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Beim Massaker von Kilianstadten wurden vor rund 7000 Jahren gegen Ende der Epoche der linearbandkeramischen Kultur mindestens 26 jungsteinzeitliche Menschen durch stumpfe Gewalt und Pfeilverletzungen getotet Ihre Leichen wurden in einem Massengrab auf dem Gebiet des Ortsteils Kilianstadten der heutigen Gemeinde Schoneck im hessischen Main Kinzig Kreis ohne die zeittypische ritualisierte Ordnung abgelegt Blick vom Rand der Hohen Strasse uber die ehemalige Flache der hier in Hanglage erbauten bandkeramischen Siedlung auf Kilianstadten Grab und Siedlung befanden sich im Gelande links uber der Infotafel Inhaltsverzeichnis 1 Entdeckung des Massakers 2 Untersuchung der Funde 2 1 Fundort 2 2 Fundkonstellation und archaologische Deutungen 3 Interpretation der Geschehnisse 4 Parallelen 5 Literatur 6 Siehe auch 7 Weblinks 8 BelegeEntdeckung des Massakers BearbeitenIm Verlauf von Erdarbeiten beim Bau der Ortsumgehung L 3008 fur den Ortsteil Kilianstadten der Gemeinde Schoneck im Main Kinzig Kreis stiessen die Arbeiter im Jahr 2006 unweit der Strasse Neuer Weg auf Knochen die gemeinsam mit Steingerat Keramikscherben und Tierknochen geborgen und zur Erforschung an die Mainzer Universitat ubergeben wurden Die Radiokarbondatierung 14C Methode von vier Knochen ergab ein Alter von 5207 bis 4849 Jahren v u Z cal BC die vorgefundene Keramik verweist auf die Zeit um 5000 v u Z Untersuchung der Funde Bearbeiten nbsp Dechsel Rekonstruktion einer Schaftung von Schuhleistenkeil und Holzgriff in Anlehnung an LBK Werkzeuge hier abgebildet aus den Pfahlbausiedlungen Hornstaad Hornle I V Gaihofen des Zeitraums 3918 2690 v Chr Fundort Bearbeiten Die Knochen befanden sich in einer V formigen 30 bis 100 Zentimeter breiten und 7 50 Meter langen Grube Position 50 192754 8 860701 an deren Stelle befindet sich heute das auf der bebauten Seite von Kilianstadten gelegene Widerlager einer Brucke uber die L 3008 Die Grube war vermutlich Teil eines langeren zwei Hektar umfassenden Grabensystems das als sichtbares Zeichen eines territorialen Anspruchs interpretiert werden kann In unmittelbarer Nahe waren zuvor bereits Hinweise auf mindestens 18 nach und nach entstandene Langhauser der Linearbandkeramiker gefunden worden Da es sich wegen der bereits begonnenen Baumassnahmen um eine Notgrabung handelte wurden nur die wichtigsten archaologischen Befunde dokumentiert Als schwierig erwies sich die fachgerechte Untersuchung der Funde weil die Knochen bruchig und teilweise desintegriert waren Dennoch gelang es die Anzahl der entdeckten Skelette ihr Geschlecht und ihr Alter sowie die Todesursachen zu rekonstruieren Fundkonstellation und archaologische Deutungen Bearbeiten Zu Tode gekommen waren 13 Erwachsene zwei davon uber 40 Jahre alt ein Jugendlicher im Alter von 16 bis 21 Jahren der seinerzeit vermutlich bereits als Erwachsener gegolten hat zwei Kinder im Alter von sechs bis acht Jahren sowie 10 Kinder unter sechs Jahren darunter ein Baby von ungefahr sechs Monaten Bei Vergleichen mit anderen Begrabnisstatten fiel den Forschern das Fehlen von Kindern im Alter zwischen neun und 15 Jahren auf Das Geschlecht von neun erwachsenen Individuen konnte aufgrund der gefundenen Schadel und Unterkiefer als mannlich rekonstruiert werden die beiden uber 40 Jahrigen waren vermutlich Frauen Bei zwei der Toten konnte das Geschlecht nicht mehr bestimmt werden Die Hinweise auf langere Zeit vor dem Tod erlittene Krankheiten entsprachen dem in der damaligen Zeit Ublichen Hinweise auf Entzundungsspuren im Bereich der Rippen infolge von Tuberkulose Hinweise auf Vitamin C Mangel und auf Osteomyelitis ausgeheilte Rippen Oberarm Unterarm und Beinbruche sowie eine ausgeheilte offenbar chirurgisch behandelte Verletzung an einem Schadel Ein erster Hinweis auf Gewalteinwirkungen die zum Tod der Menschen gefuhrt haben konnten war wahrend der Reinigungsarbeiten im Mainzer Labor der Fund von zwei knochernen Pfeilspitzen in unmittelbarer Nahe von Knochen was dahingehend gedeutet wurde dass sie in den Korpern steckten als diese in der Grube abgelegt wurden Bei den anderen Begleitfunden handelte es sich ausschliesslich um gebrauchte und zerbrochene Artefakte offensichtlich Haushaltsabfall und nicht um Grabbeigaben Dass es sich bei den Funden im Massengrab um die Opfer eines Massakers handelte ergab sich aus den entdeckten zahlreichen unverheilten Schadel und Unterkieferbruchen und frischen Bruchen der langen Armknochen die den gleich alten Befunden aus der Analyse des Massakers von Talheim Baden Wurttemberg und des Massakers von Schletz Niederosterreich gleichen Zudem waren die Leichen achtlos ohne die zeittypische ritualisierte Ordnung abgelegt worden in gewohnlichen Grabern wurden die Toten meist mit gebeugten Beinen auf der linken Seite liegend und haufig mit Grabbeigaben bestattet Fast alle Schadel weisen schwere Verletzungen auf wie sie durch die Einwirkung stumpfer Gewalt entstehen und durch sogenannte Schuhleistenkeile Dechsel Klingen der Bandkeramiker hervorgerufen werden konnen Die Locher in den Schadelplatten befinden sich uberwiegend im Bereich der linken Schadelhalfte was typisch ist fur eine Verwundung durch einen vor seinem Opfer stehenden rechtshandig zuschlagenden Angreifer Zudem wurden zahlreiche unverheilte Trummerbruche nachgewiesen besonders haufig im unteren Bereich der Beine und an zweiter Stelle an den Armen Interpretation der Geschehnisse Bearbeiten nbsp Brucke uber die Ortsumgehung Neuer Weg quert L 3008 bei Kilianstadten Rechts neben dem jenseitigen Widerlager zwischen Gelander und dem mit Planen abgedeckten Strohlager befand sich die Grube in der die Knochen der Opfer gefunden wurden Die Art der Verletzungen und die Altersverteilung der Getoteten sowie der achtlose Umgang mit den Leichen gleicht den Befunden aus Talheim und Schletz und bedeutet dass auch in Kilianstadten die Bewohner einer kompletten Siedlung ermordet oder gefangen genommen wurden Das Fehlen jungerer Frauen unter den Opfern konnte auf Frauenraub hinweisen das Fehlen alterer Kinder konnte bedeuten dass sie im Tumult des Angriffs fluchten konnten wahrend die jungeren Kinder dies moglicherweise nicht versuchten oder dass sie ebenfalls als potentielle Arbeitskrafte gefangen genommen wurden Die damals ubliche Altersverteilung unterstellt galt der Angriff einer Gemeinschaft von insgesamt 30 bis 40 Personen Einzigartig beim Massengrab von Kilianstadten ist der Befund dass die Knochen der Unterschenkel Tibia und Fibula zerschlagen wurden Wahrend die Knochenbruche der Arme noch als Folge von Kampfhandlungen gedeutet werden konnen gilt dies bei den Beinbruchen als unwahrscheinlich stattdessen interpretierten die Mainzer Forscher diese Gewaltanwendung als symbolischen Akt selbst die Getoteten noch am Fliehen zu hindern Die Grunde fur den gewaltsamen Uberfall durch eine vermutlich benachbarte Gruppe von Linearbandkeramikern der fruhesten bauerlichen Gesellschaft Mitteleuropas sind ungeklart Auffallig ist jedoch dass alle drei bislang bekannten Massaker in der Spatphase der linearbandkeramischen Kultur vorkamen als zugleich auch massivere Befestigungen um die damaligen Siedlungen nachweisbar sind Zudem lag die angegriffene Gemeinschaft am Rande der Wetterau sehr nah an einer seit langem bestehenden Grenze zwischen unterschiedlichen Handelswegen fur Feuerstein was auf eine tiefgreifende Kluft zwischen benachbarten Siedlungen hinweisen konnte Forschern des Romisch Germanischen Zentralmuseums zufolge trugen sich die Geschehnisse im Gebiet des heutigen Ortes Kilianstadten zu einer Zeit zu in der wegen gunstiger Klimaverhaltnisse die Bevolkerungszahl erheblich zugenommen hatte so dass die fruchtbare Wetterau sehr dicht besiedelt war Dies bedeute dass sich diese fruhen bauerlichen Gesellschaften eher in guten Zeiten in Richtung vermehrten Konfliktpotentials bewegt hatten hierfur also im Wesentlichen interne soziale und politische Prozesse ausschlaggebend waren Als die unmittelbaren Motive fur die brutale Gewalt zwischen ganzen Gemeinschaften sind Konflikte innerhalb von Siedlungen und Kleinregionen denkbar um Territorien und politische Vormachtstellung oder auch Ressourcen 1 Als erstaunlich gilt allerdings dass die Siedlung nach dem Massaker noch etwa zwei Generationen lang bestehen blieb Dann jedoch endete die linienbandkeramische Kultur auch in der Wetterau und wurde von den nachfolgenden mittelneolithischen Kulturen wie der Hinkelstein Gruppe abgelost Parallelen BearbeitenDas Massengrab von Kilianstadten entstand in zeitlicher und raumlicher Nahe zu den Ereignissen im Bereich der Grabenanlage von Herxheim und zu den bereits erwahnten Massakern von Talheim und Schletz Junger datiert ist das Massaker von Potocani dessen Beteiligte daruber hinaus noch einem anderen archaologischen Kulturkreis angehorten Literatur BearbeitenChristian Meyer Christian Lohr Detlef Gronenborn und Kurt W Alt The massacre mass grave of Schoneck Kilianstadten reveals new insights into collective violence in Early Neolithic Central Europe In PNAS Band 112 Nr 36 2015 S 11217 11222 doi 10 1073 pnas 1504365112 Volltext Christian Meyer Olaf Kurbis Veit Dresely Kurt W Alt Patterns of Collective Violence in the Early Neolithic of Central Europe In Andrea Dolfini Rachel J Crellin Christian Horn und Marion Uckelmann Prehistoric Warfare and Violence Quantitative and Qualitative Approaches Springer International Publishing AG Cham 2018 ISBN 978 3 319 78827 2 S 21 38 Kapitel 2 Volltext PDF Siehe auch BearbeitenMassaker von Halberstadt Massengrab von Wiederstedt Massaker von Koszyce Massaker von NatarukWeblinks BearbeitenGrausames Steinzeit Massaker 7 000 Jahre altes Massengrab zeugt von Folter Verstummelung und Mord In scinexx de 18 August 2015 abgerufen am 15 Juni 2019 Christian Frey Gefoltert erschlagen in die Grube geworfen in Welt Online vom 17 August 2015 Belege Bearbeiten Das spatbandkeramische Massengrab von Kilianstadten sudliche Wetterau In rgzm de Abgerufen am 12 Mai 2019 50 192777777778 8 86075 Koordinaten 50 11 34 N 8 51 38 7 O 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