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Als Loccumer Vertrag wird der zwischen dem Land Niedersachsen und den evangelischen Landeskirchen in Niedersachsen am 19 Marz 1955 geschlossene Vertrag bezeichnet Die Bezeichnung bezieht sich auf den Unterzeichnungsort das Kloster Loccum Der Loccumer Vertrag wurde 1965 durch einen Erganzungsvertrag modifiziert Er gehort zur Gattung der Staatskirchenvertrage Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt des Vertrags 2 Einzelne Regelungen des Vertrags 2 1 Offentlichkeitsauftrag der Kirchen Loccumer Formel 2 2 Politische Klausel 2 3 Triennium 2 4 Theologische Fakultaten 3 Bedeutung 4 Einzelnachweise 5 Literatur 6 WeblinksInhalt des Vertrags BearbeitenDer Loccumer Vertrag ist ein umfassender Vertrag zwischen Staat und den evangelischen Kirchen im Gebiet des Landes Niedersachsen den Landeskirchen Hannover Braunschweig Oldenburg und Schaumburg Lippe Er unterscheidet sich insoweit von Vertragen die nur eine bestimmte Materie regeln etwa die Gefangnisseelsorge Staatsleistungen etc Der Regelungsgehalt betrifft umfassend die gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirchen wie etwa den Religionsunterricht theologische Fakultaten Anstaltsseelsorge politische Klausel Anderungen der Parochien Kirchensteuer Staatsleistungen usw Daneben wurden die religionsspezifischen Freiheitsverburgungen der Verfassung wiederholt wie etwa Religionsfreiheit Wirken in der Offentlichkeit diakonisches Handeln und kirchliches Selbstbestimmungsrecht und auf einer vertraglichen Ebene bekraftigt Am gleichen Tag wurde zur Regelung der Durchfuhrung noch eine Zusatzvereinbarung geschlossen die Teil des Vertragswerk ist In einem Erganzungsvertrag von 1965 wurden Bildungs und Kulturfragen im Anschluss an die Regelungen des Niedersachsischen Konkordats von 1965 geklart Einzelne Regelungen des Vertrags BearbeitenOffentlichkeitsauftrag der Kirchen Loccumer Formel Bearbeiten In der Praambel des Vertrages erklaren die Vertragspartner Ubereinstimmung uber den Offentlichkeitsauftrag der Kirche und ihre Eigenstandigkeit Der Begriff vom Offentlichkeitsanspruch der Kirche wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Rudolf Smend gepragt und im Sinne der damaligen Koordinationslehre ausgefullt Inhaltlich sollte diese spater sog Loccumer Formel der Kirche eine ethische politische Wachterrolle und ein Widerstandsrecht gegen den Staat geben Der Staat sollte entsprechend der bis Ende der 1960er Jahre vorherrschenden Koordinationslehre anerkennen dass die Sichtweise der Kirchen in politischen Entscheidungen im Interesse des Gemeinwohls Gewicht haben solle Weiterer Ausfluss der Koordinationslehre war die in der Loccumer Formel zum Ausdruck kommende Eigenstandigkeit der Kirchen d h diese waren nicht von einer staatlichen Gewahrleistung abhangige Rechtssubjekte Sie bestanden vielmehr unabhangig vom Staat und waren seiner Regelungsmacht nicht vollstandig unterworfen sie standen ihm eher auf gleicher Ebene denn als Rechtsunterworfene gegenuber Die Loccumer Formel hat in ihrer Reichweite mit Uberwindung der Koordinationslehre Kritik und Neubewertung erfahren Gleichwohl wurde sie weiter verwendet etwa auch in den Kirchenvertragen der neuen Bundeslander in den 1990er Jahren und in der Brandenburgischen Verfassung Der Offentlichkeitsauftrag wird nicht mehr als ein politisches Wachteramt der Kirchen aufgefasst sondern als Ausfluss der Meinungs sowie der Bekenntnisfreiheit Die Kirchen sollen sich entsprechend dieser Konzeption frei am gesellschaftlichen Leben beteiligen konnen Die Loccumer Formel verarbeitet damit in den ostdeutschen Kirchenvertragen die Erfahrungen aus der DDR wo die kirchliche Tatigkeit mannigfaltigen Beschrankungen und Diskriminierungen ausgesetzt war Sie hat sich gewandelt von einer Beschreibung eines Gemeinwohlauftrags hin zu einer Freiheitsverburgung der Kirchen Politische Klausel Bearbeiten Die Kirchenvertrage der Weimarer Zeit sahen bei Ernennung kirchenleitender Positionen staatliche Informationsrechte vor Vor Besetzung bestimmter kirchlicher Amter z B Bischof verpflichtete sich die Kirche zur Nachfrage bei der Landesregierung ob gegen die Kandidaten fur die Position Bedenken allgemein politischer Art bestehen Mit den entsprechenden Regelungen war auch bereits zu Weimarer Zeit wegen der Regelung in Art 137 WRV Religionsgemeinschaften verleihen ihre Amter ohne Mitwirkung des Staates kein Vetorecht des Staates verbunden Der Staat konnte ausdrucklich nur staatspolitische Einwande geltend machen nicht jedoch parteipolitische oder kirchliche Der Loccumer Vertrag behalt diese Tradition bei und regelt eine Nachfragepflicht der Kirche in Artikel 7 Die Regelung wird dahingehend verstanden dass die Landesregierung Vorbehalte aus staatspolitischen Grunden geltend machen kann wenn der Kandidat eine Fundamentalopposition zum Staat einnimmt Nach Art 7 Abs 1 S 2 gilt diese vorherige Informations und Ruckversicherungspflicht nicht in den Fallen wo ein Amt durch die Synode mittels Wahl besetzt wird Indem mittlerweile jedes kirchenleitende Amt durch die Synode vergeben wird hat die politische Klausel keine praktische Bedeutung mehr 1 Triennium Bearbeiten Das sog Triennium vereinbart traditionell die Voraussetzungen fur die Berufung zum geistlichen Amt in der Kirche Artikel 8 und 9 des Loccumer Vertrags bestimmen zu Voraussetzungen fur die Anstellung deutsche Staatsangehorigkeit Hochschulzugangsberechtigung mindestens dreijahriges theologisches Studium an einer deutschen staatlichen oder gleichgestellten osterreichischen schweizerischen HochschuleDas Erfordernis der deutschen Staatsangehorigkeit geht zuruck auf staatskirchliche Zeiten als Pfarrer Staatsbeamte waren Unter Geltung von Grundgesetz und europarechtlichen Diskriminierungsverboten ist diese Voraussetzung wohl rechtswidrig 2 Aufgrund der unbeschrankten einvernehmlichen Dispensationsmoglichkeiten in Art 8 Abs 2 ist das Erfordernis der deutschen Staatsangehorigkeit praktisch nicht mehr bedeutsam Das letzte Kriterium dient der Sicherung der Auslastung der theologischen Fakultaten Fur diese soll nur solange eine Bestandsgarantie gelten wie die Kirchen hier auch ihre spateren Amtstrager ausbilden lassen 3 Die Regelungen uber die notwendige Vorbildung soll auch den Gleichklang mit dem staatlichen Dienstrecht gewahrleisten indem eine ungefahre Aquivalenz des Pfarramts zum hoheren Dienst in der offentlichen Verwaltung vgl etwa 13 BBG mit seinen Voraussetzungen sichergestellt wird Theologische Fakultaten Bearbeiten Im Bereich des Landes Niedersachsen wird durch Art 3 der Fortbestand der theologischen Fakultaten garantiert Die Berufung von Hochschullehrern sieht ein Stellungnahmeverfahren seitens der Landeskirchen vor wobei nach dem Vertragstext die Landeskirchen an der Entscheidung nicht mitwirken sondern nur eine Einschatzung abgeben konnen Aufgrund der Bekenntnisbezogenheit von Forschung und Lehre in der theologischen Fakultat und der religios weltanschaulichen Neutralitat des Staates steht den Kirchen gleichwohl eine Mitentscheidung zu d h ohne ihr Einverstandnis kann kein Hochschullehrer zur Ausbildung der angehenden Pfarrer berufen werden 4 Im Loccumer Vertrag fehlt auch ein nachtragliches Beanstandungsrecht fur Hochschullehrer Eine entsprechende Befugnis wie sie traditionellerweise in den katholischen Konkordaten vorzufinden ist wird den evangelischen Kirchen gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Grunden zugesprochen Die religios weltanschauliche Neutralitat und Bekenntnisbezogenheit gebietet dass nur auf dem Boden von Bekenntnis und Lehre der evangelischen Kirche stehende Hochschullehrer an der Ausbildung der angehenden Pfarrer mitwirken Anwendungsfall ist der Gottinger Theologe Gerd Ludemann der sich vom Christentum lossagte daraufhin nicht mehr in die Theologenausbildung einbezogen wurde und nicht mehr Teil der theologischen Fakultat ist Bedeutung BearbeitenDer Loccumer Vertrag war der erste umfassende Vertrag zwischen dem Staat und einer Religionsgemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg und unter Geltung des Grundgesetzes Nach der ersten Hochphase in der Weimarer Zeit mit Abschluss des preussischen bayerischen und badischen Kirchenvertrags wurde durch den Loccumer Vertrag die Zweckmassigkeit und Notwendigkeit des Vertragsmittels auch unter Geltung des Grundgesetzes aufgezeigt Auch unter den neuen Rahmenbedingungen des Grundgesetzes gab es somit einen vertraglichen Regelungsbedarf Der Loccumer Vertrag hatte Modellcharakter und Vorbildfunktion fur die Staatskirchenvertrage die in der folgenden Zeit abgeschlossen wurden Er bildete den Anfangspunkt der zweiten Phase der Staatskirchenvertrage die mit dem Abschluss des hessischen Kirchenvertrages 1965 ihr Ende fand Diese Staatskirchenvertrage waren angelehnt an die Formulierungen und Regelungen des Loccumer Vertrags Insofern war der Loccumer Vertrag pragend fur die Staatskirchenvertrage bis zum Beginn der dritten Phase der Staatskirchenvertrage beginnend mit dem Wittenberger Vertrag aus 1993 Im Unterschied zur Weimarer Zeit ubernahm mit dem Loccumer Vertrag ein evangelischer Kirchenvertrag die Vorbildfunktion Erst danach erfolgten in Niedersachsen ausserst schwierige Verhandlungen mit der katholischen Kirche zwecks Abschluss eines Konkordats auf Landesebene Einerseits war die Moglichkeit eines Vertragsschlusses anders als mitunter in der Weimarer Republik mit den evangelischen Landeskirchen unbestritten Auf der anderen Seite existierte keine dem Reichskonkordat vergleichbare bundesweite Regelung des Verhaltnisses zwischen Staat und Landeskirchen auf evangelischer Seite Die katholische Seite wollte keine das Reichskonkordat abwertende Vertragspraxis fordern und stand einem Neuabschluss entsprechend ablehnend gegenuber Erst mit dem Konkordatsurteil des BVerfG anderte sich diese Haltung 5 indem die auf Bundesebene beschrankte Wirksamkeit des Reichskonkordates festgestellt wurde Die Regelungen des Loccumer Vertrags sind im Vergleich zu den Kirchenvertragen aus der Weimarer Zeit bereits weniger staatskirchlich ausgepragt und beachten in umfangreicherem Masse die kirchliche Unabhangigkeit Der Loccumer Vertrag und mit ihm generell das Mittel des Vertrages zwischen Staat und Religionsgemeinschaften wurde bis in die 1990er Jahre als Ausdruck der damaligen Koordinationslehre angesehen Mit der Uberwindung der Koordinationslehre schien auch das Mittel des Vertrags nicht mehr zeitgemass zu sein Mit den sich an die Wiedervereinigung anschliessenden Vertragsabschlussen zwischen den Religionsgemeinschaften und den neuen Bundeslandern ist diese Einschatzung jedoch uberholt Mit Inkrafttreten des baden wurttembergischen Kirchenvertrages 2008 bestehen im gesamten Bundesgebiet auf Landerebene vertragliche Regelungen zwischen Staat und evangelischer Kirche Einzelnachweise Bearbeiten Weber Der Wittenberger Vertrag Ein Loccum fur die neuen Bundeslander In NVwZ 1994 S 759 765 Claudio Fuchs Das Staatskirchenrecht der neuen Bundeslander S 126 Weber Der Wittenberger Vertrag Ein Loccum fur die neuen Bundeslander In NVwZ1 1994 S 759 765 Martin Heckel Die theologischen Fakultaten im weltlichen Verfassungsstaat S von Campenhausen Erich Ruppel Kirchenvertragsrecht NVwZ 1997 S 260 Literatur BearbeitenUlrich Scheuner Die staatskirchenrechtliche Tragweite des niedersachsischen Kirchenvertrags von Kloster Loccum ZevKR 6 1957 58 S 1 ff Rudolf Smend Der niedersachsische Kirchenvertrag und das heutige deutsche Staatskirchenrecht In JZ 1956 S 50 ff Weblinks BearbeitenWolfgang Huber zu 50 Jahren Loccumer Vertrag Volltext Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Loccumer Vertrag amp oldid 231271217