ein Kriterium zur Ermittlung der Tatbestandsmassigkeit einer Handlung Die Zurechnung eines tatbestandlichen Erfolges dient der Eingrenzung der strafrechtlich relevanten Kausalitat Wahrend die Kausalitat die Frage betrifft ob ein bestimmtes Verhalten des Taters den tatbestandsmassigen Erfolg nach naturwissenschaftlichen Kriterien im Sinne der conditio sine qua non Formel verursacht hat betrifft die objektive Zurechnung die Frage ob man dem Tater einen bestimmten von ihm kausal verursachten Erfolg auch normativ d h im Wege einer rechtlichen Bewertung als sein Werk zurechnen und ihn deshalb bestrafen kann 1 Dazu wird uberpruft ob die Tat voraussehbar und vermeidbar war Inhaltsverzeichnis 1 Lehre von der objektiven Zurechnung 1 1 Fehlen des Zurechnungszusammenhangs 1 1 1 Das Risiko kann nicht ausschliesslich dem Tater zugeordnet werden 1 1 2 Der Tater schafft keine rechtlich missbilligte Gefahr 1 1 3 Der Tater hat keine Gefahr geschaffen oder erhoht 1 1 4 Die vom Tater geschaffene Gefahr hat sich nicht im eingetretenen Erfolg realisiert 2 Anwendung durch den Bundesgerichtshof 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseLehre von der objektiven Zurechnung BearbeitenNach der Aquivalenztheorie ist eine Vielzahl von Handlungen fur einen Erfolg kausal Die Lehre von der objektiven Zurechnung dient als Korrektiv um die Tatbestandsmassigkeit und damit die Strafbarkeit auf die strafwurdigen Tathandlungen zu beschranken 2 Dies gilt besonders bei fahrlassig verursachten Erfolgen da das Gesetz grundsatzlich nur vorsatzliches Handeln bestraft 15 StGB Ein Erfolg ist nur dann objektiv zurechenbar wenn der Tater durch sein Verhalten eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat die sich im eingetretenen Erfolg realisiert hat sogenannte Adaquanztheorie In diesem Fall hat sich die spezifisch gesetzte Gefahr im Erfolg verwirklicht Die Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit dieses eingetretenen strafrelevanten Tatbestandserfolges wird anhand einer objektiv nachtraglichen Prognose beurteilt die die soziale Rolle und das Sonderwissen des Taters berucksichtigt Nach der von Claus Roxin begrundeten Risikoerhohungslehre erfolgt die Zurechnung schon bei einer Erhohung des Risikos des Erfolgseintritts durch das Taterverhalten 3 Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgt dieser Theorie nicht da sie den Zweifelssatz zu sehr einschranke und Verletzungsdelikte contra legem als Gefahrdungsdelikte verstunde 4 Fehlen des Zurechnungszusammenhangs Bearbeiten Kein Zurechnungszusammenhang besteht in folgenden Fallkonstellationen 5 Das Risiko kann nicht ausschliesslich dem Tater zugeordnet werden Bearbeiten Prinzip der Eigenverantwortlichkeit An einer relevanten Gefahrschaffung durch den Tater fehlt es wenn die Tatherrschaft beim Opfer selbst liegt Bei einer eigenverantwortlichen Selbstgefahrdung oder einer einverstandlichen Fremdgefahrdung hatte das Opfer selbst die Moglichkeit steuernd in den Tatablauf einzugreifen weshalb es fur den Taterfolg selbst verantwortlich ist Voraussetzung fur eine eigenverantwortliche Selbstgefahrdung ist jedoch dass nicht der Tater die Situation kraft uberlegenen Wissens besser einschatzen konnte als das Opfer 6 7 oder das Opfer mangels Einsichtsfahigkeit Kinder Willenschwache besonders schutzwurdig ist Eigenverantwortlichkeit wird teilweise auch erst bei Schuldunfahigkeit des Opfers verneint Bei der einverstandlichen Fremdgefahrdung wird die Gefahrdung des Opfers zwar von dem Tater verursacht aber mit Einverstandnis des Opfers Beispiel hierfur ist der Memel Fall des Reichsgerichts 8 in dem ein Passagier einen Fahrmann trotz dessen Weigerung uberredete ihn uber die Hochwasser fuhrende Memel uberzusetzen und dabei ertrank Jungere Beispiele bilden die Teilnahme am sogenannten Autosurfen 9 oder die Abgabe von Rauschgift nach dessen Konsum das Opfer stirbt 10 Die Rechtswissenschaft kommt hier zum Teil zu anderen Ergebnissen indem sie den Entschluss des Opfers zur Preisgabe seiner Rechtsguter als rechtfertigende Einwilligung behandelt Danach entfallt die objektive Zurechnung und damit die Tatbestandsmassigkeit nicht Bei einem todlichen Tatausgang entfallt jedoch auch nicht die Rechtswidrigkeit da das Leben ein unabdingbares Rechtsgut ist und in eine Totung nicht wirksam eingewilligt werden kann 11 beziehungsweise die Einwilligung im konkreten Fall sittenwidrig ist 12 Dazwischentreten eines Dritten Knupft ein Dritter an eine Erstursache an und beseitigt deren Wirkung unter Eroffnung einer neuen Kausalreihe die den Erfolg allein herbeifuhrt so ist der Taterfolg dem Ersttater nicht zuzurechnen Sofern der Dritte aber nur an das Handeln des Ersttaters anknupft dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist bleibt auch der Ersttater fur den Taterfolg verantwortlich 13 Teile der Lehre bestreiten dies unter Verweis auf das zurechnungshindernde Regressverbot eine Zurechnung sei nur moglich wenn die Voraussetzungen der mittelbaren Taterschaft 25 Abs 1 Var 2 StGB oder Mittaterschaft 25 Abs 2 StGB vorliegen 14 Eine Zurechnung zum Ersttater erfolgt grundsatzlich auch in den Herausforderungsfallen wenn namlich ein rettender Dritter die Folgen der Tat des Erstverursachers beseitigen oder abmildern mochte dabei aber selbst zu Schaden kommt Betritt der Dritte etwa ein von dem Tater in Brand gesetztes Haus um dort eingeschlossene Personen oder Sachwerte zu bergen und dabei einer Rauchgasvergiftung erliegt 15 Anders dagegen liegt der Fall wenn es sich um Berufsretter wie Rettungskrafte der Feuerwehr handelt die zum Einschreiten rechtlich verpflichtet sind und im Rahmen der Ausubung ihrer Tatigkeit sich freiwillig einem hohen Berufsrisiko aussetzen 16 Der Tater schafft keine rechtlich missbilligte Gefahr Bearbeiten Um ein erlaubtes Risiko beziehungsweise ein sozialadaquates Verhalten handelt es sich wenn zwar eine Gefahr geschaffen wird diese aber von der Rechtsordnung gebilligt wird Hierunter fallen typischerweise gefahrliche Verhaltensweisen wie die Teilnahme am allgemeinen Strassenverkehr wenn trotz Einhaltung aller Verkehrsvorschriften ein todlicher Unfall verursacht wird In einem derartigen Fall realisiert sich ein allgemeines Lebensrisiko Der Tater hat keine Gefahr geschaffen oder erhoht Bearbeiten An der rechtlich missbilligten Gefahr fehlt es auch wenn eine bereits in Gang gesetzte Ursachenreihe gebremst und ein drohender Erfolg abgeschwacht oder zeitlich hinausgezogert wird ohne dass der Tater zur Erreichung dieses Zieles eine neue andersartige Gefahr schafft Risikoverringerung Das Handeln des Taters dient in diesem Fall dem allgemeinen Interesse an der Erhaltung strafrechtlich geschutzter Rechtsguter Die vom Tater geschaffene Gefahr hat sich nicht im eingetretenen Erfolg realisiert Bearbeiten Fallgruppe des atypischen Kausalverlaufs Auch wenn der Tater eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat ist ihm der Erfolg nicht zuzurechnen wenn dessen Eintritt vollig ausserhalb dessen liegt was nach dem gewohnlichen Verlauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung zu erwarten ist Beispiel A verletzt den B weswegen sich B nicht vom Tatort fortbewegen kann und dort vom Blitz erschlagen wird Der Tod des B kann nicht als Werk des Taters betrachtet werden vielmehr ist er Werk des Zufalls Fallgruppe des Fehlens des Schutzzweckzusammenhangs Der Schutzzweckzusammenhang fehlt wenn sich im konkreten Erfolg nicht diejenige rechtlich missbilligte Gefahr verwirklicht deren Schaffung nach dem Schutzzweck der Norm vermieden werden soll 17 Beispiel T uberfahrt trotz verkehrsgerechten Verhaltens ein plotzlich auf die Strasse laufendes Kind T ist nur deshalb zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort weil er mehrere Kilometer zuvor eine rote Ampel ignoriert hatte Die Normen der StVO die das Uberfahren einer roten Ampel verbieten 37 49 StVO wollen jedoch nicht verhindern dass T zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort ist sondern schutzen den Querverkehr an der fraglichen Kreuzung 18 Zwischen dem Rotlichtverstoss und dem Uberfahren des Kindes besteht daher kein Schutzzweckzusammenhang so dass dem T die Totung des Kindes nicht zugerechnet werden kann etwa nach 222 StGB Fallgruppe des rechtmassigen Alternativverhaltens fehlender Pflichtwidrigkeitszusammenhang Vermeidbarkeitstheorie Ebenso ist der Erfolg nicht zurechenbar wenn er in seiner konkreten Gestalt auch bei rechtmassigem Verhalten des Taters nicht vermeidbar gewesen ware Bei Fahrlassigkeitsdelikten spricht man in diesem Zusammenhang vom Fehlen des Pflichtwidrigkeitszusammenhanges Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor wenn ein Autofahrer einen betrunkenen Radfahrer mit zu geringem Seitenabstand uberholt dieser aufgrund seiner absoluten Fahruntuchtigkeit erschrickt und mit todlichem Ausgang unter das uberholende Fahrzeug gerat Hatte der Autofahrer den gebotenen Sicherheitsabstand andererseits eingehalten ware der betrunkene Radfahrer genauso verungluckt 19 In diesen Fallen verlangen die Vertreter der Risikoerhohungslehre fur die Straflosigkeit den Beweis dass der Erfolg bei pflichtgemassem Verhalten mit Sicherheit eingetreten ware Eine blosse Moglichkeit reiche fur die Anwendung des Grundsatzes in dubio pro reo nicht aus 20 Anwendung durch den Bundesgerichtshof BearbeitenDer Bundesgerichtshof wendet die Lehre von der objektiven Zurechnung nur bei Fahrlassigkeitsdelikten an 21 Teile der Lehre folgen dem mit der Begrundung Fahrlassigkeit stelle ein Surrogat fur Vorsatz dar beim Vorsatzdelikt richte sich die Zurechnung eines Erfolgs allein danach ob der Tater den Erfolg und die Art und Weise des Erfolgseintritts gewollt habe 22 Dementsprechend pruft der Bundesgerichtshof bei Vorsatzdelikten im subjektiven Tatbestand ob sich die Vorstellung des Taters von der Tat mit dem tatsachlichen Tatverlauf deckt Denn der Vorsatz des Taters muss auch den ursachlichen Zusammenhang zwischen Tathandlung und Taterfolg umfassen Danach ist der Erfolg dem Tater dann zuzurechnen wenn sich seine Vorstellung von der Tat mit dem Tatverlauf deckt oder die Abweichung zwischen der Vorstellung des Taters und dem tatsachlichen Tatverlauf sich in Grenzen der allgemeinen Lebenserfahrung bewegt und keine andere Bewertung der Tat rechtfertigt 23 24 Beispiel Jemand wirft einen Saugling von der Brucke damit er im Fluss ertrinkt das Kind stirbt jedoch dadurch dass es am Bruckenpfeiler aufschlagt Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann ein Saugling den man von der Brucke wirft an einem Bruckenpfeiler aufschlagen und dadurch sterben Der Erfolg ist dem Tater somit subjektiv zuzurechnen Beim Fehlgehen der Tat aberratio ictus 25 und bei einem Irrtum uber das Handlungsobjekt error in persona vel objecto liegen wesentliche Abweichungen im Kausalverlauf vor Die Zurechnung des Taterfolgs und die Bestrafung wegen einer vorsatzlichen oder einer fahrlassigen Tat beurteilen sich nach den besonderen Regeln der Irrtumslehre 26 Literatur BearbeitenIngke Goeckenjan Revision der Lehre von der objektiven Zurechnung eine Analyse zurechnungsausschliessender Topoi beim vorsatzlichen Erfolgsdelikt Habilitationsschrift Universitat Osnabruck 2013 Mohr Siebeck Tubingen 2017 ISBN 978 3 16 153454 6 Christian Jager Zurechnung und Rechtfertigung als Kategorialprinzipien im Strafrecht C F Muller Heidelberg 2006 ISBN 978 3 8114 5236 7 Heinz Koriath Kausalitat und objektive Zurechnung Nomos Verlags Gesellschaft Baden Baden 2007 ISBN 3 8329 2498 1 Heinz Koriath Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung Universitat Gottingen Habilitationsschrift 1993 Duncker amp Humblot Berlin 1994 ISBN 3 428 08055 6 Weblinks BearbeitenIngeborg Puppe Die Lehre von der objektiven Zurechnung und ihre Anwendung Teil 1 ZJS 5 2008 S 488 496 Ingeborg Puppe Die Lehre von der objektiven Zurechnung und ihre Anwendung Teil 2 ZJS 6 2008 S 600 609Einzelnachweise Bearbeiten Bernd Heinrich Objektive Zurechnung Stand 1 Oktober 2015 Murmann Grundkurs Strafrecht 2011 S 151 Dreher Trondle Strafgesetzbuch und Nebengesetze C H Beck Munchen 1995 Vor 13 Rnr 17 e BGH 37 127 Roland Hefendehl Der objektive Unrechtstatbestand Kausalitat und Zurechnung 2014 15 BGH Urteil vom 4 November 1988 Az 1 StR 262 88 BGHSt 36 1 ungeschutzter Geschlechtsverkehr trotz Kenntnis einer HIV Infektion Milan Kuhli Objektive Zurechnung bei eigenverantwortlicher Selbstgefahrdung Uberlegungen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Berglauf Veranstaltern fur Schaden der Wettkampfteilnehmer HRRS 2008 S 385 388 RG Urteil vom 3 Januar 1923 Az IV 529 22 OLG Dusseldorf NZV 1998 76 BGH Urteil vom 11 April 2000 1 StR 638 99 so beispielsweise Claus Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil Band 1 3 Auflage Beck Munchen 1997 11 Rn 124 BGH Urteil vom 20 November 2008 4 StR 328 08 BGHSt 53 55 Teilnahme an einem illegalen Autorennen BGH Urteil vom 30 August 2000 2 StR 204 00 Rz 13 BGH NStZ 2001 29 ein Dritter totet das Opfer das auch an den Erstverletzungen gestorben ware ein Dritter versetzt dem in Totungsabsicht verletzten Opfer den Gnadenschuss Jan Dehne Niemann Julia Marinitsch Zur Anwendung eines restriktiven Tat und Verursachungsbegriffs auf mehraktige Totungsgeschehen In Zeitschrift fur die gesamte Strafrechtswissenschaft Band 129 2017 S 671 ff mit Nachweisen BGH Urteil vom 8 September 1993 3 StR 341 93 Helmut Satzger Die sog Retterfalle als Problem der objektiven Zurechnung JURA 2014 S 695 706 Wessels Beulke Strafrecht Allgemeiner Teil 2011 S 276 Rotlichtverstosse Allgemeines strafzettel de abgerufen am 13 Juli 2016 BGH Beschluss vom 25 September 1957 g G 4 StR 354 57 BGHSt 11 1 Bernd Heinrich Rechtmassiges Alternativverhalten bei Fahrlassigkeitsdelikten Stand 1 Oktober 2017 BGHSt 49 1 BGH Urteil vom 13 November 2003 5 StR 327 03 Jan Dehne Niemann Sorgfaltswidrigkeit und Risikoerhohung Zur normtheoretischen Reformulierung der Risikoerhohungstheorie In Goltdammer s Archiv fur Strafrecht 2012 S 93 f mit Nachweisen grundlegend BGH Urteil vom 21 April 1955 4 StR 552 54 BGHSt 7 325 zuletzt BGH Urteil vom 3 Dezember 2015 4 StR 223 15 Rz 12 BGH Urteil vom 10 April 1986 4 StR 89 86 BGHSt 34 53 Roland Hefendehl Die Zurechnung zum Vorsatz bei Kausalabweichungen 2008 2009 KK 148 ff Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Normdaten Sachbegriff GND 7706198 6 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Objektive Zurechnung amp oldid 236797582