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Macht und Gewalt ist eine Studie der politischen Theoretikerin Hannah Arendt erstmals veroffentlicht unter dem Titel On Violence 1970 gleichzeitig in den USA und Grossbritannien Sie hatte im Sommer 1968 begonnen diesen Essay auszuarbeiten 1 Auch die deutsche Fassung erschien 1970 Es handelt sich um eine Auseinandersetzung mit damals aktuellen Texten und Praktiken der Studentenbewegung bis einschliesslich 1969 vor allem in Frankreich der Bundesrepublik Deutschland und in den USA hinsichtlich der Gewaltfrage Daruber hinaus legt Arendt eine politische Theorie der Begriffe Macht und Gewalt vor Sie untersucht ihren historischen Bedeutungswandel und ihre gegenseitige Beziehung Arendt definiert diese vielfach synonym verwandten Termini unterschiedlich Uberdies beleuchtet sie kritisch die zeitgenossische politische Weltlage Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 1 1 Beschreibung und Abgrenzung von Gewalt und Macht 1 2 Studentenrebellion und Gewalt 1 3 Politische Mitwirkung der Burger als Alternative 2 Zeitumstande und Rezeption 3 Ausgabe 4 Sekundarliteratur 5 Weblinks 6 FussnotenInhalt BearbeitenBeschreibung und Abgrenzung von Gewalt und Macht Bearbeiten Die Autorin konstatiert dass die Rolle der Gewalt in Geschichte und Politik durch die weltweite Rebellion an den Universitaten und die Diskussionen uber gewaltsamen und friedlichen Widerstand in den Mittelpunkt der offentlichen Aufmerksamkeit geraten ist Als tiefere Ursache dafur bezeichnet sie die immense technische Entwicklung der Gewaltmittel nach dem Zweiten Weltkrieg deren Potential zur Vernichtung der Welt fuhren kann Daher gebe es in moglichen kriegerischen Auseinandersetzungen mit diesen nuklearen oder biologischen Waffen und beim Rustungswettlauf keine Sieger Der heutige 1969 durch Europa bestimmte Staatsbegriff setzt laut Arendt politische Freiheit mit nationaler Unabhangigkeit und Souveranitat gleich Theoretisch konnten die USA sich davon abheben da ihre Verfassung basierend auf der Amerikanischen Revolution einen solchen Nationalstaatsgedanken nicht enthalt Doch die Vereinigten Staaten haben Arendt zufolge inzwischen den europaischen Nationalstaatsgedanken ubernommen und handeln damit nicht mehr im Sinne der Amerikanischen Revolution 2 Den von ihr wahrgenommenen Unterschied zwischen der Franzosischen und der Amerikanischen Revolution beschreibt die Publizistin in ihrer Arbeit Uber die Revolution aus dem Jahr 1963 Demnach gewahrte der Bund der amerikanischen Revolutionare den freien Burgern mehr politische Mitwirkungsmoglichkeiten als der soziale Umsturz der franzosischen Revolution fur die Burger bereithielt Arendt stellt in Macht und Gewalt die These auf dass durch die Wissenschaftsglaubigkeit der Regierungen die Politik das Denken uber Krieg und Frieden durch maschinengesteuerte Prognosen von Computern auf der Grundlage angenommener Konstellationen ersetzt und sich damit von der Wirklichkeit entfernt hat Wissenschaft wird demnach durch Pseudowissenschaft ersetzt Damit wird die gefahrliche Illusion erzeugt Ereignisse konnten verstanden und kontrolliert werden Hingegen laufen Ereignisse nicht automatisch ab sondern unterbrechen gerade automatische Prozesse bzw zur Gewohnheit gewordene Verfahrensweisen Sie wendet sich hier wiederum ihrem alten Thema der Unvorhersehbarkeit der zukunftigen Geschichte zu wenn sie schreibt Zukunftsprognosen sagen voraus was aller Wahrscheinlichkeit nach eintreten wird wenn Menschen nicht handelnd eingreifen und wenn nichts Unerwartetes geschieht 3 Sich von futurologischen Prognosen abgrenzend argumentiert sie mit Proudhon die Fruchtbarkeit des Unerwarteten ubersteige bei weitem die Weisheit des Staatsmannes Sie polemisiert gegen Engels und Trotzki die Unvorhersehbares unterschatzt hatten und bezeichnet Schlusse aus der Gegenwart auf die Zukunft als Projektionen mit denen Historiker zu Propheten werden Hiermit tritt eine hypnotische Wirkung ein der gesunde Menschenverstand schwindet und die Menschen konnen sich nicht mehr verstehen und in der Wirklichkeit handelnd orientieren 4 Den Unterschied zwischen Gewalt und Macht sieht sie darin dass erstere Werkzeuge zur Erreichung ihrer politischen Ziele erfordert Die Mittel halt sie dabei auf Grund der rasanten technischen Entwicklung fur erheblich bedeutsamer als die jeweiligen Zwecke Ein Atomkrieg kann beispielsweise zum Selbstmordmittel fur die ganze Welt werden der Einsatz biologischer Waffen zum Kampfmittel Einzelner oder kleiner Gruppen Gewalthandlungen haben immer etwas Zufalliges Willkurliches an sich Auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit totaler Herrschaft postuliert die Autorin dass der Hang zur Unterwerfung der Trieb zum Gehorsam und der Schrei nach dem starken Mann in der menschlichen Psychologie eine mindestens ebenso grosse Rolle spielt wie der Wille zur Macht 5 Unter Macht versteht sie indes im Sinne der griechischen Tradition eine Organisation der Gleichen im Rahmen des Gesetzes 6 Sie fahrt fort Was den Institutionen und Gesetzen eines Landes Macht verleiht ist die Unterstutzung des Volkes die wiederum nur die Fortsetzung jenes ursprunglichen Konsenses ist welcher Institutionen und Gesetze ins Leben gerufen hat Erzwungener Gehorsam verleihe keine Macht 7 Die Macht entspringt unterstreicht Arendt der menschlichen Fahigkeit sich handelnd mit anderen zusammenzuschliessen Uber Macht verfugt niemals ein Einzelner Ausschliesslich Gruppen konnen Macht haben 8 Aus Arendts Sicht treten Macht und Gewalt in unterschiedlicher Konstellation gewohnlich zusammen auf Nur in extremen Fallen hat die Gewalt die absolute Ubermacht Selbst die totale Herrschaft 9 benotigt eine Machtbasis So wurde die Herrschaft uber die Sklaven durch die solidarische uberlegene Organisation der Sklavenhalter abgesichert 10 Die verbreitete Vorstellung Revolutionen seien Folge eines bewaffneten Aufstands bezeichnet die Publizistin als Marchen Als Beispiel dafur dass Revolutionen nicht gemacht werden konnen nennt sie den Ungarischen Volksaufstand 1956 wo nicht die Gewalt sondern die geistige Uberlegenheit der Aufstandischen gesiegt habe als Polizei und Armee nicht mehr bereit waren ihre Waffen zu gebrauchen Sie schlussfolgert Wo Gewalt der Gewalt gegenubersteht hat sich noch immer die Staatsgewalt als Sieger erwiesen Aber diese an sich absolute Uberlegenheit wahrt nur solange als die Machtstruktur des Staates intakt ist das heisst solange Befehle befolgt werden und Polizei und Armee bereit sind von ihren Waffen Gebrauch zu machen 11 Wie schon in anderen Werken spricht sie sich wiederum fur die politische Beteiligung der Burger am Staat aus Denn Macht gehort in der Tat zum Wesen aller staatlichen Gemeinwesen Gewalt jedoch nicht Gewalt sei instrumental und diene immer einem Zweck Macht wie auch Friede bezeichnet sie hingegen als etwas Absolutes als Selbstzweck Die Machtstrukturen gehen danach Zielen voraus und uberdauern sie Wenn der Staat wie Arendt ihn definiert organisierte und institutionalisierte Macht ist hat die Frage nach seinem Endzweck keinen Sinn Macht bedarf nach Arendt der Legitimitat Gewalt indessen kann nie legitim sein Gewalt kann zwar Macht vernichten jedoch keine Macht erzeugen 12 Wiederum widmet sich Arendt der Frage nach der Schuld diesmal am Beispiel der zeitgenossischen Unterdruckung der Schwarzen in den USA Wahrend die weissen Liberalen die berechtigten Beschwerden der Negerbevolkerung mit der Aussage Alle sind schuldig beantwortet hatten benutzte die Black Power Bewegung dieses Bekenntnis dazu eine schwarze Wut auf den weissen Mann uberhaupt zu entfachen Wo alle schuldig sind ist es keiner gegen die Entdeckung der wirklich Schuldigen oder Verantwortlichen die Missstande abstellen konnten gibt es keinen besseren Schutz als kollektive Schuldbekenntnisse hebt Arendt hervor 13 Aus ihrer Sicht ist Gewalt nur rational wenn kurzfristige Ziele damit verfolgt werden Langfristige Ziele sind demnach fur Menschen die politisch handeln nicht vorhersehbar da es keine notwendige geschichtliche Entwicklung in irgendeine Richtung gibt Arendt betont dass Gewalt Missstande dramatisieren und die offentliche Aufmerksamkeit auf sie lenken kann Daher fordert sie einen Zusatz zur Verfassung der symbolische Gewalt wie Sit ins Sitzblockaden straffrei stellen sollte Ziviler Ungehorsam Laut Arendt gab es bisher nur wenige Autoren die Gewalt um ihrer selbst willen verherrlicht haben Sie nennt Georges Sorel Wilfredo Pareto und Frantz Fanon Diese hegten einen tieferen Hass auf die Gesellschaft und vollzogen einen erheblich radikaleren Bruch mit ihrem Sittenkodex als die konventionelle Linke deren Hauptmotive das Mitleiden waren 14 Studentenrebellion und Gewalt Bearbeiten Die weltweite Studentenrebellion begrusst Arendt als ursprunglich moralisch motivierte Bewegung die vor allem in den USA zur friedlichen Reform der Universitaten beigetragen habe jedoch immer problematisch wurde wenn sie Gewalt anwandte oder sich langfristigen politischen Zielen zuwandte Die Autorin setzt sich mit veroffentlichten Texten insbesondere der deutschen und der US amerikanischen Bewegung auseinander und bewertet die Praxis der amerikanischen Studenten und Burgerrechtsbewegung sowie der Black Panther Organisation An den Sohn ihres Freundes Erich Cohn Bendit im Pariser Exil den Studentenfuhrer Daniel Cohn Bendit schrieb sie 1968 sein Vater ware stolz auf ihn gewesen hatte er das Engagement seines Sohnes im Pariser Mai verfolgen konnen Trotz ihrer positiven Grundhaltung zur Studentenbewegung ubte sie derart heftige Kritik dass viele ihre allgemeine Position ubersahen In einem Interview mit Adelbert Reif uber Macht und Gewalt welches in der deutschen Ausgabe des Buches abgedruckt ist stellte sie diese positive Grundbewertung aber auch Abgrenzung nochmals klar 15 In Macht und Gewalt hebt Arendt hervor Die Neue Linke habe zunachst mit grossem Erfolg gewaltfrei fur die Burgerrechte der Neger gekampft und gegen den Krieg in Vietnam Widerstand geleistet Doch schon bald 1969 kritisiert sie gab es eine Eskalation der Gewalt Sie kennzeichnet die neue Generation von Rebellen als mutig mit Lust am Handeln Diese agiere angesichts der Bedrohung des Lebens auf der Erde durch den technischen Fortschritt bewusster als die altere 16 diejenigen die sich am heftigsten und kompromisslosesten uber sie die Rebellen entrusten sind zumeist auch der Meinung dass wir in der besten aller moglichen Welten 17 leben Sie weigern sich demzufolge die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen 18 Die Studentenbewegung handle lokal und daher vielfaltig obwohl sie ein weltweites Phanomen sei Theoretische Gewaltkonzepte die die Rhetorik der Neuen Linken bestimmen beziehe sie z B von Frantz Fanon und Jean Paul Sartre Es bestehe dabei die Gefahr die Gewalt zum Allheilmittel zu erklaren Gedanken Emotionen und Vorstellungen uber Gewalt und Helden lebten auf die sich zunachst in Grosssprecherei ausserten Diese Ideen glaubte Marx bereits begraben zu haben argumentiert die politische Theoretikerin Die Verwirklichung von Rachegedanken und blinder Wut lasse Menschheitstraume zu Alptraumen werden 19 Wie selten waren Sklavenaufstande in der Geschichte wo horen wir schon von Revolten der Erniedrigten und Beleidigten Und wo es schon einmal zu einer Verwirklichung solcher Traume kam da war es die Entfesselung der blinden Wut die den Traum fur alle zum Alptraum werden liess 20 Auch im Falle des Sieges andere sich weder die Welt noch das System sondern nur das Personal Die Impulse fur Gewalttatigkeiten an den Universitaten und auf den Strassen der westlichen Industriestaaten sieht sie in den Zielen der Rebellen dem Feind die Maske vom Gesicht zu reissen seine Machenschaften und Manipulationen zu entlarven die es ihm erlauben ohne Gewaltmittel zu herrschen d h auch auf die Gefahr der eigenen Vernichtung hin Aktionen zu provozieren damit die Wahrheit ans Licht kommt 21 Selbstverteidigung indessen versteht sie nicht als irrationale Gewalt Die gewalttatige Antwort auf staatliche Heuchelei lehnt sie insofern ab als damit die Jagd auf Verdachtige seitens des Staates hervorgerufen werde Als Beispiel fuhrt sie ein Pamphlet deutscher Studenten an das Der Spiegel Anfang 1969 zitiert hatte und ausserte sich dazu folgendermassen Um zu glauben Erst dann wenn der Staat die Gewalt offen praktiziert konnen wir diese Scheiss Gesellschaft mit angemessenen Mitteln bekampfen und vernichten 22 muss man offenbar den Verstand verloren haben 23 Diese vulgarisierte Variante der kommunistischen Politik der 1930er Jahre zeige den politischen Schwachsinn von Glaubigen 24 Die Autorin stellt fest dass die deutschen Studenten mehr zum Theoretisieren neigen als ihre Kommilitonen in Landern mit anderer politischer Tradition Daher sei die Isolierung der Bewegung in Deutschland besonders ausgepragt Die deutschen Studenten wirken so Arendt weiter als Mahner und Erinnerer fur die Alten was die Abneigung noch grosser mache 25 Besonders kritisiert Arendt dass die deutschen Studentenrebellen sich nicht ernsthaft fur die Anerkennung der Oder Neisse Linie einsetzen eine Frage die die politische Denkerin fur den Dreh und Angelpunkt der deutschen Aussenpolitik halt und auch fur den Prufstein des deutschen Nationalismus 26 Die Autorin beschaftigt sich mit der Anwendung kollektiver militarischer wie revolutionarer Gewalt wodurch hier zitiert sie Fanon individualistische Werte als erste verschwinden An deren Stelle tritt die so genannte Kameradschaft die intensiver empfunden wird als alle Formen von Freundschaft oder Solidaritat 27 Laut Arendt existiert ein Zauber des kollektiv gewalttatigen Handelns Diese Faszination der Bruderlichkeit ist in allen solchen Situationen zu finden auch auf dem Schlachtfeld 28 Der eigene Tod ist von der Unsterblichkeit der Gruppe zu der wir gehoren begleitet Es scheint als ob die unsterbliche Lebenskraft da aktuell ist wo die Gewalttatigkeit herrscht Diese elementaren Erfahrungen haben jedoch vermerkt Arendt noch nie zu dauerhaften politischen Institutionen gefuhrt 29 Sie verleiten vielmehr zu falschen Hoffnungen dass namlich aus ihnen eine neue Gemeinschaft und ein neuer Mensch entstehen konnten Als Beispiel fuhrt sie Rudi Dutschke an der den utopischen Unsinn von der Herausbildung des neuen Menschen vertrete Die sei jedoch eine Illusion weil keine menschliche Verbundenheit verganglicher ist als die Bruderlichkeit welche sehr schnell verschwindet wenn das Leben wieder normal geworden ist 30 Theorien der Gewalt sind besonders aus den Lebensphilosophien Nietzsches und Bergsons bekannt Auf dem Hintergrund der Apologien der Gewalt Georges Sorel und Wilfredo Pareto sieht sie die Gewaltlehren des 20 Jahrhunderts Fur die wahre Elite der modernen Welt halt sie gegenwartig 1969 die Gemeinschaft der Wissenschaftler und Intellektuellen Daniel Bell wegen der enormen Produktionssteigerung der letzten Jahrzehnte die ausschliesslich den Wissenschaftlern zuzuschreiben sei 31 Diese Elite ist nicht an Klassen gebunden es fehlen ihr Erfahrungen mit der Machterzeugung und Machtausubung Sie fuhlt sich so Arendt kulturellen und damit auch revolutionaren Traditionen verpflichtet ist aber verstreut und sich uber ihre neue Rolle in der Gesellschaft nicht unbedingt bewusst Zu dieser Schicht werden fahrt Arendt fort auch die rebellischsten der Studenten gehoren die jetzt noch um Anerkennung derjenigen werben die ihnen feindlich gesinnt sind weil jede Storung des glatten Funktionierens der Konsumgesellschaft sie am empfindlichsten treffen wurde 32 An anderer Stelle betont sie dass die grosse Mehrheit der jungen Rebellen nur zu gern ihre Entfremdungspolitik aufgeben wurde und bei der ersten ernsten Gelegenheit alles zu tun bereit sei nicht um an dem Umsturz des Systems mitzuhelfen sondern um es wieder in Gang zu bringen 33 Auf der ganzen Welt gibt es schreibt Arendt eine Gemeinsamkeit aller Studentenunruhen den Kampf gegen die Burokraten 34 Auf den ersten Blick unterscheiden sich die ostlichen Bewegungen fur Rede und Gedankenfreiheit von den westlichen die uber diese Errungenschaften bereits verfugen und sie sogar fur eine Art von Betrug halten unterstreicht Arendt Die Rebellen des Ostens fordern jedoch die Vorbedingungen fur politisches Handeln wohingegen die des Westens sich gegen das Uberhandnehmen gigantischer anonymer Verwaltungsapparate das Aufkommen riesiger Parteiburokratien und die mangelnde Moglichkeit zu politischem Handeln wenden 35 Politische Mitwirkung der Burger als Alternative Bearbeiten Arendt bezieht sich auf Pavel Kohout der im Fruhjahr 1968 auf dem Hohepunkt des tschechoslowakischen Experiments den freien Burger als Burger Mitregenten forderte d h eine Mitbestimmungsdemokratie participatory democracy die in den letzten Jahren im Westen uberall den modernen Reprasentativ Systemen entgegengestellt worden sei 36 Sie stamme aus bester revolutionarer Tradition dem Ratesystem dieser immer wieder vernichteten einzig authentisch aus der Revolution geborenen Staatsform 37 Dazu bedurfe es nicht der Gewalt Deren Verherrlichung sei vielmehr Folge des neuzeitlichen Praxisentzugs Ob die Krawalle in den amerikanischen Ghettos und die Unruhen in den Universitaten der Beginn von etwas Neuem sind halt Arendt fur ungewiss In den USA sieht sie die Gefahr dass Senat und Reprasentantenhaus als legislative Institutionen die auf Gewaltenteilung beruhen von der Exekutive d h vom Prasidenten immer mehr entmachtet werden Jeder Machtverlust offne der Gewalt Tor und Tur weil Machthaber die fuhlen dass die Macht ihren Handen entgleitet der Versuchung sie durch Gewalt zu ersetzen nur sehr selten in der Geschichte haben widerstehen konnen 38 Gegenuber Reif 1970 spricht Arendt uber eine mogliche aber sehr unwahrscheinliche neue Staatsform den foderalistischen Ratestaat mit einem Parlament zur Meinungsbildung durch Vielfalt ohne Parteienvertreter Sie weist aber auch darauf hin dass alle historischen Versuche ein Ratesystem einzufuhren gescheitert sind 39 Zeitumstande und Rezeption BearbeitenDie Arendt Biografin Elisabeth Young Bruehl 1982 erlautert die Umstande unter denen das Werk entstand Ihr zufolge waren Arendt und ihr Ehemann Heinrich Blucher zunachst von der uberwiegend gewaltlosen Studentenrebellion in Frankreich begeistert Auch in den USA sprach sich die Denkerin auf der Basis ihrer Analyse des Unterschieds zwischen Macht und Gewalt fur moglichst friedliche Formen grundsatzlichen Protestes aus 40 Sie wandte sich gegen die Rechtfertigung revolutionarer Gewalt durch Marx Sorel oder Sartre Die staatliche Gewalt gegen Burgerprotest kann so Arendt auf einer Veranstaltung Ende 1967 das Ende der Republik bedeuten Aber die gleiche Gefahr besteht wenn die Rebellierenden vor bewaffneter Revolte nicht zuruckschrecken 41 Wenig spater billigte sie der Gewalt partiell die Rolle zu eine Situation zu dramatisieren Nach Gewalterfahrungen z B bei Demonstrationen oder der Besetzung von Universitaten nahm sie wiederum ihre ursprungliche Position ein 42 Arendt beteiligte sich niemals an Massenaktionen vielmehr kommentierte sie aus der Perspektive einer Beobachterin die die Demokratie starken wollte 43 Jurgen Habermas 1981 beschreibt Hannah Arendts Begriff der Macht in Abgrenzung zu den unterschiedlich zweckorientierten teleologischen Aussagen daruber bei Max Weber und Talcott Parsons Arendt entwickele dagegen ein kommunikatives Handlungsmodell in dem die Ergebnisse des Austausches gleicher Burger zwecks Verstandigung uber einen gemeinsamen Willen zum Selbstzweck werden Institutionen werden aufgrund solcher Macht errichtet und geschutzt 44 Arendts zentrale These laute Keine politische Fuhrung kann ungestraft Macht durch Gewalt ersetzen und Macht kann sie einzig aus einer nicht deformierten Offentlichkeit gewinnen 45 Habermas beurteilt Arendt und Karl Jaspers als zwar elitar aber gleichzeitig radikaldemokratisch Kritisch merkt er an Arendts Einengung des Politischen auf durch Kommunikation erzeugte Macht lasst sie alle strategischen Elemente von Macht als Gewalt in der Politik negativ kennzeichnen Zudem vernachlassige sie Okonomie wie auch Gesellschaft und konne Erscheinungen struktureller Gewalt nicht fassen 46 Nach Arendts Modell so Habermas 1992 bringt kommunikativ entstandene Macht legitimes Recht hervor ein System der Rechte das laut Habermas auf Sanktions Organisations und Exekutivfunktionen angewiesen ist Ihr Modell erklart zwar die Herkunft politischer Macht nicht aber den Prozess der Machtausubung und den Kampf um Positionen 47 Im Arendt Handbuch 2011 bezeichnet Winfried Thaa den Essay als Quintessenz Arendtschen Denkens zur Einfuhrung in ihr Werk gut geeignet 48 Ausgabe BearbeitenHannah Arendt Macht und Gewalt Originalausgabe On Violence New York 1970 Piper TB Munchen Zurich 1 Auflage 1970 10 Aufl 1995 ISBN 978 3 492 20001 1 Anhang Adelbert Reif Interview mit Hannah Arendt zu Macht und Gewalt 1970Sekundarliteratur BearbeitenJurgen Habermas Hannah Arendt In Philosophisch politische Profile 1981 Suhrkamp TB Frankfurt a M 1987 ISBN 3 518 28259 X S 223 248 darin vor allem Hannah Arendts Begriff der Macht 1976 Jurgen Habermas Hannah Arendts Begriff der Macht In Politik Kunst Religion Essays uber zeitgenossische Philosophen Reclam Stuttgart 1978 ISBN 3 150 09902 1 zuerst Merkur Zeitschrift fur europaisches Denken Nr 341 30 Jg Oktober Ernst Klett Stuttgart 1976 Schwerpunkt In Memoriam Hannah Arendt ISBN 3129737014 S 946 960 Winfried Thaa Macht und Gewalt On Violence In Wolfgang Heuer Bernd Heiter Stefanie Rosenmuller Hrsg Arendt Handbuch Leben Werk Wirkung J B Metzler Stuttgart Weimar 2011 ISBN 978 3 476 02255 4 S 114 117 Elisabeth Young Bruehl Hannah Arendt Leben Werk und Zeit Fischer Frankfurt a M 2004 ISBN 3 596 16010 3 S 562 576 Amerikan Originalausgabe For Love of the World 1982 Weblinks BearbeitenHannah Arendt On Violence Abgerufen am 13 Juni 2023 Fussnoten Bearbeiten Elisabeth Young Bruehl Hannah Arendt Leben Werk und Zeit Frankfurt a M 2004 S 573 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 10 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 11f Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 12 Friedrich Nietzsche pragte den Begriff Wille zur Macht Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 41 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 42 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 45 siehe Elemente und Ursprunge totaler Herrschaft Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 51 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 49 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 52f 57 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 65 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 66 Adalbert Reif Interview mit Hannah Arendt 1970 In Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 109 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 18 21 Die Wendung Die beste aller moglichen Welten geht auf den Philosophen Leibniz zuruck Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 21 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 23f Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 24 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 66 Arendt zitiert hier aus Wann und wie In Der Spiegel Nr 7 1969 S 30 online 10 Februar 1969 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 99 siehe Politische Religion Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 99 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 100 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 67 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 68 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 69 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 70 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 72f Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 73 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 85 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 80 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 81f Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 25 82 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 25 Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 86 Adalbert Reif Interview mit Hannah Arendt 1970 In Hannah Arendt Macht und Gewalt TB Munchen Zurich 2003 S 132f 131 Arendt bezieht sich hier explizit auf ihr Werk Uber die Revolution Elisabeth Young Bruehl Hannah Arendt Leben Werk und Zeit Frankfurt a M 2004 S 563f Elisabeth Young Bruehl Hannah Arendt Leben Werk und Zeit Frankfurt a M 2004 S 565f 569 Elisabeth Young Bruehl Hannah Arendt Leben Werk und Zeit Frankfurt a M 2004 S 567ff Elisabeth Young Bruehl Hannah Arendt Leben Werk und Zeit Frankfurt a M 2004 S 567 573 Jurgen Habermas Philosophisch politische Profile 1981 Suhrkamp TB Frankfurt a M 1987 S 229ff Jurgen Habermas Philosophisch politische Profile 1981 Suhrkamp TB Frankfurt a M 1987 Zitat S 234 Jurgen Habermas Philosophisch politische Profile 1981 Suhrkamp TB Frankfurt a M 1987 S 336 240f Jurgen Habermas Faktizitat und Geltung Beitrage zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats Frankfurt a M 1992 S 182 186 Winfried Thaa In Arendt Handbuch Stuttgart Weimar 2011 S 114 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Macht und Gewalt amp oldid 234583029