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Die Selbstbezeichnung gottglaubig hatte in der Zeit des Nationalsozialismus aufgrund eines Erlasses des Reichsinnenministers Wilhelm Frick vom 26 November 1936 bei aus den Kirchen ausgetretenen Personen auf den Melde und Personalbogen der Einwohnermeldeamter sowie in Personalpapieren unter Religionszugehorigkeit die Worte Dissident oder konfessionslos zu ersetzen 1 Als gottglaubig galt wer sich von den anerkannten Religionsgemeinschaften abgewandt hatte jedoch nicht glaubenslos war Die Einfuhrung des Begriffs war der Versuch eine religiose Identifikationsformel fur Nationalsozialisten jenseits der Kirchen und sonstigen Glaubensgemeinschaften zu schaffen 2 Das Wort bezeugte einen Kirchenaustritt und galt somit zum Beispiel im hoheren Dienst des Auswartigen Amts als Ausweis besonderer ideologischer Nahe zum Nationalsozialismus 3 Dabei blieb es auch nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur als in Sudbaden den bei der Entnazifizierung aus dem Schuldienst entlassenen Lehrern mit NS Vergangenheit wegen ihrer Gottglaubigkeit im Jahr 1950 die Wiedereinstellung verweigert wurde 4 Inhaltsverzeichnis 1 Zur Geschichte des Begriffs im Nationalsozialismus 2 Formen und Verbreitung der Gottglaubigkeit 3 Kritik aus katholischer Sicht 4 Kuriositat nach 1945 5 Siehe auch 6 Literatur 7 EinzelnachweiseZur Geschichte des Begriffs im Nationalsozialismus Bearbeiten nbsp Vom Positiven deutschen Gottglaubens 1939 Trotz zunachst zahlreicher Kircheneintritte infolge der Machtergreifung verharteten sich ab 1936 die Fronten im Kirchenkampf insbesondere infolge der kirchenkritischen Schriften des Parteiideologen Alfred Rosenberg 5 sowie des von Erich und Mathilde Ludendorff gefuhrten Bundes fur Deutsche Gotterkenntnis Das Wort gottglaubig beschrieb eine Person mit grosser ideologischer Nahe zum Nationalsozialismus 3 Das Beiwort Gottglaubige wurde neben Angehorige einer Religionsgemeinschaft oder Weltanschauungsgemeinschaft und Gottlose anstelle der Begriffe Dissident oder konfessionslos verwendet und war gemass Philosophischem Worterbuch von 1943 definiert als amtliche Bezeichnung fur diejenigen die sich zu einer artgemassen Frommigkeit und Sittlichkeit bekennen ohne konfessionell kirchlich gebunden zu sein andererseits aber Religions und Gottlosigkeit verwerfen 6 Da die Zugehorigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wie auch Freidenkertum im Nationalsozialismus nicht als karrierefordernd galt bot die amtliche Bezeichnung gottglaubig fur konfessionslose Nationalsozialisten einen Ausweg um so zu dokumentieren dass man durch einen Kirchenaustritt nicht automatisch unglaubig wurde 7 Das Freidenkertum wurde scharfstens bekampft Die Freidenkerverbande wurden verboten ihr Vermogen wurde eingezogen und hohe Funktionare ins Gefangnis geworfen Formen und Verbreitung der Gottglaubigkeit Bearbeiten nbsp Konfessionen in Deutschland bei der Volkszahlung 17 Mai 1939 8 Protestantische oder katholische Kirchenmitglieder 94 5 Gottglaubig 3 5 Juden 0 4 Andere Religionen 0 1 Nichtreligios glaubenslos 1 5 Die nationalsozialistischen Machthaber standen christlichen Uberzeugungen meist kritisch und ablehnend gegenuber Jedoch trat nur Rosenberg als einziger NS Politiker der ersten Garde nach der Machtubernahme am 15 November 1933 aus der Kirche aus 9 Die Macht der Kirche durch die feste Verankerung des christlichen Glaubens in grossen Bevolkerungsteilen konnte jedoch nicht ausgeblendet werden 10 Im Verhaltnis lagen die christlichen Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus hinsichtlich der Mitgliederzahl am Anfang wie am Ende bei nahezu 95 Prozent Zur Volkszahlung 1939 bezeichneten sich von den neben den Angehorigen der Grosskirchen 94 5 Prozent und Juden 0 4 Prozent verbleibenden 5 1 Prozent etwa 3 5 Prozent als gottglaubig und circa 1 5 Prozent gaben an glaubenslos zu sein In die Restgruppe von rund 0 1 Prozent 86 423 Personen begaben sich Personen die Angehorige einer Kirche Religionsgesellschaft oder religios weltanschaulichen Gemeinschaft waren Dazu zahlte wiederum die deutschglaubige Bewegung 11 Zahlreiche Nationalsozialisten traten aus der Kirche aus und bezeichneten sich als gottglaubig Beispielsweise gehorten drei Viertel der Abgeordneten des Grossdeutschen Reichstages von 1943 keiner christlichen Kirche mehr an In der SS und auch in bestimmten Stadtteilen Berlins in denen viele Ministerialbeamte wohnten war die Nichtkirchlichkeits Rate uberdurchschnittlich hoch Genauere Zahlen teilweise bis auf Gemeindeebene lassen sich der Auswertung der Volkszahlung von 1939 entnehmen bei der ausdrucklich das Merkmal gottglaubig angegeben werden konnte Die Partei erfullte zunehmend auch weltanschaulich religiose Funktionen und entwickelte rituelle Formen die einer angeblichen rekonstruierten germanischen Religion entlehnt wurden 12 So wurde der Festkalender der Partei mit neuheidnischen quasi religiosen Ritualen ausgestaltet Hitler selber vermied es bewusst sich offentlich als Gegner des Christentums zu exponieren um die christliche Mehrheitsgesellschaft nicht vor den Kopf zu stossen Er blieb bis zu seinem Tod Mitglied der katholischen Kirche und verbot auch anderen bekannten Parteifuhrern wie Joseph Goebbels den Kirchenaustritt Schlichte Gemuter konnten daher den Eindruck gewinnen der Kampf gegen die Kirchen sei nur das Anliegen einiger Radikaler und werde von Hitler nicht gebilligt 13 Kritik aus katholischer Sicht BearbeitenDie katholische Kirche kritisierte den Begriff So wird in der Enzyklika Mit brennender Sorge von Papst Pius XI aus dem Jahr 1937 der Sprachgebrauch im nationalsozialistischen Deutschland kritisiert Im ersten Hauptteil der Enzyklika wendet sich Pius XI gegen die Verwendung des Begriffs gottglaubig Wer in pantheistischer Verschwommenheit Gott mit dem Weltall gleichsetze wer das dustere Schicksal an die Stelle des personlichen Gottes rucke oder wer Rasse oder das Volk oder den Staat oder die Staatsform die Trager der Staatsgewalt oder andere Grundwerte menschlicher Gemeinschaftsgestaltung zur hochsten Norm mache gehore nicht zu den Gottglaubigen Denjenigen die ihre Christenpflicht gegen ein angriffslusternes von einflussreicher Seite vielfach begunstigtes Neuheidentum erfullten spricht der Papst anerkennende Bewunderung aus Wer nach angeblich altgermanisch vorchristlicher Vorstellung das dustere unpersonliche Schicksal an die Stelle des personlichen Gottes ruckt leugnet Gottes Weisheit und Vorsehung die kraftvoll und gutig von einem Ende der Welt zum anderen waltet und alles zum guten Ende leitet Ein solcher kann nicht beanspruchen zu den Gottglaubigen gerechnet zu werden Er wendet sich gegen die nationalsozialistische Rassenlehre Dieser Gott hat in souveraner Fassung Seine Gebote gegeben Sie gelten unabhangig von Zeit und Raum von Land und Rasse So wie Gottes Sonne uber allem leuchtet was Menschenantlitz tragt so kennt auch Sein Gesetz keine Vorrechte und Ausnahmen Regierende und Regierte Gekronte und Ungekronte Hoch und Niedrig Reich und Arm stehen gleichermassen unter Seinem Wort Kuriositat nach 1945 BearbeitenAuch bei der Volkszahlung 1946 konnten sich zumindest in der franzosischen Besatzungszone Burger noch als gottglaubig bezeichnen 14 15 Siehe auch BearbeitenNationalsozialistischer Weihnachtskult GlaubeLiteratur BearbeitenCornelia Schmitz Berning Vokabular des Nationalsozialismus Ausgabe 2 Verlag Walter de Gruyter 2007 ISBN 978 3 11 092864 8 S 281 ff Google Books Heinz Boberach Hrsg Berichte des SD und der Gestapo uber Kirchen und Kirchenvolk in Deutschland 1934 1944 Matthias Grunewald Verlag Mainz 1971 Wolfgang Dierker Himmlers Glaubenskrieger Der Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933 1941 Diss Ferdinand Schoningh Paderborn 2002 Herbert Ratz Die Religion der Reinheit Reformbewegung Okkultismus und Nationalismus Geschichte und Struktur einer Alltagsreligion Conte Verlag Saarbrucken 2006 Harald Iber Christlicher Glaube oder rassischer Mythus Die Auseinandersetzung der Bekennenden Kirche mit Alfred Rosenbergs Der Mythus des 20 Jahrhunderts Peter Lang Frankfurt Main 1987 Pius XI 1937 Enzyklika Mit brennender Sorge an die Erzbischofe und Bischofe Deutschlands und die anderen Oberhirten die in Frieden und Gemeinschaft mit dem apostolischen Stuhl leben uber die Lage der katholischen Kirche im deutschen Reich vom 14 Marz 1937 deutschsprachiger Originaltext auf der Internetseite des Vatikans Michael Prinz Rainer Zitelmann Hrsg Nationalsozialismus und Modernisierung Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1991 Frank Schnoor Mathilde Ludendorff und das Christentum eine radikale volkische Position in der Zeit der Weimarer Republik und des NS Staates Deutsche Hochschulschriften Kiel 1998 ISBN 3 8267 1192 0 Friedrich Zipfel Kirchenkampf in Deutschland 1933 1945 Religionsverfolgung und Selbstbehauptung der Kirchen in der nationalsozialistischen Zeit Walter de Gruyter Berlin 1965 Einzelnachweise Bearbeiten Cornelia Schmitz Berning Vokabular des Nationalsozialismus Ausgabe 2 Verlag Walter de Gruyter 2007 ISBN 978 3 11 092864 8 S 281 ff Gerhard Krause Horst Robert Balz Theologische Realenzyklopadie Band 8 Hrsg Gerhard Krause Gerhard Muller Verlag Walter de Gruyter ISBN 3110085631 S 558 Google Books a b Eckart Conze Norbert Frei Peter Hayes Moshe Zimmermann Das Amt und die Vergangenheit Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik Karl Blessing Verlag Munchen 2010 ISBN 978 3 89667 430 2 S 157 LEHRER Immer nur relativ DER SPIEGEL 6 1950 Abgerufen am 10 Dezember 2020 Harald Iber Christlicher Glaube oder rassischer Mythus 1987 Philosophisches Worterbuch Kroners Taschenausgabe Bd 12 1943 S 206 Zitiert in Cornelia Schmitz Berning 2007 S 281 ff Maren Seliger Scheinparlamentarismus im Fuhrerstaat Gemeindevertretung im Austrofaschismus und Nationalsozialismus Funktionen und politische Profile Wiener Rate und Ratsherren 1934 1945 im Vergleich Band 6 von Politik und Zeitgeschichte LIT Verlag Munster 2010 ISBN 978 3 643 50233 9 S 234 Google Books Manfred Gailus amp Armin Nolzen Zerstrittene Volksgemeinschaft Glaube Konfession und Religion im Nationalsozialismus Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2011 ISBN 978 3 647 30029 0 S 196 englisch google com abgerufen am 30 Dezember 2018 Ernst Piper Der Nationalsozialismus steht uber allen Bekenntnissen Alfred Rosenberg und die volkisch religiosen Erneuerungsbestrebungen In Uwe Puschner Clemens Vollnhals Hrsg Die volkisch religiose Bewegung im Nationalsozialismus Eine Beziehungs und Konfliktgeschichte Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2012 ISBN 978 3 525 36996 8 S 350 Google Books Der Glaube ist schwerer zu erschuttern als das Wissen Wer die breite Masse gewinnen will muss den Schlussel kennen der das Tor zu ihrem Herzen offnet Adolf Hitler Mein Kampf Eine kritische Edition Band I Hg Christian Hartmann u a Im Auftrag des Instituts fur Zeitgeschichte Munchen Berlin Munchen 2018 S 879 ISBN 978 3 9814052 3 1 Horst Junginger Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum der volkisch religiosen Bewegung In Uwe Puschner amp Clemens Vollnhals Hrsg Die volkisch religiose Bewegung im Nationalsozialismus Eine Beziehungs und Konfliktgeschichte 47 Schriften des Hannah Arendt Instituts fur Totalitarismusforschung Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2012 ISBN 978 3 525 36996 8 S 97 Google Books Nadja Cornelius Genese und Wandel von Festbrauchen und Ritualen in Deutschland von 1933 bis 1945 In Kolner ethnol Beitrage Heft 8 Koln 2003 ISSN 1611 4531 S 21 f Michael Gruttner Brandstifter und Biedermanner Deutschland 1933 1939 Stuttgart 2015 S 392 Albert Zink Die Pfalz am Rhein Speyer 1952 Teil D Tabelle 19 S 263 f Konfessionsverteilung im spateren Regierungsbezirks Pfalz bei der Volkszahlung vom 26 Januar 1946 in den Stadt und Landkreisen jeweils meist dreistellige Zahlen von Gottglaubigen zusammen 8 300 der 931 640 Einwohner Gesamtzahl siehe Tabelle 6 S 259 f der Pfalz vgl auch Text aus dem Heimatjahrbuch Vulkaneifel viertletzter Absatz uber die Volkszahlung 1946 in Junkerath Franzosische Besatzungszone Sogar fur 1950 tauchen Konfessionsstatistiken mit Gottglaubigen vereinzelt auf etwa fur Kamen siehe auf wiki de genealogy net oder fur Hameln in Erich Keyser Deutsches Stadtebuch Band Niedersachsisches Stadtebuch Stuttgart 1952 S 168 Siehe auch Heribert Schwan Die Frau an seiner Seite Leben und Leiden der Hannelore Kohl Heyne Munchen 2011 ISBN 9783453181755 wo es heisst Die Renners blieben auch nach ihrer Ubersiedlung in die Pfalz bei ihrer Angabe gottglaubig zu sein Im Melderegister findet sich das handschriftliche Kurzel gg bei allen drei Familienmitgliedern Vater Renner schien die Zeichen der Zeit nicht erkennen zu wollen Bei der Mutterstadter Meldebehorde unterstrich er seine Haltung als unbelehrbarer uneinsichtiger Vertreter des alten Regimes und der untergegangenen Nazi Diktatur Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gottglaubig amp oldid 239424521