www.wikidata.de-de.nina.az
Der Xantener Ritualmordvorwurf von 1891 92 den viele damalige Redakteure auch als Prozess Buschhoff bezeichneten gehorte zu den politisch wichtigsten Ritualmordbeschuldigungen im Deutschen Kaiserreich Ahnlich wie bei den Ritualmordvorwurfen von Skurz 1884 85 ein mannlicher Jugendlicher wurde getotet und von sachkundiger Hand zerstuckelt und Konitz 1900 04 instrumentalisierten antisemitische Politiker auch den Xantener Ritualmordvorwurf dazu die aus dem Mittelalter tradierte Ritualmordlegende zu verfestigen und die in ihren Augen ubermassige Machtfulle des Judentums anzuprangern Dieser nationalistischen und antisemitischen Agitation und Demagogie begegneten liberale Politiker mit aufklarenden Schriften in denen sie den Xantener Ritualmordvorwurf in das Reich des Aberglaubens und einer langst verflossenen Zeit zu verbannen suchten Inhaltsverzeichnis 1 Chronik 2 Spottlied 3 Debatten im Preussischen Abgeordnetenhaus 4 Der Xantener Ritualmordvorwurf als Presse und Medienereignis 5 Literatur 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseChronik BearbeitenAm Abend des 29 Juni 1891 wurde die Leiche des funfjahrigen Johann Hegmann in Xanten in der Scheune des Gastwirts Kuppers gefunden Ihm war die Kehle mit einem Messer durchtrennt worden Die Obduktion der Leiche durch Kreisphysikus Bauer und Kreisarzt Nunnighoff ergab dass sich nur noch wenig Blut in den inneren Organen des Jungen befand Die Frage ob der Fundort auch der Tatort war konnte anfangs nicht geklart werden Der Arzt Steiner der am Fundort die Leiche in Augenschein genommen hatte vermutete dass der Junge nicht in der Scheune umgebracht worden sein konnte Die Menge des Blutes die er am Tatort sah resultierte seiner Meinung nach lediglich aus einer Nachblutung Deshalb ging die Mehrheit der Xantener Bevolkerung sowie der Polizei bald davon aus dass der Fundort der Leiche nicht der Tatort gewesen sein konnte Ausserdem waren die Einwohner der Uberzeugung dass nur ein geubter Metzger oder Schachter den Mord begangen haben konnte Der Schnitt an der Kehle des Jungen war professionell durchgefuhrt worden Aufgrund der moglichen Differenz von Fundort und Tatort und des professionell durchgefuhrten Schnitts mutmassten viele Xantener Burger es konne sich um einen von Juden verubten Ritualmord handeln So geriet der ehemalige judische Schachter von Xanten Adolf Buschhoff unter Tatverdacht Viele Zeugen meldeten sich bei der Polizei die Adolf Buschhoff schwer beschuldigten Hermann Molders gab zu Protokoll er habe gesehen wie das Mordopfer am Mordtag in das Haus der Buschhoffs gezogen worden sei Ein anderer Zeuge wusste zu berichten dass die Frau des judischen Schachters am Nachmittag einen Sack in die Scheune getragen habe und suggerierte damit dass der Leichnam von Johann Hegmann auf diese Weise in die Scheune gelangt sei Die Bevolkerung forderte die Staatsanwaltschaft auf Buschhoff zu inhaftieren Diese lehnte es jedoch mit der Begrundung ab es bestehe kein dringender Tatverdacht Wahrend sich die polizeiliche Beweisaufnahme aufgrund der zahlreichen Zeugenaussagen immer schwieriger gestaltete kam es in Xanten zu Ausschreitungen gegen die Familie des judischen Schachters sowie die gesamte judische Bevolkerung Die Ausschreitungen gipfelten darin dass am 24 Juli 1891 das Haus der Buschhoffs demoliert wurde Um den Ausschreitungen Einhalt zu gebieten bat Buschhoff darum verhaftet zu werden Dies lehnten die Behorden wiederum ab Die judische Gemeinde ersuchte den preussischen Staat einen erfahrenen Kommissar zur Aufklarung des Falls in die niederrheinische Stadt zu entsenden Daraufhin wurde der Berliner Kriminalkommissar Wolff geschickt der von der judischen Gemeinde finanziert werden musste Seine Ermittlungen ergaben dass Adolf Buschhoff aufgrund von Zeugenaussagen zu verhaften sei So wurde der judische Schachter am 14 Oktober 1891 inhaftiert Der zustandige Untersuchungsrichter Landgerichtsrat Brixius liess Adolf Buschhoff jedoch zwei Monate spater am 23 Dezember 1891 aus Mangel an Beweisen wieder frei Nach Prufung der Zeugenaussagen kam er zu dem Ergebnis dass eine Anklage nicht aufrechtzuerhalten sei Um die Situation nicht weiter anzuheizen kehrte Buschhoff nach seiner Freilassung nicht nach Xanten zuruck sondern blieb bei Verwandten in Koln Anfang des folgenden Jahres behauptete Kreisphysikus Dr Bauer in einem neuen Gutachten ein Messer aus dem Bestand Adolf Buschhoffs sei die Tatwaffe Nachdem bald darauf offentlich wurde dass der Verteidiger der Buschhoffs der Schwiegersohn des Richters Brixius war eskalierte Anfang Februar 1892 erneut der Konflikt um die Frage der Schuld Adolf Buschhoffs Daraufhin wurde Landgerichtsrat Brixius durch seinen Stellvertreter Birk abgelost der eine erneute Inhaftierung der Familie Buschhoff anordnete Vom 4 Juli bis zum 14 Juli 1892 verhandelte das Klever Landgericht uber die Mordanklage Dabei wurde insbesondere die Frage diskutiert ob ein von Juden verubter Ritualmord vorliege Uber 160 Zeugen wurden gehort Der Prozess endete mit einem Freispruch fur Adolf Buschhoff Er hatte ein luckenloses Alibi fur den Mordtag nachweisen konnen Der erste Staatsanwalt ausserte dazu dass mir bei meiner langjahrigen kriminalistischen Tatigkeit noch kein einziger Fall vorgekommen ist in dem so ein klarer zusammenhangender Beweis gefuhrt worden ist dass der Angeklagte die Tat nicht begangen haben kann Adolf Buschoffs Existenz in Xanten war dennoch zerstort Er zog mit seiner Familie nach Neuss wo er 1912 verstarb Der oder die tatsachlichen Morder von Johann Hegmann 1886 1891 konnten nie ermittelt werden Spottlied BearbeitenIm Zusammenhang mit dem Verbrechen wurde folgender Text als Hass und Spottlied in den Strassen verbreitet Juden das sind Sunder schlachten Christenkinder schneiden ihnen die Halse ab das verdammte Judenpack 1 Debatten im Preussischen Abgeordnetenhaus BearbeitenNach der durch neue Indizien und gesteigerten offentlichen Druck am 8 Februar 1892 vom preussischen Justizminister Hermann von Schelling veranlassten erneuten Inhaftierung Buschhoffs kam es auch im Preussischen Abgeordnetenhaus zu kontroversen Debatten uber den Xantener Ritualmordvorwurf Von Schelling hatte Buschhoff verhaften lassen obwohl kein hinreichender Tatverdacht vorlag In dem aufgeheizten Klima nutzten die Antisemiten eine Debatte uber den Justizetat und die Offnung der Justizlaufbahn fur Juden dazu um in den Sitzungen des Abgeordnetenhauses am 9 Februar 1892 und am 19 Marz 1892 den Xantener Mordfall zu thematisieren Bei dieser Auseinandersetzung standen sich zwei Lager gegenuber Auf der einen Seite befanden sich die Linksliberalen reprasentiert durch Heinrich Rickert sowie die Regierung vertreten durch den Justizminister Hermann von Schelling und die Nationalliberalen fur die Paul von Krause sprach Auf der anderen Seite standen insbesondere die konservativen Parteien um Adolf Stoecker und den Freiherrn von Wackerbarth sowie einige Abgeordnete der Zentrums Partei Lediglich die zahlenmassig schwache Fraktion der Linksliberalen verurteilte die Ritualmordpropaganda der Antisemiten energisch und verwies den erhobenen Ritualmordvorwurf in das Reich des Aberglaubens Die Nationalliberalen und die Regierung hoben demgegenuber lediglich hervor wie korrekt die preussischen Justiz und Ermittlungsbehorden arbeiten wurden Im Gegensatz dazu propagierten die Konservativen nicht nur die Ritualmordlegende sondern nutzten die Debatte um die preussische Justiz zu diskreditieren In ihren Ausfuhrungen warfen sie den Ermittlungsbehorden vor von judischen Interessen beeinflusst zu sein Im Zuge der Ermittlungen im Mordfall Hegmann unter dessen Namen die Ermittlungen liefen wurde vom Justizministerium ein zentrales Prinzip der damaligen rechtsstaatlichen Ordnung das Prinzip der Anklageerhebung nur im Falle eines ausreichenden Tatverdachtes ausser Kraft gesetzt Dafur hatten die Antisemiten mit ihrem politischen Druck entscheidend beigetragen Der Xantener Ritualmordvorwurf als Presse und Medienereignis BearbeitenDer Xantener Ritualmordvorwurf avancierte 1891 92 zu einem der zentralen Gesprachsthemen im Deutschen Kaiserreich Die Parteizeitung Das Volk deren Herausgeber Adolf Stoecker war berichtete ausfuhrlich uber die Entwicklung des Mordfalls Sie schurte ahnlich wie die konservative Kreuzzeitung die antisemitische Neue Deutsche Zeitung und die katholische Zentrumszeitung Germania den Ritualmordverdacht gegen Adolf Buschhoff die in ihren Augen nachlassig ermittelnden Justizbehorden und das fur sie ubermachtige Judentum Anders als die liberal und sozialistisch ausgerichteten Zeitungen die zuruckhaltend berichteten schurten die antisemitischen Zeitungen in breiten Bevolkerungsschichten die Angst vor einer ubermassigen Machtfulle des Judentums nbsp Christlich soziale Schrift Der Fall Buschoff 1892Die antisemitische Agitation beschrankte sich nicht nur auf die demagogische Berichterstattung in Zeitungen Zudem erschienen in grosser Zahl Druckschriften in denen sie ihre Propaganda verbreiteten Darunter ragt das von Heinrich Oberwinder in der christlich sozialen Vaterlandischen Verlags Anstalt herausgegebene Pamphlet Der Fall Buschoff Die Untersuchung uber den Xantener Knabenmord Von einem Eingeweihten heraus Diese Schrift erschien im Januar 1892 wahrend der laufenden Ermittlungen im Mordfall Es wurde die Forderung erhoben den tatverdachtigen Adolf Buschhoff wegen rituellen Mordes an Johann Hegmann anzuklagen Er sollte einem Volksgericht also einem reinen Geschworenengericht uberstellt werden Tatsache ist dass Adolf Buschhoff im Juli 1892 vor einem Klever Schwurgericht angeklagt wurde Der ermittelnde Staatsanwalt Baumgard und der Untersuchungsrichter Brixius erstatteten Strafanzeige gegen den Verleger Theodor Oberwinter wegen Verleumdung Es wurde eine Entscheidung zu ihren Gunsten gefallt Dies zeigt wie intensiv in der antisemitischen Presse der Ritualmordvorwurf zu agitatorischen Zwecken genutzt wurde Die aufklarerischen Gegenschriften erzielten eine vergleichsweise geringe offentliche Resonanz Die antisemitischen Propagandaschriften hingegen erzeugten offentlichen Druck was der Ritualmordlegende mit ihren wirklichkeitsfremden Vorstellungen und pseudowissenschaftlichen Argumenten Geltung verschaffte Literatur BearbeitenHugo Friedlander Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4 bis 14 Juli 1892 Startz Cleve 1892 Digitalisat Prozess Buschhof Der Xantener Knabenmord vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4 bis 14 Juli 1892 mit Situationsplanen und nach stenographischen Aufzeichnungen Wrietzner Hagen i W 1892 Digitalisat Der Xantener Knabenmord vor dem Schwurgericht zu Cleve 4 14 Juli 1892 Vollstandiger stenographischer Bericht Cronbach Berlin 1893 Johannes T Gross Ritualmordbeschuldigungen gegen Juden im Deutschen Kaiserreich 1871 1914 Metropol Berlin 2002 ISBN 3 932482 84 0 Julius H Schoeps Ritualmordbeschuldigung und Blutaberglaube Die Affare Buschoff im niederrheinischen Xanten In Jutta Bohnke Kollwitz Hrsg Koln und das rheinische Judentum Festschrift Germania Judaica 1959 1984 Bachem Koln 1984 ISBN 3 7616 0719 9 S 286 299 Holger Schmenk Xanten im 19 Jahrhundert Eine rheinische Kleinstadt zwischen Tradition und Moderne Bohlau Koln 2007 zugleich Duisburg Essen Universitat Dissertation 2007 ISBN 978 3 412 20151 7 S 310 367 FiktionWilli Fahrmann Es geschah im Nachbarhaus Die Geschichte eines gefahrlichen Verdachts und einer Freundschaft 53 Auflage Arena Wurzburg 2023 ISBN 978 3 401 02500 1 Weblinks Bearbeiten nbsp Commons Xantener Ritualmordvorwurf Sammlung von Bildern Videos und Audiodateien nbsp Wikisource Paul Nathan Xanten Cleve Betrachtungen zum Prozess Buschhof Berlin 1892 Quellen und Volltexte nbsp Wikisource Heinrich Oberwinder Der Fall Buschoff Die Untersuchung uber den Xantener Knabenmord Quellen und Volltexte nbsp Wikisource Hugo Friedlander Der Knabenmord in Xanten vor dem Schwurgericht zu Cleve vom 4 bis 14 Juli 1892 Ausfuhrlicher Bericht Quellen und Volltexte nbsp Wikisource Hugo Friedlander Der Knabenmord in Xanten 1910 Quellen und VolltexteEinzelnachweise Bearbeiten Ralph Trost Eine ganzlich zerstorte Stadt Nationalsozialismus Krieg und Kriegsende in Xanten Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas Band 11 Waxmann Munster 2004 ISBN 3 8309 1413 X S 234 Fussnote 17 Auf Google Books abgerufen am 20 Oktober 2021 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Xantener Ritualmordvorwurf amp oldid 234885947