Hans Ulrich Siegenthaler (* 17. Dezember 1952 in Bern) ist ein Schweizer Künstler. Als Namensvarianten nutzte er in den früheren Jahren auch Hans-Ueli Siegenthaler, seit den frühen 1980er Jahren als Signatur durchgehend HUS. Er ist ein Vertreter der Konzept-, Minimal- und der Multimediakunst. Zu seinem Repertoire gehören Videoarbeiten, Malerei, Objekte und Computerarbeiten. Seine zentralen Werke sind die Reale Fiktion Sehnah/Habalukke und seine Einfleischungen.
Leben Bearbeiten
HUS wuchs in Bern-Bümpliz auf. Ab dem 16. Altersjahr machte er eine Lehre als Fernmelde-, Elektro- und Apparatemonteur (FEAM). Bevor er sich zum IT-Spezialisten ausbilden liess, arbeitete er im Schweizerischen Institut für Nuklearforschung in Villigen. Der Einblick in die Kern- und Elementarteilchenforschung und in die exakten Wissenschaften prägte sein Weltbild mit.
Nach anfänglichen Versuchen als Musiker, Autor, Lyriker, Filmer und Fotograf gelangte er 1975 zur Malerei.
Seine damaligen Auseinandersetzungen mit konzeptuellen, minimalistischen Werken, primär mit den Werken von Lawrence Weiner, Donald Judd, Ed Kienholz, Sol LeWitt, Robert Ryman, On Kawara, Ad Reinhardt und Carl Andre führten ihn zu einer individuellen Kunstauffassung.
Im Bundesamt für Kultur (BAK), wo HUS 29 Jahre als IT-Verantwortlicher in leitender Position arbeitete, waren später eines seiner Hauptaufgabengebiete die neuen Medien, insbesondere das Internet, jedoch auch die Bestandserhaltung digitaler Erzeugnisse. HUS, der im BAK Einblick in verschiedene Belange des Staatswesens erhielt, begann in den späten 1990er Jahren seine „Reale Fiktion“, die Republik Sehnah, parallel zur konzeptuellen Malerei aufzubauen.
HUS ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder, lebt und arbeitet in Oberwil im Simmental und in der Stadt Bern.
Werk Bearbeiten
Bis 1980 fand ein Prozess der Findung statt. Auch wenn die konsequente Minimalart seiner persönlichen Ästhetik jedoch nicht zwingend seiner Haltung entsprach, kam es zu einer Entwicklung, die sich in dem Werkkomplex der Strichbilder ergab. HUS bezeichnet sich grundlegend als Autodidakt, obwohl seine Studien und Forschungen dies schon lange übersteuert hatten, schon wie Roy Lichtenstein arbeitete er sich durch mannigfache Werkphasen, bis sich eine deutliche Ausrichtung abzeichnete. Immer noch in klassischer Manier der Minimal-Art arbeitend, malt HUS nun jedoch in «Mengen», dies sich jedoch reduzierend auf eine feine, strukturierte Art. So endete die Strichphase 1987 mit dem Werk «Menschheit» in einer komplexen Mikrofilmarbeit mit 5 Milliarden Strichen, für jeden damals existierenden Menschen ein Zeichen. Die Firma Kodak leistete bei der Ausführung technische Unterstützung. Das Werk sollte von dem Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen übernommen werden, was jedoch schlussendlich an formalen Faktoren bei der Übergabe scheiterte.
Einfleischung Bearbeiten
Seit der Mitte der 1980er Jahre befasst sich HUS mit "Einfleischungen". So bezeichnet der Künstler die von ihm gewählten Farbtöne, die für die Darstellung nackter menschlicher Körperpartien, dem Inkarnat, also heller Haut, verwendet werden. HUS verwendet den Begriff jedoch dahingehend, dass er seine Aufmerksamkeit von der Perspektive der leiblichen Eigenerfahrung hin zu einer ontologischen Reflexion verschiebt. Angelehnt an den Philosophen Maurice Merleau-Ponty, dass eine sinnhafte Welt nur als sinnlich verkörperte Welt existieren kann. Statt des Leibes tritt das „Fleisch“, von Merleau-Ponty „chair“ genannt, in den Mittelpunkt, wobei hier der Begriff „Fleisch“ für den Versuch steht, „Differenz und Identität in neuer, d. h. nicht subjektzentrierter Art und Weise zu denken“. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich von der Perspektive der leiblichen Eigenerfahrung hin zu einer ontologischen Reflexion darüber, dass eine sinnhafte Welt nur als sinnlich verkörperte Welt existieren kann.
Zwei Rückenoperationen mit äusserst schmerzhaften Episoden haben zudem das Denken des Künstlers geprägt. Die Erfahrung nämlich, dass eine solche Episode aus drei Positionen besteht: N°1 ist der reale (der eigentliche) Defekt im Rückenmark. N°2 war die lokale Verortung des real gefühlten Schmerzes (im rechten Bein) N°3 ist die Interpretation des Schmerzes im Gehirn, da wo der Schmerz letzten Endes stattfindet, da im Rückenmark der lädierte Beinnerv das Signal ins Gehirn sendet. Diese Erfahrung zeigt deutlich, dass das Reale nicht mit der Realität identisch ist. Bei Nietzsche und Bataille findet er dann zusätzlich die Bestätigung, dass der Leidende in der Schmerzerfahrung eine sonst nicht mögliche intensive, ekstatische Erfahrung macht. Es entsteht eine Differenz des Leidenden zu sich selbst, insbesondere aber eine, welche die Distanz zu seinem Körper aufhebt. Er verschmilzt auf eine „animalische“ Weise mit seinem Körper, er wird selbst ganz Körper. Es kommt also zu einer quasimystischen Vereinigung mit seinem eigenen Körper, wodurch sich zwangsläufig auch die Differenz zur ansonsten klar geordneten, diskontinuierlichen Welt auflöst.
HUS übernimmt diesen Gedanken in seine Malerei. Den Chiasmus Leib/Seele bringt HUS mit dem abgeänderten Satz von Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus folgendermassen auf den Punkt: „Wovon ich nicht sprechen kann, male ich.“ – Seine Malerei tendiert zum monochrom fleischfarbenen, gegenstandslosen, schweigenden Bild, welches nur noch „Körper“ ist. Unter tendiert ist zu verstehen, dass dieser Prozess bei HUS laufend von „Geschwätzigkeiten“ unterbrochen wird. Wortfetzen aus Zeitschriften, bis hin zu dadaistischen Wortreihungen verhindern eine reine „Fleischwerdung“, verhindern dass das Bild zur Ruhe kommt. Im sogenannten „Schmerztagebuch“ entstanden vor der zweiten OP, wird über lange Seiten (mit Collagen und Skizzen) Angaben über Tagesabläufe, Schmerzmittel etc. berichtet. Das Chaos dieser lang anhaltenden Schmerzphase bis zur Erlösung durch die OP dokumentiert, welche HUS auf Video vom Operateur erhalten hat. – So gesehen sagt HUS: Ich bin immer vom eigenen Kunstwillen abgehalten, rein formale Werke zu schaffen. Ich bilde das Leben ab, den Weg über den alltäglichen Wahnsinn, hin zur letzten Ruhe. Aber auch das zuweilen Schöne hat darin Platz. Das Kunstwerk ist auf diesem Weg ein Abfallprodukt dieses Prozesses. Somit manifestiert sich: „Der Weg ist das Ziel, das Ziel ist weg“. – Und wenn etwas darin schön zu sein hat, steht es auf dem Bild geschrieben und nimmt somit dem Rezipienten die Möglichkeit eines eigenen Urteils vorweg. Letzten Endes findet das Schöne, oder das Glück auch im Körper statt, im Gehirn unweit da, wo auch der Schmerz seinen Ort hat.
Die Umsetzung der Einfleischungen erfolgt in den verschiedensten Medien, oft disziplinübergreifend.
Sehnah / Habalukke Bearbeiten
Der scheinbare Widerspruch „Reale Fiktion“ wird in der Tatsache aufgelöst, dass eine Institution das Spiel real mitspielt. Das Museum ist real und nicht Kulisse. Der Staff des Museums spielt mit und behandelt den Gegenstand (die Artefakte der fiktiven Kultur aus der fiktiven Inselrepublik) analog echter Artefakte. Das Museum wird zur Bühne oder zum Kunstwerk selber. HUS geht so weit, dass er den Besucher selber zum Protagonisten der Inszenierung erklärt. Dieser geht im Kunstwerk auf. Wird aber am Ende aufgeklärt. HUS will aufzeigen, dass der moderne Mensch immer raffinierteren Verblendungsmechanismen ausgesetzt wird, je mehr die Technik fortschreitet. HUS inszeniert bewusst im Archäologischen Museum und nicht im Kunstmuseum. In der Archäologie der schriftlosen Frühzeit können die Artefakte nicht einem Künstler zugeordnet werden. Ebenso bleibt der Urheber bis ans Ende des Ausstellungsparcours unbenannt. Er stellt das Werk Habalukke vor den Künstlernamen. Erst durch Aufklärung, durch Öffentlichkeit dreht sich der Spiess um.
Schwerpunkte bildeten die Internetseiten Berenanews.com, Sehnah.com und Habalukke.ch (eine Museumsseite des Nationalmuseums Sehnah). Die Onlinezeitung berenanews.com ist so etwas wie der Schnittpunkt der Möbiusschleife, da wo Realität und Fiktion sich kreuzen.
Auf Einladung des Musée Schwab präsentiert er „das Museum als Kunstwerk“. HUS zeigt in dieser Ausstellung die Frühgeschichte (Habalukkekultur) der Insel Sehnah. Zu sehen waren neben multimedialen Arbeiten gegen 200 Figurinen aus Terrakotta, Stein und Bronze, sowie Fakebilder von Ferdinand Hodler und Cuno Amiet, Porträts, welche den Entdecker der Habalukkekultur „Dr. Walter Affolter“ zeigen. Die Artefakte wurden fiktional durch Ingold Airlines von Sehnah nach Biel gebracht. Res Ingold hat zwei Plakate der Ausstellung beigesteuert. So überschneiden sich zwei Reale Fiktionen der neueren Kunstgeschichte in dieser relevanten Ausstellung.
Weitere künstlerische Positionen und Projekte Bearbeiten
Ab 2006 begann eine intensive Zusammenarbeit mit Herbert Distel. Er baute für diesen die erste Internetseite für das Schubladenmuseum und wurde von Distel zum Direktor des MOD (Museum of Drawers / Schubladenmuseum) auf Lebenszeit ernannt. Er zeichnete verantwortlich für die Initiierung der erweiterten Neuauflage der Publikation des Buches von 1977 und die Restaurierung der originalen Dias. 2020 gab HUS das Amt des Direktors ab, da die räumliche Distanz eine zielführende Wahrnehmung der Aufgabe erschwerte.
Um 1990 war HUS Redakteur und Mitherausgeber der Literaturzeitschrift Alpha, wo er für die Jubiläumsnummer 50 vom Juni 1992 verantwortlich war, die von Bernhard Luginbühl gestaltet wurde. Neben Texten von HUS wurden in diese Nummer u. a. auch Beiträge von Franz Hohler, Peter Lehner, Kurt Marti, Barbara Traber, Fritz Widmer und Roland Zoss aufgenommen.
Einzelausstellungen (Auswahl) Bearbeiten
- 1976: Galerie Lauffohr, Brugg (CH)
- 1977: Galerie im Doktorhaus, Oberdorf (CH)
- 1978: Galerie Szene, Bern (CH)
- 1991: Galerie Hermes, Solothurn (CH)
- 1994: Mühle Galerie, Bern (CH)
- 1997: Galerie Mürner, Murten (CH)
- 1999: Galerie Theater, Bern (CH)
- 2003: Galerie Kulturkeller, Bern (CH)
- 2005: Galerie Rathauskeller, Aarberg (CH)
- 2012: Galerie Theater, Bern (CH)
- 2016: Neues Museum Biel (NMB) Biel (CH)
- 2017: Collection des moulages de l’Université de Genève (CH)
- 2022: Archäologisches Museum Colombischlössle Freiburg (D)
Gruppenausstellungen (Auswahl) Bearbeiten
- 1996: Alpenglühn, Forum Schlossplatz, Aarau (CH), kuratiert von Beat Gugger.
- 1998: Von Colombo nach New Delhi, Galerie 5a, Bern (CH)
Publikationen (Auswahl) Bearbeiten
- Marie-Louis Schaller, Galerie Hermes (Hrsg.): Ausstellung Solothurn, 1993.
- Ludivine Marquis, Jonas Kissling, Elise Maillard. : Habalukke - Trésors d`une civilisation oubliée. In: AS / Archäologie Schweiz. Nummer 39, 2016, S. 40ff. EAN 9770255900004
- Habalukke - Schätze einer vergangenen Zeit. In: Sammeln / Collection. Nr. 118, April/Mai 2016, S. 2ff. EAN 9771422471006 00118
- Neues Museum Biel (Hrsg.): Berena-News: le journal de la République de Sehnah NMB, 27.02 – 29.05.2016. / Die Zeitung der Republik Sehnah: Ausstellung NMB 27.02–29.05 2016. (Aufl. 58'000 Expl.)
Weblinks Bearbeiten
- Offizielle Seite der Republik Sehnah
- Offizielle Seite der Habalukke-Kultur
- Berena News. Offizielles Presseorgan der Republik Sehnah
- Trailer zur Ausstellung im Colombischlösschen in Freiburg im Breisgau, 2022, auf YouTube
- Habalukke Film von art-tv, NMB, 2016
- Schubladenmuseum Animation der ersten MOD - Webseite, 2009
- Im Banne Habalukkes Galerie Rathauskeller, Aarberg, 2005
- HUS bei Land in Sicht HUS als Gast bei Kurt Aeschbacher am 16. Oktober 2003
- Habalukke, Schätze einer vergessenen Zivisation. museen.de, 7. April 2022.
- Habalukke, eine archäologische Entdeckung. Badische Zeitung, 17. April 2022.
- Habalukke - Trésors d'une civilisation oubliée. Universität Genf, 2017 (französisch)
- Habalukke, 2016 Text von Véronique Dasen zu Sehnah / Habalukke
- Berena News, 2016 Katalog (Publikation) zur Ausstellung im NMB Neues Museum Biel
- Habalukke im NMB, 2016
- Ausstellung NMB, 2016 Artikel vom Seniorweb Schweiz
- Schriften von / über Hans Ulrich Siegenthaler in der Schweizerischen Nationalbibliothek
Einzelnachweise Bearbeiten
- Presse und Unterlagen auf habalukke.ch
- Peter Wiechens Bataille, zur Einführung S. 71 (Junius)
- Schweizerische Nationalbibliothek
- Presseartikel auf habalukke.ch
- Pressetext auf habalukke.ch
- Presseartikel der Berner Zeitung auf habalukke.ch
- Presseberichte auf habalukke.ch
- Ausstellungsansicht und Plakat auf habalukke.ch
- Der Murtenbieter auf habalukke.ch
- Informationen auf habalukke.ch
- Einladung und Informationen auf habalukke.ch
- Installationsansicht auf habalukke.ch
- Fotosammlung auf habalukke.ch
- Webseite des NMB
- Webseite der Universität Genf
- Webseite des Colombischlössle
- Ansichten und Presse auf habalukke.ch
- Ausstellungsansichten auf habalukke.ch
- Quelle: Schweizerische Nationalbibliothek
Personendaten | |
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NAME | Siegenthaler, Hans Ulrich |
KURZBESCHREIBUNG | Schweizer Künstler |
GEBURTSDATUM | 17. Dezember 1952 |
GEBURTSORT | Bern |