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Dieser Artikel behandelt die korperliche Verfassung von Lebewesen Weitere Bedeutungen unter Konstitution Begriffsklarung Konstitution von lateinisch constitutio Zusammensetzung Zuordnung bezeichnet im allgemeinen Sinn die korperliche physische Verfassung eines Lebewesens als solche Im spezifischen Sinn bezeichnet sie die Gesamtheit der uberdauernden genetisch vermittelten Eigenschaften eines Lebewesens Im Einzelnen sind damit morphologische physiologisch biochemische und psychologische Merkmale der Individualitat gemeint Das Adjektiv konstitutionell bedeutet demnach im weiteren Sinn auf die korperliche Verfassung bezogen im Sinne der spezifischen Begriffsverwendung hingegen soviel wie durch Anlage bedingt oder angeboren 1 ohne Wertung ob hierdurch eine Krankheit verursacht wird 2 Inhaltsverzeichnis 1 Abgrenzung zur Disposition 2 Geschichte 3 Erblehre 4 Konstitutionstypologien beim Menschen 5 Konstitution und Leistungsvermogen 6 Konstitution und Krankheitslehre beim Menschen 7 Einzelnachweise 8 Literatur 9 WeblinksAbgrenzung zur Disposition BearbeitenDie Konstitution als Anlage bildet das Antinom zur Disposition das ist eine ggf schon fruh in der Entwicklung peristatisch erworbene wechselhafte oder kurzer uberdauernde innere Bereitschaft des Organismus auf bestimmte aussere Einflusse aussergewohnlich meist im Sinne einer Krankheit zu reagieren Es handelt sich um eine idealtypische Unterscheidung das bedeutet dass im akuten Fall in der Regel beide Momente Konstitution und Disposition eine Rolle spielen 3 4 Geschichte BearbeitenIn der alteren Konstitutionslehre umfasst der Begriff in der Regel die Summe der korperlichen und seelischen Veranlagungen eines Menschen Dabei wurden die seelischen Faktoren haufig mystifiziert Bereits William Battie 1704 1776 kritisiert daher die entsprechenden Auffassungen seines Vorgangers Thomas Willis 1621 1675 womit die jeweils pragenden Einflusse eher verschleiert als konkret benannt werden Zu Beginn des 20 Jahrhunderts trat die Lehre von der Konstitution wieder starker hervor und trug zu der bereits im Denken der klassischen griechischen Medizin zu findenden Erkenntnis bei dass bei jedem lokalen Krankheitsprozess der ganze Mensch mitbeteiligt ist und es entstanden die Schulrichtungen Neohippokratismus und die Ganzheitsbetrachtung Der Konstitutionsgedanke trat von 1838 bis 1918 einer rein naturwissenschaftlichen Basis der Heilkunde und einer ubermassigen Spezialisierung in der Medizin entgegen Am Ende des 19 Jahrhunderts erfolgte eine Herausarbeitung des erneuerten Konstitutionsbegriffes der fur die Klinik insbesondere von Friedrich Martius nutzbar gemacht wurde 5 Heute werden unter Konstitution und Disposition meist die relativ uberdauernden korperlichen lebensgeschichtlich und soziokulturell bedingten Eigenschaften eines Menschen zusammengefasst die fur das allgemeine Leistungsvermogen und die Gesundheit wichtig sind und uber langere Entwicklungsphasen oder die gesamte Lebensspanne bestehen 6 7 8 Erblehre BearbeitenAls Genotyp wird die Summe der ererbten Anlagen Genom bezeichnet im Unterschied zum Phanotyp dem Erscheinungsbild d h der Gesamtheit aller am Individuum ausgebildeten Merkmale Der aus dem Genotyp entstehende Phanotyp wird bereits durch intrauterine Einflusse z B Infektionen und durch perinatale Ereignisse z B Komplikationen bei und nach der Entbindung geformt und entwickelt sich unter den gegebenen Umweltbedingungen im Rahmen genetisch gesetzter Grenzen der sog Reaktionsnorm Daruber hinaus konnen Krankheiten Ernahrungsgewohnheiten Intoxikationen z B Alkoholismus Lebens und Arbeitsbedingungen chronische Effekte verursachen welche die ursprungliche Konstitution wesentlich verandern Konstitutionstypologien beim Menschen BearbeitenEine Konstitutionstypologie ist die Einteilung von Menschen nach ihrem Korperbau und dem damit scheinbar zusammenhangendem Temperament Solche Konstitutionstypen entwickelte bereits Galen siehe auch Temperamentenlehre auf der Grundlage der hippokratischen Humoralpathologie Er sah die Grundlage der Temperamentseigenschaften und der Disposition zu bestimmten Krankheiten in der individuellen Zusammensetzung der Safte des Korpers Die bekanntesten Konstitutionslehren in neuerer Zeit sind die von Ernst Kretschmer in Deutschland siehe auch Kretschmers Konstitutionspsychologie und die von William Sheldon in den USA siehe auch somatischer Korperbautyp Ernst Kretschmer bezog sich auf Dutzende von Korperbaumassen anthropometrischen Variablen u a Korpergrosse Korpergewicht Proportionen von Kopf Rumpf und Gliedmassen Gesichtsform Hautbeschaffenheit und unterschied drei Typen Leptosome schlankwuchsig im Extrem Astheniker Pykniker breitwuchsig Athletiker grobwuchsig und muskular Diesen Korperbauformen ordnete er aufgrund ausgedehnter Studien anhand der Biographien ausgewahlter Personen und anhand der Krankengeschichten von psychiatrischen Patienten typische Temperamentsauspragungen zu das schizothyme empfindliche stille zuruckgezogene gehemmte das zyklothyme lebhafte impulsive gutgelaunte bzw das viskose emotional unflexible schwerfallige beharrende Temperament Kretschmer nahm an dass es fur bestimmte individuelle korperliche Wuchstendenzen und die Krankheitsdispositionen fur psychiatrische und innere Erkrankungen eine gemeinsame Grundlage in der vegetativ hormonalen Regulation geben musse Seine Konstitutionslehre fand breites Interesse denn sie versprach einen erneuerten Zugang zur Diagnostik des Temperaments und zu den biopsychologischen Grundlagen der Krankheitslehre in der Psychiatrie Diese Konstitutionslehre hielt der unabhangigen empirischen Prufung nicht stand Die behaupteten Zusammenhange von Korperbaumerkmalen und Personlichkeitseigenschaften sind nicht nachweisbar oder sie sind statistisch nur sehr schwach ausgepragt Die gelegentlich beobachteten Zusammenhange konnen unterschiedlich interpretiert werden Wahrend Kretschmer einen gesetzmassigen und primaren Zusammenhang wegen zugrundeliegender biopsychologischer Eigenschaften behauptete kann eine beobachtete Korrelation auch durch einen sekundaren psychologischen Entwicklungsprozess erklart werden Beispielsweise wird die eigene Bewertung des Aussehens Attraktivitat oder das Erleben der korperlichen Grosse und Kraft das individuelle Selbstgefuhl das Selbstvertrauen den Eindruck der Uberlegenheit bzw Unterlegenheit beeinflussen Daruber hinaus wirken der Vergleich mit anderen Menschen und die erlebte Bewertung durch andere Menschen auf das Selbstkonzept zuruck wobei populare soziale Stereotype uber die psychologische Bedeutung von muskularem magerem oder fettleibigem Korperbau mitspielen konnen Buse und Pawlik 1984 Myrtek 1980 Diese Einflusse konnen wiederum die eigene Motivation hinsichtlich Sport und korperlichem Training fordern so dass subjektive Einstellungen zu objektiv verschiedenen Entwicklungen fuhren Kretschmers Korperbau Typologie hat nach den Ergebnissen der empirischen Uberprufung ihre Bedeutung weitgehend verloren Ein Problem war dass die reinen Formen von Kretschmers drei Konstitutionstypen relativ selten sind so dass die Mischformen dominieren Die Idee der biologisch fundierten psychophysischen Grundeigenschaften wurde auch von anderen Forschern verfolgt und ist noch aktuell Neuropsychologie Personlichkeitsmodelle Psychophysiologie In einer kaum noch uberschaubaren Vielfalt liegen Forschungsergebnisse zur Variabilitat korperlicher Merkmale des Menschen bzw zur korperlichen somatischen Individualitat vor Diese kann hinsichtlich morphologisch anatomischer physiologisch adaptiver und biochemisch immunologischer Merkmale beschrieben werden Konstitution und Leistungsvermogen BearbeitenFur sportliche Leistungen oder Hochstleistungen ist neben dem gezielten Training auch eine geeignete Konstitution wichtig d h der optimale Korperbau der Athleten fur eine bestimmte Sportart das Reaktionstempo die Ausdauer und die emotionale Stabilitat in der Wettkampfsituation u a Eigenschaften Auch bei anderen Aufgaben und Tatigkeiten spielen konstitutionelle Voraussetzungen wie Sinnestuchtigkeit Sehen Horen Geschmackswahrnehmung Orientierung im Raum Auge Hand Koordination und Fingergeschicklichkeit eine Rolle Konstitution und Krankheitslehre beim Menschen BearbeitenCharakteristische Unterschiede des Schlafverhaltens der Bewegungsaktivitat und der emotionalen Reaktionen sind bereits bei Neugeborenen zu beobachten Unter medizinischen Gesichtspunkten sind die konstitutionellen Eigenschaften eines Menschen beteiligt wenn jemand relativ leicht erkrankt oder einen ungewohnlich langen Verlauf der Heilung oder Rehabilitation zeigt Hier sind verschiedene Aspekte zu nennen Unterschiede der Reaktivitat Empfindlichkeit Reagibilitat und der Anpassungsfahigkeit Adaptivitat des gesamten Organismus bzw einzelner Organsysteme Unterschiede der Verletzlichkeit Vulnerabilitat und Empfanglichkeit Suszeptibilitat bzw der Widerstandskraft Resistenz Immunitat gegenuber schadlichen Einwirkungen d h Noxe Infektion Intoxikation Verletzung Uberforderung Stress usw Jeweils ist eine Wechselbeziehung zwischen genetischen Faktoren und Umweltfaktoren anzunehmen auch bei der tatsachlichen Auswirkung der angeborenen Stoffwechselstorungen inborn error of metabolism Archibald Garrod 1908 Der in der Medizin gebrauchte Begriff der Anfalligkeit Vulnerabilitat meint bestimmte Anzeichen fur die Disposition zu einer Erkrankung So wird z B in der Psychiatrie uber Vulnerabilitatsmarker fur Schizophrenie geforscht Viele Modelle zur Entstehung von Krankheiten enthalten die Annahme dass es im Organismus Orte geringeren Widerstandes bzw erhohter Irritierbarkeit lat locus minoris resistentiae sive majoris irritatione gibt welche die spezielle Vulnerabilitat erklaren so in der Ende des 19 Jahrhunderts aufkommenden Konstitutionspathologie zu deren Vorlaufern Friedrich Wilhelm Beneke gehorte 9 Verwandte Konzepte sind die in der Psychophysiologie eingehend untersuchten individualspezifischen Reaktionsmuster die angeborenen Funktionsschwache und die Idiosynkrasien d h eine spezielle Uberempfindlichkeit Aversion oder Unvertraglichkeiten Allergie Intoleranz Die Krankheitslehre Atiologie Pathogenese befasst sich mit der Disposition fur bestimmte korperliche Krankheiten und psychische Storungen Durch Vorsorgeuntersuchungen zur Fruherkennung von Krankheiten sind diese somatischen Risikofaktoren zu erkennen und mit geeigneten Massnahmen zu beeinflussen Wahrend die traditionelle Konstitutionsforschung unter dem Aspekt Korperbau und Temperament zum Stillstand gekommen ist lebt das Konzept biopsychologischer Dispositionen u a in der Kleinkind Forschung und in Krankheitsmodellen fort Einzelnachweise Bearbeiten konstitutionell In Digitales Worterbuch der deutschen Sprache Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2022 abgerufen am 11 Dezember 2022 Diskussion Konstitution konstitutionell Uexkull Thure von Grundfragen der psychosomatischen Medizin Rowohlt Taschenbuch Reinbek bei Hamburg 1963 Teil I Die Stellung der Psychosomatischen Medizin in der Heilkunde Kap 8 Erbmasse und Lebensgeschichte sowie Kap 9 Disponierende und Auslosende Faktoren S 32 ff Teil II Die Auseinandersetzung mit der neuen Aufgabe Kap 1 Die Psychiatrie und die Psychosomatische Medizin S 45 Kap 3 Disposition Personlichkeitsprofil und Krankheitsbereitschaft S 49 Jaspers Karl Allgemeine Psychopathologie Springer Berlin 91973 ISBN 3 540 03340 8 3 Teil Die kausalen Zusammenhange des Seelenlebens erklarende Psychologie Abs c Endogene und exogene Ursachen S 378 ff Paul Diepgen Heinz Goerke Aschoff Diepgen Goerke Kurze Ubersichtstabelle zur Geschichte der Medizin 7 neubearbeitete Auflage Springer Berlin Gottingen Heidelberg 1960 S 34 35 47 53 und 62 Portmann Adolf Biologische Fragmente zu einer Lehre vom Menschen Basel 1951 Portmann Adolf Zoologie und das neue Bild des Menschen 1956 Rowohlt rde Bd 20 51962 Neuauflage 1969 Gehlen Arnold Der Mensch seine Natur und seine Stellung in der Welt In Der Mensch Bonn 1950 vgl Paul Diepgen Heinz Goerke Aschoff Diepgen Goerke Kurze Ubersichtstabelle zur Geschichte der Medizin 7 neubearbeitete Auflage Springer Berlin Gottingen Heidelberg 1960 S 47 Literatur BearbeitenManfred Amelang Dieter Bartussek Gerhard Stemmler und Dirk Hagemann Differentielle Psychologie und Personlichkeitsforschung 6 Auflage Kohlhammer Stuttgart 2006 ISBN 3 17 018640 X Jens B Asendorpf Psychologie der Personlichkeit 5 Auflage Springer Berlin 2007 ISBN 978 3 540 71684 6 Lothar Buse und Kurt Pawlik Kretschmers Konstitutionstypologie als implizite Personlichkeitstheorie Selbst Attribuierungs Effekte in Abhangigkeit vom Korperbau Personlichkeits Stereotyp In Zeitschrift fur Differentielle und Diagnostische Psychologie 1984 Band 5 S 111 129 Jochen Fahrenberg Biopsychologische Unterschiede In Manfred Amelang Hrsg Enzyklopadie der Psychologie Serie Differentielle Psychologie und Personlichkeitsforschung Band 2 Verhaltens und Leistungsunterschiede S 139 193 Hogrefe Gottingen 1995 ISBN 3 8017 0528 5 Jurgen Hennig und Petra Netter Hrsg Biopsychologische Grundlagen der Personlichkeit Elsevier Munchen 2005 ISBN 3 8274 0488 6 Ernst Kretschmer Korperbau und Charakter 1 Aufl 1921 26 Auflage Springer Berlin 1977 ISBN 3 540 08213 1 Michael Myrtek Psychophysiologische Konstitutionsforschung Ein Beitrag zur Psychosomatik Hogrefe Gottingen ISBN 3 8017 0156 5 Robert Plomin Peter Borkenau Gene Umwelt und Verhalten Huber Bern 1999 ISBN 3 456 83185 4 Karl E Rothschuh Theorie des Organismus Bios Psyche Pathos 2 Auflage Urban amp Schwarzenberg Munchen 1963 William H Sheldon The Varieties of Temperament Harper New York 1942 Klaus Conrad Der Konstitutionstypus als genetisches Problem Versuch einer genetischen Konstitutionslehre Springer Berlin 1941 Weblinks Bearbeiten Wiktionary Verfassung Bedeutungserklarungen Wortherkunft Synonyme Ubersetzungen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Konstitution amp oldid 234085239