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Das Linde Verfahren ist eine 1895 von Carl von Linde entwickelte technische Methode zur Gastrennung welche die Verflussigung von Gasgemischen wie Luft und einzelnen atmospharischen Gasen wie Sauerstoff Stickstoff und Argon Edelgase in grossen Mengen ermoglicht und in diesem Sinne der Kalteerzeugung im Temperaturbereich von 77 bis 100 Kelvin K dient Zusammensetzung der Luft Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Prinzip 3 Anwendung 3 1 Luftverflussigung 3 2 Fraktionieren der verflussigten Luft 3 3 Verflussigung von Wasserstoff und Helium 4 Physikalische Grundlagen 5 Alternative Verfahren 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenIn den Jahren 1893 und 1894 arbeitete Carl von Linde an einer Kohlensaurekaltemaschine die er von der Maschinenfabrik Augsburg bauen liess 1 mit der im Jahre 1895 die Verflussigung grosserer Mengen Luft gelang Zur gleichen Zeit arbeitete William Hampson in England an einem Luftverflussigungsverfahren Hampson meldete seine Erfindung am 23 Mai 1895 in Grossbritannien zum Patent an 2 Linde wenige Tage spater in Deutschland am 5 Juni 1895 3 Nach anfanglicher Nutzung des Verfahrens fur akademische Zwecke wurde im Februar 1901 eine erste Luftzerlegungsanlage im Pullacher Ortsteil Hollriegelskreuth errichtet mit der ein Gemisch aus 50 Sauerstoff und 50 Stickstoff hergestellt wurde Zwei Jahre spater produzierte dort eine Anlage 98 igen Sauerstoff An diesem Standort befand sich bis zum Jahre 2018 auch der Hauptsitz der Linde AG Auch heute noch werden Luftzerlegungsanlagen grosstechnisch genutzt um gasformigen und flussigen Sauerstoff GOX und LOX von liquid oxygen als Technik Codes Stickstoff GAN und LIN und Edelgase zu gewinnen Zur Kalteerzeugung wird das Linde Verfahren in seinem ursprunglichen Aufbau hingegen nicht mehr verwendet da inzwischen effizientere technische Umsetzungen Hubkolbenexpander oder Entspannungsturbinen entwickelt wurden Deren Kalteerzeugung basiert nicht langer auf dem reinen Joule Thomson Effekt des ursprunglichen Linde Verfahrens sondern auf der Erzielung einer moglichst adiabatischen Abkuhlung unter Gewinnung von mechanischer Nutzenergie aus dem expandierenden Gas Beim ursprunglichen Linde Verfahren dagegen bzw beim reinen drossel expansions isenthalpen Joule Thomson Effekt wird diese Energie nicht nur nicht genutzt sondern sie verbleibt sogar als prozessschadliche Drossel Reibungswarme im Prozess Dadurch ist z B eine Heliumverflussigung ohne Vorkuhlung mit dem ursprunglichen reinen drossel expansions isenthalpen Linde Verfahren wegen der tiefen Inversionstemperatur des Heliums unmoglich mit dem verbesserten Verfahren aber sehr wohl weil die Abfuhrung von mechanischer Nutzenergie bei der Expansion eines Gases unter adiabatischen Bedingungen unabhangig von Gasart und Gastemperatur immer zu einer Abkuhlung fuhrt Die Nutzung des Joule Thomson Effekts ist daher immer noch gebrauchlich Prinzip Bearbeiten nbsp Das Linde Frankl VerfahrenDas isenthalpe Expandieren eines realen Gases in einer Drossel wird von einer Anderung seiner Temperatur begleitet Joule Thomson Effekt Das abstrakte Modell des idealen Gases zeigt diesen Effekt nicht Ob die Temperaturanderung in Form von Abkuhlung oder Erwarmung auftritt hangt davon ab ob die Inversionstemperatur also die Temperatur bei welcher der Joule Thomson Koeffizient des Gases einen Vorzeichenwechsel erfahrt unterschritten ist Befindet sich das System uber der Inversionstemperatur so erwarmt sich das Gas bei Expansion genauer isenthalper Expansion die Enthalpie andert sich durch die Volumenanderung nicht geringere Temperaturen haben eine Abkuhlung zur Folge dieser Effekt wird im Linde Verfahren genutzt Anm eine isenthalpe Expansion tritt dann nach dem 1 Hauptsatz der Thermodynamik in einer Drossel auf wenn die Anderung der potentiellen und kinetischen Energie des stromenden Fluids von Drosseleintritt zu Drosselaustritt vernachlassigt werden kann und angenommen werden kann dass die Drossel adiabatisch isoliert ist Um die fur viele Gase niedrige Siedetemperatur zu erreichen fur Sauerstoff 183 C fur Stickstoff 196 C benutzt man das entspannte Gas im Gegenstromprinzip zur Vorkuhlung des verdichteten Gases Anwendung Bearbeiten nbsp Vereinfachung des Linde Verfahrens p1 gt p2 Das Linde Verfahren wurde fruher zur Abkuhlung von atmospharischen Gasen Sauerstoff Stickstoff sowie Argon und anderen Edelgasen bis zur Verflussigung benutzt Luftverflussigung Bearbeiten Ein Kompressor verdichtet die Luft auf einen Druck von ca 200 bar Dabei erhoht sich ihre Temperatur um ca 45 Kelvin also beispielsweise von 20 C auf ca 65 C In einem ersten Warmeubertrager wird die verdichtete erhitzte Luft dann vorgekuhlt und die Temperatur wieder in den Bereich der Umgebungstemperatur zuruckgefuhrt Dabei wird Warme aus dem Luftverflussigungssystem in die Umgebung abgegeben Die Luft wird zunachst gewaschen und uber ein Molekularsieb von Wasserdampf Staub Kohlenwasserstoffen Lachgas und Kohlenstoffdioxid befreit Kohlenwasserstoffe und Lachgas konnen zu einer Verpuffung oder sogar einer Explosion in der Rektifikationssaule fuhren Anschliessend wird die Luft uber eine Turbine entspannt wobei die Temperatur der Luft bis kurz vor den Verflussigungspunkt absinkt Danach wird die Luft noch uber ein Drosselventil geleitet wobei dort die Luft dann den Verflussigungspunkt ca 170 C erreicht Dem Ingenieur Frankl gelang es die Gegenstromrekuperatoren durch Regeneratoren zu ersetzen Diese lassen sich weitaus kleiner preiswerter und leistungsfahiger bauen als Gegenstromrohrbundelwarmeubertrager Diese Erfindung wurde vom Unternehmen Linde AG ubernommen und unter dem Namen Linde Frankl Verfahren vermarktet Das Verfahren mit Regeneratoren wurde erfolgreich bis ca 1990 angewandt bis eine neuere Technologie aufkam die wieder rekuperative Gegenstrom Plattenwarmeubertrager mit vorgeschalteter adsorptiver Trocknung und Reinigung beinhaltete Flussige Luft hat eine Dichte von etwa 875 kg m 0 875 g cm In einem offenen Gefass unter Atmospharendruck nimmt sie eine Temperatur von 194 25 C 78 9 K an Dabei siedet sie sodass ihre niedrige Temperatur erhalten bleibt denn dadurch wird der flussigen Luft Verdampfungsenthalpie entzogen Da Sauerstoff und Stickstoff unterschiedliche Siedetemperaturen haben verdampft der Stickstoff schneller und die Siedetemperatur der verbleibenden Flussigkeit steigt leicht an bis 81 7 K Die Menge der absiedenden Luft regelt sich so ein dass die durch Warmeleitung oder Einstrahlung zugefuhrte Warme gleich der verbrauchten Verdampfungsenthalpie ist Je nach Grosse und Isolierung des Behalters kann so die flussige Luft einige Stunden bis viele Tage erhalten bleiben Flussige Luft darf jedoch keinesfalls in verschlossenen Behaltern ohne Sicherheitseinrichtungen und entsprechender Auslegung aufbewahrt werden da der durch allmahliche Erwarmung steigende Innendruck diese sonst zum Bersten bringt Fraktionieren der verflussigten Luft Bearbeiten nbsp Siedender Stickstoff in einem Metallbecher 196 C nbsp Tieftemperatur Handschuhe fur Arbeiten mit verflussigten GasenFlussige Luft kann mittels Fraktionieren in ihre Bestandteile zerlegt werden indem mithin die unterschiedlichen Siedepunkte der einzelnen Luftbestandteile ausgenutzt werden Allerdings liegen die Siedepunkte von Sauerstoff und Stickstoff sehr dicht zusammen Man benutzt daher eine Rektifikationssaule Die flussige Luft lauft uber mehrere Rektifikationsboden im Gegenstrom zum aufsteigenden Gas nach unten Sie nimmt Sauerstoff aus dem Gas auf und gibt Stickstoff ab Die Rektifikation wird bei einem Druck von ca 5 6 bar durchgefuhrt Dadurch wird die Flussigkeit sauerstoffhaltiger das Gas stickstoffhaltiger Verflussigung von Wasserstoff und Helium Bearbeiten Um das Linde Verfahren zur Wasserstoff und Helium Verflussigung anwenden zu konnen muss man diese Gase erst unter die Inversionstemperatur T i displaystyle T i nbsp vorkuhlen Dies geschieht in der Regel mit flussiger Luft Das schliesslich erhaltene flussige Helium siedet unter Atmospharendruck bei 4 2 K Dies ist der niedrigste Siedepunkt aller Elemente in naturlicher Zusammensetzung 4 Durch Abpumpen des Helium Gases uber dem siedenden Helium wird letzterem Verdampfungsenthalpie entzogen so dass sich seine Temperatur weiter senken lasst Da der Dampfdruck mit der Temperatur aber sehr stark abfallt erreicht man mit diesem Verfahren keine tiefere Temperatur als 0 84 K zu ihr gehort der Dampfdruck 0 033 mbar Physikalische Grundlagen BearbeitenDas Linde Verfahren beruht auf dem Joule Thomson Effekt Im idealen Gas uben die Teilchen keine Wechselwirkung aufeinander aus weshalb die Temperatur des idealen Gases nicht vom Volumen abhangt Bei realen Gasen hingegen gibt es Wechselwirkungen die man mit Hilfe der Van der Waals Gleichung beschreibt Der Energiegehalt des realen Gases andert sich auch bei adiabatischer ohne Warmeaustausch Entspannung ohne dass aussere Arbeit verrichtet wurde Das ist durch die Temperaturanderung nachweisbar Verbindet man zwei Gasbehalter mit einer porosen Wand und druckt das im Raum 1 unter Druck stehende Gas mit einem Kolben langsam durch diese Membran die zur Verhinderung von Wirbeln und Strahlbildung dient in Raum 2 der unter einem konstanten aber geringeren Druck als Raum 1 steht dann stellt sich ein kleiner Temperaturunterschied zwischen den beiden Raumen ein Er betragt bei Kohlenstoffdioxid etwa 0 75 K pro bar Druckdifferenz bei Luft etwa 0 25 K Erklarbar ist das wenn man bedenkt dass im Raum 1 das Volumen V 1 displaystyle V 1 nbsp entfernt wurde Der Kolben hat dem Gas die Arbeit p 1 V 1 displaystyle p 1 V 1 nbsp zugefuhrt Die Gasmenge taucht im Raum 2 auf und muss die Arbeit p 2 V 2 displaystyle p 2 V 2 nbsp gegen den Kolben leisten Die Differenz der Arbeit ist als innere Energie dem Gas zugutegekommen p 1 V 1 p 2 V 2 U 2 U 1 displaystyle p 1 cdot V 1 p 2 cdot V 2 U 2 U 1 nbsp bzw U 1 p 1 V 1 U 2 p 2 V 2 displaystyle U 1 p 1 cdot V 1 U 2 p 2 cdot V 2 nbsp Die Enthalpie H U p V displaystyle H U p cdot V nbsp bleibt konstant Beim Van der Waals Gas ist die innere Energie U 1 2 f n R T a n 2 V displaystyle U frac 1 2 fnRT frac an 2 V nbsp wobei f displaystyle f nbsp die Anzahl der Freiheitsgrade eines Teilchens ist Damit ergibt sich unter der Berucksichtigung der Van der Waals Gleichung H U p V 1 2 f n R T a n 2 V n R T V n b a n 2 V 2 V n R T f 2 V V n b 2 a n 2 V displaystyle H U pV frac 1 2 fnRT frac an 2 V left frac nRT V nb frac an 2 V 2 right cdot V nRT left frac f 2 frac V V nb right frac 2an 2 V nbsp Weil die Enthalpie erhalten bleibt gilt daher fur das totale Differential d H H V d V H T d T 0 displaystyle dH frac partial H partial V dV frac partial H partial T dT 0 nbsp Umgeformt nach der Anderung der Temperatur d T displaystyle dT nbsp ergibt sich d T H V d V H T n b T V n b 2 2 a n R V 2 f 2 V V n b d V n b R T 2 a f 2 1 R V 2 d V displaystyle dT frac dfrac partial H partial V dV dfrac partial H partial T frac dfrac nbT V nb 2 dfrac 2an RV 2 dfrac f 2 dfrac V V nb dV approx n frac bRT 2a left dfrac f 2 1 right RV 2 dV nbsp Der Zahler ist bei hoher Temperatur positiv Er wechselt sein Vorzeichen bei der Inversionstemperatur T i 2 a R b displaystyle T i frac 2a Rb nbsp Die kritische Temperatur fur ein Van der Waals Gas ist T k 8 a 27 R b displaystyle T k frac 8a 27Rb nbsp also T i 6 75 T k displaystyle T i 6 75 T k nbsp Oberhalb von T i displaystyle T i nbsp erwarmt sich ein Gas bei Entspannung unterhalb kuhlt es sich ab Fur Kohlenstoffdioxid und Luft liegt T i displaystyle T i nbsp deutlich uber der Zimmertemperatur fur Wasserstoff dagegen bei 80 C Ein hoher Wert der Van der Waals Konstanten a displaystyle a nbsp bewirkt daher dass die Temperatur bei Entspannung des realen Gases stark absinkt Das ist logisch denn bei Volumenvergrosserung entfernen sich die Molekule voneinander und mussen dabei Arbeit gegen die durch a displaystyle a nbsp charakterisierten Anziehungskrafte verrichten Diese Arbeit vermindert die kinetische Energie der Molekule und damit die Temperatur des Gases Alternative Verfahren BearbeitenZwei neuere Verfahren dienen zur kostengunstigeren Herstellung von Stickstoff und Sauerstoff in bedarfsangepasster Reinheit Membran Gastrennung englisch membrane gas separation MGS Diffusion durch Hohlfasermembran kann hochreinen Stickstoff und Sauerstoff aus Druckluft liefern Mittels Druckwechsel Adsorption englisch pressure swing adsorption PSA an Molekularsieben CMS carbon molecular sieve fur Stickstoff oder Zeolithe Zeo Molekularsieb fur Sauerstoff lasst sich uber Druckwechsel in zwei Druckkesseln Luft zerlegen 5 Literatur BearbeitenChristian Gerthsen Hans Otto Kneser Helmut Vogel Physik Ein Lehrbuch zum Gebrauch neben Vorlesungen 14 Auflage Springer Berlin Heidelberg 1982 ISBN 3 540 11369 X Kapitel 5 6 6 und 5 6 7 Georg Veranneman Technische Gase Herstellung Verteilung Anwendung Bibliothek der Technik Band 10 4 Auflage Moderne Industrie Landsberg am Lech 2000 ISBN 3 478 93229 7 Weblinks BearbeitenLinde Videos welche den Luftzerlegungsprozess visuell darstellen Der Luftzerlegungsprozess Die Anlagen Perspektive auf YouTube Der Luftzerlegungsprozess Die Gase Perspektive auf YouTube Infos zu Heliumverflussigern von Linde SVGs Trenn Kolonne Anlage nach dem Niederdruckverfahren Video JOULE THOMSON Effekt und LINDE Verfahren Wie erzeugt man flussige Luft Jakob Gunter Lauth SciFox 2013 zur Verfugung gestellt von der Technischen Informationsbibliothek TIB doi 10 5446 15652 Einzelnachweise Bearbeiten Hans Liudger Dienel Die Linde AG Geschichte eines Technologiekonzerns 1879 2004 C H Beck Munchen 2004 ISBN 3 406 51484 7 S 39 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Patent GB189510165A Improvements relating to the Progressive Refrigeration of Gases Angemeldet am 23 Mai 1895 veroffentlicht am 28 Marz 1896 Erfinder William Hampson Patent DE88824C Verfahren zur Verflussigung atmospharischer Luft oder anderer Gase Angemeldet am 5 Juni 1895 veroffentlicht am 29 September 1896 Erfinder Carl Linde Anm Eselsbrucke Das dominierende Isotop Helium 4 siedet bei 4 K das ausserst seltene Isotop Helium 3 siedet bei 3 K jeweils bei Normaldruck Siehe auch Tieftemperaturphysik Stickstoffgenerator N2 Airtexx Gassysteme amp Equipment abgerufen am 27 April 2013 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Linde Verfahren amp oldid 231802939