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Der Titel dieses Artikels ist mehrdeutig Zur Bezeichnung fur den osterreichischen Staat 1933 1938 siehe Austrofaschismus Der Begriff Kanzlerdiktatur wurde von zeitgenossischen liberalen Kritikern zur Kennzeichnung der Regierung und der Amtszeit des ersten deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck gepragt um dessen Herrschaftssystem zu charakterisieren vgl auch Deutsches Kaiserreich Inhaltsverzeichnis 1 Kritik und Vorwurfe 2 Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit 3 Der Begriff in der Diskussion 4 Literatur 5 AnmerkungenKritik und Vorwurfe BearbeitenVor allem nach der innenpolitischen Wende von 1878 79 und der Hinwendung Bismarcks zu den Konservativen nahm die Kritik vor allem der Altliberalen und aus dem Umfeld der Fortschrittspartei am Reichsgrunder zu Den Begriff der Kanzlerdiktatur hat Franz Freiherr von Roggenbach offenbar erstmals in einem Brief an Ludwig Bamberger verwendet Im gleichen Sinn sprachen Eugen Richter und Eduard Lasker von einem Usurpator und Diktator und beklagten das autokratische Element in der Form des Scheinkonstitutionalismus Ahnlich ausserten sich auch der Altliberale Gustav von Mevissen und der spater dem Freisinn zugehorige Friedrich Kapp Der Begriff wurde in den 1880er Jahren nicht im exakt verfassungsrechtlichen Sinne gebraucht da sich formal nichts an der untergeordneten Stellung des Kanzlers geandert hatte In der Folge wurde der Begriff auch von konservativen Gegnern Bismarcks wie Hans Lothar von Schweinitz von auslandischen Diplomaten wie Lord Ampthill und spater von Historikern aufgegriffen Selbst der Historiker Friedrich Meinecke alles andere als ein Bismarckfeind formulierte dass Bismarck auch im neuen Reich eine Art von Diktatur ausuben wurde Bismarck selbst hatte zu dieser Charakterisierung beigetragen als er schrieb In allem nur nicht dem Namen nach bin ich Herr in Deutschland 1 Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit BearbeitenTatsachlich hat die von Bismarck massgeblich mitgestaltete Verfassung zunachst des Norddeutschen Bundes und schliesslich des Kaiserreichs die Position des Kanzlers besonders betont Der Kanzler war der Mittler zwischen dem im Bundesrat vertretenen Deutschen Staaten dem Kaiser und dem Reichstag Im Gegensatz zu den Landern hatte das Reich keine kollegiale Regierung in der etwa der Ministerprasident nur so etwas wie ein primus inter pares war sondern das Reich hatte nur einen regelrechten Minister und das war der Kanzler Alle anderen Fuhrungspositionen waren weisungsgebundene Staatssekretare Zwar wurde der Kanzler vom Kaiser ernannt und konnte von diesem auch wieder abgesetzt werden Aber seitdem Bismarck sich wahrend des Verfassungskonflikts gegen das Parlament durchgesetzt und damit indirekt Wilhelm I den Thron gesichert hatte hielt dieser an Bismarck unbeirrt fest Im Gegenteil hatte Bismarck mehrfach um den Kaiser von einer Sachfrage zu uberzeugen mit dem Rucktritt gedroht Immer gab der Kaiser nach Die Position des Kanzlers war umso starker weil er dem Bundesrat vorsass und Bismarck als Aussenminister und Ministerprasident von Preussen dessen hegemoniale Position zur Durchsetzung seiner Ziele notfalls einsetzen konnte Obwohl der Kanzler verfassungsrechtlich eigentlich nur eine Art Geschaftsfuhrer des Bundesrates sein sollte nahm Bismarck im Verfassungsdreieck zwischen Kanzler Bundesrat und Reichstag zweifellos die zentrale Position ein Allerdings stand der monarchisch burokratischen Exekutive mit dem Reichstag eine moderne Institution gegenuber Gegenuber dem Dreiklassenwahlrecht in Preussen war das allgemeine und direkte Wahlrecht ein Fortschritt in Richtung von mehr politischer Partizipation Wenn auch viele Bereiche insbesondere in der Aussen und Sicherheitspolitik Arkanbereiche der Monarchie und dem Einfluss des Parlaments entzogen blieben spielte es in der grundsatzlichen Ausgestaltung der Innenpolitik im weitesten Sinne eine kaum zu uberschatzende Rolle Der Kanzler war fur jedes Reichsgesetz und fur jeden Etat auf die Zustimmung des Parlaments angewiesen Allerdings standen der Exekutive mit dem Recht der Parlamentsauflosung ein starkes Druckmittel zu um den Reichstag gefugig zu machen In den ersten Jahren funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Kanzler und dem liberal dominierten Parlament relativ reibungslos Sowohl die Exekutive wie auch die Liberalen waren aus unterschiedlichen Motiven etwa daran interessiert die ultramontane Bewegung im Katholizismus zuruckzudrangen Der Kulturkampf von 1871 bis 1887 gegen den Einfluss der katholischen Kirche und die Politik von Papst Pius IX wurden vom Kanzler und den Liberalen gemeinsam gefuhrt Zeitweise wurden in Preussen alle katholischen Bischofe verhaftet oder des Landes verwiesen und die Besetzung zahlreicher Pfarrerstellen behindert Die Zentrumspartei als politische Vertretung des Katholizismus im Deutschen Reich wurde als reichsfeindlich eingestuft Auch das Sozialistengesetz gegen die sozialdemokratische SAP wurde von einer breiten Parlamentsmehrheit von Konservativen und Nationalliberalen mitgetragen Allerdings zeigt auch dieses Beispiel die Grenzen der Macht Bismarcks Als 1889 erneut eine Verlangerung anstand fand der Kanzler keine Mehrheit mehr dafur Dies war einer der Grunde die schliesslich zur Entlassung Bismarcks durch den neuen Kaiser Wilhelm II beitrugen Der Begriff in der Diskussion BearbeitenVon der Geschichtsschreibung wird er heute im Allgemeinen so nicht mehr verwandt weil er die innenpolitische Situation im Deutschen Kaiserreich zu sehr vereinfacht und zu personalistisch ist Eine Ausnahme ist Golo Mann der von einer Diktatur oder Halbdiktatur Bismarcks sprach Anknupfend an Karl Marx Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte hat Hans Ulrich Wehler in seinem Kaiserreich Buch von 1973 versucht die eigentumliche Mischung des innenpolitischen Systems Bismarck aus modernen demokratischen Elementen z B allgemeines Wahlrecht und Repression z B Sozialistengesetz als Bonapartismus zu beschreiben In seiner Gesellschaftsgeschichte ist Wehler davon wieder abgeruckt und hat anknupfend an Max Webers Herrschaftssoziologie versucht Bismarck mit dem Begriff des charismatischen Herrschers zu beschreiben Aber auch dieser Versuch einer typologischen Herrschaftsbestimmung ist in der Fachwelt auf eine breite Skepsis gestossen 2 Um eine einseitige Deutung zu vermeiden bevorzugen einige Autoren den Begriff System Bismarck 3 Literatur BearbeitenHans Peter Ullmann Das deutsche Kaiserreich 1871 1918 Frankfurt 1995 Hans Ulrich Wehler Deutsche Gesellschaftsgeschichte Dritter Band Von der deutschen Doppelrevolution bis zum Beginn des ersten Weltkrieges 1849 1914 Munchen 1995 S 362f Hans Ulrich Wehler Das deutsche Kaiserreich 1871 1918 Gottingen 1988 Anmerkungen Bearbeiten Zitiert nach Wehler Gesellschaftsgeschichte S 362 f Wehler Kaiserreich S 63 ff Michael Seelig Rezension zu Moller Frank Hrsg Charismatische Fuhrer der deutschen Nation Munchen 2004 In H Soz u Kult 15 Juni 2005 Ulmann Kaiserreich S 85 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kanzlerdiktatur amp oldid 217996499